Entscheidungsdatum
12.07.2021Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
COVID Verordnung LGBl Nr35/2020 §4;Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Dünser über die Beschwerde von Herrn AA, vertreten durch BB, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y vom 05.06.2020, Zl ***, betreffend Übertretungen nach der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer spruchgemäß Folgendes zur Last gelegt:
„Sie haben folgende Verwaltungsübertretungen begangen:
1. Sie haben sich am 03.04.2020 gegen 18.40 Uhr in **** Z, Adresse 2, auf dem dortigen Parkplatz aufgehalten um sich mit Ihren Freunden CC und DD zu treffen und haben sohin Ihren eigenen Wohnsitz in **** Z, Adresse 2/Top 20 ohne triftigen Grund zur Deckung von Grundbedürfnissen verlassen, obwohl zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID-19 das Verlassen des eigenen Wohnsitzes ohne triftigen Grund zur Deckung von Grundbedürfnissen gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol nach § 2 Z. 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl. Nr. 35/2020, verboten ist. Das Verlassen des eigenen Wohnsitzes war nicht durch die unter § 4 Abs. 5 der genannten Verordnung aufgezählten Ausnahmen gerechtfertigt.
2. Sie haben sich am 03.04.2020 gegen 18.40 Uhr in **** Z, Adresse 2, auf dem dortigen Parkplatz in einem Abstand von unter einem Meter zu Ihren Freunden CC und DD aufgehalten und haben sohin Ihren Wohnsitz verlassen und dabei gegenüber einer nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Person einen Abstand von mindestens einem Meter nicht eingehalten, obwohl zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID-19 ab dem Verlassen des eigenen Wohnsitzes, abgesehen von Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, gegenüber anderen Personen ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten ist.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
1. § 4 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 1 iVm. § 6 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20.03.2020, LGBl. Nr. 35/2020
2. § 4 Abs. 3 iVm. § 1 Abs. 1 iVm. § 6 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20.03.2020, LGBl. Nr. 35/2020“
Aus diesem Grund wurden über den Beschwerdeführer jeweils auf Grundlage des § 6 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, Geldstrafen in der Höhe von jeweils Euro 180,00, Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 33 Stunden, verhängt. Außerdem wurde der Beschwerdeführer zur Bezahlung eines Beitrages zu den Kosten des Verfahrens vor der belangten Behörde verpflichtet.
Dagegen richtet sich das fristgerecht erhobene Rechtsmittel.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat in der vorliegenden Beschwerdesache am 25.02.2021 die öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Auf Grund von Bedenken gegenüber der Verordnung LGBl Nr 35/2020 wurde ein Antrag gemäß Art 139 B-VG an den Verfassungsgerichtshof gestellt.
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16.06.2021, V 81/2021-9, hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass § 4 Abs 3 erster Satz der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20.03.2020 nach § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmen-gesetzes, LGBl für Tirol Nr 35/2020, bis zum Ablauf des 4. April 2020 gesetzwidrig war sowie dass die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.
Außerdem hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 10.12.2020, V 512/2020-12, festgestellt, dass § 4 Abs 1, 2 und 5 der Verordnung LGBl Nr 35/2020 gesetzwidrig war sowie dass die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.
II. Erwägungen:
Einleitend ist zu berücksichtigen, dass das in § 1 Abs 2 VStG normierte „Günstigkeitsprinzip“ im vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist: Zwar sieht § 1 Abs 2 VStG vor, dass sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht richtet, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre. Dieses Günstigkeitsprinzip gilt allerdings nicht für „Zeitgesetze“: Dabei handelt es sich um Gesetze, die von vorn herein nur für einen bestimmten Zeitraum gegolten haben und der Wegfall der Regelung somit nicht auf einem geänderten Unwerturteil des Normgebers basiert (vgl dazu etwa generell VwGH 22.07.2019, Ra 2019/02/0107).
Die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20. März 2020 wurde mit Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 6. April 2020, LGBl Nr 44/2020, aufgehoben, zumal sich die Gesamtsituation betreffend die Verbreitung des SARS-CoV-2 Virus in Tirol zu diesem Zeitpunkt wiederum deutlich verbessert hat. Die Aufhebung der Verordnung ist somit eindeutig auf eine Änderung der für die Anordnung relevanten Sachlage zurückzuführen und nicht auf eine nachträglich andere Beurteilung der Gefährlichkeit des Virus.
Insofern war das Günstigkeitsprinzip des § 1 Abs 2 VStG im vorliegenden Fall nicht derart zu verstehen, dass eine Strafbarkeit nach Aufhebung der Verordnung des Landeshauptmannes von vorn herein nicht mehr vorgelegen wäre.
Dem Beschwerdeführer werden im vorliegenden Fall Übertretungen des § 4 Abs 1 und des § 4 Abs 3 der Verordnung LGBl Nr 35/2020 zur Last gelegt. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen vom 10.12.2020, V 512/2020-12, sowie vom 16.06.2021, V 81/2021-9, festgestellt, dass diese Bestimmungen gesetzwidrig waren sowie dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind. Folglich war das Verlassen des eigenen Wohnsitzes sowie das nicht Einhalten eines Abstandes von zumindest einem Meter entgegen der Feststellung im Spruch des angefochtenen Bescheides zum Tatzeitpunkt nicht verboten. Aus diesem Grund war das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.
III. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag. Dünser
(Richter)
Schlagworte
Behebung Verordnung durch VfGH;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2020.15.1505.8Zuletzt aktualisiert am
17.08.2021