TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/1 W105 2177593-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.03.2021
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Entscheidungsdatum

01.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W105 2177593-1/13E

Schriftliche Ausfertigung des am 11.02.2021 mündliche verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Harald BENDA über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.02.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Der BF stellte am 13.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Einvernahmen erfolgten am 13.12.2015 (Erstbefragung) und am 15.11.2016 (BFA).

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Antragsteller einerseits zu Protokoll, Angehöriger des Volkes der Hazara und schiitischer Moslem zu sein. Er verfüge über eine achtjährige Grundschulbildung und spreche Dari. Im Herkunftsstaat verfüge er über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Eltern und mehrerer Geschwister. Befragt nach den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates gab der Antragsteller zu Protokoll, die „Nachbarbevölkerung“ seien Paschtunen und die Hazara-Bevölkerung werde von den Paschtunen und den Taliban immer wieder getötet. Aus diesem Grund habe er Afghanistan verlassen. Weitere individuell-konkrete Angaben tätigte der Antragsteller, trotz erfolgter Aufforderung, die genauen Umstände zu erklären, nicht.

3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – etwa ein Jahr später – bekräftigte der Antragsteller einerseits seine Angaben zur Person und andererseits zum Bestehen familiärer Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Die Familie verfüge im Herkunftsdorf über ein Haus und lebe von der Landwirtschaft. Sein Vater sei jedoch ca. drei Monate vor seiner Ausreise aus Afghanistan verschwunden. Daraufhin hätte die restliche Familie die Landwirtschaft bewirtschaftet. Sein Vater habe etwa eineinhalb Autostunden entfernt vom Herkunftsort ein Kleidungsgeschäft betrieben. Im Heimatdorf sei das Leben aller Hazara in Gefahr gewesen und seien sie von den Taliban belästigt worden. Man habe Hazara entführt und getötet. Des Weiteren würden die Taliban Minen auf Reiserouten legen. Jeden Frühling würden die Kutschi-Nomaden kommen und alles vernichten, was sie angebaut hätten. Diese seien auch bewaffnet und sehr mächtig und könnten die Hazara nichts gegen diese unternehmen. Reiserouten würden grundsätzlich von den Taliban kontrolliert, sie hätten daher immer zu Hause bleiben müssen und hätten nicht hinausgehen können und sei dies alles gewesen. Weitere Gründe habe er nicht. Allen dort lebenden Hazara würden die Rechte vorenthalten werden. Hazara-Burschen seien bei der Polizei und würden dem Land helfen, die Taliban würden dies ablehnen. Der Vater des Antragstellers sei am Weg zu seiner Arbeit entführt worden. Die Familie gehe davon aus, dass die Taliban oder IS-Kämpfer den Vater entführt hätten. Grund hiefür sei, dass die Taliban die Hazara belästigen und töten wollten.

Im Rahmen einer eingebrachten Stellungnahme vom 24.11.2016 berief sich der Antragsteller dem Grunde nach auf sein bisheriges Vorbringen und führte er aus, die Befürchtung zu haben, im Fall der Rückkehr aus dem westlichen Ausland als besonders vulnerabel und exponiert betrachtet und von den Taliban getötet zu werden. Weiters sei er hier schauspielerisch tätig, weshalb er pro futuro einem erhöhten Maß an Gefährdung ausgesetzt sei.

4.       Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Es wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG bzw. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte III. u. IV.).

Beweiswürdigend führte die Behörde erster Instanz zentral ins Treffen, dass die Angaben des Antragstellers zu einem mehr oder weniger geordneten täglichen Leben im Herkunftsdorf nicht mit den weiteren Ausführungen einer extremen Gefährdungslage durch die Taliban vereinbar seien. Des Weiteren wären die Angaben zu den Vermutungen, dass der Vater des Antragstellers von den Taliban entführt worden sei, nicht plausibel. Die Aussagen des Antragstellers, der Vater sei von den Taliban oder auch IS-Kämpfern entführt worden, stelle sich als bloße Vermutung dar.

