Entscheidungsdatum
09.07.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W133 2227515-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landstelle Wien, vom 02.10.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass wird stattgegeben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 21.12.2018 beim Sozialministeriumservice, Landstelle Wien (in der Folge auch als „belangte Behörde“ bezeichnet) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie auf Vornahme der Zusatzeintragungen „Fahrpreisermäßigung“ und „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass. Dem Antrag legte er medizinische Unterlagen, ein Verhandlungsprotokoll des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.01.2018 zu XXXX und einen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landstelle Wien, vom 20.02.2018 betreffend die Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 bei.
Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie vom 30.07.2019 ein. In diesem Gutachten wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkung „Zustand nach Schlaganfall im Bereich der Medulla oblongata“ festgestellt und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.) eingeschätzt. Bezüglich der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führte der Gutachter zusammengefasst aus, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei, da er – trotz eines mäßiggradig eingeschränkten Gangbildes – eine kurze Wegstrecke allenfalls unter Zuhilfenahme adäquater Hilfsmittel selbständig zurücklegen könne und das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung nicht maßgeblich beeinträchtigt seien.
Mit Schreiben vom 30.07.2019 räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das Gutachten vom 30.07.2019 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt.
Mit E-Mail vom 06.08.2019 übermittelte der Vertreter des Beschwerdeführers eine Stellungnahme an die belangte Behörde. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass eine neurologische Untersuchung das Vorliegen eines Parkinsonsyndroms bestätigt habe. Die medikamentöse Behandlung führe derzeit aber zu keiner Verbesserung, sondern sei der Beschwerdeführer dadurch verwirrter als zuvor. Auch das Gangbild und die Motorik des Beschwerdeführers seien in einem schlechten Zustand und es komme zu Sturzgeschehen. Aus diesen Gründen sei dem Beschwerdeführer das Fortbewegen über längere Strecken und die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar. Der Stellungnahme wurde ein Arztbrief eines näher genannten Facharztes für Neurologie vom 17.07.2019 beigelegt.
Mit E-Mail vom 21.08.2019 wurde ein MRT-Befund vom 21.08.2019 an die belangte Behörde übermittelt.
Mit E-Mail vom 28.08.2019 übermittelte der Vertreter des Beschwerdeführers erneut den MRT-Befund vom 21.08.2019. Dazu führte er aus, dass nunmehr ein neues Medikament verordnet und die Parkinson-Erkrankung bestätigt worden sei. Auch eine Gehhilfe würde verordnet werden. Die Auswirkungen der Schlaganfälle seien irreversibel und gravierend, weshalb um eine Neubeurteilung gebeten werde.
Eine ergänzende Befassung des medizinischen Amtssachverständigen erbrachte keine abweichende Beurteilung (ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 26.09.2019).
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 02.10.2019 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ab. Begründend stützte sich die belangte Behörde auf die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens, wonach die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht gegeben seien. Die ergänzende Stellungnahme vom 26.09.2019 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt.
Ebenfalls mit Schreiben vom 02.10.2019 erfolgte eine Information des Beschwerdeführers über die beabsichtigte Ausstellung eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50% und der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“. Die ergänzende Stellungnahme vom 26.09.2019 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt.
Mit Begleitschreiben samt Rechtsmittelbelehrung vom 04.10.2019 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den unbefristeten Behindertenpass.
Mit E-Mail vom 11.10.2019 erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Vertretung gegen den Bescheid vom 02.10.2019 fristgerecht eine Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seit der letzten Begutachtung verschlechtert habe. Seine Motorik und Gedächtnisfähigkeit baue merklich ab und er habe auch beim Aufstehen und Hinsetzen enorme Probleme. Er sei manchmal sehr zittrig und wackelig auf den Beinen und sei auch schon mehrmals gestürzt. Mittlerweile verwende er einen Einpunktstock, er trage ein Notband am Arm und er bekomme Unterstützung vom „Fonds Soziales Wien“. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihm daher unzumutbar. Der Beschwerde wurden eine vom Beschwerdeführer gezeichnete Vollmacht zugunsten des Vertreters und – neben bereits vorgelegten Befunden – eine aktuelle Medikamentenliste beigelegt.
Mit E-Mail vom 15.10.2019 reichte der Vertreter des Beschwerdeführers einen aktuellen Befund eines näher genannten Facharztes für Neurologie vom 15.10.2019 nach.
Die belangte Behörde holte im Rahmen eines Beschwerdevorentscheidungsverfahrens ein neuerliches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie vom 13.11.2019 ein. In diesem Gutachten wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkung „Zustand nach Schlaganfall im Bereich der Medulla oblongata, Sekundäres Parkinson Syndrom“ festgestellt. Bezüglich der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führte die Gutachterin zusammengefasst aus, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei, da er eine kurze Wegstrecke (300-400 Meter) ohne maßgebende Unterbrechung allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe zurücklegen und Niveauunterschiede überwinden könne und das sichere Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport gewährleistet seien.
