TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/17 W232 2233767-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.05.2021
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Entscheidungsdatum

17.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch


W232 2233767-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Belarus, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2020, Zl. 311441609-180343212, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein belarussischer Staatsangehöriger, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.11.2004, am 18.04.2005 und am 29.09.2008 Asylanträge, welche jeweils rechtskräftig abgewiesen und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wurde.

2. Am 10.04.2018 brachte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

3. Am Tag der Antragstellung fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers nach dem AsylG 2005 statt, wobei der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund zusammengefasst angab, dass er nunmehr seit 14 Jahren in Österreich sei und versuche, hier Fuß zu fassen. Er habe keine Angehörigen und keinerlei Verbindung zu Weißrussland mehr. Er wolle sich in Österreich eine Existenz aufbauen. Er habe keine Ahnung wie die derzeitige Lage in der ehemaligen Heimat sei, daher wolle er auch nicht ins Ungewisse. Er könne und wolle dort nicht mehr leben, weil er hier leben wolle.

4. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 19.06.2020 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Befragt warum er einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht habe, gab er im Wesentlichen an, dass er nun 16 Jahre hier sei. Er könne nicht sagen wie es in Weißrussland sei, sein Leben sei nunmehr in XXXX .

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Weißrussland (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Weißrussland gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise zulässig sei (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund nicht glaubhaft sei. Eine Gefährdung oder Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsland habe nicht festgestellt werden können. Er habe seine Heimat aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen verlassen und erhoffe sich ein besseres Leben in Europa bzw. Österreich, dies sei auch sein neuerlicher Grund zur (Folge-)Antragsstellung. Im Falle einer Rückkehr nach Weißrussland könne nicht angenommen werden, dass für den Beschwerdeführer dort die Gefahr bestehe, in eine finanzielle Notlage zu geraten.

6. Mit Schreiben in russischer Sprache vom 28.07.2020 brachte der Beschwerdeführers Beschwerde gegen diesen Bescheid ein, worin er im Wesentlichen auf eine voreingenommene Einvernahme verwies. Der Referent sei von Anfang an darauf eingestellt gewesen, sich nicht mit seinen Problemen auseinanderzusetzen, sondern ihn bei kleinen Fehlern in der Erinnerung an getilgte Vorstrafen zu ertappen. Er ersuche zu berücksichtigen, dass er in Österreich fast sein gesamtes bewusstes Leben verbracht habe. Er beherrsche die Sprache und sei geschäftlich tätig.

7. Im Rahmen des Parteiengehörs vom 06.04.2021 wurde der Beschwerdeführer über das Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und dem Beschwerdeführer, die Länderberichte gemäß dem „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Weißrussland idF 06.07.2020“ samt der letzten KI vom 18.08.2020 übermittelt und die Möglichkeit innerhalb von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben, eingeräumt.

8. Mit Stellungnahme vom 07.05.2021 brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch die BBU GmbH, im Wesentlichen vor, dass er sich als Teil der Opposition von der Regierung bedroht sehe. Er sei Gegner Lukaschenkos und trete öffentlich gegen das herrschende Regime auf. Er nehme beispielsweise regelmäßig an entsprechenden Demonstrationen gegen „die letzte Diktatur Europas“ teil. Nach Zitierung mehrerer Länderberichte wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer jedenfalls asylrelevanter Verfolgung aus politischen Gründen in seinem Herkunftsland ausgesetzt sei, in eventu sei ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, in eventu jedenfalls die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig auszusprechen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der eingebrachten Stellungnahme, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.       Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Seine Identität steht nicht fest. Er ist Staatsangehöriger von Belarus und der Religionsgemeinschaft der orthodoxen Christen zugehörig.

Der Beschwerdeführer ist in Grodno, Belarus, geboren, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Der Beschwerdeführer verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung, er hat die Grund-, Mittel- und Berufsschule (Baubranche, Fliesenleger und Stuckateur) besucht. In Belarus hat er bei einem Bauunternehmen gearbeitet, er war als Fliesenleger und Stuckateur tätig.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 06.11.2004, am 18.04.2005, am 29.09.2008 Asylanträge, die allesamt mit letztinstanzlichen Entscheidungen rechtskräftig abgewiesen und gegen den Beschwerdeführer aufenthaltsbeendende Maßnahmen erlassen wurden. Der Beschwerdeführ verblieb dennoch im österreichischen Bundesgebiet und stellte am 10.04.2018 den gegenständlichen (Folge)Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer gab wissentlich mehrere Aliasidentitäten und eine andere Staatsbürgerschaft an. Der Beschwerdeführer hat seine Mitwirkungspflichten gemäß § 15 AsylG 2005 verletzt.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Der Beschwerdeführer spricht Russisch, Tschetschenisch, Polnisch sowie Deutsch. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet mehrfach straffällig:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX .2006, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 15, 146, 223 Abs. 2, 224, 223/2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten und der Setzung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt. Dieses Gerichtsurteil erwuchs mit XXXX 2006 in Rechtskraft.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2007, XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 146, 223 Abs. 2, 229/1 StGB und § 114 Abs. 2 FPG 2005 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten rechtskräftig verurteilt. Dieses Gerichtsurteil erwuchs mit XXXX .2007 in Rechtskraft.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2009, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Dieses Gerichtsurteil erwuchs mit XXXX 2009 in Rechtskraft.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2011, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 127, 130 (1. Fall) sowie §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr rechtskräftig verurteilt. Dieses Gerichtsurteil erwuchs mit XXXX .2011 in Rechtskraft.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX .2012, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 130 1. Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr rechtskräftig verurteilt. Dieses Gerichtsurteil erwuchs mit XXXX 2012 in Rechtskraft.

In Österreich bezieht der Beschwerdeführer keine Grundversorgung, er hat in Österreich eine Firma gegründet. Der Beschwerdeführer spricht Deutsch. Der Beschwerdeführer verfügt über Bekannte und Freunde in Österreich. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte. Seine Eltern sind verstorben.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seine Heimat aufgrund asylrelevanter Verfolgung verlassen hat. Der Beschwerdeführer hat sein Herkunftsland aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.

Der Beschwerdeführer wäre im Fall der Rückkehr nach Belarus nicht gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder von der Todesstrafe bedroht. Er würde auch nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und wäre ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Belarus:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Weißrussland idF 06.07.2020 samt der letzten KI vom 18.08.2020:
1.         Politische Lage

Die Republik Belarus ist eine Präsidialrepublik (AA 2.3.2020a) mit 9,4 Millionen Einwohnern; Landessprachen sind Belarussisch und Russisch. Die Republik Belarus erhielt 1991, mit der Auflösung der Sowjetunion, ihre staatliche Unabhängigkeit. Kennzeichnend ist die starke Stellung von Staatspräsident Lukaschenko. Mithilfe mehrerer per Referendum herbeigeführter Verfassungsänderungen ist er seit 1994 im Amt und verfügt über weitreichende legislative Kompetenzen (AA 2.3.2020b). Präsidialdekrete gehen in der Verfassungswirklichkeit Gesetzen vor und betreffen verschiedene Politikfelder (AA 5.7.2019; vgl. FH 4.3.2020). 1996 errichtete Präsident Lukaschenko auf Grundlage einer Verfassungsänderung die heutigen autoritären Strukturen. Mit der Verfassungsänderung vom 17.11.2004 im Rahmen eines Referendums wurde die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Amtsperioden aufgehoben und es ihm ermöglicht, für weitere Amtszeiten zu kandidieren (AA 5.7.2019). Der Präsident bestimmt 8 von 64 Mitgliedern des Oberhauses der Nationalversammlung. Auch ernennt und entlässt er sämtliche Regierungsmitglieder, Vorsitzende der Staatlichen Komitees und Leiter wichtiger Organe der Exekutive, Judikative sowohl national als auch in den Provinzen. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 5.7.2019).

