TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/25 W144 2191278-4

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Veröffentlicht am 25.05.2021
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Entscheidungsdatum

25.05.2021

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W144 2191278-4/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.03.2021, Zl. XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

a) Zum Vorverfahren:

1.1 Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 29.9.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der BF trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er verfügt in dieser Sprache nur über rudimentäre Lese- und Schreibkenntnisse. Weiter spricht der BF Paschtu und Deutsch auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

1.2 Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.9.2015 wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Der BF sei am XXXX in Afghanistan geboren, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und Moslem. Seine Eltern und seine Schwestern seien nach wie vor in seinem Heimatland in der Provinz Kapisa aufhältig. Sein älterer Bruder lebe seit zwei Jahren in Österreich als Asylwerber. Als Beweggrund für seine Ausreise gab der BF an, die Taliban hätten ihn holen und in das Kriegsgebiet schicken wollen. Der BF habe jedoch nicht mit den Taliban kämpfen wollen. Zudem habe er Angst vor dem IS. Einmal sei der BF auch von seinem Onkel geschlagen und am Kopf verletzt worden. Dieser Onkel habe ihn auch einmal mitnehmen wollen, wohin könne der BF jedoch nicht sagen. Ein anderer Onkel habe dem BF geholfen, aus Afghanistan zu fliehen. Der BF habe Angst vor seinem Onkel väterlicherseits.

1.3 Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des BF ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) ein Handwurzelröntgen zur Bestimmung des Knochenalters an, dem sich der BF am 29.10.2015 unterzog. Dieses Röntgen ergab, dass beim BF sowohl am distalen Radius als auch an der distalen Ulna eine zarte Epiphysenfuge (Wachstumsfuge) erkennbar ist – ein Beleg für seine Volljährigkeit war offenkundig nicht gegeben.

1.4 Am 6.7.2017 langte eine Verständigung von einer Amtshandlung gegen einen Fremden der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 5.7.2017 bei dem BFA ein. Dieser Meldung ist zu entnehmen, dass der BF am 5.7.2017 wegen des Verdachts auf Diebstahl nach § 127 StGB angezeigt wurde.

1.5 Am 12.12.2017 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen zusammengefasst an, er habe Probleme mit seinem Onkel väterlicherseits, einem Kommandanten der Taliban. Dieser habe vom BF und seinem älteren Bruder verlangt, mit ihm zusammenzuarbeiten. Der BF und seine Familie seien jedoch dagegen gewesen. Nach der Flucht seines älteren Bruders habe der Onkel väterlicherseits seine Bemühungen auf den BF konzentriert. Eines nachts sei der Onkel väterlicherseits mit bewaffneten Männern zu ihrem Haus gekommen, um den BF mitzunehmen. Er habe den BF sogar mit einer Waffe auf den Kopf geschlagen, wodurch er verletzt worden sei. Daraufhin habe sein Vater beschlossen, nach Pakistan zu flüchten. Der BF habe sich ungefähr eineinhalb Jahre mit seiner Familie in Pakistan aufgehalten. Aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage in Pakistan habe der Vater schließlich beschlossen, nach Afghanistan zurückzukehren. Der Onkel väterlicherseits habe von ihrer Rückkehr erfahren und die Familie in der Nacht mit bewaffneten Männern aufgesucht. Der Onkel väterlicherseits habe den BF mitnehmen wollen und mit seinen Eltern diskutiert. Die Mutter des BF habe den Onkel angefleht, den BF noch eine Nacht zu Hause zu lassen, damit sie noch Zeit mit ihm verbringen könne. Damit sei der Onkel väterlicherseits einverstanden gewesen. Er habe angekündigt, in der nächsten Nacht wiederzukommen, um den BF abzuholen. Solle er nicht da sein, werde er ihn finden und umbringen. Als der Onkel väterlicherseits gegangen war, habe der Vater des BF mit seinem Onkel mütterlicherseits Kontakt aufgenommen und ihn gebeten, den BF sofort aus dem Land zu bringen. Der BF habe Afghanistan schließlich verlassen.

Am 29.12.2017 langte eine Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung des BF zu den Länderberichten bei dem BFA ein.

1.6 Die Landespolizeidirektion Oberösterreich übermittelte dem BFA am 5.2.2018 einen Abschlussbericht betreffend den BF, aus dem ersichtlich ist, dass der BF verdächtigt wird, einen Ladendiebstahl in einem Bekleidungsgeschäft begangen zu haben.

1.7 Mit Bescheid des BFA vom 21.2.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruch-punkt VI. gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.8 Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 20.3.2018 fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung.

1.9 Am 12.7.2018 langte eine Berichterstattung der Landespolizeidirektion Oberösterreich, Stadtpolizeikommando XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dieser ist zu entnehmen, dass der BF des Widerstandes gegen die Staatsgewalt am XXXX beschuldigt wird. Weiter wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Strafverfügung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 2.5.2018, XXXX , übermittelt, mit welcher über den BF wegen einer am XXXX begangenen Verwaltungsstraftat gemäß § 81 Abs 1 SPG eine Geldstrafe von € 150 (Ersatzfreiheitsstrafe vier Tage, vier Stunden) verhängt wurde.

1.10 Das BFA teilte dem BF mit Verfahrensanordnung vom 19.9.2018 den Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet wegen Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, mit.

1.11 Das BFA übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am 21.3.2019 den Protokollsvermerk und die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichtes XXXX vom 5.3.2019, XXXX . Diesem ist zu entnehmen, dass der BF am 5.3.2019 wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 3. Fall StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt wurde. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Hingegen wurde er von der Anklage, er habe Körperverletzungen an Beamten während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten begangen und hierdurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

1.12 Mit Bescheid des BFA vom 5.8.2019, XXXX , sprach diese aus, der BF habe gemäß § 13 Abs 2 Z 1 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 7.3.2018 verloren. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.9.2019, W187 2191278-3/2E, mit der Maßgabe, dass der BF sein Recht zum Aufenthalt ab dem 5.3.2019 verloren hat, rechtskräftig abgewiesen.

1.13 Am 3.3.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Konvolut polizeilicher Unterlagen der Landespolizeidirektion Oberösterreich, Stadtpolizeikommando XXXX , ein. Diesen Unterlagen ist zu entnehmen, dass der BF gemeinsam mit Mittätern des Raufhandels und der Körperverletzung am XXXX beschuldigt wird.

1.14 Am 11.3.2020 langte die Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 5.3.2020 ein, wonach gegen den BF wegen § 91 StGB und § 83 StGB Anklage erhoben wurde.

1.15 Am 24.8.2020 langte das Hauptverhandlungsprotokoll vom 10.7.2020 des Bezirksgerichtes XXXX , XXXX , beim Bundeverwaltungsgericht ein. Diesem ist zu entnehmen, dass das Strafverfahren gegen den BF wegen des Vorwurfs des Raufhandels nach § 91 Abs 2 StGB gemäß § 199 StPO iVm § 204 Abs 1 StPO rechtskräftig eingestellt wurde.

1.16 Nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.8.2020, im Zuge derer der BF zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 5.10.2020 die Beschwerde gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet ab, da eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen vom BF nicht glaubhaft dargelegt wurde und der BF zudem auf eine innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden kann. Weiters konnte das Gericht keine begründeten Anhaltspunkte dafür feststellen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde.

Die Rückkehrentscheidung begründete das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise wie folgt:

„Der Bruder des Beschwerdeführers ist in Österreich asylberechtigt und lebt in XXXX . Der Beschwerdeführer trifft seinen Bruder ab und zu, eine besondere Intensität der Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Bruder oder ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis legte der Beschwerdeführer im Verfahren nicht dar. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist finanziell nicht auf die Unterstützung seines Bruders angewiesen. Es sind im Verfahren auch sonst keine besonderen Umstände hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer auf die Unterstützung bzw Hilfe seines Familienangehörigen in Österreich angewiesen wäre. Die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Bruder geht insgesamt nicht über die üblichen Bindungen zwischen erwachsenen Brüdern hinaus. Der Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seinem volljährigen Bruder kann im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auch über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden.

Auch sonst sind weder Hinweise für das Bestehen eines schützenswerten Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich, noch für eine sonstige ausreichend intensive Beziehung des Beschwerdeführers zu einer ihm in Österreich besonders nahestehenden Person hervorgekommen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich nach eigenen Angaben abgesehen von seinem Bruder weder Verwandte noch irgendwelche sonstigen privaten Bindungen.

(…)

Festzuhalten ist freilich, dass der Beschwerdeführer während seiner nunmehr fünfjährigen Aufenthaltsdauer im Inland auch Schritte gesetzt hat, die einen Bezug zur hier ansässigen Bevölkerung herstellen und für den Beschwerdeführer als persönliche Bindungsmerkmale unter dem Titel des Privatlebens veranschlagt werden können. Allerdings sind diese ihrer Art und Intensität nach eher schwach ausgeprägt. Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner geregelten Arbeit nach, bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er besuchte seit seiner Einreise mehrere Basisbildungs-, Deutsch- und Integrationskurse und legte eine Prüfung auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab. Weiter besuchte er die Schule, nahm am Jugendcoaching der Jugend am Werk GmbH teil und war im November 2018 kurzzeitig gemeinnützig als freiwilliger Mitarbeiter im Küchendienst der Seniorenzentren XXXX GmbH tätig. Eine Zeit lang war der Beschwerdeführer Mitglied im Fußballverein XXXX , wo er regelmäßig trainierte. Derzeit ist der Beschwerdeführer kein Mitglied in einem Verein. In seiner Freizeit besucht der Beschwerdeführer ein Fitnessstudio und treibt Sport. Zwar hat der Beschwerdeführer in Österreich soziale Kontakte geknüpft, er legte jedoch nicht dar, sich mit diesen regelmäßig zu treffen. Intensivere oder in ihrer Zahl bedeutendere Bindungen zu dauerhaft in Österreich lebenden Personen hat der Beschwerdeführer nicht dargetan.

Deutlich und ausschlaggebend ins Gewicht fällt vor allem aber, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes straffällig geworden ist (§ 9 Abs 2 Z 6 BFA-VG). Wie in den Feststellungen näher ausgeführt wird, hat der Beschwerdeführer mit Gewalt zwei Polizeibeamte an einer Amtshandlung zu hindern versucht, indem er lautstark herumschrie, mit den Händen gegen die Beamten schlug und mit den Füßen zutrat. Der Beschwerdeführer wurde daher am 5.3.2019 rechtskräftig wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 dritter Fall StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Gemäß § 43 Abs 1 StGB wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Der Beschwerdeführer hat durch seine Straftaten ausgedrückt, dass er die österreichische Rechtsordnung nicht einhält und anerkennt. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird die für die Integration wesentliche soziale Komponente durch vom Fremden begangene Straftaten erheblich beeinträchtigt (VwGH 19.11.2003, 2002/21/0181 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukomme (vgl VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0191 mwN.). (…) Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zunehmen. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl VwGH 8.11.2018, Ra 2016/22/0120).

Es wird in diesem Zusammenhang zwar nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer, im Hinblick auf seine Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, Integrationsschritte gesetzt hat. Allerdings besteht insgesamt keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, dass von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden kann und ihm allein deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste (vgl VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0191). Letztlich versuchte der Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl dazu VwGH 21.2.2013, 2011/23/0617). Auch die ehrenamtliche Tätigkeit des Beschwerdeführers vermag daran nichts zu ändern. Es liegt daher in diesen Punkten keine entscheidungswesentliche Integration des Beschwerdeführers vor. In diesem Zusammenhang ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die Umstände, dass ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl VwGH 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.2.2010, 2010/18/0029). (…)

Das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet ist zudem dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste. Der Beschwerdeführer durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, welcher zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Fall Nnyanzi, Appl 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

Zwar hat dies nicht zur Konsequenz, dass der während des unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen sei (vgl VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0325), im Ergebnis weist der Beschwerdeführer jedoch nur ein typisches Privatleben auf. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass der Beschwerdeführer Bemühungen bei der Erlangung von Deutschkenntnissen und seiner Integration zeigte. Er ist jedoch nicht selbsterhaltungsfähig und hat durch seine strafrechtliche Verurteilung zum Ausdruck gebracht, die österreichische Werteordnung nicht anzuerkennen. Im Hinblick auf die Zeitspanne, seit der sich der Beschwerdeführer in Österreich aufhält (September 2015), kann daher selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale eine von Art 8 EMRK geschützte „Aufenthaltsverfestigung“ noch nicht angenommen werden. (…)

Der Beschwerdeführer verfügt nicht zuletzt über starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat. Er wurde in Afghanistan geboren, ist dort aufgewachsen und hat sein gesamtes Leben – abgesehen von einem eineinhalb- bis zweijährigen Aufenthalt in Pakistan – bis zu seiner Ausreise im Sommer 2015 in Afghanistan verbracht. Zudem verfügt der Beschwerdeführer in Afghanistan über ein soziales Netzwerk in Form seiner Eltern, seiner Schwester und seiner beiden Onkel. Insbesondere zu seinen Eltern pflegt der Beschwerdeführer nach wie vor Kontakt. Weiter spricht er mit Dari und Paschtu zwei Landessprachen Afghanistans, eine davon muttersprachlich. Die Kenntnis einer Sprache des Herkunftsstaats ist – im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Integration in die dortigen Lebensverhältnisse – ein bedeutsamer Umstand (vgl EGMR 26.3.1993, Beldjoudi vs. France, Nr. 12083/86). Zudem erfuhr der Beschwerdeführer in Afghanistan seine Sozialisierung. Unter dem Blickwinkel der Bindung zum Heimatstaat ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes außerdem auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Bedacht zu nehmen (VwGH 27.11.2018, Ra 2018/14/0083 mwN). Dazu wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass für den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr mit einer solchen Möglichkeit zu rechnen ist. Insgesamt geht das Bundesverwaltungsgericht daher davon aus, dass eine ausgeprägte Bindung des Beschwerdeführers zum Heimatstaat besteht. Außerdem vermögen Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr – letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimat-landes – im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188). Insgesamt geht das Bundesverwaltungsgericht daher davon aus, dass eine stärkere Bindung des Beschwerdeführers zu Afghanistan als zu Österreich besteht. Zwar lebt der Bruder des Beschwerdeführers in Österreich und der Beschwerdeführer hat auch Sozialkontakte erworben; diese Sozialkontakte können jedoch auch auf brieflichem, telefonischem oder elektronischem Weg aufrechterhalten werden.

(…)

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG iVm Art 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.“

Diese Entscheidung erwuchs am 6.10.2020 in Rechtskraft.

b) Zum gegenständlichen Verfahren:

1.17 Am 17.12.2020 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Am 23.3.2021 wies das BFA diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 als unzulässig zurück. Dies mit der Begründung, dass seit dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Rückkehrentscheidung vom 06.10.2020 nur ein kurzer Zeitraum vergangen sei und seitdem kein maßgeblich geänderter Sachverhalt vorläge. Sämtliche vom BF bei der Antragstellung eingebrachten Integrationsunterlagen seien bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtigt worden bzw hätten darin berücksichtigt werden können. Daher erweise sich die im Erkenntnis vorgenommene Abwägung nach Art. 8 EMRK immer noch als zutreffend.

1.18 Dagegen richtet sich die gegenständliche Beschwerde des BF, worin im Wesentlichen die Verletzung von Verfahrensvorschriften und eine unrichtige rechtliche Beurteilung moniert wird. Die vom BF eingebrachten Dokumente und Unterlagen betreffend sein Privat- und Familienleben würden bei einem adäquaten Umgang der belangten Behörde mit diesen ein in wesentlichen Zügen „verändertes, in die Zukunft gerichtetes Privat- und Familienleben vermuten lassen“. Die belangte Behörde habe es unterlassen, mit den in den Unterlagen erwähnten Personen Kontakt aufzunehmen, sodass keine ausreichende Abwägung nach Art. 8 EMRK stattgefunden habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der oben dargelegte Verfahrensgang, insbesondere, dass gegen den BF, einen nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigten Drittstaatsangehörigen, mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2020 – in Bestätigung der diesbezüglichen Entscheidung des BFA vom 21.02.2018 – eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Der BF ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen.

Am 17.12.2020 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Der BF hat nicht dargetan, dass sich im Hinblick auf sein Privat- und Familienleben seit der Erlassung des oben angeführten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts eine maßgebliche Änderung ergeben hat. Seine familiäre und private Situation im Bundesgebiet sowie seine Bindungen zum Heimatland stellen sich im Wesentlichen als unverändert dar. Der BF verweist im gegenständlichen Verfahren nur auf bereits im Vorverfahren vorgelegten Integrationsunterlagen, insbesondere etwa eine zeitweise ehrenamtliche Tätigkeit und die Absolvierung von Deutschkursen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus der unbedenklichen Aktenlage.

Auch in der Beschwerde werden keine konkreten Umstände aufgezeigt, die einen mittlerweile maßgeblich veränderten Lebenssachverhalt darstellen. Vielmehr wird lediglich darauf Bezug genommen, dass das Vorbringen des BF ein zukünftiges geändertes Szenario „vermuten“ lasse.

3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A) Abweisung der Beschwerde

§ 58 Abs. 10 AsylG 2005 bestimmt:

„Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß §9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. […]“

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1803 BlgNR 24. GP 50) legen zur Bestimmung des § 58 Abs 10 AsylG Folgendes dar:

„Der neue (Abs. 10) entspricht im Wesentlichen § 44b NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011. Mit der Neuerrichtung des Bundesamtes und der damit einhergehenden Verfahrensvereinfachung und organisatorischen Umstrukturierung ist die Einbindung der zuständigen Sicherheitsdirektion entfallen. Die Beurteilung bzw. Prüfung erfolgt nun durch das Bundesamt. Dementsprechend sind Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Diese inhaltliche Neubewertung des Sachverhaltes hat sich lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels zu beziehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass – im Rahmen einer Neubewertung – wenn ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, ein Aufenthaltstitel zu erteilen sein wird.“

Die zur Vorgängerregelung des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 (also zu § 44b Abs. 1 NAG) ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auf die Auslegung des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zu übertragen (dazu VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). Nach dieser Rechtsprechung liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebieten würde. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Da der Zurückweisungsgrund gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 (vormals § 44b Abs. 1 Z 1 NAG) der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet ist, können die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhaltes als wesentlich anzusehen ist, auch für die Frage herangezogen werden, wann eine maßgebliche Sachverhaltsänderung iSd § 58 Abs. 10 AsylG 2005 vorliegt. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides (bezogen auf § 58 Abs. 10 AsylG 2005: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Für diese Prognose ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen (vgl. VwGH 09.09.2013, 2013/22/0161; 09.09.2013, 2013/22/0215, mwN).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom BFA unter dem Gesichtspunkt "entschiedene Sache" vorgenommenen Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist jener der Erlassung des behördlichen Bescheides (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183, wonach für diese Prüfung jene Umstände maßgeblich sind, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind). Es ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 58 Abs. 10 AsylG 2005, dass für das BFA maßgebliche Beurteilungsgrundlage nur das "Antragsvorbringen" ist und dass das VwG bloß die Richtigkeit der vom BFA - auf dieser Basis - ausgesprochenen Zurückweisung zu prüfen hat (vgl. VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0520; VwGH 29.5.2013, 2011/22/0102).

Zum vorliegenden Fall:

Vergleichsmaßstab bei § 58 Abs. 10 AsylG 2005 war der letzte materiell rechtliche Abspruch (VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0173), fallbezogen damit die Rückkehrentscheidung am 5.10.2020. Die außer der vergangenen Zeit, also der Aufenthaltsdauer, beachtlichen Integrationsmerkmale haben sich in dieser Kürze nicht (entscheidend) verstärkt, wobei bei Gewichtung der geringfügig längeren Aufenthaltsdauer auch zu berücksichtigen ist, dass sie auf der Missachtung der Ausreisepflicht beruhen. Auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wurde bereits vertreten, dass bei einer kurzen Zeitspanne von bis etwa zwei Jahren – sogar trotz verbesserter Sprachkenntnisse und Einstellungszusagen - eine maßgebliche Sachverhaltsänderung verneint werden kann (VwGH 27.1.2015, Ra 2014/22/0094; VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183).

Die belangte Behörde sah zudem die geltend gemachten Integrationsunterlagen bereits vom Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtigt (AS 483). Der BF fügte nämlich seinem Antrag nur Unterlagen bei, welche dieser bereits in seinem Vorverfahren vorgelegt hatte und vom Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 5.10.2020 ausreichend im Rahmen der Abwägung gemäß Art. 8 EMRK gewürdigt worden sind:

„Festzuhalten ist freilich, dass der Beschwerdeführer während seiner nunmehr fünfjährigen Aufenthaltsdauer im Inland auch Schritte gesetzt hat, die einen Bezug zur hier ansässigen Bevölkerung herstellen und für den Beschwerdeführer als persönliche Bindungsmerkmale unter dem Titel des Privatlebens veranschlagt werden können. Allerdings sind diese ihrer Art und Intensität nach eher schwach ausgeprägt. Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner geregelten Arbeit nach, bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er besuchte seit seiner Einreise mehrere Basisbildungs-, Deutsch- und Integrationskurse und legte eine Prüfung auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab. Weiter besuchte er die Schule, nahm am Jugendcoaching der Jugend am Werk GmbH teil und war im November 2018 kurzzeitig gemeinnützig als freiwilliger Mitarbeiter im Küchendienst der Seniorenzentren XXXX GmbH tätig. Eine Zeit lang war der Beschwerdeführer Mitglied im Fußballverein XXXX , wo er regelmäßig trainierte. Derzeit ist der Beschwerdeführer kein Mitglied in einem Verein. In seiner Freizeit besucht der Beschwerdeführer ein Fitnessstudio und treibt Sport. Zwar hat der Beschwerdeführer in Österreich soziale Kontakte geknüpft, er legte jedoch nicht dar, sich mit diesen regelmäßig zu treffen. Intensivere oder in ihrer Zahl bedeutendere Bindungen zu dauerhaft in Österreich lebenden Personen hat der Beschwerdeführer nicht dargetan.

