Entscheidungsdatum
12.05.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L506 2199087-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. GABRIEL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Bangladesch, vertreten durch RA Mag. Oberschlick, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , Regionaldirektion Vorarlberg, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.04.2021 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II. Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am XXXX nach legaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Anlässlich der Erstbefragung am 23.11.2016 gab der BF an, er habe sein Heimatland verlassen, da er Angehöriger der Chatrodol (BNP) und dort Sekretär gewesen sei; die Gegenpartei, die Awami League habe immer falsche Anzeigen gegen ihn erstattet, etwa, dass er Autos demoliert habe. Wegen der Falschanzeige werde er von der Polizei gesucht. Auch hätten Leute von der Gegenpartei immer wieder Geld von seinem Vater, der sehr wohlhabend sei, gefordert, zuletzt 30.000 €; andernfalls würden sie die Kinder umbringen. Aus diesem Grund habe sein Vater gewollt, dass er das Land verlasse. Er habe sich als Student an die Uni XXXX beworben; während die Polizei nach ihm gesucht habe, habe er das Studentenvisum erhalten. Nach seiner Ankunft in XXXX habe er erfahren, dass die Leute von der Gegenpartei ihr Haus demoliert und in Besitz genommen hätten. Die Eltern seien mit dem Umbringen bedroht worden und nach XXXX geflohen, wo sie seit einem Jahr leben. Vor 6 Monaten habe die Radikalisierung durch Muslime begonnen und würden dort die Häuser der Hindus in Brand gesetzt und diese ausgebeutet werden. Er wolle jetzt in Österreich bleiben, da sie Hindus auffordern, zum islamischen Glauben überzutreten oder das Land zu verlassen. Die Anzeige gegen ihn sei erneuert worden, da die Gegenpartei nun an der Macht sei. Im Rückkehrfall würde er verhaftet und müsse sein Vater für seine Freilassung 30.000 € zahlen, damit er aus dem Gefängnis freikomme.
3. Mit Bescheid des XXXX , vom XXXX wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG für den Zweck ‚Studierender‘ mit der Begründung, dass der BF für das Studienjahr Oktober 2014 bis September 2015 abgewiesen. Es wurde ausgeführt, dass der BF seit März 2014 im Vorstudienlehrgang für Deutsch Niveau B2/2 eingeschrieben sei, doch habe er nicht nachgewiesen, die Ergänzungsprüfung innerhalb von drei Semestern absolviert zu haben. Zur erfolgten Verständigung habe der BF keine Stellungnahme abgegeben.
4. Am 05.07.2018 erfolgte eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA).
Der BF erklärte, er sei von 2013-2014 Gemeindesekretär für den Studentenzweig der BNP gewesen; zuvor sei er Werbesekretär gewesen. Insgesamt sei er 2 Jahre politisch tätig gewesen, davor sei er Sympathisant gewesen. Er habe die Leute über Parteiziele informiert und verschiedene Versammlungen organisiert.
Seine Familie sei bei Verwandten oder Bekannten, seitdem ihr Haus angezündet worden sei und verfüge über keine bestimmte Adresse. Beim letzten Kontakt sei die Familie bei einer seiner Tanten in XXXX gewesen.
Zu seinem Ausreisegrund erklärte der BF, seit dem Jahr 2012 sei er aktives Mitglied der Chatrodol; die Awami League seien seine Feinde gewesen und sei er ein paarmal attackiert worden. Von 2012 bis 2014 sei er deshalb nicht zu Hause, sondern immer unterwegs gewesen. Da sie ihn nicht gefunden hätten, hätten sie seine Geschwister belästigt. In Bangladesch seien die meisten Hindus Mitglieder der AL, er sei BNP Mitglied gewesen, was nicht akzeptiert worden sei; er sei 3-4mal in XXXX geschlagen worden. Es sei ihm mit dem Umbringen gedroht worden, wenn er seine BNP Mitgliedschaft nicht niederlege. Vor seiner Ausreise hätten sie von seinem Vater 30.000 € Schmiergeld verlangt und hätten gedroht, den BF und seine Geschwister umzubringen. Die Polizei sei mit den AL- Leuten befreundet gewesen, weshalb sie von der Polizei keine Unterstützung erhalten hätten. Sein Vater habe sich Sorgen gemacht und ihn deswegen nach Österreich geschickt. Wegen seiner Probleme habe er die Universität abgebrochen, da er immer