Mit E-Mail vom 13.11.2019 teilte der Vertreter des Beschwerdeführers der belangten Behörde mit, dass der Beschwerdeführer nun auch zunehmend an einer Inkontinenz leide.
Aufgrund eines technischen Problems erließ die belangte Behörde keine Beschwerdevorentscheidung.
Am 15.01.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.
Mit Schreiben vom 29.01.2020 räumte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien rechtliches Gehör zu dem Gutachten vom 13.11.2019 ein.
Mit E-Mail vom 06.02.2020 und mit postalischem Schreiben vom 10.02.2020 übermittelte der Vertreter des Beschwerdeführers zweifach eine Stellungnahme und ein Schreiben des Sozialministeriumservice, in dem die Anhebung des Grades der Behinderung des Beschwerdeführers von 50% auf 60% empfohlen wird, an das Bundesverwaltungsgericht. In der Stellungnahme wird im Wesentlichen ausgeführt, dass derzeit keine neuen Befunde vorliegen würden, die Medikation sei allerdings erneut verändert worden. Der Beschwerdeführer benötige aufgrund seiner eingeschränkten Mobilität eine tägliche Betreuung vom „Fonds Soziales Wien“ und trage wegen der Sturzgefahr ein Notband. Der Beschwerdeführer könne keine öffentlichen Verkehrsmittel benützen, weshalb auch ein Fahrtendienst organisiert worden sei. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde zudem beantragt.
Mit E-Mail vom 26.01.2021 brachte der Vertreter des Beschwerdeführers vor, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers weiter verschlechtert habe und er nunmehr das Pflegegeld der Stufe 2 beziehe.
Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin mit der Zusatzqualifikation Orthopädie unter Anwendung der Bestimmungen der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen vom 30.05.2021 eingeholt. In diesem Gutachten wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung zusammengefasst die Funktionseinschränkungen vier Leidenszuständen (Zustand nach Schlaganfall im Bereich der Medulla oblongata / Sekundäres Parkinson-Syndrom / degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Lumbalgie / Bluthochdruck) zugeordnet und mit eingehender Begründung die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als dem Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht dauerhaft nicht zumutbar erachtet.
Mit Schreiben vom 17.06.2021 räumte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien rechtliches Gehör zu diesem neuen Gutachten ein.
Der Beschwerdeführer verzichtete mit E-Mail vom 23.06.2021 auf die Frist zur Stellungnahme. Auch die belangte Behörde erstattete keine Stellungnahme und trat den Ergebnissen der Beweisaufnahme nicht entgegen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer stellte am 21.12.2018 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie auf Vornahme der Zusatzeintragungen „Fahrpreisermäßigung“ und „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass beim Sozialministeriumservice.
Er hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Der Beschwerdeführer ist seit 02.10.2019 Inhaber eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H.
Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Gesundheitsschädigungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1. Zustand nach Schlaganfall im Bereich der Medulla oblongata;
2. Sekundäres Parkinson-Syndrom;
3. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Lumbalgie;
4. Bluthochdruck.
Beim Beschwerdeführer liegen im Bereich der unteren Extremitäten erhebliche Funktionseinschränkungen vor. Bedingt durch die ataktische Gangbildstörung mit kleinschrittigem und unsicherem Gehen liegt eine maßgebliche Gangleistungsminderung und Gangsunsicherheit vor. Der erhöhte Tonus im Bereich der oberen Extremitäten erschwert zudem das Festhalten an Haltegriffen.
Beim Beschwerdeführer liegt außerdem eine allgemeine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vor, da die neurologischen Beeinträchtigungen im Zusammenwirken, auch ohne Vorliegen einer maßgeblichen kardiopulmonalen Funktionseinschränkung, zu einer rascheren Erschöpfbarkeit führen.
Beim Beschwerdeführer liegen auch erhebliche Einschränkungen der neurologischen Fähigkeiten und Funktionen vor, da die neurologischen Erkrankungen zu einer erheblichen Erschwernis der Gesamtmobilität führen.
Zum Ausmaß der Auswirkungen der festgestellten Leidenszustände nach ihrer Art und Schwere auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wird festgestellt:
Das Zurücklegen einer Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 300-400 Metern ist – aufgrund der sich im Verlauf zeigenden Verschlechterung der Mobilität – erheblich erschwert, das behinderungsbedingte Erfordernis der Verwendung eines Rollators zum Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist begründbar.