Insgesamt betrachtet hat Weißrussland seit Anfang der 1990er Jahre keine Wahl abgehalten, die als frei und demokratisch bewertet wurde (RFE/RL 11.9.2016). Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren ohne Begrenzung gewählt. Lukaschenko wurde erstmals 1994 gewählt. Seitdem hat er seine Herrschaft in einer Reihe unfairer Wahlen verlängert. 2015 sicherte er sich in einer nicht kompetitiven Wahl die fünfte Amtszeit in Folge. Beobachter der OSZE nannten seit langem bestehende Mängel bei den Wahlen in Belarus, die nicht behoben wurden, und nach Einschätzung der OSZE blieben die Wahlen erheblich hinter demokratischen Standards zurück (FH 4.3.2020). Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind für den 9. August 2020 angesetzt (DW 1.6.2020).

Die Nationalversammlung (Parlament) besteht aus zwei Kammern. Die Parlamentsmitglieder der Abgeordnetenkammer (Unterhaus), welche vollständig dem Präsidenten unterstellt ist, werden für eine vierjährige Amtszeit in 110 Mehrheitsbezirken gewählt. Gewählt ist der Kandidat, der die meisten Stimmen erhält (FH 4.3.2020; vgl. OSZE/ODIHR 4.3.2020). Das Oberhaus, der Rat der Republik, besteht aus 64 Mitgliedern, die ihre Funktion jeweils vier Jahre lang ausüben; 8 davon werden vom Präsidenten ernannt, 56 werden durch die Regionalräte gewählt (FH 4.3.2020). Die letzte Parlamentswahl fand im November 2019 statt, fast ein Jahr früher als geplant. Lukaschenko treue Kandidaten gewannen alle Sitze im Unterhaus, während unabhängige Kandidaten keinen einzigen erhielten (FH 4.3.2020). Bei den Parlamentswahlen 2016 hatten zwei oppositionelle Abgeordnete je einen Sitz im Parlament gewonnen, es war das erste Mal seit 20 Jahren, dass in Belarus die Opposition im Parlament vertreten war (RFE/RL 11.9.2016). Bei den Wahlen 2019 durften die beiden Oppositionellen jedoch nicht mehr antreten. Wahlbeobachter der OSZE stellten Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen 2019 fest (FH 4.3.2020). Im Abschlussbericht der OSZE-Wahlbeobachtungsmission heißt es, dass die Wahlen zwar ruhig verliefen, aber nicht den wichtigen internationalen Standards für demokratische Wahlen entsprachen. Unter anderem wurde die grundlegende Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit missachtet und ein übermäßig restriktives Registrierungsverfahren für Kandidaten verhinderte die Teilnahme der Opposition an der Wahl (OSZE/ODIHR 4.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Der Rechtsrahmen für Wahlen entspricht in Weißrussland generell nicht den demokratischen Standards. Unter anderem sind die Mitglieder der Wahlkommissionen auf allen Ebenen politisch mit der Regierung abgestimmt und von ihr abhängig, und unabhängige Beobachter haben keinen Zugang zu den Auszählungen. Mitglieder von Oppositionsparteien wurden z.B. im Vorfeld der Wahlen vom November 2019 effektiv von der Teilnahme an Wahlkommissionen auf Bezirksebene ausgeschlossen (FH 4.3.2020).

Eine Regierungspartei im eigentlichen Sinn gibt es in Weißrussland nicht. Nur sehr wenige Abgeordnete des Parlaments sind Mitglieder einer politischen Partei. Parteien stehen vor gewaltigen Herausforderungen, wenn sie eine offizielle Registrierung anstreben. Seit 2000 wurde trotz wiederholter Versuche keine neue politische Partei registriert. Es gibt mangels demokratischer Machtwechsel praktisch keine Möglichkeit für Oppositionskandidaten, durch Wahlen an die Macht zu gelangen (FH 4.3.2020). Nachdem Präsident Lukaschenko angekündigt hatte, dass er für seine nunmehr sechste Amtszeit kandidieren wolle, kam es im Frühjahr 2020 zu Protesten (DW 1.6.2020; vgl. RFE/RL 25.5.2020). Ein wichtiger politischer Gegenspieler, der Oppositionelle Mikola Statkevich, wurde auf einer der Demonstrationen festgenommen, genauso wie Dutzende weitere Aktivisten (DW 1.6.2020; vgl. RFE/RL 15.6.2020). Laut der weißrussischen NGO Viasna wurden allein am 19. Juni 2020 bei Protesten circa 140 Menschen festgenommen (RFE/RL 20.6.2020). Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl hat Präsident Lukaschenko Anfang Juni 2020 die Regierung per Dekret aufgelöst. Im Schnellverfahren hat Lukaschenko eine neue Regierung ernannt, wie das Präsidialamt mitteilte. Regierungschef wird demnach Roman Golowtschenko, der bislang das staatliche Komitee für Militärindustrie leitete (Zeit Online 4.6.2020).

Belarus wird als autoritärer Polizeistaat beschrieben, in dem Wahlen offen manipuliert und die bürgerlichen Freiheiten beschnitten werden (FH 4.3.2020). Obwohl die politische Opposition unter ungünstigen Bedingungen operiert und regelmäßig mit Druck konfrontiert ist, hatte sich das allgemeine politische Klima in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt etwas verbessert. Die außenpolitischen Beziehungen zur Europäischen Union und zu den Vereinigten Staaten hatten sich deutlich entspannt (FH 29.3.2017). Lukaschenko griff nach 2014 sogar die weißrussische Nationalkultur auf, die er zuvor verschmäht hatte (BAKS 11.2017). Im Oktober 2015 entschied die EU, die bestehenden Sanktionen gegen Belarus zunächst zu suspendieren; im Februar 2016 wurden die Sanktionen durch Ratsbeschluss weitgehend aufgehoben (AA 5.7.2019). Allerdings hat sich im Zuge massiver Proteste gegen einen Gesetzesvorschlag im März 2017 ("Antiparasitismus"-Steuer) gezeigt, dass die Regierung zumindest zwischenzeitlich zu ihren Praktiken der Massenverhaftungen und gefälschten Anschuldigungen zurückgekehrt ist (UN 22.9.2017). Die Massenproteste gegen die Einführung der Steuer waren 2017 brutal unterdrückt worden. Im Jahr 2018 hat die Regierung diesen Plan zur Besteuerung von Arbeitslosen wiederbelebt, indem sie ab 2019 die volle Zahlung für Wohnungs- und Versorgungsleistungen vorschreibt (FH 4.3.2020).

Im Jahr 2019 agierte die Regierung Weißrusslands wieder deutlich repressiver, drängte liberale Tendenzen wieder zurück und verstärkte ihre Kontrolle über die Gesellschaft wieder (FH 4.3.2020; vgl. Carnegie 20.8.2019). Im Jänner 2020 wurde ein Abkommen zur erleichterten Erlangung von Visa zwischen der EU und Belarus unterzeichnet. Im Mai 2020 wurde es vom Rat der EU beschlossen, das voraussichtlich am 1.7.2020 in Kraft tritt (Rat der EU 27.5.2020; vgl. Belta 8.1.2020).