wieder auf der Straße attackiert worden sei. Als er in Österreich angekommen sei, habe er erfahren, dass seine Gegner Falschanzeigen gegen ihn erstattet hätten. Zwei- bis dreimal sei er von der Polizei gesucht worden und habe diese seine Familie belästigt. Einige AL-Leute seien mit der Polizei zu ihm nach Hause gekommen, hätten randaliert und das Haus zerstört. Nach diesem Vorfall seien die Eltern nach XXXX gezogen und hätten dort ein Haus gebaut, 2015 seien sie von dort geflüchtet, nachdem seine Familie Probleme mit muslimischen Menschen, die das ganze Dorf belästigt hätten, bekommen habe. Hindus seien eine Minderheit in Bangladesch. Am 30.10.2016 sei ihr Hindu-Dorf angezündet worden und seien 300 Familien davon betroffen gewesen, auch seine Eltern seien dabei gewesen; ihr gesamtes Hab und Gut sei zerstört worden. Die Hindus wollen nicht zum Islam konvertieren. Als er in XXXX gewesen sei, sei auch ihm der Vorschlag gemacht worden, dass er seine politische Tätigkeit ausüben dürfe, wenn er konvertiere. Er habe dies jedoch verweigert und seien sie aus diesem Grund wütend auf ihn gewesen. Wegen diesen Problemen hätten seine Geschwister auch nicht zur Schule gehen können und habe sein Vater alles verloren, was er gehabt habe. Sie seien eine wohlhabende Familie gewesen und hätten jetzt finanzielle Schwierigkeiten. Die jetzige Regierung unterstütze keine Hindus, obwohl sehr viele AL-Mitglieder seien. Seine Familie habe nach Indien gewollt, jedoch keine Reisedokumente gehabt.
Über Nachfragen gab der BF an, in der Zeit von 2012 bis 2014 bei Verwandten, Freunden und Bekannten gelebt und ab und zu seine Eltern besucht zu haben. Insgesamt sei er 3-4 mal attackiert und 3-4 mal mit dem Umbringen bedroht worden.
Im Jahr 2013, als er Sekretär gewesen sei, sei er erstmals bedroht worden; im Februar 2013 sei er erstmals geschlagen worden. Nach dem vierten Vorfall sei er geflüchtet und nur noch heimlich auf Besuch bei den Eltern gewesen. Vor seiner Ausreise sei ein Parteifreund entführt worden und wisse man nicht, ob dieser noch lebe. Sehr viele BNP- Anhänger hätten dieselben Probleme. Eine politische Tätigkeit seiner Familie verneinte der BF.
Er sei wegen seiner politischen Tätigkeit, des Schmiergeldes und seiner Religion ausgereist. Zu den Falschanzeigen gab der BF an, es sei ihm vorgeworfen worden, am 19.01.2014 zwei Autos in Brand gesteckt zu haben du habe er zwei handgemachte Bomben detonieren lassen, wobei einige Leute verletzt worden seien.
Sein Anwalt habe die Unterlagen bekommen und diese dem BF gemailt; sein Vater habe wegen der Falschanzeigen einen Anwalt besorgt, der ihn seit 2017 vertrete.
Sein Elternhaus sei ihm Jahr 2014 zweimal zerstört worden. Ende 2012 habe er sich zur Ausreise entschlossen, er habe vorgehabt in Österreich zu studieren und sich in Sicherheit zu bringen.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem BF nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei und dem BF eine 14tägige Frist gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt III-VI.).
Begründend wird dazu im angefochtenen Bescheid zusammengefasst ausgeführt, dass für die Behörde nicht ersichtlich sei, dass der BF über mehrere Jahre im Heimatland verblieb, obwohl er bereits im Jahr 2012 Probleme (der BF habe angegeben, mehrmals bedroht und geschlagen worden zu sein) bekommen haben soll, jedoch erst im Februar 2014 ausgereist sei. Auch sei die vorgebrachte Verfolgung nicht glaubwürdig, da der BF vorerst angegeben habe, sich von 2012 bis 2014 nicht zu Hause aufgehalten zu haben. Der BF habe nach genauerem Befragen angegeben, erstmals im Februar 2013 geschlagen worden zu sein und habe erst kurz vor der vierten Bedrohung sein Zuhause verlassen und habe auch danach seine Familie immer wieder heimlich besucht.
Auch sei es angesichts der Angaben des BF zu seiner Bedrohungssituation nicht plausibel, dass dieser legal ausgereist sei, da der BF angegeben habe, gesucht worden zu sein. Der BF habe Dokumente in Kopie vorgelegt und im Original nachgereicht und könne im Lichte der Länderfeststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass es sich hiebei um Fälschungen handle.
