TE Lvwg Erkenntnis 2021/5/26 LVwG-2020/12/2388-7

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.05.2021
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Entscheidungsdatum

26.05.2021

Index

41/01 Sicherheitsrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

SPG 1991 §82 Abs1
VStG §35 Z3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Kroker über die Maßnahmenbeschwerde des Herrn AA, geb. am xx.xx.xxxx, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Adresse 1, **** Z, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt hinsichtlich der Festnahme des Beschwerdeführers am 15.09.2020 gegen 20.10 Uhr am Privatgrundstück Adresse 2 in **** Z bis zu dessen Entlassung um 21.26 Uhr und deren Modalitäten, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,

zu Recht:

1.       Die Beschwerde hinsichtlich der Festnahme des Beschwerdeführers von 20.10 Uhr bis 21.26 Uhr wird als unbegründet abgewiesen.

2.       Der Beschwerde wird insoweit Folge gegeben, als festgestellt wird, dass die Vorgehensweise bei der Festnahme, insbesondere das Fixieren gegen die Motorhaube und das Anlegen von Handfesseln am Rücken, rechtswidrig gewesen ist.

3.       Ein Ersatz der Aufwendungen nach der VwG-Aufwandersatzverordnung wird nicht zugesprochen.

4.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang, Beschwerdevorbringen, mündliche Verhandlung:

Mit – am 27.10.2020 zur Post gegebenen – Schriftsatz hat der Beschwerdeführer eine Beschwerde gegen die Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehl- und Zwangsgewalt durch Organe der Landespolizeidirektion Tirol (Polizeiinspektion Y) am 15.09.2020 erhoben und als Beschwerdegegenstand angeführt, dass Insp. CC als Organ der Landespolizeidirektion Tirol den Beschwerdeführer am 15.09.2020 um ca. 20:10 Uhr auf dem Privatgrundstück des Beschwerdeführers, Adresse 2, **** Z, ohne vorangehende Abmahnung auf den Boden gedrückt und rücklings in Handschellen gelegt, in die Polizeistreife verbracht und erst anschließend die Festnahme ausgesprochen habe, sowie in weiterer Folge zwangsweise auf die Polizeiinspektion Y verbracht und dort bis ca. 21:30 Uhr weiter festgenommen gehalten habe.

Begründend wurde – zusammengefasst ausgeführt, dass die Festnahme und Anhaltung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Schutz der persönlichen Freiheit verletzen. Die Festnahme sei nach § 82 SPG iVm § 35 Z3 VStG erfolgt. Der Beschwerdeführer sei allerdings vor der Festnahme nicht einmal abgemahnt worden und habe er die Polizisten auch nur darauf hingewiesen, dass sie sich auf seinem Privatgrund befinden und hier keine Amtshandlung tätigen dürfen. Die Festnahme sei damit entgegen §35 VStG, also nicht auf die gesetzlich vorgesehene Art und Weise erfolgt. Die Festnahme sei nur die ultima ratio, wenn alle anderen Maßnahmen nicht ausreichen. Der Beschwerdeführer habe keine gerichtlich strafbare Handlung begangen bzw habe dieser auch nicht eine strafbare Handlung fortgesetzt oder zu wiederholen versucht.

Der Beschwerdeführer sei zur Identitätsfeststellung nicht aufgefordert worden. Dass die Amtshandlung wegen des Verdachtes des Telefonierens am Steuer erfolgt sei, sei dem Beschwerdeführer nicht ersichtlich gewesen bzw sei ihm nicht mitgeteilt worden. Beim Telefonieren am Steuer handle es sich lediglich um ein Verwaltungsdelikt. Die Festnahme sei unverhältnismäßig und überschießend und somit rechtswidrig.

Für die Identitätsfeststellung wäre die Verhaftung nicht notwendig gewesen, da ja das Kennzeichen des Fahrzeuges bekannt gewesen sei. Die Festnahme wäre nur zu veranlassen gewesen, wenn dies zur Sicherung der Strafverfolgung erforderlich gewesen wäre.

Das auf den Boden Drücken berühre das Recht, nicht unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden. Die Anwendung müsse notwendig und verhältnismäßig sein. Eine Notwendigkeit, den Beschwerdeführer auf den Boden zu drücken, während dem er seine Krücken verloren und ihn dann ohne Krücken zum Polizeiauto mit gefesselten Händen springen zu lassen, sei nicht erkennbar. Es sei eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Missachtung der Person des Beschwerdeführers erfolgt.

Es wurden daher die Anträge gestellt, das Landesverwaltungsgericht Tirol möge den angefochtenen Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangs- und Befehlsgewalt für rechtswidrig erklären, angemessenen Schadenersatz zusprechen, Aufwandersatz gemäß § 35 VwGVG zusprechen und gemäß § 24 VwGVG eine öffentliche mündliche Verhandlung durchführen.

Die belangte Behörde Landespolizeidirektion Tirol wurde vom Landesverwaltungsgericht Tirol zur Gegenschrift aufgefordert. Mit Schriftsatz vom 17.11.2020 wurde der Verwaltungsakt vorgelegt und dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Amtsvermerke von Insp. C und RevInsp DD sowie die Stellungnahme des KI EE entgegengehalten. Zusammenfassend wurde darauf hingewiesen, dass die Angaben der Beamten in sich schlüssig und nachvollziehbar seien und fänden auch in der Wertung des vorgesetzten Kommandos ihren Niederschlag. Es werde daher festgestellt, dass im Rahmen der am 15.09.2020 durchgeführten Amtshandlung kein Fehlverhalten eines Organes der Landespolizeidirektion Tirol evident erscheine. Da der Sachverhalt klar und durch die Aktenlage entsprechend dokumentiert sei, werden keine weiteren Beweisanträge gestellt. Die belangte Behörde beantragte daher, bereits zum jetzigen Zeitpunkt der Beschwerde – differenziert nach den Beschwerdepunkten – als unbegründet, in eventu unzulässig, nicht zu folgen und dem Beschwerdeführer gemäß § 1 Z 3, 4 und 5 der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II 517/2013, die entsprechenden Kosten (Vorlageaufwand, Schriftsatzaufwand, allfälliger Verhandlungsaufwand) aufzuerlegen.