5.       Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes neuerlich auf das bisherige Vorbringen verwiesen und wurde ergänzend ausgeführt, dass die Behörde erster Instanz außer Acht gelassen habe, dass auch die Angehörigen der Gruppe der Kutschi der Volksgruppe der Paschtunen angehören und sohin den Taliban nahestünden. Auch herrschende Streitigkeiten der Kutschi-Nomaden mit der ansässigen Landbevölkerung würden aus den Berichten der Staatendokumentation hervorgehen. Streng muslimische Taliban würden Schiiten überdies nicht als wahre Moslems betrachten und würden sie daher Gefahr laufen, religiös und ethnisch verfolgt und auch zwangsrekrutiert zu werden. Die Furcht des Antragsstellers, einem erhöhten Verfolgungsrisiko durch die Taliban oder die auch dadurch gestärkten Kutschi-Nomaden ausgesetzt zu sein, sei daher mit den Länderberichten vereinbar. Die Provinz Ghazni werde insgesamt mangels eines dort funktionierenden Staatswesens von den Taliban beherrscht und werde auch in den Länderberichten von Entführungen von Hazara durch regierungsfeindliche Elemente in der Provinz Ghazni berichtet. Im Herkunftsstaat wäre der Antragsteller vielfältiger individueller Gefahr ausgesetzt, wie Zwangsrekrutierung, Entführung, hin bis zu Ermordung durch Taliban sowie durch die allgemeine prekäre Sicherheitslage.

Die gegenständliche Rechtssache wurde dem entscheidenden Richter mit 07.10.2020 zur Bearbeitung geschäftsverteilungsgemäß zugeteilt.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurde der Antragsteller auf die aktualisierten Länderdokumentationsunterlagen verwiesen und bezog er hierauf schriftlich mit Schriftsatz vom 25.01.2021 Stellung unter Hinweis auf die sozio-ökonomischen Auswirkungen von COVID-19, auf die Ernährungssicherheit und die allgemeine wirtschaftliche Situation in Afghanistan. Weiters würden als besonders gefährdet Personen angesehen werden, die sich im Westen bestens integriert hätten und das Wertesystem verinnerlicht hätten. Der BF habe sich im Bundesgebiet sehr gut integriert und diene damit zahlreichen radikalen Akteuren im Falle der Rückkehr in Afghanistan als Feindbild. Der Antragsteller sei in sehr jungen Jahren, nämlich mit 15, unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist, spreche sehr gut Deutsch und habe das Niveau B1 nachgewiesen. Er habe den Pflichtschulabschluss absolviert und an einer Bundeshandelsakademie ein Semester besucht und jedoch durch Misserfolg abgebrochen. Der Beschwerdeführer sei sehr bemüht, im Rahmen der Möglichkeiten, beruflich weiterzukommen und sei er desweiteren seit längerem beim Roten Kreuz ehrenamtlich tätig und wolle er im kaufmännischen Bereich eine Lehrstelle finden. Er sei auch kulturell interessiert und werde ein Nachweis an einer Teilnahme an einem Theater-Work-Shop übermittelt.

Mit Schreiben vom 11.01.2021 wurde der Antragsteller auf die neueste Dokumentationslage verwiesen.

6.       Am 11.02.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt,

Beginn der Befragung

I. Zum aktuellen Zustand des BF:

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht [die Begriffe werden mit dem BF abgeklärt, sodass ihm diese geläufig sind]): Sind Sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

BF: Ja, ich kann der heutigen Verhandlung folgen. Ich bin gesund und nicht in ärztlicher Behandlung.

II. Zum Verfahren vor dem BFA bzw. den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes:

R: Sie wurden bereits beim BFA bzw. vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizei) niederschriftlich einvernommen. Haben Sie dort immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

BF: Ich habe die Wahrheit angegeben und halte alles aufrecht.

R: Wurden Ihnen die Niederschriften, die die Polizei im Rahmen der Erstbefragung und das BFA im Zuge Ihrer Einvernahme mit Ihnen aufgenommen haben, rückübersetzt?

BF: Ja.

III. Zur persönlichen Situation des BF:

a) in Österreich:

R: Habe Sie in Österreich familiäre Bindungen?

BF: Ich habe einen Onkel ms hier. Sonst niemand.

R: Können Sie angeben, wovon Sie leben?

BF: Ich wohne privat und bekomme Grundversorgung im Monat € 365.

R: Besteht zu Ihrem in Österreich lebenden Onkel irgendein Abhängigkeitsverhältnis?

BF: Manchmal, wenn ich finanzielle Unterstützung brauche, dann unterstützt er mich finanziell.

R: Wie sieht Ihr Kontakt zu Ihren Familienangehörigen im Herkunftsstaat aus?

BF: Telefonisch.

R: Wie oft telefonieren Sie?

BF: Ein, zweimal im Monat.

R: Können Sie sagen, wer noch im Herkunftsort bzw. im Herkunftsstaat wohnt und wovon leben diese?

BF: Meine Mutter, meine zwei Schwestern und mein Bruder leben in Afghanistan in Ghazni, im Distrikt Qarabagh. Weiters leben zwei Onkel ms und meine Großeltern ms dort. Von meinem Vater lebt niemand dort. Es gibt eine große Landwirtschaft. Es wird Weizen angebaut. Von diesem Grund lebt die Familie.

RV stellt sich die Frage, wie groß die Landwirtschaftlich tatsächlich ist.

BF: Es ist weniger als ein Jirib.

R: Laut Umrechnungstabelle aus dem Internet ist das nicht sehr viel. Wie viele Personen leben davon?

BF: Meine Mutter und die Geschwister leben davon.

R: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach?

BF: Ich darf nicht arbeiten.

RI: Sie haben bereits ehrenamtlich gearbeitet. In welchem Ausmaß haben Sie das gemacht? BF: Einmal im Monat beim Roten Kreuz einen Tag.

RI: Welche kulturellen Veranstaltungen besuchten Sie?

BF: Ja. Nachgefragt: Ein Kinderfest (siehe Beilage). In St. Pölten im Festspielhaus. In diesem Festspielhaus waren verschiedene Veranstaltungen, wo ich teilgenommen habe und ehrenamtlich mitgeholfen habe. Ich habe auch an Theaterstücken teilgenommen.

b) im Herkunftsstaat:

R: Im angefochtenen Bescheid des BFA wurde u.a. bereits festgestellt, dass Sie aus Afghanistan stammen.

RI: Bitte geben Sie bekannt, ob folgende Angaben, die sich aus Ihren bisherigen Aussagen ergeben, richtig aufgenommen wurden.

Sie sind volljährig, ledig und kinderlos. Sie gehören zur Volksgruppe der Hazara und sind schiitischer Moslem. Dari ist Ihre Muttersprache und Sie beherrschen die Sprache in Wort und Schrift.

BF: Ja.

Sie wurden in der Provinz Ghazni, Distrikt Qara Bagh, Dorf Pshegahr-Naiqala, geboren und lebten dort durchgehend bis zu Ihrer Ausreise nach Europa. Sie haben acht Jahre lang eine Schule besucht und haben nebenbei in der familieneigenen Landwirtschaft mitgeholfen.

BF: Ja.

Ihre Familie wohnt nach wie vor im Heimatdorf, wo diese ein eigenes Haus besitzt und weiterhin von der eigenen Landwirtschaft lebt. Im Distrikt Qara Bagh, Dorf Qalae Mirak, gibt es zudem noch mehrere Verwandte mütterlicherseits (Großeltern und zwei Onkel).

BF: Ja.

Ihre Ausreise erfolgte im November 2015 von Afghanistan aus. Sie reisten spätestens am 13.12.2015 in Österreich ein und stellten an diesem Tag im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Flucht wurde von Ihnen selbst organisiert.

BF: Ja, das stimmt.

RI: Wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren würden, könnten Sie sich von Ihren Verwandten eine Unterstützung erwarten?

BF: Nein, ich muss meinen Verwandten helfen und nicht, dass sie mich dann unterstützen werden.

RI: Warum? Bis zu Ihrer Ausreise wurden Sie ja auch von Ihrer Familie unterhalten.

BF: Als ich noch in Afghanistan war, war ich ziemlich jung und ich hatte keine andere Wahl, weshalb ich auch dort war und gelebt habe. Solange mein Vater noch bei uns war, hatten wir ein gutes Leben. Als er dann von den Taliban mitgenommen wurde, haben wir Angst bekommen. Wir konnten dort nicht mehr in Ruhe leben.

RI: Seit wann ist Ihr Vater verschollen?

BF: Er ist drei Monate vor meiner Ausreise aus Afghanistan verschollen.

RI: Was ist ihm genau passiert?

BF: Mein Vater ist Richtung Arbeit gegangen. Als wir dann am späten Nachmittagabend ihn angerufen haben, hat er auf sein Handy nicht mehr reagiert und nicht mehr geantwortet.

RI: Wissen Sie, was ihm passiert ist?

BF: Wir haben öfters versucht ihn am Handy zu erreichen, er hat nicht geantwortet. Zwei, drei Tage später haben wir es auch weiter versucht. Es war erfolglos und meine Familie hat gemeint, er ist sicher von den Taliban mitgenommen worden.

RI: Es ist also nur eine Vermutung, dass er von den Taliban mitgenommen wurde?

BF: Damals waren die Taliban überall und haben viele Hazaras entführt und mitgenommen.

RI: Können Sie einen Grund nennen, warum die Taliban es auf Ihren Vater abgesehen gehabt hätten?

BF: Das ist bekannt, dass die Taliban mit den Hazara Probleme haben und die Hazara nicht akzeptieren. In Augen der Taliban gelten die schiitischen Hazara als eine andere Religion für die Taliban und als Ungläubige.

RI: Wieso kamen Sie gerade nach Österreich?

BF: Als ich in Österreich angekommen bin, wusste ich nicht, wo ich bin. Ich habe nachgefragt, wo ich gerade bin. Mir wurde gesagt, dass es Österreich ist. Ich hatte auch kein Geld mehr bei mir, somit konnte ich nicht mehr weitereisen und somit bin ich hiergeblieben.

RI: Wie wurde Ihre Ausreise finanziert?

BF: Als mein Vater noch bei uns war, hatte er gearbeitet und Geld gespart. Zusätzlich hat mein Vater ein Bekleidungsgeschäft gehabt, welches wir nach seinem Verschwinden verkauft haben. Von diesem Geld habe ich mir die Reise finanziert.

RI: Wann wurde das Textilgeschäft Ihres Vaters verkauft?

BF: Ca. ein bis 1 ½ Monate nach seinem Verschwinden.

RI: Wer hat den Verkauf abgewickelt? Wie hat das funktioniert?

BF: Meine Mutter und ich haben es gemeinsam verkauft an einen Mann, der in unserer Ortschaft auch gelebt hat und der auch Interesse an diesem Geschäft hatte.

RI: Warum hat das Geschäft niemand fortgeführt?

BF: Dieses Geschäft war von unserem zu Hause entfernt. Nach dem Verschwinden von meinem Vater hat meine Mutter große Angst bekommen und sie hat gesagt, sie könnte es sich nicht mehr vorstellen, dass einer von uns dieses Geschäft weiterführt, aus Angst, dass wir auch nicht zurückkommen würden, wie mein Vater.

IV. Fluchtgründe des BF:

RI: Warum meinen Sie, nicht nach Afghanistan zurückkehren zu können?

BF: Weil es in Afghanistan keine Sicherheit mehr gibt.

RI: Mit wem hatten Sie konkret Probleme in der Vergangenheit in Afghanistan?

BF: Persönlich nur mit den Taliban.

RI: Berichten Sie von Ihren Erlebnissen mit den Taliban.

BF: Nach dem Verschwinden von meinem Vater habe ich mit meiner Mutter beschlossen, da ich der älteste Sohn zu Hause war, arbeiten zu gehen, um die Familie zu finanzieren. Da meine Mutter aber große Angst hatte um mich, wollte sie nicht, dass ich länger in Afghanistan bleibe, weil sie gedacht hat, dass, wenn ich in die Arbeit gehe, von den Taliban entführt werde. Dann hat sie beschlossen, dass ich nach Europa gehen soll, um eine besser Zukunft zu haben.

