TE Lvwg Beschluss 2021/5/14 VGW-102/013/16254/2020

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Veröffentlicht am 14.05.2021
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Entscheidungsdatum

14.05.2021

Index

41/01 Sicherheitsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

SPG 1991 §88
B-VG Art 130 Abs1 Z2

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwerde des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch exzessive Durchführung einer von der Staatsanwaltschaft H. angeordneten und vom Landesgericht für Strafsachen H. bewilligten Hausdurchsuchung in seiner Wohnung, bei der seine Türe aufgebrochen und er mindestens 10 Minuten mit Sturmgewehren bedroht worden sei, am 9.11.2020 in Wien, gegen das Landesamt für Verfassungsschutz … und die Landespolizeidirektion Wien (einschließlich LVT und WEGA) sowie die COBRA (Bundesminister für Inneres), als belangte Behörden, den

B E S C H L U S S

gefasst:

I. Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer hat dem Rechtsträger der belangten Behörden (BMI) EUR 368,80 für Schriftsatzaufwand und EUR 57,40 für Vorlageaufwand, insgesamt sohin EUR 426,20 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstigen Zwang zu leisten.

III. Die Revision ist unzulässig.

Begründung

1. Mit Schriftsatz vom 21.12.2020, zur Post gegeben am selben Tag und sohin rechtzeitig (im Gegensatz zur Übermittlung mit E-Mail nach Ablauf der Amtsstunden, welche daher verspätet war) erhob der Einschreiter durch seinen Rechtsfreund Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin er zum Sachverhalt vorbringt:

„a) Ermittlungsverfahren … StA H.

Die StA H. führt zur GZ … ein Ermittlungsverfahren.

Trotz offenbar bereits mehr als einjähriger Dauer dieses Ermittlungsverfahrens – das geht aus der GZ der StA H. hervor - erhielt der Beschwerdeführer erstmals aus Anlass einer Hausdurchsuchung am 9. November 2020 überhaupt Kenntnis von diesem auch gegen ihn gerichteten Verfahren.

Die StA H. führt den gesamten Akt … auch nach der Hausdurchsuchung als sogenannten Verschlussakt und verweigert dem Beschwerdeführer bis dato Einsicht in den gesamten Akt.

Beweis: Note der StA H. vom 11.11.2020, Beilage 1

Eine Verteidigung ist bis dato nicht möglich, da der Beschwerdeführer durch diese Vorgangsweise der StA H. gezielt im Unklaren gelassen wird, welche (konkreten) Tathandlungen ihm überhaupt zum Vorwurf gemacht werden.

Die einzige dem Beschwerdeführer bis dato dazu vorliegende Informationsquelle sind mehrere am 9.11.2020 zugestellte Anordnungen der StA H., deren nahezu wortgleiche Begründungen zwar seitenlange Ausführungen über die (angebliche) Geschichte der K. und der L. enthalten, jedoch keine einzige angebliche Tathandlung des Beschwerdeführers beschreiben.

Diese Vorgangsweise ist umso bedenklicher, als das LG für Strafsachen H. über Antrag der StA H. mit Beschluss vom 9.11.2020 das gesamte Liegenschaftsvermögen des Beschwerdeführers und der ihm zuzurechnenden Gesellschaften durch Erlassung eines Veräußerungs-, Belastungs- und Verpfändungsverbotes sichergestellt hat, ohne auch nur zu versuchen, einen wertmäßigen Zusammenhang zwischen dem Gesamtwert der sichergestellten Liegenschaften und gegen den Beschwerdeführer gerichteten Vorwürfen bzw. Tathandlungen herzustellen.

Beweis: beizuschaffender Akt … StA H.

PV

Der Beschwerdeführer ist seit vielen Jahren im Immobiliengewerbe tätig. Er kauft, entwickelt und verkauft Immobilien. Durch die Sicherstellung der gesamten Immobilien wird ihm und seiner Familie die komplette Erwerbsgrundlage entzogen.