Am 30.04.2021 fand in der gegenständlichen Angelegenheit eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, anlässlich derer der Beschwerdeführer sowie die Zeugen Insp. CC und RevInsp FF einvernommen worden sind.

II.      Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde am 15.09.2020 gegen 20.00 Uhr auf Höhe Spar-Markt in X von Insp. CC und RevInsp FF, die in einem entgegenkommenden Polizeifahrzeug unterwegs waren, beim Telefonieren mit einem Mobiltelefon während des Lenkens seines PKWs mit dem Kennzeichen XX-XXXXX beobachtet.

Die Polizeibeamten wendeten das Polizeifahrzeug und fuhren dem Beschwerdeführer nach. Vor dem Schranken auf der Einfahrt W konnten sie das Fahrzeug des Beschwerdeführers wahrnehmen. Die Polizeibeamten hielten hinter dem Fahrzeug des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer, dessen linkes Bein unterhalb der Hüfte amputiert ist, telefonierte noch immer und öffnete den Schranken zum Privatweg, der überdies mit einem Fahrverbotszeichen und dem Hinweis „Privatstraße“ gekennzeichnet ist. Als Insp. C – nach Beenden des Telefonats - mit ihm Kontakt aufnehmen wollte, wies ihn der Beschwerdeführer lautstark darauf hin, dass sich die Polizeibeamten auf seinem Privatgrund befänden. Obwohl Insp. C die Amtshandlung fortsetzen wollte und Führerschein und Zulassungspapiere verlangte, setzte sich der Beschwerdeführer wieder in sein Fahrzeug und fuhr langsam los.

Auch die beiden Polizeibeamten folgten dem Beschwerdeführer mit dem Polizeifahrzeug auf dem Privatweg. Da der Beschwerdeführer vorerst nicht anhielt, wurde für kurze Zeit das Blaulicht eingeschaltet.

Auf Höhe einer Weide für seine Kühe, wo sich ein Wassertank für die Tiere befindet, hielt der Beschwerdeführer das Fahrzeug an, knapp dahinter das Polizeifahrzeug. Der Beschwerdeführer stieg aus und ging mit seinen Krücken auf Insp. C zu und beschwerte sich dabei lautstark darüber, dass ihm die Polizeibeamten auf dem Privatweg mit Blaulicht folgten. Als sich die beiden gegenüberstanden hob der Beschwerdeführer seine Krücke an und schrie den Polizeibeamten laut an. Insp. C ermahnte den Beschwerdeführer zwei Mal sich zu beruhigen und das aggressive Verhalten einzustellen, drohte sodann die Festnahme an und sprach schließlich, weil sich der Beschwerdeführer immer noch nicht beruhigt hatte und sein aggressives Verhalten fortsetzte, die Festnahme nach § 35 Z 3 iVm § 82 Abs 1 SPG aus.

Der Beschwerdeführer wurde links und rechts am Arm von den beiden Polizeibeamten ergriffen, bis zur Motorhaube des Polizeifahrzeugs gebracht, dort fixiert und wurden ihm schließlich die Handschellen hinten angelegt. Anschließend wurde der Beschwerdeführer zur Rückbank des Polizeifahrzeuges gebracht und dort angeschnallt.

Nachdem RevInsp. FF den noch laufenden Motor des Fahrzeuges des Beschwerdeführers abgestellt und abgesperrt hatte, wurde der Beschwerdeführer zur Polizeiinspektion Y gebracht. Auch während der Fahrt beschwerte sich der Beschwerdeführer über die Vorgangsweise der Polizeibeamten.

Vor der Polizeiinspektion Y verlangte der Beschwerdeführer, dass ihm die Handschellen geöffnet werden, damit er mit den Krücken in die Polizeiinspektion gehen könne bzw dass ihm ein Rollstuhl zur Verfügung gestellt werde. Da kein Rollstuhl vorhanden war und die Polizeibeamten nach wie vor die Handschellen nicht lösen wollten, wurde der Beschwerdeführer von Insp. C und den aus der Polizeiinspektion herbeigeholten Insp. GG unter den Achseln hochgehoben und in aufrechter Position in die Polizeiinspektion getragen.

Erst in der Polizeiinspektion Y wurden dem Beschwerdeführer die Handschellen gelöst. Es wurde keine Vernehmung durchgeführt. Nachdem die Identität des Beschwerdeführers festgestellt und ein Alkovortest durchgeführt wurde sowie ein Polizeiamtsarzt die von ihm geltend gemachten Verletzungen an der Hand und Hüfte begutachtet hatte, wurde die Festnahme um 21.36 Uhr wieder aufgehoben.

Der Amtsarzt hat eine „Rötung nach Handschellen“ sowie „im Bereich des rechten Hüftgelenks Schmerzen von der Wirbelsäule L5/S1 bis ins Bein ausstrahlend“ festgehalten.

III.     Beweiswürdigung:

Der Beschwerdeführer war seinen Angaben zufolge der Lenker des angeführten Kraftfahrzeuges und hat selbst anlässlich seiner Einvernahme zugegeben, dass er mit dem Handy während dem Lenken telefoniert hat. Aus der übereinstimmenden Zeugenaussage von Insp. C und RevInsp. F ergibt sich, dass dies von den Polizeibeamten in X wahrgenommen worden ist, sodass diese dem Fahrzeug des Beschwerdeführers gefolgt sind.

Das erste Zusammentreffen von den Polizeibeamten und dem Beschwerdeführer auf der Einfahrt W vor dem Schranken wurde grundsätzlich von allen bestätigt. Der genaue Ablauf wird zwar vom Beschwerdeführer und den Polizeibeamten in den Details nicht übereinstimmend geschildert (laut Aussage des Beschwerdeführers wurde mit ihm Kontakt aufgenommen als er noch im Auto saß, laut Aussage der Polizeibeamten war der Beschwerdeführer gerade dabei den Schranken zu öffnen), allerdings geht bei einer Zusammenschau aller Aussagen jedenfalls hervor, dass der Beschwerdeführer den Schranken geöffnet hat, er vehement auf den Umstand hingewiesen hat, dass es sich hier um Privatgrund handelt und dass der Beschwerdeführer dann mit seinem Fahrzeug weitergefahren ist.

Die übereinstimmenden Aussagen von Insp. C und RevInsp. F, wonach der Beschwerdeführer aufgefordert worden sei, den Führerschein und die Zulassungspapiere vorzuweisen, wird vom Beschwerdeführer in Abrede gestellt (arg: „Der Polizeibeamte hat nicht zu erkennen gegeben, dass er die Amtshandlung noch mit mir weiterführen möchte bzw dass diese noch nicht beendet ist.“)

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Aussage des Polizeibeamten, wonach er die Amtshandlung mit einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle fortsetzen wollte, nachvollziehbar und überaus glaubwürdig ist, zumal die Polizeibeamten wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 102 Abs 3 KFG (Verbot des Telefonierens während dem Lenken ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung) ursprünglich eingeschritten sind, sie zu diesem Zwecke bereits dem Beschwerdeführer von X aus nachgefahren sind und in diesem Zusammenhang es wohl jedenfalls der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass eine solche Amtshandlung nicht weitergeführt wird.

Aus der Lichtbeilage vom 17.09.2020, ***, ist auf dem Foto Bild Nr 6 der Schranken, das Fahrverbotsschild mit dem Hinweis „Privatstraße“ klar zu erkennen.

Aus den übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und der beiden Polizeibeamten ergibt sich, dass die Polizeibeamten dem Beschwerdeführer auf dem Privatweg nachgefolgt sind und dabei auch kurz das Blaulicht eingeschaltet haben.

Das Zusammentreffen zwischen den genannten Personen bei der Wassertränke wird völlig konträr vom Beschwerdeführer und den Polizeibeamten geschildert:

Der Beschwerdeführer hat anlässlich seiner Einvernahme vor dem Landesverwaltungsgericht wie folgt ausgesagt:

„Ich war gerade auf dem Weg zu dem Wassertank, wo ich das Wasser abschalten wollte, als ich von hinten gestoßen wurde und mir sofort die Handschellen angelegt wurden. Ich nehme an, dass dies durch den Polizeibeamten erfolgt ist. Ich habe es von hinten nicht gesehen, welcher Polizeibeamte hier eingeschritten ist. Aber ich habe dann sofort ein Knie auf meinem Rücken gespürt. Ich habe mit dem Polizeibeamten kein Wort gesprochen, sondern er hat mich sofort von hinten angesprungen. Vor diesem Vorfall ist kein Wort gesprochen worden. Erst dann habe ich sie darauf hingewiesen, dass das hier Privatgrund ist.

Wenn mir der Amtsvermerk von Insp. C vorgehalten wird, wonach ich zuvor mit ihm geschrien haben und mit den Krücken vor ihm gefuchtelt haben soll, er mich mehrfach abgemahnt soll und erst dann die Festnahme ausgesprochen worden ist, so gebe ich dazu an:

Das war nicht so, er hat mich sofort von hinten angesprungen. Ich bin dann am Bauch am Boden gelegen und mir sind hinten die Handschellen angelegt worden. Ich wollte mich zu diesem Zeitpunkt umdrehen. Es ist dann auch die Polizeibeamtin eingeschritten. Beide Beamte haben mich links und rechts aufgehoben und haben mich zum Polizeifahrzeug gebracht. Sie haben mich dann gegen die Motorhaube des Fahrzeuges gedrückt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Handschellen bereits angelegt. Meine Krücken sind am Boden gelegen.“

Demgegenüber haben die Zeugen Insp. C und RevInsp. F die Festnahme wie folgt geschildert:

„Herr A hat das Fahrzeug angehalten und wir unser Polizeifahrzeug unmittelbar hinter ihm. Als wir ausgestiegen sind, ist der Beschwerdeführer auf meinen Partner zugegangen und hat dabei drohend die Krücken in der Hand gehalten.

Mein Partner ist ausgestiegen und Herr A ist auf ihn zugegangen. Die Entfernung war nur ca 2 m. Der Beschwerdeführer ist auf den Polizeibeamten zugegangen und als er stehengeblieben ist, hat er die Krücken in die Höhe gehalten. Es hat so ausgeschaut, als wollte er sich mit diesen Krücken verteidigen, obwohl ja mein Partner nichts getan hat. Der Beschwerdeführer hat wieder darauf hingewiesen, dass es sich um Privatgrund handelt. Auch vom Blaulicht hat er gesprochen, aber den genauen Inhalt, was er zu diesem Zeitpunkt gesagt hat, weiß ich nicht mehr.

Ich habe dann klar gehört, wie mein Streifenpartner gesagt hat, dass der Beschwerdeführer sein aggressives Verhalten einstellen soll. Er hat ganz klar gesagt, erste Abmahnung, zweite Abmahnung, und hat dann auch die Festnahme angedroht. Weil der Beschwerdeführer aber sein aggressives Verhalten nicht eingestellt hat, hat dann mein Streifenpartner die Festnahme ausgesprochen.

Wir sind dann beide auf den Beschwerdeführer zugegangen. Wir haben ihn beide links und rechts am unteren Oberarm festgehalten. Mein Kollege hat ihn am anderen Arm gehalten, allerdings weiß ich nicht mehr genau, wo. Wir sind dann zum Polizeifahrzeug und haben ihn auf der Motorhaube fixiert und hinten die Handfesseln angelegt. Zu diesem Zeitpunkt hat er die Krücken aber noch gehalten.

Der Beschwerdeführer ist nicht auf die Motorhaube gedrückt worden, sondern hat beide Hände auf der Motorhaube gehabt. Mein Kollege hat dann zuerst auf seiner Seite die Handschellen angelegt, den Arm nach hinten gegeben und ich habe dann die andere Hand geführt, damit auch bei der zweiten Hand die Handschellen angelegt werden können. Zu diesem Zeitpunkt habe ich die eine Krücke gehalten.

Ich habe dann beide Krücken beim Fußraum untergebracht. Wir haben zur Eigensicherung die Handfesseln angelegt, weil - als er die Krücken noch gehabt hat - war er ja sehr aggressiv und er hätte uns mit den Krücken verletzen können. Weil man mit den Krücken jemanden verletzen kann, war es zur Eigensicherung aus meiner Sicht schon notwendig, hier so vorzugehen.

Wenn ich gefragt werde, ob es eine Möglichkeit gewesen wäre, die Krücken wegzunehmen und keine Handfesseln anzulegen, so gebe ich dazu an:

An diese Möglichkeit habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht.“

Der Zeuge Insp. C hat die Festnahme wie folgt anlässlich seiner Zeugeneinvernahme geschildert:

„Wir sind ungefähr 10 m hinter ihm stehengeblieben. Er ist sofort mit den Krücken ausgestiegen und hat mehrere Sachen geschrien. Ich kann mich noch daran erinnern, dass er gesagt hat, das ist Privatgrund und wir haben ihm hier nicht mit Blaulicht nachzufahren.

Wir sind 10 m hinter dem Fahrzeug stehengeblieben, um hier einen Sicherheitsabstand zu haben. Ich bin ausgestiegen und währenddessen ist er schon auf mich zugehumpelt und hat dabei geschrien. Ungefähr als ich 2 m vom Polizeifahrzeug entfernt war, sind wir aufeinandergetroffen. Ich bin dann stehengeblieben und er ist näher auf mich zugekommen, sodass er bis auf 2-3 cm vor mir stehengeblieben ist. Er hat permanent auf mich eingeschrien und mit den Krücken in der Luft herumgefuchtelt. Ich habe ihn mehrfach aufgefordert, dass er sich beruhigen soll und habe dabei auch die Worte erste Abmahnung und zweite Abmahnung gebraucht. Ich habe ihm auch gesagt, wenn er sich nicht beruhigt, dann wird er festgenommen. Er hat sich auch da zu diesem Zeitpunkt noch nicht beruhigt. Dann habe ich ihm gesagt, dass er jetzt festgenommen ist. Nachdem er sich immer noch nicht beruhigt hat, habe ich ihn dann eben am rechten Arm ergriffen, meine Kollegin am linken Arm und wir haben ihn zur Motorhaube des Dienstfahrzeuges gebracht. Die Krücken hatte er zu diesem Zeitpunkt noch in der Hand. Dann habe ich ihm die Krücken weggenommen und habe ihm die Handfesseln am Rücken angelegt und ihn arretiert.

Wenn mir die Aussage des Beschwerdeführers vorgehalten wird, wonach dieser zur Wassertränke gehen wollte und von hinten zu Boden gestoßen worden ist und sofort die Handschellen angelegt worden sind, so gebe ich dazu an:

Es war, wie ich das Ganze geschildert habe.

Handschellen waren aufgrund des aggressiven Verhaltens des Herrn A erforderlich. Es hat zwar keinen Widerstand gegen die Staatsgewalt gegeben, aber meiner Ansicht nach war das aggressive Verhalten schon auf einem hohen Level angesiedelt.

Das Anlegen der Handfesseln war aus Eigensicherungsüberlegungen erforderlich. Wenn er im Fahrzeug zur Polizeiinspektion gebracht wird, dann sitzt der zweite Beamte neben ihm und wenn er mit den Händen weiter herumfuchtelt, könnte ja ein schwerer Unfall passieren.“

Bei einer Zusammenschau dieser Aussagen wird den übereinstimmenden Zeugenaussagen der Polizeibeamten gefolgt. Den einschreitenden Polizeibeamten ist als Organen der Straßenaufsicht zunächst schon aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Tätigkeit zuzubilligen, dass sie Sachverhalte richtig und vollständig wahrnehmen und wiedergeben vermögen. An der inhaltlichen Richtigkeit der übereinstimmenden – unter Wahrheitspflicht erfolgten - Zeugenaussagen ergeben sich auch insofern keine Zweifel, zumal es auch unerfindlich wäre, welche Umstände den Polizeibeamten veranlasst haben sollten, den Beschwerdeführer sofort von hinten „anzuspringen“ und zu Boden zu ringen. Beim Aussteigen aus den Fahrzeugen waren lediglich Verkehrsübertretungen Gegenstand der Amtshandlung, sodass eine solche Reaktion, die von den Polizeibeamten glaubwürdig in Abrede gestellt worden ist, auch nicht als lebensnah zu bezeichnen wäre. Auch ist es wenig überzeugend, dass sich der Beschwerdeführer nur der Wassertränke zugewandt und den Polizeibeamten, die ihn mit Blaulicht verfolgt haben, den Rücken zugekehrt haben soll. Dafür spricht schließlich auch, dass auch in der Beschwerde ausgeführt wird, dass es vor der Festnahme zu einem Wortwechsel gekommen ist (vgl Beschwerde, S 3: „… Es wurde lediglich gesagt:“ Fahrzeugkontrolle“. Auf dies antwortete der Beschwerdeführer, dass auf einem Privatgrundstück keine Amtshandlungen durchgeführt werden dürfen. Es erfolgte keine Abmahnung, kein Hinweis, dass der Inspektor beabsichtigt, den Beschwerdeführer zu verhaften. Der Beschwerdeführer wurde sofort zu Boden gerissen. …“, weiters Beschwerde, S 4: Der Beschwerdeführer wurde allerdings vor der Festnahme nicht einmal abgemahnt und hat er die Polizisten auch nur darauf hingewiesen, dass sie sich auf seinem Privatgrund befinden und hier keine Amtshandlung tätigen dürfen. …“)

Auch werden die übereinstimmenden Aussagen der Polizeibeamten als glaubwürdig beurteilt, wonach der Beschwerdeführer auf den Polizeibeamten mit den Krücken zugegangen ist, dass er sehr laut seinen Unwillen darüber kundgetan hat, dass die Polizisten ihn auf seinem Privatweg mit Blaulicht verfolgt haben und er dabei auch die Krücke hochgehoben hat. Dass dieser Umstand den Beschwerdeführer sehr verärgert hat, geht auch bereits aus der Aussage des Beschwerdeführers hervor, wonach er – nach seiner Aussage beim Schranken und dann auch nach der Festnahme - den Polizeibeamten zu verstehen gegeben hat, dass sie von seinem Privatgrund verschwinden sollen, weil sie hier nichts zu suchen haben.

Auch die zweimalige Abmahnung des Polizeibeamten, das aggressive Verhalten einzustellen, die Androhung der Festnahme und schließlich aufgrund der Fortsetzung des aggressiven Verhaltens der Ausspruch der Festnahme nach § 35 Z3 iVm § 82 SPG wurden nachvollziehbar und übereinstimmend von den als Zeugen einvernommenen Polizeibeamten dargetan und werden als glaubwürdig beurteilt.

An dieser Beurteilung ändert auch nichts, dass der Zeuge Insp. C in diesem Zusammenhang vorgebracht hat, dass der Beschwerdeführer in einem 2-3 cm Abstand zu ihm gestanden ist, während RevInsp. F zu Beginn von einem Abstand von 2 m gesprochen hat bzw unstimmig ist, wer dann beim Anlegen der Handschellen die Krücken gehalten hat. Da die Amtshandlung bereits mehrere Monate zurückliegt, ändern auch kleinere Unstimmigkeiten nichts an der grundsätzlichen Beurteilung, dass die Aussage der Polizeibeamten in den wesentlichen Punkten durchaus einen sehr glaubwürdigen Eindruck vor Gericht hervorgerufen haben.

Das Fixieren gegen die Motorhaube, das Anlegen der Handschellen am Rücken, die Verbringung auf die Polizeiinspektion Y, das Hineintragen in die Polizeiinspektion, die Abnahme der Handschellen, die Identitätsfeststellung, Alkovortest, die Untersuchung durch den Polizeiarzt und schließlich die Aufhebung der Festnahme gehen wieder auf die weitgehend übereinstimmenden Aussagen der Polizeibeamten und des Beschwerdeführers zurück, sodass an deren Richtigkeit keine Zweifel entstanden ist.

Das Ergebnis der polizeiärztlichen Untersuchung folgt aus dem polizeiamtsärztlichen Befund und Gutachten vom 15.09.2020 von Dr. JJ.

IV.      Rechtslage:

Folgende Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl Nr 52/1991 idF BGBl I Nr 57/2018 (im Folgenden: VStG) und des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl Nr 566/1991 idF BGBl I Nr 61/2016 (im Folgenden: SPG), sind zu Klärung der vorliegenden Rechtsfragen maßgeblich:

Festnahme

§ 35 VStG

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dürfen außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn

1.   der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist oder

2.   begründeter Verdacht besteht, dass er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, oder

3.   der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

§ 36 VStG

(1) Jeder Festgenommene ist unverzüglich der nächsten sachlich zuständigen Behörde zu übergeben oder aber, wenn der Grund der Festnahme schon vorher wegfällt, freizulassen. Die Behörde hat den Angehaltenen unverzüglich zu vernehmen. Hat er von seinem Recht auf Beiziehung eines Verteidigers Gebrauch gemacht, so ist die Vernehmung bis zum Eintreffen des Verteidigers aufzuschieben, es sei denn, dass damit eine erhebliche Gefährdung der Ermittlungen oder eine Beeinträchtigung von Beweismitteln verbunden wäre; eine solche Beschränkung des Rechts auf Beiziehung eines Verteidigers ist schriftlich festzuhalten. Die Anhaltung darf keinesfalls länger als 24 Stunden dauern.

...

Zwangsgewalt

§ 39a VStG

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, verhältnismäßigen und angemessenen Zwang anzuwenden, um die ihnen nach den §§ 34b, 35, 37a Abs 3 und 39 Abs 2 eingeräumten Befugnisse durchzusetzen. Dabei haben sie unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person vorzugehen. Für den Waffengebrauch gelten die Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969, .

Verhältnismäßigkeit

§ 29 SPG

(1) Erweist sich ein Eingriff in Rechte von Menschen als erforderlich (§ 28a Abs. 3), so darf er dennoch nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlass und zum angestrebten Erfolg wahrt.

(2) Insbesondere haben die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

         1.       von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen, die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt;

         2.       darauf Bedacht zu nehmen, ob sich die Maßnahme gegen einen Unbeteiligten oder gegen denjenigen richtet, von dem die Gefahr ausgeht oder dem sie zuzurechnen ist;

         3.       darauf Bedacht zu nehmen, dass der angestrebte Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis zu den voraussichtlich bewirkten Schäden und Gefährdungen steht;

         4.       auch während der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf die Schonung der Rechte und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen Bedacht zu nehmen;

         5.       die Ausübung der Befehls- und Zwangsgewalt zu beenden, sobald der angestrebte Erfolg erreicht wurde oder sich zeigt, dass er auf diesem Wege nicht erreicht werden kann.

§ 82 Sicherheitspolizeigesetz

Aggressives Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber militärischen Organen im Wachdienst

(1) Wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einem militärischen Organ im Wachdienst, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 500 Euro zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.

(2) Eine Bestrafung nach Abs 1 schließt eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 aus.

V.       Erwägungen:

Zur Zulässigkeit:

Nach Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit, nach Art 131 Abs 1 B-VG erkennen über Maßnahmenbeschwerden die Verwaltungsgerichte der Länder.

Die den Beschwerdegegenstand bildende Maßnahme, nämlich die Festnahme des Beschwerdeführers gemäß § 35 Z 3 VStG und deren Modalitäten, erfolgte am 15.09.2020, die Beschwerde an das zuständige Landesverwaltungsgericht Tirol wurde am 27.10.2020 binnen der sechswöchigen Frist nach § 7 Abs 4 VwGVG zur Post gegeben und ist daher rechtzeitig.

Bei einer Festnahme nach § 35 Z 3 VStG (vgl VwGH 20.11.2006, 2006/09/0188 uva) und deren Modalitäten handelt es sich unzweifelhaft um einen Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt. Die Beschwerde ist daher zulässig.

In der Sache:

Im vorliegenden Fall wurde die Festnahme des Beschwerdeführers nach § 35 Z3 VStG ausgesprochen, weil der Beschwerdeführer in einer Verwaltungsübertretung nach § 82 SPG verharrt ist.

Gemäß § 35 Z3 VStG dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

Eine Verwaltungsübertretung nach § 82 SPG begeht, wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht während dieses seine gesetzlichen Aufgaben wahrnimmt, aggressiv verhält.

Die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 VStG setzt voraus, dass die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird. Das heißt, diese Person muss also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund - und damit vertretbar - annehmen konnte (vgl VfGH 25.11.1985, VfSlg Nr 10681, VwGH 02.10.2020, Ra 2020/03/0075 ua).

Hinsichtlich des Festnahmegrundes gestützt auf § 35 Z 3 VStG iVm § 82 Abs 1 SPG erfordert die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Festnahme demnach, ob das Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber den Sicherheitsorganen im Sinne des § 82 SPG vertretbar als „aggressiv“ einzustufen war, eine Behinderung einer Amtshandlung vorlag und er trotz vorangegangener Abmahnung sein Verhalten fortgesetzt hat (vgl VwGH 29.05.2000, 2000/10/0038, 20.11.2013, 2011/02/0306). Weil bereits der Grundtatbestand des § 82 Abs 1 SPG eine Abmahnung erfordert, setzt die Zulässigkeit der Festnahme nach § 35 Z 3 VStG zudem eine weitere respektive zweite Abmahnung voraus (vgl VfSlg 3904/1961 und VfSlg 7987/1977).

Das Tatbestandsmerkmal nach § 82 Abs 1 SPG besteht im aggressiven Verhalten. Bereits zu der inhaltlich vergleichbaren Vorgängerbestimmung des Art IX Abs 1 Z 2 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen – EGVG sah der Verwaltungsgerichtshof (etwa VwGH 20.12.1990, 90/10/0056, 21.02.1994, 93/10/0092) darin ein solches Verhalten, durch das die jedem Staatsbürger gegen das Einschreiten eines obrigkeitlichen Organs zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts derart überschritten wird, dass diese Abwehr zufolge des Tons des Vorbringens, der zu Schau gestellten Gestik oder durch beides zusammen, als ein aggressives Verhalten gewertet werden muss. In diesem Sinne sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs das Schreien mit einem Organ der öffentlichen Aufsicht und das aggressive Gestikulieren tatbildlich (vgl Hauer/Keplinger, SPG Kommentar, 4. Aufl, Anm 5.1.2 zu § 82 mit Hinweisen auf die höchstgerichtliche Judikatur, etwa VwGH 12.09.1983, 81/10/0101, wonach lautstarke Worte verbunden mit heftiger Gestik ohne weitere Erläuterungen das Tatbild des ungestümen Benehmens erfüllen).

Im gegenständlichen Fall ergibt sich aus obigen Sachverhaltsfeststellungen, dass der Beschwerdeführer laut mit dem Polizeibeamten geschrien hat und dabei seine Krücken vor dem Polizeibeamten in die Höhe gehalten hat. Da der Beschwerdeführer die Amtshandlung (ursprünglich wegen dem unerlaubten Telefonieren mit dem Handy während dem Lenker) dadurch zweifelsfrei behindert hat und auch nach Abmahnung dieses aggressive Verhalten fortgesetzt hat, konnte der Polizeibeamte vertretbar davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer eine Übertretung nach § 82 Abs 1 SPG begangen hat. Da der Beschwerdeführer dabei sohin auf frischer Tat betreten wurde und auch nach der zweiten Abmahnung und Androhung der Festnahme dieses Verhalten fortgesetzt hat, waren zudem die Voraussetzungen für eine Festnahme nach § 35 VStG gegeben, sodass der Polizeibeamte die Festnahme nach diesen Bestimmungen zu Recht ausgesprochen hat. Die Festnahme wurde – nach der Verbringung des Beschwerdeführers auf die Polizeidienststelle, Identitätsfeststellung, Durchführung eines Alkovortests sowie der Untersuchung durch den Polizeiamtsarzt aufgrund der behaupteten Verletzungen – wieder aufgehoben.

Die Beschwerde gegen die Festnahme des Beschwerdeführers erweist sich sohin als unbegründet.

An dieser Beurteilung ändert auch nichts der Umstand, dass die Polizeibeamten dem Beschwerdeführer auf dem abgeschrankten und mit einem Fahrverbotszeichen und dem Hinweis „Privatgrund“ gekennzeichneten Weg zu Unrecht gefolgt sind. Das Nachfahren mit Blaulicht auf dem Privatgrundstück war insofern unzulässig, als dies im gegebenen Zusammenhang jedenfalls mit einer Duldungsverpflichtung für den Beschwerdeführer verbunden gewesen ist und sich nicht in einer im ländlichen Raum üblichen Vorgehensweise erschöpft hat. Dieser faktischen Amtshandlung (vgl anders als in VwGH 20.11.2006, 2006/09/0188 bzw VfSlg 8800/1980) fehlt es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Allerdings ändert diese (nicht beschwerdegegenständliche) Rechtswidrigkeit nichts an der Rechtmäßigkeit der nachfolgenden Amtshandlung und der nach § 35 Z3 VStG ausgesprochenen Festnahme (vgl dazu auch die Rechtsprechung des VwGH zu Amtshandlungen auf Privatgrund, zB VwGH 12.08.1994, 94/02/0298 uva, wonach "sogar" eine allfällige Rechtswidrigkeit des Eindringens des Gendarmeriebeamten in die Wohnung des KFZ-Lenkers diesen nicht berechtige, die dort verlangte Atemluftprobe zu verweigern).

Die Beschwerde ist daher hinsichtlich der Festnahme spruchgemäß abzuweisen.

Obwohl die Festnahme rechtmäßig gewesen ist, sind die Modalitäten der Festnahme als rechtswidrig zu beurteilen. Dies aus folgenden Gründen:

Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegt die Anwendung von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse denselben grundsätzlichen Einschränkungen wie der im Waffengebrauchsgesetz geregelte Waffengebrauch. Sie muss demnach entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur für ihre Rechtmäßigkeit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen und darf nur eingesetzt werden, wenn sie notwendig ist, um Menschen angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen und maßhaltend vor sich geht. Es darf jeweils nur das gelindeste Mittel, das zum Erfolg führt, angewendet werden; dies gilt auch für das Anlegen von Handfesseln (vgl VwGH 14.01.2003, 99/01/0013; 08.09.2010, 2006/01/0182; 24.03.2011, 2008/09/0075; 20.02.2014, 2013/21/0217 ua).

Bei der Beurteilung, ob eine maßhaltende und notwendige Anwendung von Körperkraft vorliegt, ist das Verhalten der davon betroffenen Person von besonderer Bedeutung. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer, dessen linkes Bein knapp unterhalb der Hüfte amputiert ist, keinen Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet, er ist nicht geflüchtet und sein „aggressives Verhalten“ hat sich darin erschöpft, dass er die Polizeibeamten angeschrien hat und dabei die Krücken in die Höhe gehalten hat. Zu keinem Zeitpunkt hat er den Polizeibeamten tätlich angegriffen und es hat sich auch kein Hinweis im Beschwerdeverfahren ergeben, dass ein solcher Angriff unmittelbar bevorgestanden ist (vgl in diesem Zusammenhang zB die Aussage von RevInsp F: „Der Beschwerdeführer ist auf den Polizeibeamten zugegangen und als er stehengeblieben ist, hat er die Krücken in die Höhe gehalten. Es hat so ausgeschaut, als wollte er sich mit diesen Krücken verteidigen, obwohl ja mein Partner nichts getan hat.“). Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer lediglich lautstark seinen Unmut über das unerlaubte Befahren seines Privatgrundstückes den Polizeibeamten kundgetan hat.

Zwar hat sich im Beweisverfahren nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer – wie behauptet – ohne vorige Ansprache sofort zu Boden gerungen worden ist, allerdings konnte festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer gegen die Motorhaube des Polizeifahrzeuges fixiert worden ist und im Handschellen am Rücken angelegt worden sind.

