Entscheidungsdatum
09.07.2021Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
W154 2244034-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA.: Nigeria, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2021, Zl. 1273099005/210805874, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 16.06.2021 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft seit 16.06.2021 für rechtswidrig erklärt.
II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.
IV. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG idgF iVm VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters den Verfahrensaufwand in Höhe von 736,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) wurde am 06.01.2021 festgenommen und in Folge in die Justizanstalt Wien-Josefstadt eingeliefert. Gegen den BF wurde die Untersuchungshaft angeordnet.
2. Am 08.01.2021 wurde gegen den BF seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG erlassen.
3. Am 02.02.2021 wurde dem BF durch das BFA ein schriftliches Parteiengehör zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot und in eventu einer Erlassung eines ordentlichen Schubhaftbescheides übermittelt. Dieses Parteiengehör wurde durch den BF am 05.02.2021 übernommen. Der Beschwerdeführer kam der Möglichkeit der Erstattung einer Stellungnahme dazu nicht nach.
4. Am 16.06.2021 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten und einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt.
Nach der Gerichtsverhandlung wurde der BF aus der Gerichtshaft entlassen und mittels Festnahmeauftrages des BFA festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum Wien, Hernalser Gürtel überstellt.
5. Am 16.06.2021 um 18:40 Uhr wurde der BF seitens des BFA niederschriftlich einvernommen.
Die erkennungsdienstliche Behandlung ergab, dass der BF mit dem Geburtsdatum XXXX am 10.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Dieses Verfahren wurde mit 23.08.2017 eingestellt. Der BF hatte die Unterkunft der Betreuungseinrichtung ohne Angaben einer weiteren Anschrift verlassen, weshalb der BF von der Unterkunft abgemeldet wurde. Eine weitere Meldung des BF in Österreich schien nicht mehr auf, weshalb das Asylverfahren gemäß § 24 AsylG eingestellt wurde. Nach Ablauf von zwei Jahren ist eine Fortsetzung dieses Verfahrens nicht mehr zulässig.
6. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde dem BF persönlich am 16.06.2021 zugestellt.
7. Am 17.06.2021 wurde eine Rückkehrentscheidung iVm einem fünfjährigen Einreiseverbot erlassen. Gleichzeitig wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt. Diese Entscheidung wurde dem BF am 17.06.2021 um 13:00 Uhr persönlich zugestellt.
8. Am 02.07.2021 langte die Schubhaftbeschwerde des BF beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben und auszusprechen, dass die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in rechtswidriger Weise erfolgt sei und dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft nicht vorlägen, weiters wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen sowie ein Kostenantrag für den Ersatz der Barauslagen in der Höhe von 30.- € gestellt. Die Beschwerde wurde im Wesentlichen mit dem Nichtvorliegen von Fluchtgefahr sowie der nicht nachvollziehbaren Prüfung eines gelinderen Mittels begründet. Des Weiteren ging die Beschwerde davon aus, dass die Erlassung der Rückkehrentscheidung gegen § 52 Abs. 6 FPG verstoße und keine Auseinandersetzung mit dieser Frage im Schubhaftbescheid stattgefunden habe.
7. Auf Ersuchen der zuständigen Gerichtsabteilung wurden dem Bundesverwaltungsgericht in Folge vom BFA die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Stellungnahme erstattet. Darin wurde beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, gemäß § 22a BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen sowie den BF zum Ersatz der verzeichneten Kosten zu verpflichten. Dem BF wurde die Stellungnahme zum Parteiengehör übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist volljährig und nigerianischer Staatsangehöriger.
Der BF verfügt über einen nigerianischen Reisepass sowie über einen italienischen Aufenthaltstitel mit einer verlängerten Gültigkeit bis 31.07.2021.
Der BF wurde am 06.01.2021 wegen des Verdachtes des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften festgenommen und in weiterer Folge wurde über ihn die Untersuchungshaft angeordnet. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.06.2021, GZ: 164 Hv 20/21w, wurde der BF wegen § 27 Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten und einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer persönlich am 16.06.2021 zugestellt.
Am 17.06.2021 wurde eine Rückkehrentscheidung iVm einem fünfjährigen Einreiseverbot erlassen. Gleichzeitig wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt. Diese Entscheidung wurde dem BF am 17.06.2021 um 13:00 Uhr persönlich zugestellt. Die Entscheidung befindet sich gegenwärtig in der Rechtsmittelfrist.
Die belangte Behörde hat zur Außerlandesbringung des BF bislang lediglich unzureichende Schritte gesetzt.
2. Beweiswürdigung:
Dass der BF nigerianischer Staatsbürger und volljährig ist, ergibt sich aus dem Verfahrensakt.
Die Feststellung, dass der BF über einen nigerianischen Reisepass und einen italienischen Aufenthaltstitel verfügt, ergibt sich aus dem Verfahrensakt. Die Verlängerung der Gültigkeit des italienischen Aufenthaltstitels ergibt sich aus dem Verfahrensakt (siehe AS 38).