Selbst bereits verkaufte Wohnungen, bei denen wegen der Dauer des Parifzierungsverfahrens die Eigentumsübertragung noch nicht grundbücherlich ersichtlich gemacht werden konnte, wurden ohne Unterscheidung von dieser Sicherstellung erfasst.

Beweis: PV

beizuschaffender Akt … StA H.

Die völlige Unterlassung der von Gesetz, Rechtsprechung und Lehre einhellig im Falle der Sicherstellung vorgesehenen Verhältnismäßigkeitsprüfung (siehe (Tipold/Zerbes in Fuchs/Ratz, WK StPO § 110 Rz 53) durch StA und LG für Strafsachen H. zeigt mehr als deutlich die unsachlich motivierte und krass überschießende Vorgangsweise. Ein Beschwerdeverfahren gegen die Sicherstellungen beim OLG ist anhängig.

Bei Zusammenschau der bisher bekannten Umstände steht zu befürchten, dass es den einschreitenden Behörden im Verfahren … StA H. ähnlich wie in bekannten politisch motivierten Ermittlungs- und Strafverfahren der jüngeren Vergangenheit – erinnert sei in diesem Zusammenhang an das sogenannte „Tierschützerverfahren“ – weniger auf den Ausgang des Verfahrens, sondern auf das Verfahren selbst ankommt, da der Beschwerdeführer nach Beendigung des Verfahrens selbst im Falle der Einstellung oder eines Freispruchs gesellschaftlich und wirtschaftlich ruiniert sein wird.

b) Durchsuchungsanordnung

Am 14. Oktober 2020 erließ die StA H. zu GZ … eine 186-seitige Anordnung zur Durchsuchung von Wohnungen, Wohnhäusern und Geschäftsräumlichkeiten der von Beschuldigten geleiteten Gesellschaften samt den zu diesen Wohnungen und Geschäftsräumlichkeiten gehörigen Orten wie Keller, Dachboden, Lager, Abstellräume etc sowie deren Fahrzeuge.

Trotz des Umfangs der Anordnung von 186 Seiten und trotz des Umfangs des Ermittlungsaktes (die Durchsuchungsanordnung trägt die Ordnungsnummer …) genehmigte das LG für Strafsachen H. bereits am 15. Oktober 2020 diese Anordnung.

Die Anordnung ist ausdrücklich an das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung …, gerichtet (belangte Behörde).

Beweis: beizuschaffender Akt … StA H.

c) Durchsuchung

Aufgrund dieser Anordnung der Durchsuchung drangen am 9. Noveber 2020, um etwa 05:00 Uhr morgens Organe verschiedener Polizeidienststellen, darunter des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Wien im Beisein von uniformierten Polizeikräften und schwerbewaffneten Sondereinsatzkräften der WEGA und COBRA in die Wohnung des Beschwerdeführers A. B. in Wien, C.-Platz, ein.

Die Wohnungstür des Beschwerdeführers wurde von den Polizei-Einsatzkräften aufgebrochen und schwer beschädigt. Durch Anläuten wäre den Einsatzkräften problemlos Zutritt zur Wohnung gewährt worden.

In der Wohnung befanden sich zu diesem Zeitpunkt der Beschwerdeführer A. B., seine Gattin D. E. und deren Töchter F. (14 J.) und G. (7 J.). Alle schliefen.

Die Wohnung besteht aus einem Wohnzimmer, 3 Schlafzimmern, einem Lernzimmer, Esszimmer, einer Küche und 2 Badezimmern, alles auf einer Ebene. Das Elternschlafzimmer ist direkt vom Vorraum erreichbar. Es befindet sich direkt gegenüber der Wohnungseingangstüre. Das Wohnzimmer ist ebenfalls direkt vom Vorzimmer zu begehen. Die anderen zwei Schlafzimmer sowie das Lernzimmer sind durch einen Korridor über das Esszimmer zu erreichen.