Traditionell ist Belarus politisch und wirtschaftlich eng mit Russland verflochten. Nichtsdestotrotz verfolgt Minsk eine dezidiert multivektorielle Außenpolitik, die den eigenen politischen und wirtschaftlichen Handlungsspielraum vergrößern soll (AA 2.3.2020b; vgl. BAKS 11.2017). Seit 2014 haben die geopolitischen Spannungen die russisch-weißrussischen Meinungsverschiedenheiten über Gleichberechtigung/Augenhöhe und wirtschaftliche Integration verschärft (ECFR 21.1.2020). Inzwischen gehört Minsk zu Moskaus schwierigsten postsowjetischen Partnern. Seit Jahren ändert Lukaschenko schleichend seinen prorussischen Kurs. Schlüsselmoment dafür war die Annexion der Krim, die Weißrussland bis heute nicht als russisches Territorium anerkennt (WeltN24 18.11.2017 und 11.2.2015, vgl. CoE 6.6.2017). Weißrussland und Russland befinden sich derzeit in einem komplizierten Dialog über ihre Integration (Carnegie 20.8.2019). Ende 2018 schlug Russland vor, Belarus müsse eine tiefere bilaterale Integration akzeptieren, wenn es von einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit profitieren wolle. Die Seiten führten während des gesamten Jahres 2019 intensive Gespräche, es wurde jedoch keine Einigung erzielt. Es wurden keine bedeutenden neuen Abkommen unterzeichnet und die Öl- und Gasverträge für das Jahr 2020 wurden nicht verlängert. Daraufhin stoppte Russland seine regelmäßigen Rohöl- und Gaslieferungen an Belarus, wodurch die Spannungen eskalierten (ECFR 21.1.2020). Im Dezember 2019 war es zu mehreren Demonstrationen gegen eine tiefere Integration zwischen Russland und Belarus gekommen (RFE/RL 21.12.2019).
2.         Sicherheitslage

Das Land kann als stabil bezeichnet werden (EDA 12.6.2020). Die innenpolitische Lage in Belarus ist ruhig. Die Kriminalitätsrate ist niedrig (AA 12.6.2020).
3.         Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in Weißrussland große Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung sieht zwar eine unabhängige Justiz vor, aber die Behörden respektieren ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht (USDOS 11.3.2020). Von einer Gewaltenteilung kann nicht gesprochen werden. Dekrete des Präsidenten – sogar seine mündlichen Äußerungen – gehen in der Verfassungswirklichkeit Gesetzen vor und werden mit breitem inhaltlichem Regelungsanspruch verabschiedet. Die Regierung (Ministerrat) hat ihre Entscheidungsmöglichkeiten in wichtigen Fragen weitgehend an das Präsidialamt verloren und fungiert nicht als eigenständiges Machtzentrum. Darüber hinaus werden regelmäßig Minister ersetzt. Das Oberste Gericht und das Verfassungsgericht sind nicht unabhängig. Alle Richterernennungen, darunter die obersten Richter, erfolgen grundsätzlich per Präsidialerlass. Lukaschenko lässt sich über laufende Verfahren informieren und trifft Prozessentscheidungen in Fällen, die für ihn für Bedeutung sind (AA 5.7.2019).

Das weißrussische Justizsystem besteht aus dem Verfassungsgericht und einem System von Gerichten der allgemeinen Gerichtsbarkeit. Das Oberste Gericht ist das höchste Gericht der allgemeinen Gerichtsbarkeit und behandelt zivil-, straf-, verwaltungs- und wirtschaftsrechtliche Fälle (BS 2020). Die Gerichte sind dem Präsidenten untergeordnet (FH 4.3.2020) bzw. nahezu vollständig von ihm abhängig. Das Verfassungsgericht kann nur dann tätig werden, wenn es vom Präsidenten, den Kammern des Parlaments, dem Ministerrat oder dem Obersten Gerichtshof angerufen wird (BS 2020). Das Recht auf einen fairen Prozess wird in Fällen mit politischem Hintergrund nicht respektiert (FH 4.3.2020). Vertreter der Exekutive auf regionaler und nationaler Ebene intervenieren in Verfahren und nehmen sogar Einfluss auf Urteile, wenn die Fälle für die Behörden von wirtschaftlicher, politischer oder sozialer Bedeutung sind (BS 2020).

Abweichend von internationalen Normen liegt die Befugnis, die Untersuchungshaft zu verlängern, bei einem Staatsanwalt und nicht bei einem Richter. Das Fehlen einer unabhängigen Aufsicht ermöglicht es der Polizei, routinemäßig und massiv gegen rechtliche Verfahren zu verstoßen. Die Regierung greift regelmäßig Rechtsanwälte an, die oft die einzige Verbindung zwischen inhaftierten Aktivisten und deren Familien und der Gesellschaft bleiben (FH 4.3.2020). Während des Jahres 2019 wurden keine Repressions- oder Vergeltungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte gemeldet (USDOS 11.3.2020).

Korruption, Ineffizienz und politische Einmischung in Gerichtsentscheidungen sind weit verbreitet. Gerichte verurteilen Personen aufgrund falscher und politisch motivierter Anklagen. Beobachtern zufolge diktieren hohe Regierungsvertreter und Behörden die Urteile. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass Staatsanwälte zu viel Macht haben. Auch ist zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein Machtgefälle gegeben. Verteidiger können Ermittlungsakten nicht einsehen, bei Verhören nicht anwesend sein oder Beweise gegen Angeklagte nicht prüfen, bis ein Staatsanwalt den Fall förmlich vor Gericht gebracht hat. Das alles gilt besonders für Fälle mit einem politischen Hintergrund. Rechtsanwälte unterstehen dem Justizministerium und müssen ihre Lizenz alle fünf Jahre erneuern lassen. Das Gesetz sieht das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor, aber die Behörden missachten dieses Recht gelegentlich. Laut Gesetz gilt die Unschuldsvermutung. Der Mangel an richterlicher Unabhängigkeit, Vorverurteilung durch die staatlichen Medien und weit verbreitete Einschränkungen der Verteidigungsrechte bringen es aber mit sich, dass es tatsächlich häufig dem Angeklagten obliegt, seine Unschuld zu beweisen. Obwohl die Gesetze öffentliche Verfahren garantieren, wird die Öffentlichkeit gelegentlich ausgeschlossen. Die Rechte der Verteidigung werden nicht in vollem Maße respektiert. Auch das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Prozesses in weißrussischer Sprache und auf freie Wahl des Verteidigers wird immer wieder eingeschränkt. NGO-Anwälte dürfen etwa nur Mitglieder ihrer NGO vertreten. Anwälte, die politisch heikle Fälle übernehmen, erhalten regelmäßig Berufsverbote. Auch müssen Verteidiger häufig Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben, die es erschweren, Informationen über das Verfahren nach außen dringen zu lassen. Das Beschwerderecht gegen Gerichtsentscheidungen wird von den meisten Verurteilten genutzt; trotzdem werden Urteile in der Mehrheit der Fälle bestätigt (USDOS 11.3.2020).

Das Strafrecht – und auch die Praxis der Strafzumessung – dient vorwiegend der Abschreckung. Aufgrund rechtsstaatlicher Defizite werden Strafprozesse auch genutzt, um selektiv unliebsame Unternehmer oder Funktionsträger aufgrund von angeblicher Steuerhinterziehung oder Korruption zu belangen. Vertreter der politischen Opposition und Aktivisten erhalten regelmäßig Geldstrafen, teils auch Arrest von fünf, selten bis 15, Tagen. Staatliche Einschüchterungsversuche gegenüber Angehörigen von Oppositionellen oder sonstigen Personen, die ihnen nahe stehen, werden selten praktiziert. Es gab 2018 und 2019 wenige Fälle, in denen Angehörige besonders exponierter und wiederholt tätiger Aktivisten und Oppositionspolitiker mittels Hausdurchsuchungen und Vorladungen zu Verhören schikaniert worden sind. Drogendelikte werden unverhältnismäßig hart geahndet (AA 5.7.2019).
4.         Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden wie das Innenministerium, das Komitee für Staatssicherheit (KGB) und das Ermittlungskomitee, unterliegen keiner effektiven unabhängigen (parlamentarischen oder sonstigen) Kontrolle. Sie unterstehen unmittelbar dem Präsidenten. Die Sicherheitsorgane werden für die gezielte Einschüchterung politischer Gegner - vor allem bei nicht genehmigten Demonstrationen oder bei freier Meinungsäußerung im Internet - eingesetzt. Der Sicherheitsdienst KGB hat polizeiliche Befugnisse. Die Justiz trägt nicht zur Mäßigung der Sicherheitsorgane bei, vielmehr wird das Rechtssystem zur staatlich geleiteten Repression und Einschüchterung genutzt. Die Streitkräfte sind grundsätzlich nicht mit polizeilichen Aufgaben betraut (AA 5.7.2019).