Die Feststellung betreffend die strafgerichtliche Verurteilung des BF ergibt sich aus einem rezenten Auszug aus dem Strafregister sowie der im Verwaltungsakt einliegenden gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien.
Die Feststellung betreffend die Schubhaftanordnung sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ergibt sich aus dem Verfahrensakt.
Dass das BFA lediglich unzureichende Schritte zur Außerlandesbringung des BF gesetzt hat, ergibt sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt. Wie aus dem Verfahrensakt und aus der Stellungnahme des BFA vom 05.07.2021 hervorgeht, befindet sich der BF seit 06.01.2021 durchgehend in gerichtlicher bzw. behördlicher Anhaltung. Die belangte Behörde hat in diesem Zeitraum dem BF lediglich am 05.02.2021 ein schriftliches Parteiengehör zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und „in eventu Erlassung eines ordentlichen Schubbescheides“ übersandt und dem BF die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt.
Weitere Schritte zur Außerlandesbringung des BF hat die belangte Behörde bis zur Inschubhaftnahme des BF am 16.06.2021 auch in Hinblick auf den nunmehr bis 31.07.2021 verlängerten italienischen Aufenthaltstitel des BF nicht erkennbar gesetzt, die belangte Behörde hat sich dazu in ihrer Stellungnahme auch nicht geäußert.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchpunkt A) I. – Schubhaftbescheid
3.1.1. Gesetzliche Grundlage:
Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:
„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
3.1.2. Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. E 26. August 2010, 2010/21/0234). Daraus ergibt sich nicht nur die in § 80 Abs. 1 FrPolG 2005 ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig (vgl. VwGH 27.01.2011, 2008/21/0595). Demzufolge erweist sich die Verhängung von Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung im Anschluss an eine Strafhaft regelmäßig als unverhältnismäßig, wenn die Fremdenpolizeibehörde (das BFA) auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der (versuchten) Beschaffung eines Heimreisezertifikats untätig bleibt. Eine sich aus den Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht wäre nachvollziehbar zu begründen (Hinweis E 25. April 2014, 2013/21/0209).
3.1.3. Hätte die belangte Behörde im verfahrensgegenständlichen Fall bereits während der Anhaltung des BF in Untersuchungshaft weitere Schritte zur Außerlandesbringung des BF gesetzt, so hätte die Anordnung der Schubhaft gänzlich unterbleiben können. Die belangte Behörde hat zwar dem BF am 05.02.2021 eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme übersandt, in welcher explizit die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie die Anordnung von Schubhaft in Aussicht gestellt wurden, ist danach aber bis zum Zeitpunkt der Schubhaftanordnung untätig geblieben. Es sind keine Anhaltspunkte aus dem Verwaltungsakt ersichtlich, was die belangte Behörde berechtigter Weise an der weiteren Setzung von Schritten zur Außerlandesbringung des BF gehindert haben könnte, dies insbesondere in Hinblick auf den bis 31.07.2021 gültigen italienischen Aufenthaltstitel es BF.
3.1.4. Aus den obigen Überlegungen erweist sich daher die gegenständliche Schubhaftanordnung in Zusammenschau mit der höchstgerichtlichen Judikatur als unverhältnismäßig.
Aufgrund der fehlenden Notwendigkeit des Freiheitsentzuges war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
3.1.5. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH 08.09.2009, 2009/21/0162; 26.01.2012, 2008/21/0626; 11.06.2013, 2012/21/0114). Ebenso war daher die Anhaltung des BF in Schubhaft seit 16.06.2021 für rechtswidrig zu erklären.
3.1.6. Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt werden. Eine Einvernahme des BF konnte daher unterbleiben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. – Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft
Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
Die Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft in Folge der Untätigkeit der Behörde bei der Außerlandesbringung des BF muss auch auf den Fortsetzungsausspruch durchschlagen. Eine sich aus den Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht wäre nachvollziehbar zu begründen (VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026; 19.05.2015, Ro 2015/21/0008; 25.04.2014, 2013/21/0209). Dafür ergaben sich im Verfahren aber keine Anhaltspunkte.
Aufgrund obiger Erwägungen - des Nichtvorliegens ihrer Notwendigkeit - war die Schubhaft auch nicht fortzusetzen.
Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
3.3. Zu Spruchpunkt III. und IV. - Kostenbegehren
1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.
Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da der BF vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen zu.
§ 1 VwG-AufwErsV bestimmt die Höhe des zu ersetzenden Schriftsatzaufwands des BF als obsiegende Partei mit € 737,60.
Die belangte Behörde hat daher dem BF Kosten iHv € 737,60 zu ersetzten.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Aufenthaltstitel Außerlandesbringung Einreiseverbot Fortsetzung der Schubhaft Kostenersatz Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Straffälligkeit strafrechtliche Verurteilung Untätigkeit Untersuchungshaft Untertauchen VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W154.2244034.1.00Im RIS seit
18.08.2021Zuletzt aktualisiert am
18.08.2021