Letztlich wurde festgehalten, dass sich der BF bereits seit XXXX in Österreich aufhalte, jedoch erst am XXXX den Asylantrag gestellt habe, weshalb festgestellt werden könne, dass der BF nicht auf der Suche nach Schutz sei und sei diese Vorgehensweise nicht nachzuvollziehen.
Spruchpunkt II. begründete die Behörde zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 8 Abs 1 Z 1 AsylG zu verneinen sei.
Zu Spruchpunkt III. hielt das BFA fest, dass die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung für den keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine Vertretung mit Schriftsatz vom 14.06.2018 vollumfänglich Beschwerde. Zu deren Inhalt im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).
Es wurden die Anträge gestellt,
-) eine mündliche Verhandlung anzuberaumen
-) den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde dahingehend abändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz Folge gegeben und diesem der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde;
-) in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat zuerkannt werde;
-) in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und zur inhaltlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen
-) in eventu die Rückkehrentscheidung für unzulässig zu erklären und einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen.
-) nicht geltend gemachte Rechtswidrigkeiten amtswegig aufzugreifen
Der BF haben seinen Reisepass anlässlich der Asylantragstellung im Original vorgelegt und sei die diesbezügliche Feststellung des BFA aktenwidrig. Auch sei der BF nicht mittellos, sondern gehe einer Arbeit nach. Das Ermittlungsverfahren des BFA sei mangelhaft und stehe das Vorbringen des BF in Einklang mit den Länderfeststellungen. Es wurde der Antrag gestellt, die seitens des BF vorgelegten Urkunden im Herkunftsstaat überprüfen zu lassen.
7. Die gegenständliche Beschwerde langte samt bezug habendem Verwaltungsakt am 25.06.2018 in der hg. Gerichtsabteilung ein.
8. Am 19.07.2018 langte hg. eine Beschäftigungsbewilligung für den BF als Lehrling von XXXX bis XXXX vorgelegt. Am 25.09.2019 langte hg. eine Verständigung über die Eintragung des BF ins Gewerberegister der BH XXXX ein.
9. Am 26.04.2021 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der die Parteien des Verfahrens geladen wurden. Anlässlich der Verhandlung wurden zahlreiche Unterlagen, die Integration des BF in Österreich betreffend, vorgelegt.
10. Hinsichtlich des Verfahrensganges und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
11. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den behördlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde. Einsicht genommen wurde zudem in die aktuellen Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des BF, die dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegen sowie durch die Durchführung der genannten mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen
1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin
1.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.
1.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurde der gegenständliche Verfahrensakt der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.
2. Feststellungen (Sachverhalt):
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers wird festgestellt:
2.1.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er ist ledig, gesund und arbeitsfähig. Er ist Staatsangehöriger von Bangladesch, Hindu und Angehöriger der Volksgruppe der Bengalen.
Der Beschwerdeführer hat die Schule, ein College und die Universität in XXXX besucht und war als Student vorerst als Werbesekretär und in der Folge als Generalsekretär im Sprengel XXXX für den Studentenflügel der Partei BNP tätig.
In diesem Zusammenhang wurde der BF mehrfach von Angehörigen der Gegenpartei und von Moslems bedroht und geschlagen, wobei erschwerend auch die religiöse Ausrichtung des BF als Hindu hinzukam. Aufgrund der politischen Aktivitäten des Beschwerdeführers in Verbindung mit seiner Religion wurde gegen den Beschwerdeführer ein falsches Gerichtsverfahren eingeleitet, der Beschwerdeführer zu einer Haftstrafe verurteilt, das Haus der Familie geplündert und teilweise zerstört und von dessen Vater 3 Mio. Thaka Schutzgeld gefordert.
Im Hinblick auf die aktuelle Situation in Bangladesch kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in Bangladesch asylrelevanter Verfolgung unterliegt.
2.1.2. Der Beschwerdeführer, der derzeit eine Kochlehre absolviert und zuvor berufstätig war, ist strafrechtlich unbescholten.
2.2. Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt:
1 COVID-19
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Pati- enten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).
Quellen:
• GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-d er-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020
• GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirt schaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
• WKO-Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff
8.5.2020
2 Politische Lage
Letzte Änderung: 16.11.2020
Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km2 leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).
Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz" um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).
Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce" und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).
Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und Kandidatinnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).
Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).
Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer Anhängerinnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).