Präsident Lukaschenko ist befugt, alle Sicherheitsorgane seinem persönlichen Kommando zu unterstellen, und er übt die effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Die Polizei untersteht dem Innenministerium. Der KGB, die Abteilung für Finanzuntersuchungen des Staatlichen Kontrollkomitees, das Untersuchungskomitee und die präsidentiellen Sicherheitsdienste üben ebenfalls Polizeifunktionen aus. Die Behörden auf allen Ebenen agieren oft ungestraft und unterlassen es, Schritte zur Verfolgung oder Bestrafung von Regierungsbeamten oder Sicherheitskräften zu unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben (USDOS 11.3.2020).
5.         Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung von 1996 verbietet Folter und andere Arten unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Menschenrechtsaktivisten und Anwälte sowie unabhängige weißrussische Medien berichteten demgegenüber mehrfach, dass Untersuchungsbehörden durch psychischen Druck versuchen, Geständnisse zu erzwingen. Bei Festnahmen und Vernehmungen durch die Miliz kommt es mitunter zu körperlichen Übergriffen. Die dafür Verantwortlichen innerhalb der Sicherheitskräfte müssen kaum mit Strafverfolgung rechnen (AA 5.7.2019). Inhaftierte werden von Mitarbeitern der Staatssicherheit (KGB), der Bereitschaftspolizei und anderer Sicherheitskräfte, die oft in zivil auftreten, gelegentlich geschlagen (USDOS 11.3.2020), Menschenrechtsgruppen dokumentieren weiterhin Fälle von Schlägen, Folter und Unterdrucksetzung während der Haft (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsverteidiger, Oppositionsführer und Aktivisten, die aus Haftanstalten entlassen wurden, berichteten weiterhin von Misshandlung und anderen Formen körperlichen und psychischen Missbrauchs von Verdächtigen während strafrechtlicher und administrativer Ermittlungen. Es gibt zwar Berichte über Schikanen von Wehrpflichtigen in der Armee, darunter physischer und psychischer Missbrauch; die Zahl der Fälle geht jedoch zurück, da die Regierung die Täter strafrechtlich verfolgt. Es gab Berichten zufolge diesbezüglich keine Todesfälle. Im Jahr 2019 gab es keine Berichte über willkürliche oder ungesetzliche Tötungen (USDOS 11.3.2020).

In einem Bericht des UN-Anti-Folter-Komitees wird Folter in Weißrussland als „weitverbreitet“ beschrieben. Das Komitee kritisiert auch den Einsatz von psychiatrischer Einweisung aufgrund nicht-medizinischer Gründe (BS 2020).
6.         Korruption

Belarus wird im 2019 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit 45 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean). Das Land liegt somit auf Platz 66 von 198 (TI 2019). Korruption stellt auf allen Regierungsebenen ein Problem dar, kommt aber im Rahmen der alltäglichen Interaktion zwischen Bürgern und kleinen Staatsbeamten in der Regel nicht vor. Bei den meisten Korruptionsfällen handelte es sich offiziellen Quellen zufolge um das Anbieten und Annehmen von Bestechungsgeldern, Betrug und Machtmissbrauch. Das Nichtvorhandensein eines unabhängigen Justizsystems und einer unabhängigen Strafverfolgung sowie das Fehlen von Gewaltenteilung und einer unabhängigen Presse und eine intransparente Bürokratie machen es aber praktisch unmöglich, das tatsächliche Ausmaß der Korruption abzuschätzen oder effektiv zu bekämpfen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist für die Organisation und Koordinierung der Aktivitäten zur Bekämpfung der Korruption, einschließlich der Überwachung der Strafverfolgungsmaßnahmen, der Analyse der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen sowie der Ausarbeitung weiterer Rechtsvorschriften zuständig. Der Oberste Gerichtshof berichtet, dass Gerichte von Jänner bis Juni 2019 463 Personen "wegen korruptionsbezogener Vorwürfe" verurteilt haben. Die korruptesten Sektoren waren hierbei die staatliche Verwaltung und das Beschaffungswesen, der Industriesektor, die Bauindustrie, das Gesundheitswesen und das Bildungswesen. Im Laufe des Jahres 2019 gab es zahlreiche Anklagen wegen Korruption, aber die Verfolgung blieb selektiv, intransparent und in einigen Fällen schienen sie laut unabhängigen Beobachtern und Menschenrechtsvertretern politisch motiviert zu sein (USDOS 11.3.2020).

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption von Amtsträgern vor und die Regierung verfolgt regelmäßig Beamte, die der Korruption beschuldigt wurden. Laut den Worldwide Governance Indicators der Weltbank stellt Korruption im Land jedoch ein ernstes Problem dar. Im März 2019 erklärte die Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) des Europarates, dass Belarus nicht den Antikorruptionsstandards entspicht (USDOS 11.3.2020). In der Wirtschaft wird Bestechung durch einen Mangel an Transparenz und Rechenschaftspflicht in der Regierung gefördert. Es gibt keine unabhängigen Stellen zur Untersuchung von Korruptionsfällen und die Verfahren wegen Bestechung werden in der Regel eingestellt (FH 4.3.2020). Unternehmen im öffentlichen Beschaffungswesen werden zugunsten von staatseigenen Unternehmen diskriminiert und informelle Zahlungen oder die Abgabe von Geschenken zur Sicherung von Regierungsverträgen sind übliche Praktiken. Während Kleinkriminalität relativ begrenzt ist, bleibt Korruption auf hoher Ebene ungestraft. Die Antikorruptionsbestimmungen sind vage. Darüber hinaus werden die Korruptionsbekämpfungsgesetze schlecht durchgesetzt (GAN 6.2017).

Personen, die wegen Korruption auf niedrigerer Ebene entlassen werden, droht ein fünfjähriges Beschäftigungsverbot im öffentlichen Dienst, während Personen, bei denen schwerwiegendere Verstöße festgestellt werden, auf unbestimmte Zeit aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden. Das Gesetz erlaubt auch die Beschlagnahme von Eigentum im Wert von mehr als 25 Prozent des Jahreseinkommens eines öffentlich Bediensteten, der sich korrupter Praktiken schuldig gemacht hat. Das Gesetz sieht eine öffentliche Überwachung der Antikorruptionsbemühungen der Regierung vor. Antikorruptionsgesetze verlangen Einkommens- und Vermögenserklärungen von ernannten und gewählten Beamten, ihren Ehepartnern und weiteren volljährigen Haushaltsmitgliedern. Dem Gesetz zufolge überwachen und korrigieren Spezialkorruptionsabteilungen innerhalb des Generalstaatsanwaltsbüros, des KGB und des Innenministeriums Antikorruptionspraktiken, und der Generalstaatsanwalt und alle Staatsanwälte sind beauftragt, die Durchsetzung des Antikorruptionsgesetzes zu überwachen. Eine Ausnahme gilt für Kandidaten bei Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen. Es sind administrative Sanktionen und Disziplinarstrafen bei Nichteinhaltung vorgesehen. Im Mai 2019 unterzeichnete der Präsident ein Dekret, das vorzeitige Entlassung, Bewährung und Strafmilderung bei Verurteilungen wegen Korruption verbietet. Im Oktober 2019 erklärte Präsident Lukaschenko, über eine "Liste des Regierungspersonals“ mit den Namen von etwa 850 Personen zu verfügen, welche bestimmte Befugnisse genießen, denen eine gewisse Immunität gewährt wird und die nicht ohne die Zustimmung des Präsidenten verhaftet werden können (USDOS 11.3.2020). Gelegentlich werden verurteilte korrupte Beamte vom Präsidenten begnadigt und wieder in verantwortliche Positionen zurückversetzt (FH 4.3.2020).
7.         NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Die Vereinigungsfreiheit ist stark eingeschränkt (FH 4.3.2020). Alle NGOs, politischen Parteien und Gewerkschaften müssen die Genehmigung des Justizministeriums erhalten, um registriert zu werden. Eine Regierungskommission prüft und genehmigt alle Registrierungsanträge; sie stützt ihre Entscheidungen weitgehend auf die politische und ideologische Vereinbarkeit mit den offiziellen Ansichten und Praktiken (USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsorganisationen sind Behinderungen ausgesetzt, z.B. mittels Verweigerung der Registrierung als NGO durch das Justizministerium oder durch Vorladungen zu Verhören. Zu den Behinderungen zählen außerdem staatliche Kontrolle und Überwachung, Nicht-Genehmigung von Aktivitäten, und die Erschwernis der Einholung von Gebermitteln. Dennoch gehen viele NGOs ihrer Arbeit nach, auch nicht genehmigte Organisationen wie Viasna (AA 5.7.2019). Die Registrierung von Organisationen ist nach wie vor selektiv und die Vorschriften verbieten ausländische Hilfe für Einrichtungen und Einzelpersonen, von denen angenommen wird, dass sie die Einmischung von Ausländern in innere Angelegenheiten fördern. Einige wenige Menschenrechtsgruppen sind nach wie vor aktiv, aber Mitarbeiter und Unterstützer riskieren Strafverfolgung und Geldstrafen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Aktivisten, die ihre Bürgerrechte wahrnehmen, indem sie sich für innen-, außen- oder umweltpolitische Anliegen einsetzen, die nicht mit der Politik des Staates übereinstimmen und Aktionen auch ohne Genehmigung durchführen, unterliegen Repressionen oder zumindest erheblichen Nachteilen. So sind z.B. Fälle von Entlassung aus staatlichen Betrieben, Krankenhäusern und Exmatrikulation aus Universitäten bekannt (AA 5.7.2019; vgl. USDOS 11.3.2020).

