TE Bvwg Beschluss 2021/3/30 W165 2240564-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.03.2021
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Entscheidungsdatum

30.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §61 Abs1 Z1
FPG §61 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W165 2240561-1/5E
W165 2240560-1/5E
W165 2240565-1/5E
W165 2240564-1/5E
W165 2240562-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX , 4) XXXX , geb. XXXX und 5) XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch die Großmutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch die Bundesagentur für Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), alle StA. Syrien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2021, Zlen. 1273004905-210017264 (1), 1273005401-210017272 (2), 1273006300-210017285 (3), 1273006507-210017315 (4) und 1273005608-210017299 (5), beschlossen:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig

Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1), ihre Tochter (Zweitbeschwerdeführerin, im Folgenden: BF2), ihre beiden Enkeltöchter (3.- und 4.-Beschwerdeführerinnen, im Folgenden: BF3 und BF4) und ihre minderjährige Urenkelin (5.-Beschwerdeführerin, im Folgenden: BF5) gelangten in das österreichische Bundesgebiet und stellten hier am 05.01.2021 Anträge auf internationalen Schutz.

Laut EURODAC-Abfrage hatten die BF bereits am 16.01.2016 in Bulgarien Asylanträge gestellt EURODAC-Treffermeldungen der Kategorie „1“ zu Bulgarien.

Im Zuge der polizeilichen Erstbefragung am 05.01.2021 gab die BF1 an, dass sie keine an der Einvernahme hindernden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigenden Beschwerden oder Krankheiten habe. Sie könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Aber sie habe einen hohen Blutdruck und Knieschmerzen beidseitig. Sie habe ihren Herkunftsstaat vor sechs Jahren in die Türkei verlassen. Nach einem Jahr hätten sie die Türkei verlassen und seien nach Bulgarien geflüchtet. Dort seien sie ein Jahr gewesen. Aber die Bevölkerung und die Polizei seien sehr unfreundlich gewesen. Danach seien sie wieder in die Türkei zurückgekehrt und hätten dort für vier Jahre illegal gewohnt. Vor zwei Tagen seien sie von einem Schlepper nach Österreich gebracht worden. Sie hätte in keinem der durchreisten Länder oder einem anderen Land um Asyl angesucht. In Österreich würden sich ihre mitgereiste Tochter, ihre beiden mitgereisten Enkelinnen und ihre mitgereiste Urenkelin befinden. Ihr Reiseziel sei Österreich gewesen, weil ihr Enkel hier wohne.

Die ebenfalls am 05.01.2021 einer polizeilichen Erstbefragung unterzogene BF2, BF3 und BF4 erstatteten hinsichtlich der Reiseroute und zu Bulgarien mit den Angaben der BF1 übereinstimmende Angaben („In Bulgarien sind die Leute und die Polizei sehr unfreundlich.“) Hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes gaben die BF2, die BF3 und BF4 an, dass sie keine an der Einvernahme hindernden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigenden Beschwerden oder Krankheiten habe. Sie könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Die BF2 gab ergänzend an, dass sie an hohem Blutdruck leide und Medikamente dagegen einnehme. Die BF2 erklärte, dass sie Österreich erreichen habe wollen, da ihr Sohn in Österreich sei.

Mit per E-Mail übermitteltem Schreiben vom 01.02.2021 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), unter Bezugnahme auf den EURODAC-Treffer der Kategorie „1“ zu Bulgarien auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestützte Wiederaufnahmeersuchen an Bulgarien.

Mit per E-Mail übermitteltem Schreiben vom 05.02.2021 an das BFA lehnte Bulgarien die Übernahme der BF mit der Begründung ab, dass den BF am 25.05.2016 in Bulgarien Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei und daher die Regelungen der Dublin III-VO keine Anwendung finden würden.

Am 02.03.2021 erfolgte eine Einvernahme der BF1 vor dem BFA. Sie fühle sich physisch und psychisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren. Zu ihrem Gesundheitszustand befragt, gab die BF1 an, dass sie hohen Blutdruck habe und nicht gehen könne. Sie sei auf den Rollstuhl angewiesen. Seit sie von Syrien in die Türkei gehen habe müssen, seien ihre Beine geschwollen und habe sie Probleme. Derzeit nehme sie Medikamente wegen des hohen Blutdrucks und der Beine. Nachgefragt, gebe es keine Befunde. Die Medikamente hätte sie von der Krankenstation erhalten.