Es wird in diesem Zusammenhang zwar nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer, im Hinblick auf seine Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, Integrationsschritte gesetzt hat. Allerdings besteht insgesamt keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, dass von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden kann und ihm allein deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste (vgl VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0191). Letztlich versuchte der Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl dazu VwGH 21.2.2013, 2011/23/0617). Auch die ehrenamtliche Tätigkeit des Beschwerdeführers vermag daran nichts zu ändern. Es liegt daher in diesen Punkten keine entscheidungswesentliche Integration des Beschwerdeführers vor. In diesem Zusammenhang ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die Umstände, dass ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl VwGH 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.2.2010, 2010/18/0029). Zuletzt hat der VwGH im Fall eines Revisionswerbers, welcher zuletzt berufstätig war, Deutschkennt-nisse auf dem Niveau B1 und eine fünfjährige Aufenthaltsdauer im Bundesstaat vorweisen konnte, sowie Mitglied beim Roten Kreuz ist, festgehalten, dass auch (ergänzende) Feststellungen zur Funktion als Dolmetscher für einen Verein keinen anderen (für den Revisionswerber positiven) Ausgang des Verfahrens begründen hätten können (vgl VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0062).“

Weder der Antragsbegründung des begehrten Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 noch in den Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz kann ein (maßgeblich) geänderter Sachverhalt entnommen werden, der eine neuerliche meritorische Prüfung des Antrages erforderlich gemacht hätte. Die Beschwerde brachte nämlich nicht keine neuen Sachverhaltselemente vor, sondern verwies bloß auf die bereits vorgelegten und vom Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts bereits berücksichtigten Integrationsunterlagen. Eine profunde Auseinandersetzung mit diesen, wie in der Beschwerde moniert, wurde bereits das Bundesverwaltungsgericht im vorhergehenden Beschwerdeverfahren vorgenommen. Die geltend gemachten Umstände wiesen daher von vorneherein keine solche Bedeutung auf, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK durch das BFA geboten hätten.

Da aufgrund der obigen Erwägungen nicht von einem geänderten Sachverhalt auszugehen ist, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, war die durch das BFA ausgesprochene Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nicht zu beanstanden. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

Wenn in der Beschwerdeschrift kritisiert wird, dass das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde mangelhaft sei, da das BFA gegen die Ermittlungspflicht verstoßen habe, ist wie folgt auszuführen: Der BF brachte bei seiner Antragstellung weder Neues vor, noch legte er seinem Antrag Unterlagen bei, die nicht bereits vom Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtigt worden waren. Auch war seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts am 5.10.2020 und der Antragstellung des BF am 17.12.2020 nur ein kurzer Zeitraum vergangen, sodass das BFA nicht dazu angehalten war, sich einen persönlichen Eindruck vom BF im Rahmen einer neuerlichen Befragung zu machen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt zu der durch das VwGVG neu geschaffenen Rechtslage ausgesprochen (vgl. VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002-0003; 26.02.2015, Ra 2014/22/0152- 0153; 23.06.2015, Ra 2015/22/0040; 16.09.2015, Ra 2015/22/0082-0083; 12.10.2015, Ra 2015/22/0115), dass - wenn die Behörde in erster Instanz den Antrag zurückgewiesen hat - das Verwaltungsgericht lediglich befugt ist, darüber zu entscheiden, ob die von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist, dies allein bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Aus diesem Grund war auf den in der Beschwerde gestellten Antrag des BF, das Bundesverwaltungsgericht möge „den angefochtenen […] Bescheid zur Gänze beheben und dem BF einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8 EMRK […] erteilen“ nicht einzugehen, weil ein solcher Ausspruch den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten würde.

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind im gegenständlichen Fall erfüllt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung entschiedene Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W144.2191278.4.00

Im RIS seit

18.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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