TE Vwgh Beschluss 2021/7/21 Ra 2021/21/0053

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.07.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
MRK Art8
SMG 1997 §27 Abs1 Z1
SMG 1997 §27 Abs2
SMG 1997 §28 Abs1
SMG 1997 §28 Abs2 Z3
SMG 1997 §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des G K, vertreten durch Dr. Manfred Arbacher-Stöger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 3/14-15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. August 2020, L519 2229084-1/16E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein 1984 geborener türkischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 1989 im Weg des Familiennachzuges nach Österreich ein. Ihm wurden Aufenthaltstitel, zuletzt der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“, erteilt. Zwischen 2008 und 2014 führte er mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine Lebensgemeinschaft, der zwei (2010 und 2012 geborene, österreichische) Kinder entstammen.

2        Nach einer ersten rechtskräftigten Verurteilung durch das Landesgericht Eisenstadt vom 6. Juli 2016 wegen eines Suchtmitteldelikts zu einer bedingt nachgesehenen dreimonatigen Freiheitsstrafe verhängte das Landesgericht St. Pölten über ihn mit rechtskräftigem Urteil vom 12. Juli 2017 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels, teils als Bestimmungstäter, nach § 28a Abs. 1 zweiter Fall SMG und § 12 zweiter Fall StGB, des Verbrechens des teils versuchten Suchtgifthandels nach den §§ 28a Abs. 1 fünfter Fall, sechster Fall, Abs. 3 zweiter Fall SMG und 15 StGB sowie wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten. Er hatte zwischen Mai 2016 und 1. März 2017 in die Grenzmengen übersteigenden Mengen gewerbsmäßig verschiedenen Abnehmern Suchtmittel, vor allem Methamphetamine und Cannabiskraut, verkauft bzw. im letzten Fall zu verkaufen versucht. Zwischen Jänner und 1. März 2017 hatte er von der Slowakei insgesamt 179 Gramm Methamphetamine teils nach Österreich eingeführt, teils eine weitere Person zur Einfuhr bestimmt. Der Revisionswerber war an Suchtgift gewöhnt und hatte die Straftaten vorwiegend deshalb begangen, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu beschaffen. Darüber hinaus hatte er derartige Suchtgifte auch zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.

3        Ungeachtet dieser Verurteilungen und anschließender (unter Gewährung eines Strafaufschubs nach § 39 SMG absolvierter) Therapie setzte der Revisionswerber die Begehung von Suchtgifthandel und des grenzüberschreitenden Suchtgiftschmuggels sowie den unerlaubten Umgang mit Suchtgift fort. Er wurde deshalb am 7. Oktober 2018 in Untersuchungshaft genommen und sodann mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 9. April 2019 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z 3 und Abs. 3 SMG, des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 3 SMG sowie wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Vollzug der Strafhaft ist noch aufrecht.

4        Mit Bescheid vom 30. Jänner 2020 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bezug auf diese Straftaten gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung. Das BFA stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG erließ es gegen ihn überdies ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot.

5        Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 26. August 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss VfGH 9.12.2020, E 3391/2020, ablehnte und die Beschwerde mit weiterem Beschluss vom 29. Dezember 2020 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7        Die in der Folge ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10       In dieser Hinsicht rügt der Revisionswerber die unterlassene Einvernahme seiner Mutter zum Beweis dafür, dass er keine Anknüpfungspunkte in der Türkei habe. Er bekämpft zudem die Interessenabwägung und macht geltend, das BVwG habe eine Prognosebeurteilung in Bezug auf die von ihm ausgehende Gefährdung unterlassen.

11       Zu den beiden zuletzt genannten Gesichtspunkten ist zu entgegnen, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (vgl. dazu etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0064, Rn. 13, mwN).

12       Das in Bezug auf die genannten Aspekte vom BVwG fallbezogen nach mündlicher Verhandlung und Verwertung des dabei vom Revisionswerber gewonnenen persönlichen Eindrucks erzielte Ergebnis kann angesichts der von ihm begangenen massiven Straftaten in Verbindung mit den wiederholten und raschen Rückfällen jedenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden.

13       Das BVwG wies auch zutreffend darauf hin, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat, wobei der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (vgl. neuerlich etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0064, nunmehr Rn. 15, mwN).

14       Von einer besonders nachhaltigen Manifestation der Gefährlichkeit des Revisionswerbers durfte aber im vorliegenden Fall angesichts der wiederholten Begehung verschiedener qualifizierter Suchtmitteldelikte, nämlich insbesondere des grenzüberschreitenden Schmuggels sowie des jahrelang fortgesetzten gewerbsmäßigen Handels mit Suchtgift ausgegangen werden. Die vom BVwG - entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht - in diesem Sinn getroffene Prognosebeurteilung betreffend das Bestehen der Gefahr, der Revisionswerber könnte auch zukünftig einschlägige Delikte begehen, war daher im Ergebnis durchaus vertretbar.

15       Unter Berücksichtigung der erwähnten, ungeachtet des bereits verspürten Haftübels und der Chance einer Therapie fortgesetzten massiven Straffälligkeit und der daraus resultierenden entscheidungswesentlichen hohen Gefahr eines Rückfalls ist aber auch die Ansicht des BVwG nicht als unvertretbar anzusehen, die weitgehende Verunmöglichung der Kontakte zu seinen österreichischen Kindern und deren Mutter sei im öffentlichen Interesse an einer Verhinderung ähnlicher Delinquenz in Kauf zu nehmen (siehe zu einer vergleichbaren Konstellation, auch unter dem Gesichtspunkt der nach wie vor beachtlichen Wertungen des § 9 Abs. 4 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018, VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0506, Rn. 18 und 19).

16       Wegen dieses großen öffentlichen Interesses sind auch allfällige Schwierigkeiten des Revisionswerbers bei der Wiedereingliederung im Herkunftsstaat jedenfalls hinzunehmen, sodass dem zur Begründung des Antrags auf Einvernahme seiner Mutter genannten Beweisthema (Fehlen von Anknüpfungspunkten, insbesondere von Verwandten, im Herkunftsstaat) keine Relevanz zukommt. Der mit dem Unterbleiben ihrer Befragung gerügte Verfahrensmangel ist daher nicht entscheidungswesentlich.

17       Der Revision gelingt es somit insgesamt nicht, eine für die Lösung des vorliegenden Falles wesentliche grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 21. Juli 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210053.L00

Im RIS seit

19.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten