TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/28 W154 2223591-1

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Veröffentlicht am 28.06.2021
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Entscheidungsdatum

28.06.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwG-AufwErsV §1
VwGVG §35

Spruch


W154 2223591-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.8.2019, Zahl: 1229994603 - 190828515 / BMI-BFA_WIEN_RD, und die Anhaltung in Schubhaft vom 13.8.2019 bis zum 16.8.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 35 VwGVG iVm § 1 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.




Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gelangte legal mit einem gültigen Reisepass und einem Visum C in das Bundesgebiet. Nach Ablauf der zeitlichen Befristung seines Visums verblieb der Beschwerdeführer in Österreich.

2. Am 13.5.2019 wurde er durch Beamte der LPD-Wien wegen des dringenden Verdachts gemäß §§ 233 (1) Z 1, 233 (1) Z 2 StGB § 15 StGB festgenommen und in weiterer Folge in die Justizanstalt Wien-Josefstadt eingeliefert, anschließend wurde gegen den Beschwerdeführer am 16.5.2019 Untersuchungshaft verhängt.

3. Am 15.5.2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt oder belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer einen Festnahmeauftrag gem. § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG- unrechtmäßiger Aufenthalt. Demnach sei der Beschwerdeführer ab sofort nach Entlassung aus der Untersuchungshaft bzw. Strafhaft festzunehmen, da beabsichtigt sei, eine aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu erlassen und anschließend die Abschiebung in sein Heimatland durchzuführen.

4. Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 14.6.2019 wegen des Verbrechens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten Geldes gemäß § 233 Abs. 1 Z 2 iVm § 15 StGB und gemäß § 233 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, wobei acht Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Das Gericht wertete dabei das Geständnis, den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist sowie die teilweise Sicherstellung der falschen Banknoten als mildernd, als erschwerend jedoch das Zusammentreffen zweier Verbrechen (Zahl 43 Hv 50/19i).

5. Am 24.7.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt zwecks Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung und des Verfahrens bzw. der Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme (Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot) niederschriftlich einvernommen.

Dabei erklärte er im Wesentlichen, gesund zu sein. Eingereist wäre er deshalb, weil er als Tourist hier Zeit verbringen wollte. Genächtigt habe er in einem Hotel und einem Hostel, die Namen habe er vergessen.

Seine gesamte Familie befinde sich in der Russischen Föderation, seine Mutter, seine Frau und seine beiden Kinder. Im Bundesgebiet gebe es weder Angehörige noch enge Freunde.

Derzeit besitze der Beschwerdeführer € 1700, dieses Geld befinde sich bei den Effekten und er habe es mitgeführt gehabt. Es handle sich dabei um sein Erspartes. In der Russischen Föderation sei er als Vermögensverwalter tätig gewesen.

Im Bundesgebiet habe der Beschwerdeführer nie gearbeitet und sich auch vorher nie aufgehalten.

Er wolle selbstständig ausreisen und nie wieder nach Österreich kommen.

6. Das Bundesamt erteilte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 25.7.2019 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation fest, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise, erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab und erließ ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot (Zl. 1229994603-190493114).

Gegen die Verhängung des Einreiseverbots erhob der Beschwerdeführer in weiterer Folge Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

7. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen vom 12.8.2019, rechtskräftig am 14.8.2019, wurde der Rest der gegen den Beschwerdeführer verhängten Strafe von einen Monat bedingt nachgesehen und dessen bedingte Entlassung am 13.8.2019 bewilligt.

8. Am 13.8.2019 wurde der Beschwerdeführer in Verwaltungsverwahrungshaft überstellt und in weiterer Folge nochmals vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei ihm im Wesentlichen vorgehalten wurde, die bestehende Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot werde durch zwangsweise Außerlandesschaffung vollstreckt, wobei zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens der Abschiebung die Verhängung der Schubhaft vorgesehen sei. Der Beschwerdeführer nahm dies sowie die Aufklärung über das Rechtsmittel einer Schubhaftbeschwerde und die Möglichkeit einer Rückkehrhilfe zur Kenntnis. Er erklärte, in der Heimat keine politische oder strafrechtliche Verfolgung zu befürchten und keine Ausführung zu benötigen.

9. Mit dem gegenständlichen im Spruch genannten Mandatsbescheid des Bundesamtes wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer von einem österreichischen Gericht rechtskräftig verurteilt und sein Aufenthalt im Bundesgebiet nicht rechtmäßig sei. Er halte sich illegal in Österreich auf, sei massiv straffällig geworden, habe die österreichische Rechtsordnung missachtet, verfüge nicht über ausreichend Barmittel, um seinen Unterhalt zu finanzieren und gehe keiner legalen Beschäftigung nach. Zudem habe er im Bundesgebiet keinen festen Wohnsitz und sei in Österreich in keinster Weise integriert. Er sei hier weder beruflich noch sozial verankert.

10. Noch am 13.8.2019 wurde der Beschwerdeführer um 14:00 Uhr in Schubhaft genommen.

In weiterer Folge erließ die belangte Behörde einen Abschiebeauftrag Luftweg gegen den Beschwerdeführer.

Am 16.8.2019 wurde der Beschwerdeführer um 14:50 Uhr auf dem Luftweg in die Heimat abgeschoben.

11. Am 19.9.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht die gegenständliche Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG gegen den Bescheid vom 13.8.2019, mit dem über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet wurde, sowie gegen die Anordnung der Schubhaft und Anhaltung in Schubhaft vom 13.8.2019 bis zum 16.8.2019 ein.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 24.7.2019 angegeben habe, selbstständig ausreisen und am Verfahren mitwirken zu wollen.

Die gegenständliche Verhängung der Schubhaft müsse sich schon alleine deswegen als rechtswidrig erweisen, weil der Beschwerdeführer vor der Inschubhaftnahme nicht nur kurzfristig in Strafhaft angehalten worden sei. Von diesem Umstand sei die belangte Behörde rechtzeitig informiert worden. Trotzdem sei der Beschwerdeführer nicht direkt im Anschluss an seine Entlassung aus der Strafhaft abgeschoben, sondern über ihn die Schubhaft verhängt worden. Im gegenständlichen Bescheid finde sich dazu keinerlei Ausführung, warum die Abschiebung nicht bereits am 13.8.2019 veranlasst hätte werden können. Zudem hätte die belangte Behörde aufgrund der Anhaltung in der Strafhaft ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchführen müssen.

Beantragt wurde, das Bundesverwaltungsgericht möge

?        eine mündliche Verhandlung durchführen,

?        aussprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig gewesen sei,

?        der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen des Beschwerdeführers gemäß VwG-Aufwandsersatzverordnung sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen auferlegen.

12. Im Rahmen seiner Beschwerdevorlage nahm das Bundesamt am 21.9.2019 dazu im Wesentlichen dahingehend Stellung, dass der Beschwerdeführer am 24.7.2019 zur beabsichtigten Erlassung eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot sowie zur eventuell notwendigen Anordnung von Schubhaft niederschriftlich einvernommen worden sei. Es werde angemerkt, dass hinsichtlich des Abschiebetitels bereits eine Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig sei und die Behörde die Aktenteile zur Rückkehrentscheidung bereits am 13.8.2019 dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt habe. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde sei bis dato nicht zuerkannt worden. Die Anordnung von Schubhaft habe sich daher als im Grunde zulässig erwiesen.

Der Beschwerdeführer sei für die belangte Behörde überraschend am 13.8.2019 gemäß § 46 StGB aus gerichtlicher Anhaltung entlassen und der Regionaldirektion Wien vorgeführt worden.

Die Behörde sei davon ausgegangen, dass zum damaligen Zeitpunkt ein Sicherungsbedarf erheblichen Ausmaßes bestanden habe. Fluchtgefahr habe hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers bereits situativ bedingt bestanden, dieser sei niemals im Bundesgebiet ansässig gewesen, habe über keinerlei Ankerpunkte verfügt und sei zudem im Vorfeld massiv straffällig geworden, was noch weiter zu seinem Nachteil gewichtet worden sei, sodass die Behörde letztlich nach ihrem Dafürhalten zu Recht vom Vorliegen einer Ultima Ratio Situation ausgegangen sei.

Der Sicherungsbedarf habe in einem solchen Ausmaß bestanden, dass die Anwendung eines gelinderen Mittels mit Sicherheit nicht geeignet gewesen sei, um die Greifbarkeit des Beschwerdeführers verfahrensadäquat zu sichern. Zudem bestehe kein wie immer gearteter Rechtsanspruch auf eine freiwillige Ausreise aus der Strafhaft.

Da der Beschwerdeführer am 13.8.2019 um 8:00 Uhr festgenommen worden sei, die erstbeste Abschiebemöglichkeit jedoch erst am 16.8.2019 um 14:45 Uhr bestanden habe, sei eine Anhaltung über einen Zeitraum von 72 Stunden hinaus unumgänglich und die Freiheitsentziehung bescheidmäßig anzuordnen gewesen.

Beantragt wurde, das Bundesverwaltungsgericht möge

?        die Beschwerde als unbegründet abweisen,

?        aufgrund der Entscheidungsreife von der Vornahme einer mündlichen Verhandlung Abstand nehmen sowie

?        den Beschwerdeführer zum Ersatz des Vorlageaufwandes und Schriftsatzaufwandes der belangten Behörde verpflichten.

13. Mit Erkenntnis vom 1.2.2021, GZ W237 2222374-1/10E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Spruchpunkt IV. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 25.7.2019, Zl. 1229994603-190493114, gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 FPG als unbegründet ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Er ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Er gelangte legal mit einem gültigen Reisepass und einem Visum C in das Bundesgebiet. Nach Ablauf der zeitlichen Befristung seines Visums verblieb der Beschwerdeführer illegal in Österreich.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14.6.2019 wegen des Verbrechens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten Geldes gemäß § 233 Abs. 1 Z 2 iVm § 15 StGB und gemäß § 233 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei acht Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Das Bundesamt erteilte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 25.7.2019 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation fest, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise, erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab und erließ ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot (Zl. 1229994603-190493114). Gegen die Verhängung des Einreiseverbots erhob der Beschwerdeführer in weiterer Folge Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, welche mit Erkenntnis vom 1.2.2021, GZ W237 2222374-1/10E, abgewiesen wurde.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen vom 12.8.2019, rechtskräftig am 14.8.2019, wurde der Rest der gegen den Beschwerdeführer verhängten Strafe von einen Monat bedingt nachgesehen und dessen bedingte Entlassung am 13.8.2019 bewilligt.

Am 13.8.2019 wurde der Beschwerdeführer um 8:00 aus der Gerichtshaft in Verwaltungsverwahrungshaft überstellt und um 14:00 Uhr in Schubhaft genommen. In weiterer Folge erließ die belangte Behörde einen Abschiebeauftrag Luftweg gegen den Beschwerdeführer. Am 16.8.2019 wurde der Beschwerdeführer um 14:50 Uhr auf dem Luftweg in die Heimat abgeschoben.

Zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft und der Anhaltung bestand gegen den Beschwerdeführer eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung. Unter Berücksichtigung der Schwere seiner Straftaten überwog das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden.

Der Beschwerdeführer führte im Bundesgebiet kein Familienleben und hatte hier keine Angehörigen oder Bekannten, seine Familie befand sich in der Russischen Föderation. Auch pflegte er hier keine sozialen Kontakte und war nie aufrecht gemeldet bzw. hatte er keinen ordentlichen bzw. gesicherten Wohnsitz. Er ging im Bundesgebiet nie einer legalen Erwerbstätigkeit nach und nie in Österreich ansässig.

Der Beschwerdeführer war im Bundesgebiet weder familiär oder sozial noch wirtschaftlich verankert.

Insgesamt war – trotz der Behauptung des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Einvernahme am 24.7.2019, er wolle selbstständig ausreisen – angesichts des vom Beschwerdeführer gesetzten Verhaltes und seiner Delinquenz der Sicherungsbedarf gegeben und ging die Behörde zu Recht von der Gefahr des Untertauchens aus.

Der Beschwerdeführer war während seiner Anhaltung gesund und haftfähig.

2.       Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes, der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes, den Urteils- und Beschlussausfertigungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien, der Einsichtnahme in die Anhaltedatei- Vollzugsverwaltung sowie aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 24.7.2019.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit

Gemäß Artikel 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) idgF erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde;

4. gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 4.

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

§ 7 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr 87/2012 idgF, lautet:

(1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes,

2. Beschwerden gegen Bescheide der Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG,

3. Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG,

4. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes und

5. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres in Verfahren gemäß §§ 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 und 4 Abs. 1 Z 1 und 2

Gemäß § 7 Abs. 2 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision oder der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß Abs. 1 stattgegeben hat.

Für das gegenständliche Verfahren ist sohin das Bundesverwaltungsgericht zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

3.2. Zu Spruchpunkt I. (Schubhaftbescheid):

3.2.1. §22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

[…]“

§22a BFA-VG bildet sohin im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage.

3.2.2. Materielle Rechtsgrundlage:

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:


„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Hinsichtlich der Anwendung eines gelinderen Mittels ist § 77 FPG maßgeblich:

§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. […]

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

3.2.3. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“ (VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfestellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessne Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Dem Gesichtspunkt einer "sozialen Verankerung in Österreich" kommt im Zusammenhang mit der Verhängung der Schubhaft wesentliche Bedeutung zu. Dabei kommt es u.a. entscheidend auf das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit oder auf die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes an (VwGH vom 30. August 2011, 2008/21/0107). Je länger somit der Fremde bereits in Österreich ist und je stärker er hier sozial verwurzelt ist, desto stärker müssen auch die Hinweise und Indizien für eine vorliegende Fluchtgefahr sein. Dabei ist zu beachten, dass Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf (noch nicht lange aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein noch keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs sind (VwGH vom 28. Mai 2008, 2007/21/0233).

3.2.4. Der Beschwerdeführer verblieb nach Ablauf der zeitlichen Befristung seines Visums illegal in Österreich.

Er wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14.6.2019 wegen des Verbrechens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten Geldes gemäß § 233 Abs. 1 Z 2 iVm § 15 StGB und gemäß § 233 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei acht Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft und der Anhaltung bestand gegen den Beschwerdeführer eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung. Unter Berücksichtigung der Schwere seiner Straftaten überwog das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden.

Der Beschwerdeführer führte im Bundesgebiet kein Familienleben und hatte hier keine Angehörigen oder Bekannten, seine Familie befand sich in der Russischen Föderation. Auch pflegte er hier keine sozialen Kontakte und war nie aufrecht gemeldet bzw. hatte er keinen ordentlichen bzw. gesicherten Wohnsitz. Er ging im Bundesgebiet nie einer legalen Erwerbstätigkeit nach und nie in Österreich ansässig.

Der Beschwerdeführer war im Bundesgebiet weder familiär oder sozial noch wirtschaftlich verankert.

Insgesamt war – trotz der Behauptung des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Einvernahme am 24.7.2019, er wolle selbstständig ausreisen – angesichts des vom Beschwerdeführer gesetzten Verhaltes und seiner Delinquenz der Sicherungsbedarf gegeben und ging die Behörde zu Recht von der Gefahr des Untertauchens aus.

Insbesondere aber durch sein bisheriges oben erörtertes Verhalten, vor allem, dass der Beschwerdeführer massiv straffällig wurde, sich illegal im Bundesgebiet aufhielt und vor Verhängung der gegenständlichen Schubhaft keinerlei familiäre, soziale oder wirtschaftliche Verankerung und keinen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet hatte, kam insgesamt – auch trotz seiner Behauptung, er wäre ausreisewillig - aufgrund des Vorliegens von Fluchtgefahr zu keinem Zeitpunkt die Anwendung gelinderter Mittel in Frage und war die Schubhaft somit rechtmäßig.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde hätte bereits für den 13.8.2019 die Abschiebung organisieren können, ist festzuhalten, dass (erst) mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen vom 12.8.2019 – somit vom Vortag - der Rest der gegen den Beschwerdeführer verhängten Strafe von einen Monat bedingt nachgesehen und dessen bedingte Entlassung am 13.8.2019 bewilligt wurde. Am 13.8.2019 wurde der Beschwerdeführer bereits um 8:00 aus der Gerichtshaft in Verwaltungsverwahrungshaft überstellt und daraufhin um 14:00 Uhr in Schubhaft genommen.

Schon am 24.7.2019 war der Beschwerdeführer niederschriftlich einvernommen worden, eine ergänzende Einvernahme fand am 13.8.2019 statt, sodass der Behörde nicht vorgeworfen werden kann, sie hätte kein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt.

Am 16.8.2019 wurde der Beschwerdeführer um 14:50 Uhr auf dem Luftweg in die Heimat abgeschoben, sodass auch die Dauer der Schubhaft keinen Bedenken begegnet.

Der Beschwerdeführer war während seiner Anhaltung gesund und haftfähig.

3.3. Zu Spruchpunkt II. (Kostenbegehren):

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Gemäß Abs. 4 leg. cit. gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1:

1. die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,

2. die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie

3. die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat gemäß Abs. 5 leg. cit. den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.

Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Gemäß Abs. 7 leg. cit. ist Aufwandersatz auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

Die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes – B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge ist in § 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013, wie folgt festgesetzt:

1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 737,60 Euro

2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 922,00 Euro

3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 57,40 Euro

4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 368,80 Euro

5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 461,00 Euro

6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 553,20 Euro

7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 276,60 Euro.

Beide Parteien stellten einen Antrag auf Ersatz der Aufwendungen gemäß § 35 VwGVG. Da die Behörde obsiegte, war ihr der Kostenersatz zuzusprechen, der Antrag des Beschwerdeführers war dementsprechend abzuweisen.

3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie der oben dargelegten rechtlichen Beurteilung zu Spruchteil A zu entnehmen ist, warf die Tatsachenlastigkeit des gegenständlichen Falles keine Auslegungsprobleme der anzuwendenden Normen auf, schon gar nicht waren - vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Einreiseverbot Fluchtgefahr illegaler Aufenthalt Kostenersatz öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W154.2223591.1.00

Im RIS seit

18.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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