Durch den Lärm beim Aufbrechen der Wohnungstür wachte als erste die Ehefrau des Beschwerdeführers auf und weckte ihn verschreckt mit den Worten „Ein Dieb, ein Dieb versucht unsere Wohnungstüre zu öffnen“. Der Beschwerdeführer stand blitzschnell auf, um zu sehen, wer zu dieser Zeit an der Wohnungstüre hantierte. Durch die halb geöffnete Schlafzimmertüre sah er mehrere leuchtende Lampen fixiert auf den Helmen von mehreren schwer bewaffneten und dunkel angezogenen Männern, die bereits im Vorraum standen. Hinter ihnen drängten bereits weitere schwer bewaffnete schwarz bekleidete Männer in die Wohnung.

Insgesamt etwa 20 Personen drangen unter lautem Geschrei in die Wohnung ein, offenbar in der Absicht, den Beschwerdeführer und seine in der Wohnung anwesende Familie in Angst und Schrecken zu versetzen.

Die vordersten Eindringlinge schrien laut: „Hände hoch! Hände hoch! Alle auf den Boden!“, mindestens vier dieser Personen richteten ihre großen Maschinengewehre auf das Gesicht des Beschwerdeführers, mit ihren Zeigefingern am Abzug. Das alles ohne irgendeine Mitteilung des Grundes des Einschreitens.

Der eben aus dem Schlaf gerissene Beschwerdeführer stand den Eindringlingen mit leeren Händen und im Schlafanzug gegenüber.

Ehe er überhaupt begriff, was vor sich geht, standen die ersten Eindringlinge schon mitten in seinem Schlafzimmer und schrien laut hintereinander: „Auf den Boden und Hände über den Kopf!“, gleichzeitig schrien sie zu seiner Frau, die noch zugedeckt im Bett lag: „langsam aufstehen und auf den Boden legen und Hände über den Kopf!“

Als der Beschwerdeführer bemerkte, dass unzählige schwer bewaffnete Eindringlinge sich im Wohnungskorridor in Richtung der Schlafzimmer seiner beiden Töchter (Kinder) bewegten, befürchtete er eine ähnlich brutale Vorgangsweise und rief: „Das sind Kinder! Wecken Sie sie nicht auf diese Weise auf! Bitte, das sind Kinder, Kinder!“, aber keiner der Eindringlinge hat darauf reagiert oder darauf Rücksicht genommen. Vielmehr stürmten sie mit ihren Waffen und der militärischen Ausrüstung in die Zimmer der Kinder und schrien wie mit Tieren immer wieder: „Aufstehen!, Aufstehen“, wie er später von seinen Töchtern erfuhr.

Der Beschwerdeführer selbst musste sich im Schlafzimmer auf den Boden legen und die Hände hinter seinen Kopf halten. In dieser Stellung musste er mindestens 10 Minuten verbleiben. Ständig waren dabei die schweren Gewehre von COBRA-Beamten auf ihn gerichtet. Die Beamten waren sehr nervös und angespannt und der Beschwerdeführer hatte während dieser mindestens 10 Minuten dauernd Angst, dass einer der Beamten aufgrund eines der Nervosität geschuldeten Fehlers auf ihn schießen könnte.

Dem Beschwerdeführer gingen dabei Gedanken durch den Kopf wie: bin ich noch im Schlaf? Ist das alles nur ein Alptraum? Bin ich in einem Kriegsgebiet? Bin ich gerade in Kolumbien oder Nordkorea? Oder in China bei den Uguren? Vielleicht bin ich in Syrien, wo wir tagtäglich solche Bilder per TV hautnah erleben? Durch die lauten Schreie der schwer bewaffneten Eindringlinge verstand er jedoch allmählich, dass er sich immer noch in seiner Wohnung in seinem geliebten friedlichen Wien befand.