Quellen:
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• AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www. ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die _asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28St and_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
• BBC - British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393 , Zugriff 11.11.2020
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• DT - Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party’s Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaiban dha-3-by-polls-underway , Zugriff 10.11.2020
• DW - Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term -as-prime-minister/a-47513555 , Zugriff 10.11.2020
• DGVN - Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP - Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fi leadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_N achdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020
• FH - Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 - Bangladesh, https://freedo mhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020 , Zugriff 1.11.2020
• FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asi a/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in , Zugriff
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• NAU - Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuh rerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195 , Zugriff 10.11.2020
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10.11.2020
3 Sicherheitslage
Letzte Änderung: 16.11.2020
Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind - gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen - in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).
Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).
Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah BanglaTeam (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).
In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangama- ti, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).
An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).
Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).
Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ban gladesch-node/bangladeschsicherheit/206292 , Zugriff 9.11.2020
• AA-Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3 %Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Banglades ch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/201 9yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia2 5-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.adeddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence -in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020
• AnAg -Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-roh ingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020
• AI - Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html , Zugriff 13.11.2020
• BMEIA- Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch - Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/banglad esch/, Zugriff 16.11.2020
• EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertret ungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textima ge, Zugriff 10.11.2020
• FH - Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 - Bangladesh, https://freedo mhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020 , Zugriff 16.11.2020
• HRW - Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohi ngya , Zugriff 16.11.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
• SATP - South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet - Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/in cidents-data/bangladesh , Zugriff 10.11.2020
• TDS - The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://ww w.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726 , Zugriff
16.11.2020
• UKFCO - UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/ safety-and-security , Zugriff 16.11.2020
• UKFCO - UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh - Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism , Zugriff 16.11.2020
4 Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht". Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates", die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).
Auf Grundlage des „Public Safety Act", des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, "Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act" wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen - es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).
Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte" eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3 %Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Banglades ch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020
• FH - Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 - Bangladesh, https://freedo mhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020 , Zugriff 1.4.2020
• FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/regionZa sia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in , Zugriff
3.4.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
5 Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 16.11.2020
Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat, die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 11.3.2020).
Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 21.6.2020). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 9.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 9.2020).
Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 9.2020).
Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden" (AI 30.1.2020; siehe auch Abschnitt 5). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, sodass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 21.6.2020).
Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police", die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 9.2020).
Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt etwa 15 RABs mit insgesamt ca. 9.000 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 9.2020). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 21.6.2020). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang"-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 9.2020). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen, Folter und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen, etwa durch Angehörige des RAB ab. Die Sicherheitskräfte versuchen seit langem, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte Menschen wurden angeblich in solchen „Kreuzfeuer" getötet (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 9.2020).
BangladeshAnsar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 9.2020).
Border Guard Bangladesh (BGB) - ehem. Bangladesh RiflesRifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry [Innenministrium], wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BGB ist auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 9.2020).
Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon" [Zug] mit jeweils 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB
9.2020) .
Special Branch of Police (SB): Sie ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 21.6.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3 %Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Banglades ch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
• AI - Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/document/2023864.html, Zugriff 12.11.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Bangladesh, https://www. ecoi.net/de/dokument/2022700.html , Zugriff 9.11.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
• USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Prac- tices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html , Zugriff
13.11.2020
6 Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 11.11.2020
Obwohl Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die Verfassung und Gesetze verboten sind, gibt es weiterhin Vorwürfe von Misshandlungen durch Sicherheitskräfte und Geheimdienste (USDOS 11.3.2020). Im Fokus der Kritik bezüglich Folter wie auch extralegaler Tötungen stehen dabei insbesondere die Angehörigen der Rapid Action Battalions (RAB) (ÖB 9.2020; vgl. HRW 14.1.2020, ODHIKAR 8.2.2020). Die Zahl der Todesopfer soll laut Angaben diverser NGOs in die Hunderte gehen, die meisten davon im Zuge von vorgeblichen Feuergefechten, bei denen es sich jedoch zumeist um Hinrichtungen handelt (ÖB 9.2020). Die Behörden gehen entsprechenden Anzeigen nur selten nach (ODHIKAR
8.2.2020) . Das Gesetz zur Verhinderung von Folter und Tod in Gewahrsam (Torture and Custo- dial Death Prevention Act) aus dem Jahr 2013 wird aufgrund mangelnden politischen Willens und Unkenntnis der Strafvollzugsbehörden unzureichend umgesetzt (ODHIKAR 8.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Missbrauch durch Sicherheitsbeamte bleibt weitgehend straflos (USDOS
11.3.2020) .