Die Fesselung mit Handschellen im Rahmen einer Amtshandlung ist eine Vorgehensweise, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie "unbedingt erforderlich (unabdingbar) ist" (vgl VwGH 08.08.2002, 99/11/0327). Eine Fesselung mit Handschellen ist etwa dann nicht gerechtfertigt, wenn auf Grund der näheren Umstände eine konkrete Gefährdung der körperlichen Sicherheit der einschreitenden Behördenorgane nicht ernstlich zu befürchten ist oder es diesen auf eine maßvollere Weise als durch Anlegen von Handfesseln möglich wäre, dem Widerstand einer Person zu begegnen (vgl VwGH 18.05.2010, 2006/11/0086). Das Anlegen von Handfesseln durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist gerade deshalb vorgesehen, um damit Menschen angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen.

Im vorliegenden Fall ist dem Beschwerdeführer – wie bereits ausgeführt – eine Verwaltungsübertretung nach § 82 Abs 1 SPG anzulasten, Hinweise auf einen bevorstehenden tätlichen Angriff auf den Polizeibeamten oder Widerstand gegen die Staatsgewalt sind nicht vorgelegen. In Zusammenschau mit der körperlichen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers und der Anwesenheit von zwei ausgebildeten Polizeibeamten ist nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichts das Anlegen von Handfesseln am Rücken nicht erforderlich gewesen, um den Beschwerdeführer angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig. Abgesehen davon, hätten - wenn tatsächlich ernsthaft befürchtet worden ist, dass der Beschwerdeführer seine Krücken als Waffen einsetzt - diese dem Beschwerdeführer unmittelbar nach Ausspruch der Festnahme auch abgenommen werden können, da er sich offensichtlich auch ohne Krücken bei kürzeren Strecken fortbewegen kann (vgl Aussage der Polizeibeamten, dass er beim Öffnen des Schranken keine Krücken bei sich hatte), was einen wesentlich geringen Eingriff als Anlegen von Handfesseln darstellt, zumal gemäß § 29 Abs 2 Z 1 SPG die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen haben, die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt.

Bei dem festgestellten Verhalten des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung dessen körperlichen Beeinträchtigung erweist sich das Fixieren gegen die Motorhaube und das Anlegen der Handfesseln hinten als unverhältnismäßig und überschießend.

Es war daher im Hinblick auf die Modalitäten der Festnahme, insbesondere dem Fixieren gegen die Motorhaube und dem Anlegen der Handschellen, der Beschwerde Folge zu geben und festzustellen, dass diese Vorgehensweise rechtswidrig gewesen ist.

VI.      Kostenentscheidung:

Gemäß § 35 Abs 1 VwGVG, BGBl I Nr 33/2013, hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Im vorliegenden Fall wurde die Festnahme als rechtens erachtet, allerdings die Modalitäten dieser Festnahme als rechtswidrig beurteilt.

Nach der zu § 79a AVG ergangenen Rechtsprechung zum Kostenersatz im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt findet bei einem bloß teilweisen Obsiegen hinsichtlich von mehreren als Einheit zu wertenden Amtshandlungen ein Kostenersatz nicht statt (vgl VwGH 31.01.2013, 2008/04/0216). Die Frage nach der Übertragung dieser Rechtsprechung auf § 35 VwGVG 2014 ist zu bejahen, weil § 79a AVG dem § 35 VwGVG 2014 entspricht (vgl. RV 2009 BlgNR XXIV GP, 8), sie stellt damit keine grundsätzliche Rechtsfrage dar (vgl VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0228 ua).

Es ist daher kein Kostenersatz zuzusprechen.

VII.     Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die in der gegenständlichen Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen konnten anhand der in der vorliegenden Beschwerdeentscheidung zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einwandfrei einer Beantwortung zugeführt werden. Eine außerhalb dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegende Rechtsfrage ist für das erkennende Gericht im Gegenstandsfall nicht hervorgekommen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe ist innerhalb der oben angeführten Frist für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beim Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof ist, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

M i t t e i l u n g

Der Beschwerdeführer hat nach § 14 Tarifpost 6 Abs 5 Z1 lit b des Gebührengesetzes 1957, BGBl Nr 276/1957, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 105/2014 Gebührengesetz 1957 in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend die Gebühr für Eingaben beim Bundesverwaltungsgericht sowie bei den Landesverwaltungsgerichten (BuLVwG-Eingabengebührverordnung - BuLVwG-EGebV), BGBl II Nr 387/2014, folgende Eingabegebühr zu entrichten:

Maßnahmenbeschwerde vom 27.10.2020:      Euro 30,00

Die Gebührenschuld für die Eingaben und Beilagen entsteht im Zeitpunkt der Einbringung der Eingabe.

Die Gebühr ist unter Angabe des Verwendungszwecks auf das Konto des Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel (IBAN: AT83 0100 0000 0550 4109 BIC: BUNDATWW) zu entrichten.

Zum Nachweis der Zahlung der Pauschalgebühr ist dem Landesverwaltungsgericht Tirol eine Kopie des Zahlungsbeleges oder des Ausdruckes über die erfolgte Erteilung einer Zahlungsanweisung zu übersenden.

Die Entrichtung der Gebührenschuld hat ehestmöglich, jedenfalls innerhalb von 10 Tagen ab Zustellung dieses Schriftsatzes zu erfolgen. Wird die Gebühr nicht innerhalb der gesetzten Frist entrichtet, wird eine zwingende Gebührenerhöhung um 50 % der verkürzten Gebühr im Sinne des § 9 Gebührengesetz erfolgen.

Für den Fall, dass die mitgeteilten Gebühren nicht ordnungsgemäß entrichtet werden, wird gemäß § 34 Gebührengesetz 1957 eine Meldung an das Finanzamt erstattet werden, welches die Gebühren sodann mit Bescheid vorschreiben wird.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Kroker

(Richterin)

Schlagworte

Festnahme;
Handfesseln

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2020.12.2388.7

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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