Im Rahmen der Einvernahme erfolgte eine telefonische Rückfrage bei der Sanitätsstation. Es wurde mitgeteilt, dass die BF1 an Bluthochdruck leide und deshalb Medikamente einnehme. Weiters habe diese angegeben, an Knieschmerzen zu leiden und erhalte sie dagegen Schmerztabletten. Eine Vorstellung im Krankenhaus sei bisher nicht erfolgt. Neben ihrer mitgereisten Tochter, zwei Enkeln und einer Urenkelin befinde sich seit 2015 ein Enkel in Österreich und sei anerkannter Flüchtling. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Enkel würden nicht bestehen. Nach Abhängigkeitsverhältnissen zu ihren mitgereisten Angehörigen befragt, gab die BF1 an, dass diese sie unterstützen würden, da sie nicht mehr ordentlich gehen könne und auch sonst. Sie habe nirgendwo um Asyl angesucht. Sie sei ein Jahr in Bulgarien gewesen. Es seien dort die Fingerabdrücke abgenommen worden. Nachgefragt, habe sie keinen bulgarischen Aufenthaltstitel erhalten. Auf Hinweis, dass die BF1 anerkannter Flüchtling sei, gab diese zu Protokoll, dass man ihnen einen Ausweis geben habe wollen, sie aber gesagt hätten, dass sie gehen wollten. In Bulgarien seien sie im Lager untergebracht und versorgt worden. Auf Mitteilung der beabsichtigten Vorgangsweise, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und die BF1 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bulgarien auszuweisen, erklärte die BF1, dass sie nicht nach Bulgarien zurückwolle. Dort hätte die Polizei sie schlecht behandelt und gebe es dort viele Kriminelle.

Die ebenfalls am 02.03.2021 vor dem BFA einvernommene BF2 bis BF4 machten im Wesentlichen mit den Angaben ihrer Mutter bzw. Großmutter (BF1) übereinstimmende Angaben. Die BF2 gab zu ihrem Gesundheitszustand an, dass sie unter Bluthochdruck leide und deshalb Medikamente einnehme. Sie habe auch Knieschmerzen. Sie nehme gegen den Bluthochdruck und die Knieschmerzen Tabletten ein. Ihre Enkelin habe über Atembeschwerden geklagt und seien sie deshalb am 02.02.2021 im Krankenhaus gewesen.

Es wurde Rücksprache mit der Sanitätsstation gehalten und von dieser mitgeteilt, dass die BF2 Tabletten wegen Bluthochdruck erhalte und zuletzt am 15.01.2021 vorstellig gewesen sei. Hinsichtlich der BF5 wurde der Ambulanzbefund eines Landesklinikums vom 02.01.2021 angefordert, demzufolge die BF5 nach dem Genuss von Schnee eine Pharyngitis diagnostiziert worden sei (Rachenentzündung) und ein Medikament verabreicht worden sei. Das Bestehen von Abhängigkeitsverhältnissen zu ihrem in Österreich lebenden Sohn wurde verneint. Am Sonntag hätte sie zuletzt Kontakt mit ihm gehabt. Ihr Sohn habe sie auch schon mehrmals hier im Lager besucht. Sie glaube, dass ihr Asylverfahren in Bulgarien negativ geendet habe. Nachgefragt, habe sie in Bulgarien keinen Aufenthaltstitel erhalten. Sie seien in Bulgarien für eine Woche in einem Camp gewesen. Dann habe man ihnen die Karte gegeben und seien sie dann zu einer kurdischen Familie gezogen. Davon, dass sie in Bulgarien den Status einer Schutzberechtigten besitze, habe sie nicht gewusst. Auf Mitteilung der beabsichtigten Vorgangsweise, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und die Ausweisung aus dem Bundesgebiet zu veranlassen, erklärte die BF2, dass sie nicht nach Bulgarien zurückwolle. Sie habe dort niemanden und kenne die Sprache nicht. Die Polizei habe sie schlecht behandelt. Sie hätten dort nichts zu essen und zu trinken bekommen. Sie hätten von Anfang an nach Österreich gewollt, aber die bulgarische Polizei habe sie festgenommen. Es sei sehr schmutzig dort, sie hätten Hautkrankheiten bekommen. Zur schlechten Behandlung durch die Polizei gab die BF2 nachgefragt zu Protokoll, dass überall Blut gewesen sei, da es dort eine Schlägerei gegeben habe.

Die ebenfalls am 02.03.2021 vor dem BFA einvernommene BF3 gab zu ihrem Gesundheitszustand an, dass sie weder in ärztlicher Behandlung stehe noch Medikamente einnehme. Zu ihrem in Österreich lebenden Bruder bestünden keine Abhängigkeiten. Die ebenfalls am 02.03.2021 vor dem BFA einvernommene BF4 gab zu ihrem Gesundheitszustand an, dass sie wegen niedrigen Blutdrucks Tabletten einnehme und früh und abends einen Sirup. Nach telefonischer Rücksprache mit der Sanitätsstation wurde mitgeteilt, dass die BF4 Gastritis gehabt habe und zuletzt am 05.01.2021 vorstellig geworden sei. Befunde gebe es keine.

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die BF nach Bulgarien zurückzubegeben hätten (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Bulgarien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Bulgarien betreffend Schutzberechtigte wurden in den angefochtenen Bescheiden wie folgt wiedergegeben (unkorrigiert:)

Schutzberechtigte

Letzte Änderung: 24.7.2020

Anerkannte Flüchtlinge erhalten ein Identitätsdokument mit fünf Jahren Gültigkeit; subsidiär (oder humanitär) Schutzberechtigte ein solches mit drei Jahren Gültigkeit. Damit sind verschiedene Rechte verbunden. Anerkannte Flüchtlinge haben mit wenigen Ausnahmen dieselben Rechte wie bulgarische Staatsbürger, subsidiär Schutzberechtigte haben dieselben Rechte wie Inhaber eines permanenten Aufenthaltstitels (AIDA 2.2020).