Die erschrockene Frau des Beschwerdeführers rief den Eindringlingen mehrfach deutlich entgegen: „Ich will mich bedecken!“, da sie ohne Kopftuch plötzlich in Gesellschaft fremder Männern geraten war. Es wurde ihr aber verwehrt.

Während der Beschwerdeführer auf die geschilderte Weise im Schlafzimmer in Schach gehalten wurde, durchsuchten und durchwühlten andere Beamte offenbar die Wohnung, ohne jemals bekanntzugeben, wonach sie suchen oder den Beschwerdeführer aufzufordern, bestimmte Dinge herauszugeben.

Erst nachdem die ganze Wohnung gesichert worden war, wurde dem Beschwerdeführer erlaubt aufzustehen und sich zu setzen.

Erst in diesem Zeitpunkt wurde der Ehefrau des Beschwerdeführers erlaubt, sich zu bedecken. Sie musste jedoch dazu in das Vorzimmer kommen, um sich dort zu bekleiden. Zu ihrer weiteren Demütigung ließ man sie dazu unbedeckt zwischen ca. 15 fremden Männern gehen, um sich schließlich vollständig anziehen zu können.

Erst danach wurde der Frau des Beschwerdeführers erlaubt, zu den beiden verängstigten minderjährigen Töchtern zu kommen und sie in die Arme zu nehmen.

Später am Tag erzählten die Töchter F. (14 J.) und G. (7 j.) dem Beschwerdeführer ausführlich, wie sie beide diese schrecklichen Horrorminuten erlebt haben. Besonders G. (7 J.) hatte Todesangst, wie sie durch die COBRA schreiend aufgeweckt wurde. Das erste was sie sah, als sie die Augen öffnete, waren die vielen schwerbewaffneten Männer mit Scheinwerfern im komplett dunklen Zimmer, mit langen Maschinengewehren auf ihr Gesicht gerichtet! G. hatte nach der Durchsuchung für 4 Tage immer wieder starke Bauchschmerzen. Bis zum heutigen Tag erschreckt sie sich wieder und zuckt zusammen, wenn jemand an der Wohnungstür läutet.

Die Familie des Beschwerdeführers ist durch diese Vorfälle schwer traumatisiert. Seit dem 9. November 2020 können die beiden Töchter nicht mehr alleine schlafen. Auf keinen Fall wollen sie in ihrem eigenen Zimmer schlafen, sondern nur bei den Eltern im Schlafzimmer. Sie sehnen sich nach Umarmungen und sind dennoch verängstigt, sie leiden an Schlafstörungen und Alpträumen, die sie täglich seit diesen Ereignissen begleiten. Die Familie ist am 8. November 2020 als anständige Bürger dieses Landes, die ihre Aufgaben und Pflichten seit Jahrzehnten erfüllen, eingeschlafen, und wurde am nächsten Morgen als vermeintliche Terroristen brutal aus dem Schlaf gerissen.

d) Pressefotos von Innenminister Karl Nehammer vor dem Stiegenhaus des Wohnhauses des Beschwerdeführers noch während der Durchsuchung

In den Morgenstunden des 9. November 2020 war Innenminister Karl Nehammer persönlich im Haus des Beschwerdeführers anwesend und ließ vor dem Stiegenhaus des Wohnhauses des Beschwerdeführers von sich Fotos zur sofortigen Weitergabe an Medien anfertigen.

Diese Fotos des Innenministers aus dem Wohnhaus des Beschwerdeführers wurden noch in den Morgenstunden des 9.11.2020 in Medien verbreitet.

Auf www.…at erschien der erste Bericht mit Fotos von Minister Nehammer im Haus des Beschwerdeführers am 09.11.2020, 08:14 Uhr, siehe https://www.…at/s/grosseinsatz-….

Fotos 2/4 zeigt Innenminister Nehammer am Gehsteig vor dem Wohnhaus des Beschwerdeführers und ist unterschrieben mit: Innenminister Nehammer war vor Ort dabei. BMI. Am Hintergrund ist zu erkennen, dass das Foto vor Sonnenaufgang aufgenommen wurde. Sonnenaufgang am 9. November 2020 war um 6:53 Uhr.

