Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Kalivoda und die Rechtsanwälte Dr. Angermaier und Dr. Hofmann als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pauritsch als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Kammeranwalts sowie des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19. Februar 2020, AZ D 123/16, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger und des Beschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung des Kammeranwalts wird nicht Folge gegeben. Der Berufung des Beschuldigten wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben. Der Berufung des Beschuldigten wird Folge gegeben und über den Beschuldigten unter Bedachtnahme auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 15. Oktober 2020, AZ 26 Ds 1/19z, 26 Ds 2/19x, die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft in der Dauer von drei Monaten sowie eine Geldbuße von 4.000 Euro verhängt. Gemäß § 16 Abs 2 DSt wird die Disziplinarstrafe hinsichtlich des Ausspruchs der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen. Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Beschuldigte auf die Strafneubemessung verwiesen.
Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthaltenden Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** des Disziplinarvergehens (richtig: der Disziplinarvergehen) der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schuldig erkannt. Danach hat er 1. in seiner Berufung vom 7. September 2015 gegen das Urteil des Landesgerichts ***** vom 9. Juni 2015, AZ *****, mit welchem Urteil seine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich abgewiesen wurde, wiederholt den erstgerichtlichen Senat des Landesgerichts ***** der Lüge geziehen; 2. in seiner Revision vom 6. September 2016 gegen das Urteil des Oberlandesgerichts ***** vom 24. Juni 2016, AZ *****, mit welchem Urteil seiner in Punkt 1. genannten Berufung keine Folge gegeben wurde, samt Ablehnungsantrag, den Berufungssenat des Oberlandesgerichts ***** der „absichtlichen Lüge“ geziehen, die Lügenvorwürfe gegen den erstinstanzlichen Senat des Landesgerichts ***** wiederholt und behauptet, es bestehe „innerhalb der höheren Richterschaft Österreichs“ eine staatsfeindliche Verbindung, deren Ziel „zunächst darin bestehe, sich selbst und ihre Mitglieder faktisch unangreifbar zu machen – dies insbesondere durch Aushöhlung der justiziellen Grundrechts sowie der Amtshaftung“; 3. in seinem Ablehnungsantrag vom 18. Oktober 2016 an das Landesgericht ***** die Justiz im Gesamten grob verunglimpft, insbesondere dadurch, dass namentlich nicht genannte Richter staatsfeindlichen Verbindungen bzw kriminellen Organisationen angehören, deren Tätigkeit seit Anfang der 1930er Jahre erkennbar sei.
Rechtliche Beurteilung
[2] Gegen das Unterbleiben der Subsumtion der Taten auch unter den ersten Fall des § 1 Abs 1 DSt richtet sich die Berufung des Kammeranwalts wegen Schuld, in deren Rahmen er den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO geltend macht, während der Disziplinarbeschuldigte ***** eine auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 1, 4, 5a, 9 lit a und 9 lit b StPO gestützte Berufung wegen Schuld und eine solche wegen Strafe (ON 39 S 27 Punkt 5.1) erhebt.
[3] Der Disziplinarbeschuldigte hat gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG beim Verfassungsgerichtshof einen Parteiantrag auf Prüfung des § 15 Abs 4 vierter Satz DSt eingebracht (vgl Schreiben des Verfassungsgerichtshofs vom 9. April 2020 [ON 40]). Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 9. Juni 2020, GZ G 183/2020-6, V 362/2020-6, wurde dieser Antrag zurückgewiesen (ON 54).
[4] Vorweg sei zur gegenteiligen Ansicht des Beschuldigten angemerkt, dass die Senatszusammensetzung der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs entspricht.
[5] Zur Berufung des Kammeranwalts:
[6] Dieser kritisiert die rechtliche Beurteilung des Disziplinarrats, wonach eine Berufspflichtenverletzung durch den Beschuldigten nicht anzunehmen war, weil er in sämtlichen Fakten „in eigener Sache“ eingeschritten ist (ES 25; vgl Lehner in Engelhart et al RAO10 DSt § 1 Rz 9 mwN).