RI: Ihre Schwestern haben die Schule besucht?

BF: Ja.

RI: Wie war das möglich in einem Ihrer Darstellung nach von den Taliban beherrschten Gebiet?

BF: Die Taliban haben keine Probleme mit Mädchen oder Frauen, wenn sie sich richtig bedecken, wenn sie ein Kopftuch tragen und sich richtig kleiden, haben sie nichts dagegen.

RI: Aus einer Vielzahl von Asylverfahren ist mir bekannt, dass die Taliban regelmäßig Schulbesuche von Mädchen verhindern, die Leute bedrohen und sogar Schulen niederbrennen.

BF: Damals war ich klein und die Taliban haben keine Probleme damit gehabt. Erst im Nachhinein, als ich älter geworden bin, haben wir Angst gehabt, in die Schule zu gehen, weil die Taliban die jungen Männer mitgenommen haben, um für sie zu kämpfen.

RI: Hatte Ihre Familie in der Vergangenheit schon einmal Probleme mit den Taliban?

BF: Nein, zuvor nicht, aber die Taliban haben mit den Hazara Probleme.

RI: Was können Sie mir zu den Kuchis erzählen? Das, was mit Ihnen persönlich zu tun hätte.

BF: Die Kuchis gehören zu den Taliban. Sie sind auch bewaffnet. Persönlich habe ich keine Probleme mit ihnen gehabt, aber, wenn ich geblieben wäre, wäre es zu einem Problem gekommen. Weil das, was wir in der Landwirtschaft anbauen, machen die Kuchis kaputt. Sie hätten es kaputt gemacht, wenn ich geblieben wäre.

RI: Gibt es weitere Informationen über eine Gefahr, die nur Ihnen in Afghanistan droht?

BF: Ja, die Taliban. Ich habe vor einer Woche mit meiner Mutter telefoniert und sie hat mir berichtet, dass die Taliban unseren Wohnort eingenommen haben. Meine Mutter hat mir weiters erzählt, dass nur die Frauen sich ein bisschen raus bewegen können und die Männer sitzen nur zu Hause und verstecken sich. Die Gefahr wäre für mich, wenn ich zurückkehren sollte, werden mich die Taliban töten.

RI: Was glauben Sie, würde Ihnen geschehen, wenn Sie sich an einem anderen Ort in Afghanistan niederlassen würden, der von den Regierungskräften dominiert wird?

BF: Erstens ist ganz Afghanistan nicht sicher, kein Provinzteil Afghanistans. Wenn ich mich aber trotzdem in einem anderen Provinzteil von Afghanistan begeben muss, brauche ich eine Arbeit und derzeit herrscht eine Armut in Afghanistan. Die ärmeren Familien bringen andere um für ein Stück Brot.

RV: Kennen Sie konkrete Fälle, wo junge Burschen von den Taliban damals mitgenommen wurden?

BF: Gesehen habe ich es persönlich nicht, aber ich habe es gehört.

RV: Haben Sie in anderen Provinz Bekannte, Freunde, Verwandte oder sonstige soziale Kontakte?

BF: Nein, ich habe niemanden.

RV: Haben Sie außer Ihrer Feldarbeiten jemals andere Arbeiten in Afghanistan durchgeführt?

BF: Nein, ich habe nur bei der Landwirtschaft meiner Eltern gearbeitet.

RV: Haben Sie aktuell über Social-Media Kontakte zu Afghanistan, außer zu Ihrer Familie?

BF: Nein. Ich bin nur mit den Freunden in Kontakt, die auch Afghanistan verlassen haben.

RV: Keine weiteren Fragen.

Die Z1 wird um 10:11 Uhr in den Verhandlungssaal gebeten.

Birgit FRIEDL, geb. 09.01.1972, wohnhaft in 3130 Herzogenburg, Kalkofengasse 1/1/3, Beruf: Sozialarbeiterin beim Hilfswerk NÖ

Der Zeugin wird eine Wahrheitserinnerung erteilt und die Belehrung über Entschlagungsrechte.