Auf Fotos 3/4 befindet sich Innenminister Nehammer im Gebäudeinneren. Es ist unterschrieben mit: 60 Wohnungen, Häuser, Geschäfte und Vereinsräumlichkeiten wurden fast zeitgleich durchsucht. BMI

Es handelt sich demnach um Fotos, die von der Pressestelle des BMI noch während der beim Beschwerdeführer vorgenommenen Durchsuchung angefertigt und unverzüglich an Medien zur Veröffentlichung weitergegeben wurden.

Der für die Pressefotos gewählte Standort im Wohnhaus des Beschwerdeführers erregte unnötiges Aufsehen. Seitdem sind der Beschwerdeführer und seine Familie täglich bösen Blicken und übler Nachrede aus der Nachbarschaft und dem sozialen und geschäftlichen Umfeld ausgesetzt.

Dies umso mehr, als dem genannten Beitrag auf …at ein Video in der Dauer von 1:02 min beigefügt ist, das nicht nur die schwerbewaffneten Beamten am Weg zur Wohnung des Beschwerdeführers im Innenhof seines Wohnhauses und wiederum den Innenminister am Gehsteig vor dem Haus des Beschwerdeführers zeigt, sondern als das Video sogar eine Sequenz aus der Wohnung des Beschwerdeführers enthält (charakteristisches … Sofa und Teppich, daneben ein Polizeibeamter), weil jeder, der den Beschwerdeführer in den letzten Jahren besucht hat, dieses Sofa in Kombination mit dem Teppich und somit die Identität des Betroffenen erkennen wird.

Auch dieses Video kann nur Polizeibeamten aufgenommen worden sein. Mehrere Beamte trugen Kameras an ihren Uniformen.“

Zur Zulässigkeit wird (im Widerspruch zu den obigen Angaben betreffend StA und LG Strafsachen H., Anm.) ausgeführt, es handle sich um einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Allerdings ist den folgenden Ausführungen unter „Beschwerdegründe“ (ungeachtet der darin ausdrücklichen Bezugnahme auf das Sicherheitspolizeigesetz!) zumindest inhaltlich zu entnehmen, dass es um die Bekämpfung einer nach Ansicht der Beschwerdeführung exzessiven Durchführung der gerichtlich bewilligten Anordnung geht.

Die gewaltsame Öffnung der Wohnungstüre und das Eindringen durch maskierte und schwer bewaffnete Spezialeinheiten in seine Privatsphäre samt Inschachhalten durch Schusswaffen hätten des Beschwerdeführer unter anderem im seinen Rechten auf persönliche Freiheit und auf Wahrung der Menschenwürde verletzt. Dabei wird auch das Verhalten gegenüber der Ehegattin und den Töchtern des Beschwerdeführers herangezogen (ohne dass diese selbst als Beschwerdeführerinnen aufscheinen würden). Das Vorgehen sei insgesamt unverhältnismäßig gewesen. Es wird beantragt, die angefochtenen Maßnahmen kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären.

Beigelegt sind ein Schriftsück der StA H., in welchem diese die Einsichtsverweigerung in den Ermittlungsakt im Wesentlichen mit Verdunklungsgefahr begründet, sowie drei Pressefotos, zwei davon mit Innenminister.

2. Mit Schriftsatz vom 16.2.2021 legte die Landespolizeidirektion Wien eine Ausfertigung der Meldung des Bundesministeriums für Inneres, EKO Cobra/-Direktion für Spezialeinheiten zur Zl. …, einschließlich eines Auszugs (soweit der Beschwerdeführer Betroffen ist) der gerichtlich bewilligten Anordnung der StA H. vom 16.10. 2020 zu GZ: … und des Amtsvermerks vom 9.11.2020 über die beim Beschwerdeführer erfolgte Hausdurchsuchung nummeriert und mit angeschlossenem Akteninhaltsverzeichnis in Ablichtung vor.

Unter einem erstattete die Landespolizeidirektion Wien zu ihrer GZ: … eine Gegenschrift, worin sie zum Sachverhalt auf die vorgelegte Meldung verweist und ergänzt, dass sie vom LVT … um die Durchführung der in Wien angeordneten Durchsuchungen ersucht worden sei. Die Durchsetzung des Zugriffs an sich, nämlich die Öffnung des jeweiligen Objekts und die Herstellung der Sicherheit, habe unter Berücksichtigung der den Durchsuchungen zu Grunde liegenden „schwerstkriminellen“ Delikte mit terroristischem Hintergrund vom Einsatzkommande Cobra (BMI) übernommen werden müssen. Der Beschwerdeführer sei vor Beginn der Durchsuchung über die gerichtlich bewilligten Anordnungen informiert worden.

In rechtlicher Hinsicht wird darauf verwiesen, dass die in Beschwerde gezogene Amtshandlung in Umsetzung eines gerichtlich bewilligten Auftrages der Staatsanwaltschaft H. erfolgt sei. Die bekämpften Modalitäten bei der Türöffnung und der Herstellung der Sicherheit seien durch die EKO Cobra erfolgt, welcher – als Teil des BMI – die LPD Wien für ihr Einschreiten keine Weisungen erteilen könne. Abgesehen davon seien diese Maßnahmen angesichts der zu Grunde liegenden gerichtlich strafbaren Handlungen auch nicht unangemessen gewesen. Das gewaltsame Öffnen von Eingangstüren und das Führen von Langwaffen sei bei Einsätzen mit unmittelbarem Terrorismusbezug aus Gründen der Effektivität, der Eigensicherung und der potentiell dringenden Gefährlichkeit der betroffenen Personen unbedingt notwendig. Es handle sich dabei um ein Standard-Prozedere, das nicht zuletzt auch international üblich sei. Hinzu komme noch, dass schon im gerichtlich bewilligten Auftrag der StA H. der beweissichernde Zugriff angeordnet gewesen sei. Es habe keinerlei Anlass bestanden, davon abzugehen.

Die gerichtlich bewilligte Anordnung der StA H. gehe davon aus, dass zwischen der K. und der Organisation L. in Österreich untrennbare Verflechtungen bestünden. L. werde international als Terrororganisation eingestuft. Beide Organisationen strebten (nicht zuletzt der gerichtlich bewilligten Anordnung der StA H. zufolge) die Errichtung eines weltweiten Kalifates an und zielten auf die Zerstörung des Staates Israel. Die K. gelte als die weltweit größte radikal-islamistische Gruppe.

Die der über Bundesländergrenzen hinweg durchgeführten Amtshandlung vorausgegangenen Ermittlungen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer langjähriges Mitglied, teilweise Gründungsmitglied und Spitzenfunktionär in diversen islamistischen Institutionen in Österreich sei. Diese Institutionen seien vielfältig mit der K. verflochten. Sie dienten der Etablierung der K. und ihrer Ziele in Österreich und würden von letzterer gesteuert. Die vorangegangenen Ermittlungen hätten auch ergeben, dass sich im Besitz von der gerichtlich bewilligten Anordnung betroffenen Personen Faustfeuerwaffen bzw. eine „Pumpgun“ befunden hätten.

Unabhängig davon liege es auf der Hand, dass im terroristischen Umfeld Waffen und selbstverständlich auch Kriegsmaterial zum Einsatz kämen, wie sich nicht zuletzt bei dem eine Woche vor der in Rede stehenden Amtshandlung erfolgten Terroranschlag in Wien 1., drastisch gezeigt habe. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sei das konkrete Einschreiten der Angehörigen des EKO Cobra nicht als unangemessen zu beurteilen. Es wird daher beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen, in eventu sie als unbegründet abzuweisen.