Die bulgarische Integrationsverordnung vom 19.7.2017, die den Abschluss individueller Integrationsvereinbarungen zwischen den Schutzberechtigten und dem Bürgermeister einer Gemeinde vorsieht, wird weiterhin nicht umgesetzt, weil keine der 265 Gemeinden um Mittel für Integrationsmaßnahmen ansucht (IV 19.7.2017; vgl. AA 16.1.2019, AIDA 2.2020, Caritas 5.2019). Die einzigen Integrationsmaßnahmen bislang betrafen 13 Relocation-Fälle und wurden von der EU finanziert (AIDA 2.2020). Die Verordnung enthält keine Maßnahmen, um das anhaltende Problem sich weigernder Kommunen anzugehen oder günstigere Bedingungen für die Integration in den lokalen Gemeinden zu schaffen. Die Verordnung sieht auch keine Lösung für das Problem des mangelnden Zugangs der Flüchtlinge zu Sozialwohnungen, Familienzulagen für Kinder oder Sprachunterricht vor, wodurch die geflüchteten Menschen ihre sozialen und wirtschaftlichen Rechte nur eingeschränkt wahrnehmen konnten (AI 23.5.2018; vgl. UNHCR 24.7.2017; Caritas 5.2019). Die Tatsache, dass Betroffene seit 2014 ohne jegliche Integrationsunterstützung bleiben, führt zu einem äußerst eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Sozial-, Arbeits- und Gesundheitsrechten und zu Minimierung der Bereitschaft der Betroffenen, sich dauerhaft in Bulgarien niederzulassen (AIDA 2.2020).

Der bulgarische Staat gewährt anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten die gleichen Unterstützungsleistungen, wie sie auch bulgarische Staatsangehörige in Anspruch nehmen können. Für den Zugang zu staatlicher sozialer Unterstützung ist für Schutzberechtigte die Wohnsitzregistrierung und Meldeadresse unerlässlich. Diese wird vom Bürgermeister der Wohnsitzgemeinde vorgenommen (AIDA 2.2020; vgl. Caritas o.D.a). Betreffend Zugang zu staatlicher sozialer Unterstützung haben Schutzberechtigte die Möglichkeit sich an das zuständige Social Assistance Directorate (SAD) der Social Assistance Agency (SAA) am Ort ihrer Wohnsitzmeldung zu wenden. Es gibt dort verschiedene Formen der Unterstützung. Zum einen die monatliche bzw. einmalige oder zielgerichtete Sozialzulage (Monthly, one-off or target social allowance). Diese muss im SAD beantragt werden und ein Sozialarbeiter bewertet die Situation des Betreffenden unter seiner momentanen Adresse. Dabei werden Einkommen, Alter, Familienstand, Besitz, Gesundheitszustand usw. miteinkalkuliert. Die andere Möglichkeit sind kommunale Sozialleistungen für Anwohner (Resident-type community social services). Das umfasst auch Zugang zu temporären (Übergangs-)wohnstrukturen und Notfallzentren. Dazu muss man ebenfalls in der Wohnsitzgemeinde einen Antrag stellen. Auch hier wird die individuelle Situation bewertet und anhand dieser Bewertung vom SAD ein sogenanntes „order for accommodation“ erlassen. Eine weitere Möglichkeit sind finanzielle Leistungen für Familien (Family allowances), die unter einem bestimmten Pro-Kopf-Einkommen liegen. Auch diese müssen beantragt werden. Da die Schutzberechtigten im Gesetz über Kinderzulagen nicht explizit als Empfangsberechtigte aufgeführt sind, kann es passieren, dass ihnen diese Sozialleistungen verweigert werden. Deshalb empfiehlt die Caritas Bulgarien bei diesem Anliegen, sich an einen Sozialarbeiter bzw. das Bulgarian Helsinki Committee zu wenden (Caritas o.D.b). Zuletzt besteht rein theoretisch die Möglichkeit einen Integrationsvertrag mit der Wohnsitzgemeinde abzuschließen (siehe dazu oben, Anm.) (Caritas o.D.b; vgl. AA 16.1.2019).

Beim Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen sind die Betroffenen in der Praxis jedoch mit diversen Sonderregelungen (z.B. Dolmetscher, soziale Vermittlung) konfrontiert. Weiters bedeuten die umfangreiche Bürokratie und weitere Formalitäten bei Einreichung des Antrags um Sozialhilfe, die selbst für Staatsangehörige schwer zu überwinden sind, weitere Probleme. Maßgeschneiderte Vermittlung und Hilfestellung kann durch NGOs von zivilgesellschaftlichen Organisationen geleistet werden, die aber nicht immer verfügbar ist (AIDA 2.2020). Die monatliche Sozialhilfe für eine Person beläuft sich auf umgerechnet 33 € pro Monat (Stand 2018). Die Bedingungen für den Bezug von Sozialhilfe sind schwer zu erfüllen (AA 18.7.2018). Laut staatlichen bulgarischen Angaben wurde 2017 lediglich in 20 Fällen Sozialhilfe an Flüchtlinge gezahlt (AA 26.4.2018).