[7] Die (richtig:) Subsumtionsrüge (Z 10) argumentiert mit der Auffassung von Lehner (aaO, DSt § 1 Rz 9), wonach konkret zu prüfen sei, ob das Standesrecht ungeachtet des Einschreitens des Rechtsanwalts in eigener Sache konkrete Handlungs- oder Unterlassungspflichten auch für diesen Bereich aufstellt (vgl auch ES 25). Nach Ansicht des Berufungswerbers ergibt sich aus § 9 Abs 1 RAO, dass Rechtsanwälte die Berufspflicht auch dann trifft, wenn sie in eigener Sache handeln. Durch Verletzung des § 9 Abs 1 RAO habe der Disziplinarbeschuldigte (idealkonkurrierend) auch die Vergehen nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt zu verantworten. Vorliegend verzeichnete der Beschuldigte in den vom Schuldspruch berührten Verfahren Kosten nach dem RATG und sah sich selbst als Rechtsanwalt handelnd (ES 25). Im Faktum 2. herrschte absolute Anwaltspflicht (ES 11).
[8] Der Berufungswerber übersieht, dass bei der Besorgung eigener Angelegenheiten eine Verletzung der Berufspflichten eines Rechtsanwalts, der grundsätzlich fremde Angelegenheiten zu besorgen hat (§ 2 Abs 1 RL-BA 2015), begrifflich nicht in Betracht kommt (jüngst OGH vom 18. 6. 2020, 24 Ds 1/20m). Den Feststellungen zufolge handelte der Beschuldigte gerade nicht im Auftrag eines Mandanten, demnach nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter, sondern außerhalb eines Mandats in eigener Sache (RIS-Justiz RS0054900; RS0054936; RS0054951; RS0118449; RS0114273 [T1, T2]; Engelhart et al, RAO10 § 1 DSt Rz 9).
[9] Zur Berufung des Beschuldigten:
[10] Die Besetzungsrüge (Z 1) moniert, dass die ursprünglich vorgesehenen, aber verhinderten Mitglieder des Spruchkörpers ***** und ***** (vgl Protokoll der mündlichen Disziplinarverhandlung ON 36b S 1) durch andere Rechtsanwälte ersetzt wurden, doch dürfe die Zusammensetzung der Senate gemäß § 15 Abs 4 letzter Satz DSt nur im Fall unbedingten Bedarfs abgeändert werden.
[11] Sie geht fehl, weil § 15 Abs 4 letzter Satz DSt für alle Verhinderungsfälle gilt (vgl Lehner in Engelhart et al aaO DSt § 15 Rz 4). Ein Vertretungsfall tritt bei jedweder, also auch bei eintägiger Abwesenheit ein (vgl RIS-Justiz RS0123066).
[12] Zur ebenfalls gerügten Beteiligung der Rechtsanwältin ***** am Erkenntnis ist darauf hinzuweisen, dass dem Antrag des Beschuldigten auf Ablehnung der Genannten mit Beschluss des Präsidenten des Disziplinarrats vom 13. Februar 2020 keine Folge gegeben wurde (ON 32). Darüber hinaus hat auch der Senat selbst festgestellt, dass ***** nicht befangen ist (§ 26 Abs 5 letzter Satz DSt; vgl ES 3).
[13] Die Verfahrensrüge (Z 4, auch Z 1) erschöpft sich in der polemisch vorgebrachten These, der erkennende Senat habe durch Abweisung offenkundig relevanter Beweisanträge gezeigt, dass er zum Nachteil des Disziplinarbeschuldigten voreingenommen ist. In Ermangelung der deutlichen und bestimmten (vgl §§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) Bezeichnung jener Anträge, durch deren Abweisung sich der Berufungswerber beschwert erachtet, entzieht sich die Rüge einer Beantwortung und verfehlt damit ihr Ziel.