3. Das Verwaltungsgericht Wien hat dazu erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. VwGH vom 17.5.1995, Zl. 94/01/0763) sind die aufgrund eines richterlichen Befehls von Verwaltungsorganen vorgenommenen Akte zur Durchführung dieses Befehls – solange die Verwaltungsorgane den durch die richterlichen Befehl gesteckten Ermächtigungsrahmen nicht überschreiten – funktionell der Gerichtsbarkeit zuzurechnen. Im Falle einer offenkundigen Überschreitung des richterlichen Befehls liegt hingegen insoweit ein der Verwaltung zuzurechnendes Organhandeln vor. Dieses Erfordernis der Offenkundigkeit, um von einem Verwaltungsexzess sprechen zu können, wird auch vom Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben (VfSlg. 11.098/1986 unter Hinweis auf VfSlg. 6829/1972).

Dasselbe gilt für die mit der StPO Novelle am 1.1.2008 in Kraft getretene neue Form der „staatsanwaltschaftlichen Anordnung mit richterlicher Bewilligung“, wie sie im Gegenstand vorliegt.

Wie früher schon im richterlichen Befehl, werden in der richterlichen Bewilligungsformel vielfach nur die verba legalia (§ 121 StPO) wiederholt. In solchen Fällen hat das Verwaltungsgericht Wien in ständiger Rechtsprechung das Vorliegen eines Verwaltungsexzesses bereits dann angenommen, wenn entgegen der dort vorgeschriebenen Vorgangsweise etwa eine gewaltsame Türöffnung erfolgte oder sonst offenkundig gegen den Gesetzeswortlaut verstoßen wurde. Dieser Verwaltungsexzess begründet die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, ist aber nicht schon per se rechtswidrig: etwa wenn sich nach Erteilung der richterlichen Bewilligung die Rahmenbedingungen derart geändert haben, dass z.B. ein Anklopfen an die Wohnungstüre und die nach dem Öffnen an den Verdächtigen gerichtete Aufforderung, den gesuchten Gegenstand herauszugeben, die einschreitenden Exekutivbeamten einer nicht zu verantwortenden Gefährdung ausgesetzt hätte, konnte der Exzess auch gerechtfertigt sein. Umgekehrt wurde die Überschreitung des richterlichen Befehls dort, wo bereits von vornherein absehbar gewesen war, dass die in § 121 StPO vorgeschriebene Vorgangsweise nicht einzuhalten sein werde, vom Verwaltungsgericht Wien in ständiger Rechtsprechung für rechtswidrig erklärt. In beiden Fällen ist das Verwaltungsgericht von seiner sachlichen Zuständigkeit zur inhaltlichen Beurteilung des von der richterlichen Bewilligung nicht mehr gedeckten Teiles der Amtshandlung ausgegangen.

Der hier zu beurteilende Fall unterscheidet sich jedoch gravierend von jenen, die der oben dargestellten Entscheidungspraxis zugrunde liegen. Die gegenständliche Anordnung der Staatsanwaltschaft H., welche durch das dortige Landesgericht für Strafsachen bewilligt worden ist, beschränkt sich nämlich – was die bei der Hausdurchsuchung einzuhaltende Vorgangsweise betrifft – keineswegs auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes. Abgesehen davon ist auch noch zu berücksichtigen, welcher Verbrechen die Zielperson der Hausdurchsuchung verdächtigt oder beschuldigt wird. Im Gegenstand handle es sich bei der Zielperson um den Beschwerdeführer, Herrn A. B., welcher in der staatsanwaltschaftlichen Anordnung als Beschuldigter der §§ 278b Abs. 2, 278d Abs. 1 und 1a, 246 Abs. 1 und 2 sowie 278a StGB geführt wird. Die Hausdurchsuchung gründet sich somit auf den Verdacht der Terrorismusfinanzierung sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, kriminellen Organisation und staatsfeindlichen Verbindung gegen den Beschwerdeführer. Insbesondere aus der Anführung des § 278b StGB ist bereits abzuleiten, dass nach den geltenden Vorschriften (vgl. § 2 Abs. 1 RLV, BGBl. Nr. 266/1993 idF BGBl. II Nr. 155/2012, und § 5 SEV, BGBl. II Nr. 207/1998 idF BGBl. II Nr. 287/2012) die Sondereinheit EKO Cobra beizuziehen sein wird, welche dabei eine dem Verdacht angemessene Vorgangsweise zu wählen hat.