Das Überwinden von Niveauunterschieden, wie zum Beispiel beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln ist erheblich erschwert. Insbesondere führen auch die neurologischen Erkrankungen zu einer Verlangsamung der Bewegungen und zu maßgeblichen Einschränkungen aufgrund der Tonuserhöhung.
Das sichere Bewegen und das Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln sind ebenfalls erschwert, wobei eine maßgebliche Unsicherheit besteht.
Trotz der angegebenen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule ist die Einschränkung der Mobilität anhand der erforderlichen Behandlung (Schmerzmittel bei Bedarf) vordergründig durch die neurologische Erkrankung begründbar. Eine maßgebliche Verbesserung der Gesamtmobilität durch Optimierung der medikamentösen Behandlung, insbesondere des Morbus Parkinson, ist nicht zu erwarten.
Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund dieses Leidenszustandes nicht zumutbar; diesbezüglich wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ liegen zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt somit vor; diesbezüglich wird ebenfalls auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen betreffend das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses und Vornahme der Zusatzeintragungen „Fahrpreisermäßigung“ und „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass sowie die Ausstellung des unbefristeten Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. basieren auf dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht aktuell eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.
Die bestehenden Leidenszustände und die Feststellungen zu den vorliegenden erheblichen Einschränkungen der unteren Extremitäten, der körperlichen Belastbarkeit und der neurologischen Fähigkeiten und Funktionen sowie zu den Auswirkungen der festgestellten Leidenszustände nach ihrer Art und Schwere auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel basieren auf dem seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholten Sachverständigengutachten der Fachärztin für Unfallchirurgie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin mit der Zusatzqualifikation Orthopädie unter Anwendung der Bestimmungen der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen vom 30.05.2021.
Aus diesem Gutachten ergeben sich zweifelsfrei die getroffenen Feststellungen. Die Gutachterin begründete in ihrem Gutachten auch eingehend und nachvollziehbar die getroffenen Beurteilungen.
Das Gutachten vom 30.05.2021 ist vollständig, widerspruchsfrei und schlüssig nachvollziehbar. Es wurde von beiden Parteien nicht bestritten und wird daher der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
…
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
…
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
…
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:
„§ 1 ...
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a)…
b)…
…
2. …
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)..."
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Wie im Rahmen der Feststellungen ausgeführt wurde, liegen beim Beschwerdeführer im Bereich der unteren Extremitäten maßgebliche Funktionseinschränkungen vor. Bedingt durch die ataktische Gangbildstörung mit kleinschrittigem und unsicherem Gehen liegt eine maßgebliche Gangleistungsminderung und Gangsunsicherheit vor. Der erhöhte Tonus im Bereich der oberen Extremitäten erschwert zudem das Festhalten an Haltegriffen.
Beim Beschwerdeführer ist zudem eine allgemeine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit gegeben, da die neurologischen Beeinträchtigungen im Zusammenwirken, auch ohne Vorliegen einer maßgeblichen kardiopulmonalen Funktionseinschränkung, zu einer rascheren Erschöpfbarkeit führen.
Außerdem liegen beim Beschwerdeführer erhebliche Einschränkungen der neurologischen Fähigkeiten und Funktionen vor, da die neurologischen Erkrankungen zu einer erheblichen Erschwernis der Gesamtmobilität führen.
Die festgestellten Leidenszustände bewirken nach ihrer Art und Schwere, dass das Zurücklegen einer Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 300-400 Metern – aufgrund der sich im Verlauf zeigenden Verschlechterung der Mobilität – erheblich erschwert ist, das behinderungsbedingte Erfordernis der Verwendung eines Rollators zum Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist begründbar.
Das Überwinden von Niveauunterschieden, wie zum Beispiel beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln ist ebenfalls erheblich erschwert.
Das sichere Bewegen und das Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln sind ebenfalls erschwert und es besteht eine maßgebliche Unsicherheit.
Trotz der angegebenen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule ist die Einschränkung der Mobilität anhand der erforderlichen Behandlung (Schmerzmittel bei Bedarf) vordergründig durch die neurologische Erkrankung begründbar. Eine maßgebliche Verbesserung der Gesamtmobilität durch Optimierung der medikamentösen Behandlung, insbesondere des Morbus Parkinson, ist nicht zu erwarten.
In Gesamtwürdigung dieser aktuellen Ermittlungsergebnisse ist dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zum Entscheidungszeitpunkt aufgrund der belegten erheblichen Einschränkungen nicht zumutbar. Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ liegen zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt daher vor.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde sowie insbesondere aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten vom 30.05.2021. Dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass von beiden Parteien des Verfahrens kein Verhandlungsantrag gestellt wurde und mit der Entscheidung der Beschwerde stattgegeben wird - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W133.2227515.1.00Im RIS seit
19.08.2021Zuletzt aktualisiert am
19.08.2021