R: Wie haben Sie den heute anwesenden BF kennengelernt?

Z1: Es hat damals im Jahre 2015 eine private Unterkunft eröffnet. Das wurde dann von der Caritas übernommen und ich habe damals im Rahmen meiner Tätigkeit dort gearbeitet. Es war im Zuge meiner Studienzeit. Dort habe ich als ehrenamtliche Mitarbeiterin gearbeitet. Da war es naheliegend für mich, dort mitzutun. Ich habe beispielsweise Deutschunterricht gegeben, Freizeitgestaltung.

R: Sie kennen BF nunmehr mehrere Jahre – seine ehrenamtlichen Tätigkeiten und Integrationsbestrebungen sind bereits im Akt notiert. Können Sie im Einzelnen noch einige herausheben, dass seine Integration besonders gut ist.

Z1: Ich habe derzeit keine intensiven Kontakte mehr zu Asylwerbern. Der anwesende BF ist mir sozusagen verblieben, weil wir eine sehr enge und vertrauensvolle Beziehung damals aufgebaut haben, die wir auch halten konnten, als er dort ausgezogen ist. Corona-bedingt sehen wir einander etwas weniger, der Kontakt besteht über Whats App. Im Jahr 2016 haben wir einander fast täglich gesehen. Ich war damals in Bildungskarenz. Ein bis zweimal in der Woche, als er noch in Herzogenburg war. Danach einmal im Monat. Wir haben auch geschaut, dass wir die Freizeitaktivitäten aufrecht erhalten. Wir sind beispielsweise gemeinsam im Wald spazieren gegangen.

R: Möchten Sie irgendeine Integrationsleistung des BF hervorheben?

Z1: Der menschliche Umgang mit ihm, er ist sehr emphatisch. Er hat auch meine Eltern kennengelernt. Mein Sohn ist im gleichen Alter, wie der BF. Ich möchte auch betonten, dass wir beispielsweise auch gemeinsam mit meiner Tochter vor Corona das Schwimmbad besucht haben und war auch ihr und mir gegenüber sehr respektvoll. Ich habe immer versucht ihn auch in Alltagsgeschehen einzubinden, damit er auch die Alltagssituation kennenlernt und auch die ansässige Bevölkerung. Er ist auch sehr lernwillig, so hat er auch den Pflichtschulabschluss innerhalb von drei Jahren geschafft.

RV: Hat der BF neben seiner ehrenamtliche Tätigkeit auch Interesse an einer Erwerbtätigkeit gezeigt?

Z1: Ja, er hat auch Interesse an einer Lehre gezeigt. Corona-bedingt war das nicht möglich. Es handelt sich um den Berufserwerb des Bürokaufmanns. Er hat auch zweimal Kontakte zu einer Firma geknüpft und hat auch Schnuppertage absolviert.

RV: Wie ist der BF insgesamt in unserer Gesellschaft angekommen?

Z1: Sehr gut. Er ist immer positiv gestimmt. Er geht auf Leute zu. Er ist sehr interessiert, wie zB in der Adventzeit. Wir sind auf Adventmärkte gegangen und sogar in die Christmette. Es wurden Geburtstage gefeiert.

RV: Keine weiteren Fragen.

Die Z1 wird um 10:24 Uhr entlassen.

Der Z2 wird um 10:27 Uhr in den Verhandlungssaal gebeten.

XXXX , geb. XXXX wohnhaft in Mühlenweg 34, 9500 Villach, Beruf: Sozialbetreuer in einem Asylheim

Dem Zeugen wird eine Wahrheitserinnerung erteilt und die Belehrung über Entschlagungsrechte.

R: Sie sind der Onkel des BF?

Z2: Ja, ich bin der Onkel ms.

R: Wann sind Sie nach Österreich gekommen?

Z2: Ich bin Ende 2011 gekommen.

R: Sie sind anerkannter Flüchtling nach der GFK?

Z2: Ja.