Der aufgehobene Artikel 193.1 des Strafgesetzbuches, der die Teilnahme an den Aktivitäten einer nicht registrierten Organisation unter Strafe stellte, wurde im Juli 2019 durch Artikel 23.88 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ersetzt, der der Polizei die Befugnis gibt, "Straftäter" ohne gerichtliche Überprüfung mit einer Geldstrafe von bis zu ungefähr 1.275 weißrussischen Rubel (615 US-Dollar) zu belegen (AI 16.4.2020; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020).

Die Behörden können eine NGO schließen, nachdem sie nur eine einzige Verwarnung wegen einem Gesetzesverstoß ausgesprochen haben. Die häufigsten Vorwände für eine Verwarnung oder Schließung, sind das Versäumnis, eine offizielle Adresse vorzuweisen und technische Unstimmigkeiten in den Antragsunterlagen. Die Regierung verweigert einigen NGOs und politischen Parteien unter verschiedenen Vorwänden weiterhin die Registrierung (USDOS 11.3.2020) bzw. registriert NGOs aus willkürlichen Gründen nicht (AI 16.4.2020; vgl. HRW 14.1.2020).
8.         Allgemeine Menschenrechtslage

Belarus ist ein autoritärer Staat. Seit seiner Wahl zum Präsidenten 1994 verstärkte Lukaschenko seine Macht über alle Institutionen und untergrub die Rechtsstaatlichkeit mit autoritären Mitteln (USDOS 11.3.2020). In Belarus gibt es weder ein Menschenrechtsinstitut, noch eine Menschenrechtskommission oder eine Ombudsperson für Menschenrechte. Die Republik Belarus ist kein Mitglied des UN-Menschenrechtsrats (UN-MRR) und ist kein Mitglied des Europarats. Einer Mitgliedschaft im Europarat steht die Anwendung der Todesstrafe entgegen. Aus diesem Grund hat Belarus auch nicht die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 gezeichnet. Belarus bemüht sich allerdings um einen Beitritt zu einzelnen Konventionen des Europarats. Das Informationsbüro des Europarats in Minsk setzt sich für Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, für die Einhaltung der Menschenrechte und für Pressefreiheit in Belarus ein. 2012 wurde das Mandat des Sonderberichterstatters des UN-MRR zur Lage der Menschenrechte in Belarus geschaffen. Seither wurde das Mandat jährlich durch eine von der EU eingebrachten Resolution verlängert (AA 5.7.2019). Belarus erkennt das Mandat des Sonderberichterstatters nicht an und lehnt die Kooperation mit der Amtsinhaberin ab (AA 5.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020). In ihrem ersten Bericht an den UN-Menschenrechtsrat im Mai 2019 sprach die Sonderberichterstatterin von der „zyklischen“ und „systemischen“ Natur der Menschenrechtsverletzungen in Belarus (HRW 14.1.2020). In einem Bericht zur Menschenrechtslage im Zeitraum 2013 bis 2018 spricht Amnesty International von der Verletzung grundlegender Menschenrechte durch die Behörden, darunter die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person. Der gesetzliche Rahmen erlaubt den Behörden außerdem eine weitreichende Überwachung der Bevölkerung ohne oder mit nur geringer Rechtfertigung (BS 2020).

Belarus blieb mit drei Todesurteilen und der Hinrichtung von mindestens drei Gefangenen der einzige Anwender der Todesstrafe in Europa und der ehemaligen Sowjetregion. Gesetzesänderungen, die auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung abzielen, schränken insbesondere Online- und Medienaktivitäten und das Recht auf Protest weiter ein. Es gibt Berichte über Hunderte Kinder und Jugendliche, die lange Gefängnisstrafen für kleinere Drogendelikte verbüßen. Gefährdete Gruppen, darunter Roma und LBGT-Personen, sind weiterhin dem Risiko der Diskriminierung ausgesetzt. Belarus schiebt weiterhin ausländische Staatsbürger in Länder ab, in denen ihnen ernsthafte Menschenrechtsverletzungen, darunter auch Folter und Misshandlungen, drohen. Es wurden in diesem Bereich jedoch einige positive Schritte unternommen (AI 16.4.2020). Meinungsfreiheit, Versammlungs-, Demonstrations- und Streikrecht sowie die Vereinigungsfreiheit werden beschränkt (AA 5.7.2019). Probleme im Bereich Menschenrechte sind unter anderem: willkürliche Verhaftung und Inhaftierung, lebensbedrohliche Haftbedingungen, willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Inhaftierung von Journalisten; Einschränkungen der politischen Partizipation, einschließlich des anhaltenden Versäumnisses, Wahlen nach internationalen Standards durchzuführen; sowie Korruption in allen Bereichen der Regierung (USDOS 11.3.2020). Behörden bleiben oft ungestraft und unterlassen es, Schritte zur Verfolgung oder Bestrafung von Regierungsbeamten oder Sicherheitskräften zu unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben (USDOS 11.3.2020).

In einem Bericht der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Belarus von 2019 heißt es, dass die Menschenrechtssituation stabil und ruhig scheine, sie jedoch grundlegend sehr schlecht sei, mit keinen signifikanten Verbesserungen. Da Belarus ihr Mandat nicht anerkennt, konnte die UN-Sonderberichterstatterin das Land nicht besuchen (UN 2.7.2019).
9.         Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung sieht Meinungs- und Pressefreiheit vor. Die Regierung respektiert diese Rechte jedoch nicht (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 7.5.2019, AI 16.4.2020) und setzte zahlreiche Gesetze zur Kontrolle und Zensur der Öffentlichkeit und der Medien durch. Darüber hinaus propagiert die staatliche Presse Ansichten zur Unterstützung des Präsidenten und der offiziellen Politik, ohne Raum für kritische Stimmen zu lassen (USDOS 11.3.2020). Regierungskritiker sehen sich Schikanen und anderen Repressalien seitens der Behörden ausgesetzt, u.a. durch Verwaltungs- und Strafverfahren (AI 16.4.2020). Die Regierung übt fast vollständige Kontrolle über die Mainstream-Medien aus. Das Mediengesetz 2008 sichert ein staatliches Monopol auf Informationen über politische, soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten. Verleumdung und üble Nachrede können sowohl zivil- als auch strafrechtlich geahndet werden und das Strafgesetzbuch enthält Bestimmungen zum Schutz der "Ehre und Würde" hochrangiger Beamter (FH 4.3.2020). Einzelpersonen können Präsident Lukaschenko und die Regierung nicht öffentlich kritisieren oder Themen von allgemeinem öffentlichen Interesse ohne Angst vor Repressalien diskutieren. Die Behörden nehmen politische Treffen auf Video auf, führen häufige Identitätskontrollen durch und benutzen andere Formen der Einschüchterung. Weiters untersagen sie das Anbringen von nicht registrierten oder oppositionellen Flaggen und Symbolen sowie das Anbringen von Plakaten mit Botschaften, die als Bedrohung für die Regierung oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Das Gesetz schränkt auch die Redefreiheit ein, indem Handlungen wie z.B. die Weitergabe von Informationen an Ausländer, die von den Behörden als falsch oder abwertend bezüglich der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, militärischen oder internationalen Situation des Landes angesehen werden, kriminalisiert werden (USDOS 11.3.2020).