Es ist den Schutzberechtigten erlaubt für sechs Monate ab Statuszuerkennung in der Asylwerberunterkunft zu bleiben, solange die Platzverhältnisse dies zulassen (AIDA 2.2020) oder für sechs Monate eine staatliche finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft zu erhalten (AA 16.1.2019). Ende 2019 waren 461 Schutzberechtigte in Asylwerberunterkünften untergebracht (AIDA 2.2020).

Betreffend der Zugänglichkeit von Sozialwohnungen gehen die Quellen auseinander. Der Caritas zufolge besteht Zugang zu Gemeindewohnungen nur, wenn mindestens ein Familienmitglied bulgarischer Staatsbürger ist und daher haben Schutzberechtigte üblicherweise keinen Zugang zu diesen Wohnungen (Caritas o.D.a). Laut dem deutschen Auswärtigen Amt dürfen sich anerkannte Flüchtlinge ebenso wie bulgarische Staatsangehörige auf die wenigen vorhandenen Sozialwohnungen bewerben. Soweit anerkannte Schutzberechtigte keine Unterbringungsmöglichkeit in einer staatlichen Unterkunft mehr haben, müssen sie sich selbständig um Wohnraum bemühen. Dabei erhalten sie Hilfe von Nichtregierungsorganisationen. Die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Stellen, gepaart mit einer niedrigen Anzahl von in Bulgarien verweilenden Flüchtlingen, sorgt im Ergebnis dafür, dass es kaum obdachlose Flüchtlinge gibt (AA 16.1.2019).

Wohnen die Schutzberechtigten zur Miete ist das schriftliche Einverständnis der Vermieters vorzulegen. Adressänderungen sind binnen 30 Tagen zu melden (Caritas o.D.a). In der Praxis stoßen Schutzberechtigte jedoch auf Schwierigkeiten, weil für den Abschluss eines Mietvertrages ein gültiges Ausweisdokument erforderlich ist, das aber ohne Angabe der Adresse nicht ausgestellt werden kann. Die Angabe der Adresse des Unterbringungszentrums als Wohnsitz zu diesem Zweck wurde von der SAR untersagt und führte zu Korruptionspraktiken von fiktiven Mietverträgen und Wohnsitzen, damit Schutzberechtigte Ausweispapiere erhalten können (AIDA 2.2020).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für Schutzberechtigte automatisch und bedingungslos gegeben. Die Sprachbarriere und ein Mangel an adäquater staatlicher Unterstützung für Berufsausbildung sind übliche Probleme. Der Zugang zu Bildung ist für Schutzberechtigte genauso geregelt wie für Asylwerber (AIDA 2.2020; vgl. Caritas 5.2019).

Ab Statuszuerkennung müssen Schutzberechtigte die Krankenversicherungsbeiträge, die bis dahin von SAR entrichtet worden sind, selbst bezahlen. Das sind mindestens BGN 44,80 (ca. EUR 22,90) monatlich für arbeitslos gemeldete Personen (AIDA 2.2020). Bei Hausärzten, Spezialisten und in Krankenhäusern ist in Bulgarien regelmäßig mit sogenannten „out of Pocket“-Zahlungen (alles was beim Arztbesuch offiziell und inoffiziell aus eigener Tasche zu bezahlen ist) zu rechnen (WHO 2018). Die Out-of-pocket-Zahlungen, 46,6% der gesamten Gesundheitsausgaben in Bulgarien im Jahr 2017, sind die höchsten in der Europäischen Union. Diese bestehen hauptsächlich aus Zuzahlungen für Medikamente und ambulante Versorgung (OECD/EO 29.10.2019). Schätzungen zufolge gibt es in Bulgarien mindestens 900.000 Menschen ohne Krankenversicherung, obwohl das System grundsätzlich alle in Bulgarien ansässigen Bürger abdecken soll. Bei diesen Personengruppen handelt es sich hauptsächlich um arme Menschen, die sich die Krankenkassenbeiträge nicht leisten können und die von dem bestehenden sozialen Sicherheitsnetz auch nicht unterstützt werden (BTI 29.4.2020). Zusammen mit den hohen „out-of-pocket“-Zahlungen gibt die hohe Anzahl der nicht versicherten Personen Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Zugänglichkeit der Gesundheitsversorgung (OECD/EO 29.10.2019).