[14] Auch die weitere Beanstandung (S 28) scheitert, weil sie über die lapidare Behauptung unzureichender Sachverhaltsermittlung nicht hinauskommt. Offen bleibt zudem, wodurch der Beschuldigte an entsprechender Antragstellung in der Disziplinarverhandlung gehindert war (§ 49 DSt).
[15] Den Rechtsrügen (Z 9 lit a, 9 lit b) ist voranzustellen: Deren erfolgreiche Ausführung setzt voraus, dass der Rechtsmittelwerber die vom Gesetz hierfür festgelegten Bezugspunkte im Auge behält, nämlich einerseits die erstinstanzlichen Feststellungen, andererseits das Gesetz (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584). Diesem Anfechtungskriterium wird die Rechtsrüge (Z 9 lit a) mit dem erkenntnisfremden Vorbringen (Berufungspunkt 33), der Beschuldigte sei in Verfahren vor dem Landesgericht ***** und dem Oberlandesgericht ***** seinem gesetzlichen Richter entzogen worden und das Erkenntnis sei von „rechtsstaatfeindlichen Verbindungen“ herbeigeführt worden, nicht gerecht.
[16] Die weitere Rügebehauptung (Punkt 5. aE), die inkriminierten Äußerungen seien durch die Berufsbefugnisse des Beschuldigten gedeckt gewesen, orientiert sich in prozessordnungswidriger Weise nicht an der Erkenntnistatsache des in jedem Faktum fehlenden sachlichen Grundes der Äußerungen (ES 9, 15, 19).
[17] Die These, es liege ein Feststellungsmangel vor (Punkt 6.), erschöpft sich in der Behauptung, der Disziplinarsenat habe keine Feststellungen zum einschlägigen Vorbringen des Beschuldigten getroffen. Damit wird jedoch kein Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, aber indizierten Sachverhalt gegeben, sondern vielmehr der angebliche Nichtigkeitsumstand weder deutlich noch bestimmt (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) bezeichnet.
[18] Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit b; Punkt 5.1), das inkriminierte Vorbringen sei als von den Berufsbefugnissen des Disziplinarbeschuldigten gedeckt durch § 9 Abs 1 RAO gerechtfertigt gewesen, übersieht, dass Meinungsfreiheit dort nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, wo die (sachlich) ungerechtfertigte Herabsetzung des Gerichts bzw des Richters beginnt, wobei der Vorwurf des Amtsmissbrauchs besonders schwer wiegt (RIS-Justiz RS0055404). Das Monitum, das inkriminierte Vorbringen sei nicht vielen Personen zur Kenntnis gelangt, verfehlt den Bezug zur gegenteiligen Feststellung im Erkenntnis (ES 19 letzter Absatz).
[19] Der Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher ein Erfolg zu versagen.
[20] Zur Strafneubemessung:
[21] Der Verurteilung des Beschuldigten zu AZ 26 Ds 1/19z, 26 Ds 2/19x, auf die Bedacht zu nehmen war, lagen vergleichbare, wenn auch in der Schwere der Vorwürfe hinter die nunmehr zu beurteilenden Handlungen zurücktretende Verstöße zugrunde. Als weiterer Milderungsgrund wiederum trat die lange Verfahrensdauer hinzu. Es war daher auf eine Geldbuße im oberen einstelligen Prozentbereich des Strafrahmens nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt gemeinsam mit einer Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft im Ausmaß von drei Monaten zu erkennen. Die Disziplinarstrafe war hinsichtlich der befristeten Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für eine Probezeit von zwei Jahren bedingt nachzusehen, da gerade ein solcherart drohender Eingriff in die Erwerbsmöglichkeit des Beschuldigten geeignet erscheint, ihn in Zukunft vor weiteren einschlägigen Handlungen abzuhalten.
[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
Textnummer
E132450European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0260DS00007.20H.0617.000Im RIS seit
19.08.2021Zuletzt aktualisiert am
19.08.2021