Staatliche Einschränkungen begrenzen den Zugang zu Informationen und führen häufig zu einer Selbstzensur der Medien (USDOS 11.3.2020). Die gelegentliche Diffamierung oppositioneller und zivilgesellschaftlicher Kräfte in staatlichen Medien besteht nach wie vor (AA 5.7.2019). In Fernsehen und Rundfunk wird nahezu ausschließlich die offizielle politische Linie propagiert, Privatradiosender dürfen ausschließlich unpolitische Unterhaltungsprogramme senden (AA 5.7.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Nur vor Wahlen wird Oppositionspolitikern begrenzter Raum für Auftritte in Debatten eingeräumt. Unabhängige Fernsehsender gibt es in Belarus nicht. Jedoch ist der Empfang von Satellitensendern über Kabelanbieter oder Direktempfang grundsätzlich möglich, auch „Radio Svaboda“ (Radio Free Europe) kann empfangen werden. Mit dem in Warschau ansässigen Sender BelSat existiert ein regimekritisches Programm in weißrussischer Sprache. Das ebenfalls von Polen mit EU-Unterstützung aus betriebene „European Radio for Belarus“ ist terrestrisch in den westlichen Regionen von Belarus zu empfangen. Es existiert eine auflagenschwache unabhängige bzw. nichtstaatliche Presse, die regelmäßig kritisch über die politische Führung des Landes berichtet. Unabhängige Printmedien stehen allerdings unter Druck, Verwarnungen des Informationsministeriums wegen inhaltlicher oder formaler Fragen zu vermeiden. Nach zwei Verwarnungen binnen Jahresfrist können Medien geschlossen werden, wozu es bisher nicht gekommen ist. Ferner kämpfen alle unabhängigen Zeitungen mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die v.a. mit dem generellen Rückgang an Lesern von Printmedien zusammenhängen, aber auch mit der Subventionierung staatlicher Medien. Zudem werden regelmäßig Journalisten aufgrund von Zusammenarbeit mit in Belarus nicht akkreditierten Medien wie BelSAT zu Geldstrafen verurteilt. Im Internet finden sich unabhängige und dezidiert regimekritische Webportale, auf die man frei zugreifen kann. Im August 2018 wurden die großen unabhängigen Internetportale tut.by und die Nachrichtenagentur BelaPAN, aber auch realty.by, ITV, Belorussy i Rynok, Culture and Art, mit Durchsuchung ihrer Redaktionsräume, Beschlagnahmung von technischer Ausstattung, Verhören von Journalisten und unverhältnismäßigen mehrtägigen Arresten von Journalisten eingeschüchtert (AA 5.7.2019). Es gibt nur wenige unabhängige Medien und viele sind gezwungen, sich im Ausland niederzulassen. Die Behörden schikanieren sie jedoch weiterhin, insbesondere das in Polen ansässige Belsat TV, wenn auch weniger als in der Vergangenheit. Die Zahl der Geldstrafen, denen sie oder ihre Reporter unterworfen wurden, ist 2019 gesunken. Publikationen, die zuvor verschont blieben, wie Tut.by und die Nachrichtenagentur BelaPAN, werden nun von den Behörden ins Visier genommen. Diejenigen, die toleriert werden, kämpfen ums Überleben, weil ihnen sowohl staatliche Subventionen als auch Werbung verweigert werden (RoG 2020). Diejenigen internationalen Medien, die weiterhin im Land tätig sind, sind mit Einmischung und Zensur konfrontiert (USDOS 11.3.2020).

Die Behörden schikanieren und verhaften weiterhin regelmäßig einheimische und ausländische Journalisten (USDOS 11.3.2020). Kritische Journalisten und Blogger werden bedroht und verhaftet (RoG 2020). Die meisten unabhängigen Journalisten arbeiten unter der Annahme, dass sie vom Komitee für Staatssicherheit (KGB) überwacht werden. Journalisten werden für ihre Arbeit auch mit Geldstrafen, Haft und strafrechtlicher Verfolgung belegt. Der Belarussische Journalistenverband zählte 44 Geldstrafen, die im Jahr 2019 gegen freiberufliche Journalisten verhängt wurden (FH 4.3.2020). Das Mediengesetz schreibt vor, dass Journalisten, die für außerhalb von Belarus registrierte Medienunternehmen arbeiten, sich beim Außenministerium akkreditieren lassen und einen offiziellen Arbeitsvertrag mit dem akkreditierten ausländischen Medienunternehmen haben müssen. Für Freiberufler ist eine Akkreditierung praktisch unmöglich. Die Behörden verweigern Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten, oft willkürlich die Akkreditierung (HRW 14.1.2020). Die Behörden verhängten im Jahr 2019 weiterhin hohe Geldstrafen gegen freiberufliche Journalisten, die mit internationalen Medien zusammenarbeiten (AI 16.4.2020). Die Behörden blockierten für Medien regelmäßig den Zugang zu offiziellen Veranstaltungen (HRW 14.1.2020). Sicherheitskräfte behinderten z.B. kontinuierlich die Bemühungen unabhängiger Journalisten, über Demonstrationen und Proteste zu berichten (USDOS 11.3.2020).

Der einzige Internet-Provider ist im Besitz der Regierung; die Regierung kontrolliert das Internet mit rechtlichen und technischen Mitteln. Die offizielle Definition der Massenmedien umfasst auch Websites und Blogs und unterstellt sie der Aufsicht des Informationsministeriums (FH 4.3.2020). Seit dem 1.1.2019 gilt ein neues Mediengesetz, das Internetressourcen grundsätzlich den Druckerzeugnissen gleichstellt. Hauptkonsequenz ist, dass nun auch Internetseiten geschlossen und blockiert werden können. Die Voraussetzungen für eine Verwarnung sind im Mediengesetz sehr vage formuliert – verboten ist beispielsweise die „Verbreitung von Informationen, die den nationalen Interessen der Republik Belarus schaden können“ (AA 5.7.2019). Die Behörden überwachen den Internetverkehr, z.B. von Oppositionsaktivisten. Zwar sind Einzelpersonen, Gruppen und Publikationen im Allgemeinen in der Lage, sich über das Internet, einschließlich per E-Mail, an der Meinungsäußerung zu beteiligen; alle, die dies tun, riskieren mögliche rechtliche und persönliche Auswirkungen (USDOS 11.3.2020).
10.         Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

10.1.   Versammlungsfreiheit

Die Verfassung und das Gesetz über die Durchführung von Großveranstaltungen garantieren das Recht, sich im öffentlichen Raum zu versammeln. De jure und de facto wird dieses Recht aber durch staatliche Behörden und Anordnungen vielfach eingeschränkt (AA 5.7.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 16.4.2020, FH 4.3.2020).