Mehrere NGOs leisten in Bulgarien für Asylwerber aber auch für Schutzberechtigte Unterstützung. Das Bulgarian Red Cross (BRC) betreibt den sogenannten Refugee-Migrant Service (RMS), welcher seit 1997 in der Flüchtlingsintegration tätig ist. Die Organisation verfügt über Zweigstellen in mehreren bulgarischen Städten und bietet Asylwerbern, humanitär Aufenthaltsberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und abgelehnten Asylwerbern Geld- und Sachleistungen (BRC o.D.). Darüber hinaus führt das BRC in Zusammenarbeit u. a. mit dem UNHCR und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union Integrationsmaßnahmen durch, welche Bulgarisch-Sprachkurse, Anmeldung zur Berufsausbildung und Kostenübernahme dieser Ausbildung, Sozialberatung, Empfehlungen für den Zugang zu einer Arbeitsstelle, Unterkunft, medizinische Versorgung und Bildung, die Weitergabe von Informationen sowie rechtliche, soziale und psychologische Beratungen umfassen. Zusätzlich stellt das BRC Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel, sozial-kulturelle Orientierungskurse, Übersetzungen von Dokumenten und Zeugnissen sowie Übersetzertätigkeiten bei Behördengängen zur Verfügung (AA 18.7.2018; vgl. BRC o.D.).

Die Caritas Bulgarien betreibt in Sofia ein Integrationszentrum für Flüchtlinge und Migranten, das psychologische Hilfe, Bildungsservices, soziale Beratung, humanitäre Hilfe und Unterstützung bezüglich Wohnen und Arbeit bietet (Caritas o.D.c). Für anerkannte Flüchtlinge oder humanitär Schutzberechtigte betreibt die Caritas Bulgarien das sogenannte „Refugee and Migrant Integration Center Sveta Anna” in Sofia, wo soziale Beratung, psychologische Hilfe, Sprachtraining, Hilfe bei Meldeangelegenheiten, Registrierung beim praktischen Arzt, Unterstützung bezüglich Wohnen und Arbeit, ein Mentoringprogramm und weitere Integrationsmaßnahmen angeboten werden. 2018 wurden im Integrationszentrum in Sofia 229 Flüchtlinge und Asylwerber betreut (Caritas o.D.d; vgl. VN 26.4.2019; OSV 25.4.2019).

Daneben leisten das Bulgarian Helsinki Committee, Foundation for Access to Rights und das Centre for Legal Aid „Voice in Bulgaria“ rechtliche Hilfe (RBG o.D.).

In den Bescheiden wurde zusammengefasst festgehalten, dass die BF in Bulgarien schutzberechtigt seien. Im Verfahren hätten sich keine Hinweise ergeben, dass die BF an einer schweren körperlichen Krankheit oder an einer schweren psychischen Störung leiden würden. Die BF1 leide an Bluthochdruck und nehme dagegen Tabletten ein. Zudem leide sie an Knie- und Fußschmerzen, die bereits bei ihrer Flucht nach Bulgarien 2016 bestanden hätten und gegen die sie Schmerztabletten einnehme. Laut Mitteilung der Sanitätsstation nehme die BF1 zusätzlich einen Magenschutz und Augentropfen. Diese Feststellungen würden sich aus der Rückfrage bei der Sanitätsstation ergeben. Befunde seien nicht vorgelegt worden. Die BF2 leide ebenfalls an Bluthochdruck und nehme dagegen Tabletten ein. Weiters leide die BF2 an Knie- und Fußschmerzen, wogegen sie Schmerztabletten einnehme. Die BF3 sei gesund. Die BF4 habe angegeben, an niedrigem Blutdruck zu leiden und dagegen Tabletten einzunehmen. Befunde seien nicht vorgelegt worden. Die BF4 sei laut Angabe ihrer gesetzlichen Vertreterin gesund. Sie habe einmal Atembeschwerden gehabt, was nach medizinischer Abklärung im Krankenhaus einer auf den Genuss von Schnee zurückzuführenden Rachenentzündung zugeschrieben worden sei. Diese Feststellung ergebe sich aufgrund der Aussage der Großmutter (BF1) und der Rückfrage bei der Sanitätsstation. Befunde seien nicht vorgelegt worden. Abhängigkeiten der BF vom in Österreich lebenden Enkel bzw. Sohn bzw. Bruder seien nicht vorhanden. Betreffend die Lage im Mitgliedsstaat wurde in den Bescheiden beweiswürdigend festgehalten, dass die BF zur Lage im Mitgliedsstaat mitgeteilt hätten, dass es in Bulgarien nicht gut gewesen sei. Die Polizei habe sie schlecht behandelt. Sie würden nicht dorthin zurück, da sie die Sprache nicht sprechen würden und dort niemanden hätten, nichts zu essen und nichts zu trinken bekommen hätten, es viele Kriminelle gegeben habe und schmutzig gewesen sei, dass es in Bulgarien nicht gut gewesen sie, sie dort schlecht behandelt worden seien und alle aggressiv gewesen seien (BF4). Es könne nicht festgestellt werden, dass die BF in Bulgarien systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen wären, oder diese dort zu erwarten hätten. Eine besondere Integrationsverfestigung der BF in Österreich sei nicht vorhanden. Auch die Corona-Pandemie stelle kein Rückkehrhindernis dar.

