Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juli 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Casagrande in der Strafsache gegen Josef E***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 23. Februar 2021, GZ 230 Hv 30/20p-40, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Lehofer zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben, und insoweit in der Sache selbst erkannt:
Für die ihm nach den unberührt bleibenden Schuldsprüchen zur Last liegenden Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (1./) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 zweiter Fall StGB (2./) wird über den Angeklagten gemäß § 28 Abs 1 StGB nach § 75 StGB eine Freiheitsstrafe von
zehn Jahren
verhängt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.
Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.
Der Berufung gegen den Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche wird keine Folge gegeben.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Josef E***** der Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (1./) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 zweiter Fall StGB (2./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 18. Juli 2020 in W*****
1./ Eva S***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er sie würgte, bis sie keine Luft mehr bekam, wobei es aufgrund ihrer Gegenwehr beim Versuch blieb;
2./ die Beamten Gerhard G***** und Hakan K***** „durch gefährliche Drohung mit ihrem Tod und dem Tod von Sympathiepersonen“ an einer Amtshandlung, nämlich der Sachverhaltsaufklärung und seiner Festnahme zu hindern versucht, indem er verbunden mit weiteren im Urteilsspruch angeführten Äußerungen mehrmals ankündigte, seine Schusswaffe zu holen und die Genannten umzubringen und nach Ausspruch der Festnahme vermeinte, er werde sich nicht einsperren lassen und den die Festnahme aussprechenden wie auch die weiteren anwesenden Polizeibeamten erschießen.
[3] Die Geschworenen hatten die an sie gerichteten anklagekonformen Hauptfragen (Fragen 1 und 17) bejaht und die zur Hauptfrage [1] in Richtung des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gestellte (alternative) Zusatzfrage (Frage 2) nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr (Teilfrage a) und nach dem Schuldausschließungsgrund der Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (Teilfrage b) verneint. Die Beantwortung der Eventualfrage zur verneinten Zusatzfrage (Frage 3) und der auf diese bezogenen Zusatzfrage (Frage 4) unterblieb demgemäß ebenso wie die der Eventualfragen zur Hauptfrage [1] nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (Frage 5), dem (richtig:) Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB (Frage 9), dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (Frage 13) und der auf diese Fragen bezogenen weiteren Zusatz- und Eventualfragen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die gegen dieses Urteil aus § 345 Abs 1 Z 6 und 13 zweiter Fall StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – teilweise berechtigt.
[5] Die Fragenrüge (Z 6) behauptet, dass zu beiden Hauptfragen jeweils eine Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB und eine Eventualfrage nach § 287 StGB zu stellen gewesen wäre. Dabei beruft sich der Angeklagte pauschal auf seine Schilderung der den anklagegegenständlichen Vorfällen vorangegangenen Konsumation von Alkohol (ON 39 S 5 ff), die Angaben des Opfers zu dessen eigener Alkoholisierung (ON 39 S 11 und S 13) und das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. E*****, wonach zum Tatzeitpunkt eine Alkoholisierung von ca 2,5 bis 2,7 Promille vorgelegen sei (ON 18 S 21, ON 39 S 29). Die Rüge geht jedoch daran vorbei, dass sich der Angeklagte selbst nicht in Richtung eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustands verantwortete, sondern – bis auf angebliche Erinnerungslücken hinsichtlich der gegenüber den Polizeibeamten getätigten Äußerungen – seine Version des Tathergangs detailliert schilderte (vgl auch RIS-Justiz RS0114643). Weshalb dennoch und ungeachtet des das Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustands ausdrücklich verneinenden psychiatrischen Sachverständigengutachtens (ON 18 S 20, ON 39 S 29 f) ein die begehrte Zusatzfrage indizierendes Tatsachensubstrat (RIS-Justiz RS0117447; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23) vorliegen soll, lässt der Rechtsmittelwerber offen. Solcherart gibt die Beschwerde keine in der Hauptverhandlung konkret vorgebrachten Tatsachen bekannt, die die begehrte Fragestellung indiziert hätten (vgl RIS-Justiz RS0119417 [T1]).
[6] Indem die weitere Fragenrüge nicht darlegt, aus welchem Grund es ungeachtet des Gesetzeswortlauts (§§ 317 Abs 2, 330 Abs 2 StPO; zur Zulässigkeit einschränkender Beantwortung ?widerski, WK-StPO § 330 Rz 11) geboten gewesen sein soll, den (überdies über die Möglichkeit bloß teilweiser Bejahung dieser Frage ausdrücklich belehrten [S 5 und S 54 der Rechtsbelehrung]) Geschworenen zur Hauptfrage nach dem Verbrechen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 zweiter Fall StGB eine gesonderte „Eventualfrage“ in Richtung des Vergehens nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB zu stellen, erweist sie sich als nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt (RIS-Justiz RS0122944, RS0116961).
[7] Im Recht ist aber die einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot reklamierende Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall), weil das Erstgericht „die qualifizierte Drohung“ erschwerend wertete (US 11), obwohl die höhere gesetzliche Strafdrohung des zweiten Strafsatzes des § 269 Abs 1 StGB allein aus der die intendierte Nötigung der einschreitenden Polizeibeamten qualifizierenden Drohung mit dem Tod resultiert (zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 711; Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 59 ff).
[8] Strafneubemessung ist die Folge, womit sich ein Eingehen auf die weiteren Einwände der Sanktionsrüge erübrigt.
[9] Dabei wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und als mildernd die bisherige Unbescholtenheit (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), die herabgesetzte Steuerungsfähigkeit (§ 34 Abs 1 Z 11 StGB) sowie den Umstand, dass die Taten beim Versuch geblieben sind (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB).
[10] Im Hinblick auf das Gewicht der Milderungsgründe erachtete der Oberste Gerichtshof eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren als angemessen.
[11] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.
[12] Der gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Aussprüche gerichteten Berufung war keine Folge zu geben, ist doch der vom Erstgericht zuerkannte Schadenersatzbetrag von 500 Euro mit Blick auf die vom Opfer erlittenen Verletzungen (über den Körper verteilte Hämatome, Hautabschürfungen/-läsionen, mehrere Blutunterlaufungen und Kratzer im Halsbereich – vgl ON 28) ohne Weiteres gerechtfertigt (§ 273 ZPO; vgl Spenling, WK-StPO Vor §§ 366–379 Rz 10).
[13] Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E132423European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00064.21K.0729.000Im RIS seit
18.08.2021Zuletzt aktualisiert am
18.08.2021