Alle Versammlungen erfordern eine vorherige Ankündigung und die ausdrückliche Genehmigung der Behörden (AI 16.4.2020). Oft wird diese willkürlich verweigert (FH 4.3.2020). Die Behörden setzten eine Vielzahl von Mitteln ein, um die Organisatoren von Demonstrationen zu entmutigen, deren Wirkung zu minimieren und die Teilnehmer zu bestrafen. Nur registrierte politische Parteien, Gewerkschaften und NGOs können eine Demonstration von mehr als 1.000 Personen beantragen. Die Behörden lehnen in der Regel Anträge von unabhängigen und oppositionellen Gruppen ab. Das Gesetz bestraft die Teilnahme an nicht genehmigten Versammlungen. Die Behörden setzen oft Einschüchterungen ein, um Personen von der Teilnahme an Demonstrationen abzuhalten, und verhängten hohe Geldstrafen oder Gefängnisstrafen gegen Teilnehmer an nicht genehmigten Veranstaltungen (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).

Im Januar 2019 traten Änderungen des Gesetzes über Massenveranstaltungen in Kraft, mit denen ein Anmeldeverfahren für die Organisation öffentlicher Versammlungen eingeführt wurde (HRW 14.1.2020). Demonstrationen auf zentralen Plätzen in Stadtzentren sind untersagt (AA 5.7.2019). Das Anmeldeverfahren wurde auf bestimmte, zuvor vorab genehmigte Gebiete ausgedehnt (typischerweise an abgelegenen Orten) (AI 16.4.2020), Anträge der Opposition für Demonstrationen außerhalb von Stadtzentren werden zum Teil genehmigt – bei politisch heiklen Anlässen kann es aber zu Verboten kommen (AA 5.7.2019). Hohe Gebühren, welche die Veranstalter von Kundgebungen für den obligatorischen Einsatz von Polizei, Sanitätern und Stadtreinigung seit 26.1.2019 zahlen müssen, sollen nicht-staatliche Kundgebungen generell erschweren (AA 5.7.2019; vgl. AI 16.4.2020). Genehmigte Demonstrationen werden beobachtet und auch gefilmt (AA 5.7.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Anfang 2012 wurde per Gesetzesänderung eigens festgelegt, dass auch Menschenansammlungen ohne Losungen und Redner (im Sommer 2011 hatten Schweigedemonstrationen stattgefunden) genehmigungspflichtig sind (AA 5.7.2019).

Teilnehmer an nicht genehmigten Demonstrationen, Kranzniederlegungen oder Unterschriftenaktionen werden zu Geldstrafen, in wiederholten Fällen zu administrativen Arreststrafen (5 bis 15 Tage) verurteilt. Auch im Falle genehmigter Demonstrationen kann es zu präventiven vorübergehenden Festnahmen von exponierten oppositionellen Aktivisten oder zu willkürlichen Verhaftungen mit anschließenden kurzen Haftstrafen kommen (AA 5.7.2019).

Im Vorfeld der Parlamentswahlen im November 2019 wurden Dutzende Menschen, darunter auch Wahlkandidaten, wegen ihrer friedlichen Teilnahme an nicht genehmigten Protesten während des Parlamentswahlkampfes (AI 16.4.2020), sowie im Dezember 2019 wegen Protesten gegen eine mögliche Vertiefung der Integration mit Russland verurteilt oder mit Verwaltungsvorwürfen nach Artikel 23.34 belegt (AI 16.4.2020; vgl. FH 4.3.2020). Eine nicht genehmigte Kundgebung der Opposition im März 2019 in Minsk wurde von den Behörden aufgelöst; 15 Personen wurden sofort festgenommen, zwei wurden über Nacht festgehalten. Die Regierung nutzte 2019 auch ihre Kontrolle über das Internet, um Proteste zu verhindern. Im Mai 2019 unterzeichnete Präsident Lukaschenko ein Dekret, das Webseiten, die zu "unautorisierten Protesten" aufrufen, verbietet. Dies geschah im Vorfeld der European Games, die im Juni 2019 in Weißrussland ausgetragen wurden (FH 4.3.2020). Im Juni 2020 wurden im Vorfeld der kommenden Präsidentschaftswahlen Demonstranten, Oppositionelle und Journalisten festgenommen (BBC 20.6.2020).

10.2.   Vereinigungsfreiheit

Das Gesetz sieht zwar Vereinigungsfreiheit vor, die Regierung schränkt diese jedoch ein. Die Regierung schränkt durch Gesetze und Bestimmungen selektiv die Tätigkeit unabhängiger Vereinigungen ein, die sie kritisieren könnten. Alle NGOs, politischen Parteien und Gewerkschaften müssen die Genehmigung des Justizministeriums erhalten, um registriert zu werden. Eine Regierungskommission prüft und genehmigt alle Registrierungsanträge; sie stützt ihre Entscheidungen weitgehend auf die politische und ideologische Vereinbarkeit mit den offiziellen Ansichten und Praktiken (USDOS 11.3.2020). Die Behörden verweigern unabhängigen Gruppen und Oppositionsparteien unter willkürlichen Vorwänden weiterhin die Registrierung (HRW 14.1.2020; vgl. FH 4.3.2020), und die Vorschriften verbieten ausländische Hilfe für Einrichtungen und Einzelpersonen, von denen angenommen wird, dass sie die Einmischung von Ausländern in innere Angelegenheiten fördern (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Beteiligung an nicht registrierten oder aufgelösten Organisationen, die 2005 kriminalisiert worden war, steht seit 2018 nicht mehr unter Strafe. Stattdessen wurden im Strafgesetzbuch hohe Geldstrafen eingeführt (FH 4.3.2020). Der aufgehobene Artikel 193.1 des Strafgesetzbuches wurde durch Artikel 23.88 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ersetzt, der der Polizei die Befugnis gibt, "Straftäter" ohne gerichtliche Überprüfung mit einer Geldstrafe von bis zu ungefähr 1.275 weißrussischen Rubeln (615 US-Dollar) zu belegen (AI 16.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Zuvor konnten hohe Geldstrafen sowie Haftstrafen von bis zu zwei Jahren verhängt werden (USDOS 11.3.2020).

Gesetze und Vorschriften für öffentliche Vereinigungen bleiben restriktiv und hindern Menschenrechtsgruppen oder politische Oppositionsbewegungen daran, frei zu agieren (HRW 14.1.2020). Die Behörden schikanieren zum Beispiel weiterhin die unabhängige und nicht registrierte Union der Polen von Belarus und ihre Mitglieder und unterstützen gleichzeitig eine regierungsnahe Organisation mit ähnlichem Namen (USDOS 11.3.2020). Die Behörden können eine NGO schließen, nachdem sie nur eine einzige Verwarnung wegen Gesetzesverstößen ausgesprochen haben. Die häufigsten Vorwände für eine Verwarnung oder Schließung, sind das Versäumnis, eine offizielle Adresse vorzuweisen und technische Unstimmigkeiten in den Antragsunterlagen. Die Regierung verweigert einigen NGOs und politischen Parteien unter verschiedenen Vorwänden weiterhin die Registrierung (USDOS 11.3.2020) bzw. registriert NGOs aus willkürlichen Gründen nicht (AI 16.4.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Unabhängige Gewerkschaften sind Schikanen ausgesetzt, ihre Vorsitzenden werden wegen der Beteiligung an friedlichen Protesten häufig entlassen und strafrechtlich verfolgt. Seit 1999, als Präsident Lukaschenko per Erlass äußerst restriktive Zulassungsbedingungen festlegte, wurden keine unabhängigen Gewerkschaften mehr registriert (FH 4.3.2020).
11.         Haftbedingungen