Gegen diese Bescheide wurden am 17.03.2021 fristgerecht gleichlautende Beschwerden eingebracht, in denen zusammengefasst vorgebracht wurde, dass die BF in Bulgarien von der Polizei grob behandelt worden seien. Wegen der dortigen Umstände hätten sie in keiner staatlichen Einrichtung untergebracht werden wollen und sich daher bei einer anderen syrischen Familie aufgehalten. Die BF1 sei auf den Rollstuhl angewiesen, leide außerdem an Bluthochdruck und befinde sich in ärztlicher Behandlung. Die BF2 habe Kreislaufprobleme und leide an Knieschmerzen. In Bulgarien hätten sie keine medizinische Versorgung erhalten. Die BF5 stehe auch in ärztlicher Behandlung. Sie leide an einer Rachenentzündung, die medikamentös behandelt worden sei. Die BF hätten keinerlei verwandtschaftliche oder anderweitige soziale Beziehungen in Bulgarien. Eine Abschiebung dorthin würde sie daher in eine äußerst prekäre und aussichtslose Lage versetzen. In Österreich hätten die BF jedoch familiäre Anknüpfungspunkte. Die Behörde wäre aufgrund ihrer Ermittlungspflicht dazu angehalten gewesen, sich nicht bloß mit der rechtlichen, sondern auch mit der tatsächlichen Situation in Bulgarien auseinanderzusetzen und die BF zu ihrem Vorbringen diesbezüglich noch detaillierter zu befragen. Es hätte – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die von Art. 34 Qualifikationsrichtlinie vorgeschriebene Integrationsmaßnahme nicht existieren würden – weiterer Feststellungen bedurft, ob und wie für nach Bulgarien zurückgeführte anerkannte Schutzberechtigte zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt werde.

Mit Beschluss des BVwG vom 23.03.2021 wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerden:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG) idgF lauten:

§ 4a (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. § 4 Abs. 5 gilt sinngemäß.

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2.       …

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl.Nr.79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:
§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Der Verwaltungsgerichtshof (Ra 2016/18/0049 vom 03.05.2016) hat festgehalten, dass nach dem klaren Wortlaut des § 4a AsylG 2005 für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß dieser Bestimmung zurückzuweisen ist, darauf abzustellen ist, ob dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Dass der Fremde dort zudem über einen aufrechten Aufenthaltstitel verfügen muss, lässt sich dem § 4a AsylG 2005 nicht entnehmen. Weiters ergibt sich aus dem Wortlaut der soeben zitierten Bestimmung, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz nach § 4a AsylG 2005 - im Gegensatz zu jener nach § 4 AsylG 2005- keine Prognoseentscheidung zu treffen ist. Während nämlich gemäß § 4 AsylG 2005 eine Prognose dahingehend zu treffen ist, ob der Fremde in dem in Frage kommenden Drittstaat Schutz vor Verfolgung finden kann (Hinweis E vom 6. Oktober 2010, 2008/19/0483; vgl. auch ErlRV 952 BlgNR 22. GP 33), stellt § 4a AsylG 2005 unmissverständlich darauf ab, ob dem Fremden von einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten bereits zuerkannt wurde. Ob der Fremde bei Rückkehr in den nach Ansicht Österreichs zuständigen Staat eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung erlangen würde können oder ihm etwa die Aberkennung seines in der Vergangenheit zuerkannten Schutzstatus drohen könne, ist daher gemäß § 4a AsylG nicht zu prüfen.

Bei einer Zurückweisung nach § 4a AsylG 2005 handelt es sich um eine Entscheidung außerhalb des Anwendungsbereichs der Dublin III-VO (VwGH Ra 2016/19/0072, 30.06.2016 mit Hinweis auf Ra 2016/18/0049, 03.05.2016).

Die seit dem 01.01.2014 anwendbare Dublin III-VO geht, wie sich aus der Legaldefinition in ihrem Art. 2 lit. f ergibt, nunmehr von einem einheitlichen Status für Begünstigte internationalen Schutzes aus, welcher gleichermaßen Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte umfasst. Auf Personen, denen bereits in einem Mitgliedstaat Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wurde und deren Asylverfahren zu beiden Fragen rechtskräftig abgeschlossen ist, findet die Dublin III-VO im Fall eines neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat keine Anwendung.

Aus dem Akteninhalt geht hervor, dass den BF am 16.01.2016 in Bulgarien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde.

Der Beschwerde war die BF1 betreffend einen Ambulanzbefund eines Landesklinikums, Abteilung Innere Medizin vom 05.03.2021 angeschlossen, demzufolge die BF1 aufgrund von Herz-Rhythmus-Störungen, weiters RR-Entgleisung in die Ambulanz gekommen sie. Diagnose: siehe eckige Klammern AS 201 unten, Therapie eckige Klammer Seite 203, weiters ein Laborbefund des Landesklinikums Baden vom 05.03.2021 angeschlossen.

Bezüglich der BF5 wurde der Ambulanzbefund der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde eines Landesklinikums vom 02.02.2021 angeschlossen, der bereits durch das BFA angefordert worden und diesem übermittelt worden war: Diagnose: Pharyngitis siehe Akt Seite 211, ein Medikament wurde verabreicht.

