Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Frick (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Herbert Holzinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F*****, vertreten durch Dr. Peter Döller, Rechtsanwalt in Wien, wegen 12.800,47 EUR brutto sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Jänner 2021, GZ 8 Ra 49/20i-20, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 23. Jänner 2020, GZ 28 Cga 67/19f-15, nicht Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 939,24 EUR (darin enthalten 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin war bei der Beklagten von 1992 bis 2017 beschäftigt. Sie begehrt 12.800,47 EUR brutto sA als Urlaubsersatzleistung für einen bei Beendigung des Dienstverhältnisses offenen Urlaubsanspruch von 60 Wochentagen.
[2] Die Beklagte bestreitet, dass bei Beendigung des Dienstverhältnisses Urlaub offen gewesen sei, der nicht abgegolten worden sei. Selbst wenn man aber davon ausginge, habe die Klägerin eine Aufgriffsobliegenheit verletzt bzw die kollektivvertragliche bzw die durch Betriebsvereinbarung festgesetzte Verfallsfrist für die Geltendmachung ihrer Ansprüche versäumt. Weiters wandte die Beklagte eine Gegenforderung ein.
[3] Das Erstgericht sah die Klagsforderung als berechtigt und die Gegenforderung als nicht berechtigt an und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des Klagsbetrags.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und hob das erstinstanzliche Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es bejahte einen offenen Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die kollektivvertragliche Verfallsregel sei auf Urlaubsersatzleistungen nicht anwendbar. Anderes gelte für die in der Betriebsvereinbarung enthaltene Verfallsfrist. Da für diese aber keine gesetzliche Ermächtigung bestehe, sei zu prüfen, ob sie Inhalt des Einzelarbeitsvertrags der Klägerin geworden sei. Diesbezüglich fehlten Feststellungen des Erstgerichts. Falls nicht, sei weiters zu prüfen, inwieweit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein nicht verjährter offener Urlaubsrest bestanden habe.
[5] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde vom Rekursgericht zugelassen, weil die Frage, ob die kollektivvertragliche Verfallsfrist auf den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung Anwendung finde, einer Klärung bedürfe.
[6] Gegen diese Entscheidung wendet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
[7] Die Beklagte beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] 1. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit nicht an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO gebunden. Insbesondere ist nicht nur entscheidend, dass eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen wäre, sondern dass diese auch konkret im Rekurs releviert wird (vgl RS0102059; RS0048272 [T1]). Davon ist hier nicht auszugehen.
[9] 2. Die Klägerin macht in ihrem Rekurs geltend, dass das Tatsachenvorbringen der Beklagen zum Vorliegen einer freien Betriebsvereinbarung unzureichend sei und keine Beweismittel für deren Anwendbarkeit auf die Klägerin angeboten worden seien.
[10] Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht beziehungsweise wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042828).
[11] Die Beklagte hat die Betriebsvereinbarung, aus der sich die Verfallsfrist ergibt, (auszugsweise) vorgelegt, sich darauf berufen, dass diese für die Klägerin Geltung hat und ihr insbesondere auch als Stationsleiterin bekannt war. Weiters hat sie vorgebracht, dass die Klägerin zuletzt einen Urlaubsanspruch von sieben Wochen hatte, der sich aus dieser Betriebsvereinbarung ableitet. Dazu wurde auch eine Zeugin einvernommen, die sich in ihrer Aussage auch auf den vorliegenden Auszug des Urlaubskontos der Klägerin bezog.
[12] Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass dieses Vorbringen eine ausreichende Grundlage für eine Prüfung der Geltung der Betriebsvereinbarung durch das Erstgericht, allenfalls nach einer ergänzenden Erörterung, bietet, hält sich im Rahmen des eingeräumten Ermessensspielraums.
[13] 3. Eine freie Betriebsvereinbarung, die Eingang in die Einzelarbeitsverträge gefunden hat, ist nach den für Verträge geltenden Regeln der §§ 914 f ABGB auszulegen (RS0050963 [T3]).
[14] Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt und den verwendeten Begriffen der richtige Inhalt beigemessen wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn wegen wesentlicher Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042776; RS0042936 [T5]).
[15] In der Betriebsvereinbarung wird geregelt, dass Ansprüche binnen fünf Monaten ab Fälligkeit bei sonstigem Verfall schriftlich geltend zu machen sind, sowie dass bei rechtzeitiger Geltendmachung die gesetzliche Verjährungsfrist gewahrt bleibt.
[16] Dass eine solche Vereinbarung grundsätzlich zulässig ist (RS0034782, RS0034517, RS0016688), wird auch von der Klägerin nicht bestritten. Sie will jedoch aus der ebenfalls in der Betriebsvereinbarung enthaltenen Klausel, dass – soweit die Betriebsvereinbarung keine günstigeren Regelungen vorsieht – das AngG gilt, die Unwirksamkeit der Verfallsklausel ableiten. Abgesehen davon, dass die Parteien die Verjährungsfrist nicht generell verkürzt haben, sondern nur zusätzlich eine schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen vereinbart haben, kann ihnen auch nicht unterstellt werden, dass sie durch den allgemeinen Verweis auf das AngG der detaillierten Ausgestaltung der Vereinbarung in anderen Punkten derogieren wollten.
[17] 4. Der Rekurs der Klägerin ist daher mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[18] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.
Textnummer
E132449European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00046.21M.0624.000Im RIS seit
19.08.2021Zuletzt aktualisiert am
19.08.2021