Per Gesetz ist es Richtern möglich, über Verdächtige Untersuchungshaft zu verhängen, während denen Befragungen ohne Beisein eines Anwalts erfolgen können. Laut Menschenrechtsorganisationen fanden viele Fälle von Folter in dieser Phase statt. Sicherheitsbehörden wenden Drohungen, Schläge und verschiedenste Foltermethoden, manchmal Vergewaltigungen und andere sexuelle Übergriffe an, um Informationen von mutmaßlichen Aufständischen und Oppositionellen zu erlangen (USDOS 11.3.2020; vgl. ODHINKAR 8.8.2019). Zahlreiche Fälle von Folter und unmenschlicher Behandlung erscheinen politisch motiviert (ÖB 9.2020). Doch auch vulnerable Gruppen sind von Folter betroffen (OMCT 14.8.2019).
Gemäß der bangladeschischen NGO Odhikar starben 2017 bis 2019 insgesamt 25 Personen an den Folgen von Folter bzw. wurden in diesem Zeitraum insgesamt 1.012 Fälle außergerichtlicher Tötungen aufgezeichnet (2017: 155, 2018: 466, 2019: 391). Ebenso wurde von einigen Fällen von erzwungenem Verschwindenlassen berichtet (ODHIKAR 8.2.2020; vgl. ODHIKAR 8.8.2019, ODHIKAR 12.1.2018). Gemäß Amnesty International wurden 2019 mindestens 49 Rohingya-Flüchtlinge außergerichtlich hingerichtet (AI 30.1.2020). 79 Menschen wurden vor ihrer Verhaftung, 97 Menschen nach erfolgter Verhaftung und weitere Personen nach Einsatz von Folter oder durch anderen Mitteln von Sicherheitsbehörden getötet (AI 30.1.2020).
Trotz internationaler Verpflichtungen hat Bangladesch bisher keine Schritte zur Etablierung eines effektiven Opfer- und Zeugenschutzes getätigt und auch keine Prozeduren eingeleitet, die es Opfern ermöglicht, ihr Beschwerderecht ohne Angst vor Vergeltung wahrzunehmen. Folteropfer und deren Familien werden nach Anzeigen gegen Sicherheitsbeamte häufig bedroht und in vielen Fällen wird ihnen Geld angeboten, damit sie die Beschwerde zurückziehen. In den wenigen Fällen, die vor Gericht gelangen, sind die Opfer mit einem dysfunktionalen und parteiischem Justizsystem konfrontiert (OMCT 26.6.2018). Laut einer Studie der Organisation „The Death Penalty Project" seien selbst Richter in Bangladesch größtenteils der Ansicht, dass Folter ein legitimes Mittel sein könne, um zu Geständnissen zu gelangen. Lediglich in Einzelfällen kommt es aber zu Verurteilungen nach bewiesener Folter (AA 21.6.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3 %Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Banglades ch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020
• AI - Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html , Zugriff 2.4.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Bangladesh, https://www. ecoi.net/de/dokument/2022700.html , Zugriff 1.4.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
• ODHIKAR (Autor), veröffentlicht von FIDH - International Federation for Human Rights (8.2.2020): Annual Human Rights Report 2019; Bangladesh, https://www.fidh.org/IMGZp df/annual-hr-report-2019_eng.pdf, Zugriff 3.4.2020
• ODHIKAR (8.8.2019): Annual Human Rights Report on Bangladesh 2018, http://odhikar. org/wp-content/uploads/2019/08/Annual-HR-Report-2018_Engl.pdf, Zugriff 5.8.2020
• ODHIKAR (12.1.2018): Bangladesh Annual Human Rights Report 2017, http://odhikar.or g/wp-content/uploads/2018/01/Annual-HR-Report-2017_English.pdf, Zugriff 1.3.2019
• OMCT - World Organisation Against Torture (14.8.2019): Bangladesh: Human rights groups urge government to implement recommendations on torture and other abuses after damning UN review, https://www.omct.org/press-releases/urgent-interventions/ban gladesh/2019/08/d25471/, Zugriff 2.4.2020
• OMCT - World Organisation Against Torture (26.6.2018): Bangladesh: Torture prevails due to deeply rooted culture of impunity, https://www.omct.org/statements/bangladesh/2 018/06/d24943/, Zugriff 2.4.2020
• USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Prac- tices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html , Zugriff
24.3.2020
7 Korruption
Letzte Änderung: 16.11.2020
Korruption ist in Bangladesch weit verbreitet und hat alle Teile der Gesellschaft durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. LIFOS 25.2.2019, ODHIKAR 8.2.2020). Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegte Bangladesch im Jahr 2019 den 146. Platz unter 180 Staaten TI 23.1.2020), das eine Verbesserung gegenüber 2018 um drei Plätze bedeutet (Anm.).
Aufgrund der weit verbreiteten Korruption in Justiz und Polizei i