Dem Akteninhalt ist zu entnehmen, dass die BF1 unter anderem an Bluthochdruck und Adipositas leidet und gegen den Bluthochdruck Medikamente einnimmt. Weiters leidet die BF1 an Fuß- und Beinbeschwerden und nimmt dagegen Schmerzmedikamente ein. Die BF2 leidet ebenfalls an Bluthochdruck und Beinschmerzen und nimmt ebenfalls Medikamente ein. Die BF3 ist gesund, die BF4 nimmt ein Medikament gegen niedrigen Blutdruck ein, die BF5 war wegen einer Rachenentzündung in ambulanter Behandlung.

Zur familiären Situation der BF in Österreich ist festzuhalten, dass ein Sohn bzw. Enkel bzw. Bruder der BF in Österreich als anerkannter Flüchtling lebt. Abhängigkeiten jedweder Art sind auch nach eigenen Angaben der BF nicht vorhanden.

In den Bescheiden wurde die Länderfeststellungen betreffend Schutzberechtigte in Bulgarien wiedergegeben. Beweiswürdigend wurde zur Lage im Mitgliedsstaat ausgeführt, dass die BF angegeben hätten, dass es in Bulgarien nicht gut gewesen sei. Darüberhinausgehende Feststellungen zur Situation in Bulgarien bzw. beweiswürdigende Ausführungen bzw. Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung der Bescheide sind nicht vorhanden. Von der Wiedergabe der Feststellungen betreffend Schutzberechtigte in den Länderfeststellungen abgesehen wurden keinerlei Ausführungen zur Situation schutzberechtigter in Bulgarien getroffen, geschweige denn wären die Länderfeststellungen zur Situation schutzberechtigter in Bulgarien zur konkreten Situation der BF auch nur in irgendeiner Weise in Beziehung gesetzt worden.

Eine Durchsicht der vorstehend wiedergegebenen, den Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen ergibt allerdings ein durchaus differenziertes Bild der Situation Schutzberechtigter in Bulgarien. Anerkannte Flüchtlinge haben demzufolge zwar mit wenigen Ausnahmen dieselben Rechte wie bulgarische Staatsbürger und Anspruch auf die gleichen Unterstützungsleistungen. Für den Zugang zu staatlicher sozialer Unterstützung ist für Schutzberechtigte allerdings die Wohnsitzregistrierung und Meldeadresse unerlässlich. Beim Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen sind die Betroffenen in der Praxis jedoch mit diversen Sonderregelungen konfrontiert und bedeuten die umfangreiche Bürokratie und weitere Formalitäten bei Einreichung des Antrags um Sozialhilfe, die selbst für Staatsangehörige schwer zu überwinden sind, weitere Probleme. Die Bedingungen für den Bezug für Sozialhilfe sind schwer zu erfüllen und wurde laut staatlichen bulgarischen Angaben im Jahr 2017 lediglich in 20 Fällen Sozialhilfe an Flüchtlinge gezahlt.

Den Schutzberechtigten ist es erlaubt, für sechs Monate ab Statuszuerkennung in der Asylwerberunterkunft zu bleiben, solange die Platzverhältnisse dies zulassen oder für sechs Monate eine staatliche finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft zu erhalten. Da die BF nach eigenen Angaben Bulgarien nach einem Jahr verlassen haben und zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Monate den Status anerkannter Flüchtlinge innegehabt hatten, ist es denkbar, dass die erlaubte Dauer der Weiterbenutzung der Asylwerberunterkunft bereits ausgeschöpft worden sein könnte. Ob die BF diesfalls eine Wohnunterkunft – zumindest vorübergehend - zur Verfügung gestellt erhalten würden, kann den Bescheiden nicht entnommen werden. Auch was die Zugängigkeit zu Sozialwohnungen betrifft, kann aus den Länderfeststellungen nicht geschlossen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr Zugang zu einer solchen hätten. Der Caritas zufolge bestehe Zugang zu Gemeindewohnungen nur, wenn mindestens ein Familienmitglied bulgarischer Staatsbürger sei und hätten Schutzberechtigte üblicherweise keinen Zugang zu diesen Wohnungen. Laut dem Deutschen Auswärtigen Amt dürften sich anerkannte Flüchtlinge, ebenso wie bulgarische Staatsangehörige auf die wenigen vorhandenen Sozialwohnungen bewerben. Soweit anerkannte Schutzberechtigte keine Unterbringungsmöglichkeit in einer staatlichen Unterkunft mehr hätten, müssten sie sich selbständig um Wohnraum bemühen. Zum Abschluss eines Mietvertrages bedarf es eines gültigen Ausweisdokumentes, das jedoch ohne Angabe der Adresse nicht ausgestellt werden kann.

Bei den BF handelt es sich um eine vulnerable Personengruppe, bei der nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass diese bei der Suche einen entsprechenden Wohnraum – immerhin für fünf Personen – zu finden, erfolgreich sein würden. Seitens der Behörde wären daher Ermittlungen anzustellen gewesen und entsprechende Feststellungen zu treffen, inwiefern den BF im Falle einer Rückkehr die Zurverfügungstellung von Wohnraum gewährleistet wäre.