Laut des deutschen Auswärtigen Amtes entsprechen die Haftbedingungen teilweise dem auf europäischer Ebene verankerten Mindeststandard, teilweise bestehen erhebliche Defizite. Nach Angaben des weißrussischen Innenministeriums befanden sich zum 1.1.2019 ca. 32.600 Personen in Strafvollzugsanstalten (Rückgang um 5% im Vergleich zum Vorjahr), davon ca. 5.400 Personen in Untersuchungshaft. Maximal dürfen Personen 1,5 Jahre in einem Untersuchungsgefängnis untergebracht sein. Die Zeit in Untersuchungshaft wird auf eine Haftstrafe angerechnet. Bei Freispruch wird auf Antrag eine geringe Entschädigung pro Tag gezahlt. Die Zellenbelegung ist in einzelnen Haftanstalten unterschiedlich. In Untersuchungshaft werden zwei bis ca. 20 Personen pro Raum untergebracht. Im Strafvollzug (v. a. in den Haftanstalten mit verpflichtender Arbeit) gibt es Schlafsäle mit einer Belegung von 60, 80 oder 100 Häftlingen. Es gibt Betten mit Matratze, Kissen und Decke. Es gibt einmal pro Woche eine Möglichkeit zum Duschen (warmes Wasser vorhanden). In Räumen, in denen keine Toilette vorhanden ist, werden Insassen zweimal am Tag zur Toilette geführt; in der Zwischenzeit steht lediglich ein Eimer im Raum zur Verfügung. Einige Räume sind mit Toilette ohne Sichtschutz ausgestattet. Es gibt eine Stunde pro Tag Ausgangsmöglichkeit in einem ummauerten Bereich unter freiem Himmel. Raucher und Nichtraucher werden zusammen untergebracht. Die Ernährung ist einfach. Oft fehlt es an vitaminreicher Kost. Zukäufe durch die Inhaftierten oder eine Versorgung durch Angehörige ist grundsätzlich möglich. Dies hängt jedoch davon ab, in welchem Regime der Haftbedingungen sich der jeweilige Inhaftierte befindet. Einige Gefangene müssen ihre Haft, in der Regel nach Verstößen gegen die Gefängnisordnung, teilweise in Isolation verbringen. Der Kontakt zu Anwälten und Familienangehörigen kann während der Untersuchungshaft und Haft eingeschränkt oder zeitweilig verwehrt werden. Obwohl in den letzten Jahren Anstrengungen zur Verbesserung der Gesundheitsfürsorge unternommen wurden, ist in der Regel nur eine medizinische Grundversorgung gewährleistet. Das Krankenhaus für Strafvollzugsanstalten wurde vor einigen Jahren geschlossen; die einzelnen Abteilungen des Krankenhauses sind seitdem auf Haftanstalten in ganz Belarus verteilt worden. Bei Bedarf wird auf zivile Krankenhäuser ausgewichen bzw. werden zivile Ärzte hinzugeholt. Die Behandlungen sind für weißrussische Staatsangehörige kostenlos; Ausländer dagegen müssen, falls sie nicht im Besitz einer für Belarus gültigen Krankenversicherung sind, die Kosten selbst tragen. Bei der Prävention und Bekämpfung von Tuberkulosefällen konnte in den Haftanstalten eine nachweisliche Verbesserung der vorher teilweise dramatischen Situation erreicht werden. Dabei kamen auch Mittel von UNDP zum Einsatz. Es gibt eine Haftanstalt eigens für offene Tuberkulosefälle (AA 5.7.2019).

Die Bedingungen in den weißrussischen Gefängnissen sind mangelhaft und stellen in vielen Fällen eine Bedrohung für Leben und Gesundheit dar. Laut lokalen Aktivisten und Menschenrechtsanwälten herrscht Mangel an Nahrungsmitteln, Medikamenten, warmer Kleidung und Bettwäsche sowie unzureichender Zugang zu medizinischer Grund- und Notfallversorgung sowie sauberem Trinkwasser. Die allgemeine Hygienebedingungen sind schlecht. Die Gefangenen klagen häufig über Unterernährung und minderwertige Bekleidung und Bettwäsche. Die Überbelegung der Untersuchungshaftanstalten und der Gefängnisse allgemein ist ein Problem, obwohl das Amnestiegesetz vom 20. Juli 2019 die Haftstrafen von mindestens 2.000 Gefangenen verkürzte und sie frei ließ. Beobachter vermuten, dass Tuberkulose, Lungenentzündung, HIV/AIDS und andere übertragbare Krankheiten in Gefängnissen aufgrund der allgemein schlechten medizinischen Versorgung weit verbreitet sind (USDOS 11.3.2020).

Trotz vereinzelter Berichte, wonach die Polizei minderjährige Verdächtige gemeinsam mit erwachsenen Verdächtigen und Verurteilten unterbringt, halten die Behörden jugendliche Gefangene in der Regel getrennt von Erwachsenen in jugendlichen Strafkolonien, Haftanstalten und Untersuchungshaftanstalten fest. Generell sind die Bedingungen für weibliche und jugendliche Häftlinge etwas besser als für männliche Häftlinge (USDOS 11.3.2020). Im Jahr 2019 tauchten jedoch glaubwürdige Beweise auf, dass Hunderte von Minderjährigen lange Gefängnisstrafen für kleinere, gewaltlose Drogendelikte verbüßen. Außerdem wurde über harte Bedingungen und diskriminierende Behandlung in Gefängnissen für Minderjährige, die wegen Drogendelikten verurteilt wurden, berichtet (AI 16.4.2020).

Häftlingen wird nur begrenzt Besuch gewährt und die Verweigerung von Treffen mit der Familie ist eine übliche Strafe für Disziplinarverstöße. Es gibt Berichte, dass Häftlinge in ihrer Religionsausübung beschränkt werden. Ehemalige Häftlinge berichten, dass Gefängnisbeamte ihre Beschwerden häufig zensieren oder nicht weiterleiten und dass die Gefängnisverwalter Anträge auf Untersuchung angeblicher Missbräuche entweder ignorieren oder selektiv berücksichtigen. Beschwerden können zu Vergeltungsmaßnahmen führen, darunter Erniedrigung, Todesdrohungen oder andere Formen der Bestrafung und Belästigung. Korruption in Gefängnissen ist ein ernstes Problem und Beobachter stellen fest, dass Bewährung oft von Bestechungsgeldern für Gefängnispersonal oder von der politischen Zugehörigkeit eines Häftlings abhängt. Trotz zahlreicher Anfragen an Innen- und Justizministerium weigern sich Regierungsbeamte, sich mit Menschenrechtsvertretern zu treffen oder Anträge von NGOs zu genehmigen, damit diese die Hafteinrichtungen besuchen und mit den Insassen sprechen können (USDOS 11.3.2020).
12.         Todesstrafe

Belarus ist der einzige europäische Staat, in dem die Todesstrafe nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt wird. 2018 wurden zwei Todesurteile verhängt und vier vollstreckt (AA 5.7.2019). 2019 wurden zumindest drei Todesurteile vollstreckt, zwei weitere verhängt (AI 16.4.2020). Belarus verhängt die Todesstrafe für eine lange Liste von Straftaten: zwölf in Friedenszeiten und zwei in Kriegszeiten (AI 29.4.2020), darunter Terrorismus (Art. 289), Hochverrat (Art. 356), Sabotagehandlungen gegen den Staat (Art. 360) und Mord (Art. 139) (AA 5.7.2019). In den letzten Jahren wurden Todesurteile nur wegen Mordes ausgesprochen. In allen Fällen ist die Todesstrafe fakultativ, d.h. sie steht im Belieben des Gerichts. In Belarus werden praktisch alle Todesurteile wegen „vorsätzlichen Mordes unter erschwerenden Umständen“ verhängt. Die Todesstrafe ist als Alternative zu lebenslänglicher oder langjähriger (15-25 Jahre) Haft vorgesehen (AI 29.4.2020). Art. 59 des Strafgesetzbuchs nimmt Minderjährige, die zum Zeitpunkt des Verbrechens das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Frauen jeglichen Alters sowie Männer, die zum Zeitpunkt der Urteilsverhängung das 65. Lebensjahr vollendet haben, von der Todesstrafe aus (AA 5.7.2019).

In Weißrussland gelten Daten über den Einsatz der Todesstrafe als Staatsgeheimnis (AI 2020). Nach Schätzungen von Amnesty International wurden seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion (1991) rund 400 Menschen hingerichtet. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der vollstreckten Urteile allerdings stark zurückgegangen (DW 11.4.2017). Die Todesstrafe wird im Beisein eines Staatsanwaltes und eines Arztes durch einen Schuss in den Nacken vollstreckt. Ange

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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