Abgesehen davon enthält die staatsanwaltschaftliche Anordnung – nach der Anführung des Verdachts und der Zielpersonen – den Auftrag, die genannten Personen zur Vermeidung einer Verabredung und zur Verhinderung der Beeinträchtigung von Beweismitteln sogleich fortzuführen und von den ermittelnden Beamten der Landesämter und des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zu vernehmen, und sodann den folgenden Satz:

„Um Gefährdungen von betroffenen Personen und eine allfällig drohende Vernichtung von elektronischen Daten zu verhindern, wird für die zu Punkt a) angeordneten Durchsuchungen (darunter fällt die Wohnung des Vaters des Beschwerdeführers, Anm.) der die Beweise sichernde Zugriff angeordnet, wovon jedoch von den einschreitenden Beamten aus polizeitaktischen Überlegungen abgesehen werden kann.“

Es ist der staatsanwaltschaftlichen Anordnung daher, über den Terrorismusverdacht hinaus, eindeutig zu entnehmen, dass Verdunklungsgefahr bestehe und alles zu unternehmen sei, um deren Realisierung zu verhindern. Außerdem sei eine Vorgangsweise zu wählen, die Gefährdungen von betroffenen Personen verhindert. Zur Umsetzung beider Aufträge wird ein Spielraum für polizeitaktische Erwägungen gewährt.

Bezogen auf die konkret in Beschwerde gezogene Vorgangsweise des EKO Cobra gegen den Beschwerdeführer bedeutet dies, dass das Verwaltungsgericht Wien keine „offenkundige“ Überschreitung der richterlichen Bewilligung erkennen kann. Die Durchsuchung samt Modalitäten ist daher als Akt der Gerichtsbarkeit zu beurteilen, weshalb sich die dagegen gerichtete Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG als unzulässig erweist.

Die im Beschwerdesachverhalt erwähnten Pressefotos finden weder im Begehren (§ 9 Abs. 1 Z 4 VwGVG) bzw. den Anträgen, noch in den Beschwerdegründen (Z 3 leg. cit.; Punkt 3 des Beschwerdeschriftsatzes) irgendeinen Niederschlag, weshalb – insbesondere bei einem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer – nicht davon auszugehen ist, dass sie zum Gegenstand der Beschwerde gemacht werden sollten, noch dazu, wo in diesem Zusammenhang weder Befehls- noch Zwangsausübung behauptet wird. Gleiches gilt für die vorgebrachte Einsichtsverweigerung in den staatsanwaltlichen Ermittlungsakt. Was das behauptete „erniedrigende Verhalten“ gegen die Ehefrau und das „brutale Vorgehen“ gegen die Töchter anbelangt, so sind diese in der Beschwerde als Einschreiterinnen nicht ersichtlich, weder selbst, noch vertreten durch den Beschwerdeführer. Diesem fehlt es sohin an der diesbezüglichen Aktivlegitimation, was insoweit ebenfalls zur Zurückweisung führt. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

4. Kosten

Aufgrund des § 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, waren dem Rechtsträger der belangten Behörden (welcher – als BMI – auch selbst unter den belangten Behörden war) der im Spruch genannte Aufwandersatz zuzuerkennen.

5. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; staatsanwaltschaftliche Anordnung; richterliche Bewilligung; Verwaltungsexzess, Gerichtsbarkeit; Verwaltung; Organhandeln; Zurechnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.102.013.16254.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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