Wenngleich der Zugang zum Arbeitsmarkt für Schutzberechtigte automatisch und bedingungslos gegeben ist, ist zu bedenken, dass es sich bei der BF1 jedenfalls um keine Person im erwerbsfähigen Alter mehr handelt, die zudem an gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet. Die BF2 ist – bezogen auf eine Nachfrage am Arbeitsmarkt – grundsätzlich ebenso bereits im fortgeschrittenen Alter, was die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erschweren dürfte. Zudem verfügt die BF laut Angaben in der polizeilichen Erstbefragung weder über eine Schulausbildung noch über eine Berufsausbildung und hat auch niemals einen Beruf ausgeübt. Hinzu kommt, dass es sich bei der Enkelin der BF2 um ein achtjähriges Kind handelt, das dementsprechende Betreuung bedarf. Es kann nicht angenommen werden, dass die an gesundheitlichen Problemen leidende 71-jährige Urgroßmutter der BF5 die Kinderbetreuung übernehmen könnte. Auch die 20-jährige BF3 und die 18-jährige BF4 verfügen über keine Berufsausbildung, haben noch niemals einen Beruf ausgeübt und nur die Grundschule absolviert.

Von besonderer Problematik dürfte verfahrensgegenständlich die Gewährung der medizinischen Versorgung in Bulgarien sein. Ab Statuszuerkennung müssen Schutzberechtigte nämlich die Krankenversicherungsbeiträge selbst bezahlen und sind bei Hausärzten, Spezialisten und in Krankenhäusern regelmäßig mit sogenannten „Out of pocket“-Zahlungen (alles, was beim Arztbesuch offiziell und inoffiziell aus eigener Tasche zu bezahlen ist), zu rechnen. Diese Zuzahlungen betragen mit 46,6% der gesamten Gesundheitsausgaben in Bulgarien die höchsten in der Europäischen Union. Die Zuzahlungen bestehen hauptsächlich aus Zuzahlungen für Medikamente und ambulante Versorgung. Obwohl das Krankenversicherungssystem grundsätzlich alle in Bulgarien ansässigen Bürger abdecken soll, gibt es in Bulgarien nach Schätzung mindestens 900.000 Menschen ohne Krankenversicherung. Die hohe Anzahl der nichtversicherten Personen gibt laut Länderfeststellungen somit Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Zugänglichkeit der Gesundheitsversorgung. Nun leiden die BF zwar laut Akteninhalt aktuell an keinen schweren Erkrankungen, bei denen in besonderem Maße die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen erforderlich wäre. Sowohl die 71-Jährige BF1 als auch die BF2 leiden jedoch, wie festgestellt, unter Bluthochdruck. Bei blutdrucksenkenden Medikamenten handelt es sich im Allgemeinen um eine Dauermedikation, die, folgt man den Länderfeststellungen samt der hierzu erforderlichen Hausarzt- bzw. Facharzt-Besuche durch entsprechende regelmäßige Zuzahlungen der Schutzberechtigten zu bestreiten wären.

Schlussendlich ist die bulgarische Integrationsverordnung aus dem Jahr 2017, die den Abschluss individueller Integrationsvereinbarungen zwischen den Schutzberechtigten und dem Bürgermeister einer Gemeinde vorsieht, weiterhin nicht umgesetzt, da keiner der 265 Gemeinden um Mittel für Integrationsmaßnahmen ansucht. Der Umstand, dass Betroffene seit 2014 ohne jegliche Integrationsunterstützung bleiben, führt zu einem äußerst eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Sozial- Arbeits- und Gesundheitsrechten.

Auf die zusammenfassend vorstehend wiedergegebene Problematik ist die Behörde in den angefochtenen Bescheiden mit keinem Wort eingegangen, geschweige denn hätte sie zur individuellen Situation der BF in Beziehung gesetzt. Die Behörde hat somit jegliche Ermittlungen zur Lebenssituation, die die BF im Falle einer Überstellung nach Bulgarien vorfinden würden unterlassen.

Zusammenfassend kann auf der dem BVwG zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Sachverhaltsgrundlage nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass für die Betroffenen nach einer Überstellung nach Bulgarien aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit das Risiko gegeben sein könnte, sich in einer Situation extremer materieller Not zu befinden (vgl. EuGH 19.03.2019, C-298/17 ua, Ibrahim) und damit eine Gefahr einer Verletzung der EMRK, insbesondere des Art. 3, drohen könnte.

Es wären sohin eine konkret auf die BF bezogene Abklärung der Versorgungs- bzw. Unterbringungslage unter Mitberücksichtigung allfälliger sich aus der gegenwärtigen Corona-Pandemie ergebender - in den Bescheiden weitgehend ausgeklammerter - erschwerender Rahmenbedingungen, vorzunehmen und gegebenenfalls individuelle Zusagen einzuholen.

Aus dem Gesagten folgt, dass fallgegenständlich der entscheidungsrelevante Sachverhalt unzureichend ermittelt wurde, sodass mit Behebung der Entscheidungen nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Abschiebung Asylverfahren aufenthaltsbeendende Maßnahme Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel Außerlandesbringung Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Interessen Drittstaatsicherheit Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung medizinische Versorgung unzulässiger Antrag Zurückverweisung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W165.2240564.1.00

Im RIS seit

18.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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