R: Können Sie oder möchten Sie mir sagen, was Ihr zentraler Fluchtgrund gewesen ist?

Z2: Das möchte ich nicht sagen.

R: Sie haben aber damals die Wahrheit gesagt?

Z2: Ja.

R: Von wem haben Sie den Asylstatus erhalten?

Z2: Vom BFA habe ich zuerst negativ erhalten, dann ging es zum BVwG, dort wurde es zurückverwiesen. Und dann habe ich noch einmal eine positive Entscheidung vom BFA erhalten.

R: Hatten Sie in Afghanistan auch Kontakt zu Ihrem Neffen?

Z2: Leider nicht, ganz wenig. Dort funktioniert das Handy nicht so.

R: Wo haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Z2: In Ghazni, im Dorf Sardalub. Nachgefragt: Dieses Dorf ist ungefähr vom Dorf meines Neffen eine Autostunde entfernt. Wir hatten nicht viel Kontakt.

R: Wie viel Kontakt haben Sie hier in Österreich?

Z2: Telefonisch habe ich Kontakt mit ihm. Wir telefonieren ab und zu, wenn ich frei habe. Aber aufgrund der Situation sehen wir einander nicht. Vor Corona haben wir uns ungefähr alle drei, vier Monate getroffen.

R: Unterstützen Sie Ihren Neffen finanziell?

Z2: Manchmal, aber nicht regelmäßig. Manchmal habe ich ihm Gewand oder Schuhe gekauft.

R: Sie selbst sind gesund, arbeitsfähig und nicht pflegebedürftig?

Z2: Ich bin gesund.

RV: Wie würden Sie ihre emotionale Bindung zu Ihrem Neffen beschreiben?

Z2: Ich mag ihn. Er ist ein ganz netter Junge. Ich kann mit ihm viel Zeit verbringen. Ich hoffe, dass er eine Chance bekommt, und hierbleibt. Ich werde ihn gerne weiter unterstützen.

RV: Haben Sie sonst noch Verwandte in Österreich?

Z2: Nein.

RV: Keine weiteren Fragen.

Der Z2 wird um 10:35 Uhr entlassen.

Dem Vertreter wird Raum geboten, eine Stellungnahme abzugeben.

RV: Ich verwiese zunächst auf das schriftliche Vorbringen. Das heutige Beweisverfahren hat ergeben, dass der BF in Österreich sehr gut integriert ist, dass er ausgezeichnet Deutsch spricht, dass er enge familiäre Bindungen im Bundesgebiet hat, dass er vielfältige ehrenamtliche Arbeitserfahrung hat, eine Schulbildung abgeschlossen hat, einen beachtlichen Freundeskreis aufgebaut hat und auch konkrete Chancen auf ein berufliches Weiterkommen hat. Hervorzuheben ist weiters, dass der BF bereits im Alter von 15 Jahren seine Heimat verlassen musste, seine bisherigen Angaben lückenlos und glaubwürdig sind und die Situation in seiner Herkunftsprovinz desaströs ist. Aufgrund seiner mangelnden sozialen und familiären Einbindung außerhalb von Ghazni würde eine Rückverweisung auf eine andere Provinz eine unzumutbare Härte darstellen. Dies auch im Hinblick auf die aktuelle COVID-Situation, die es selbst Tagelöhnern unmöglich macht, ohne familiäres oder soziales Netz in Afghanistan zu überleben.

R: Die Dolmetscherin wird Ihnen jetzt die gesamte Verhandlungsschrift rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden. Sollten Sie einen Fehler bemerken oder sonst einen Einwand haben, sagen Sie das bitte.

BF: Ich bitte um eine Rückübersetzung.

Die vorläufige Fassung der bisherigen Niederschrift wird durch die D dem BF rückübersetzt.

Keine Einwendungen.

Ende der Befragung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen/Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers:

Der BF trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX . Dieser ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Volksgruppenangehöriger der Hazara und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Der BF spricht Dari als Muttersprache und beherrscht die Sprache in Wort und Schrift.

Der BF ist volljährig, ledig sowie kinderlos. Dieser wurde in der Provinz Ghazni, Distrikt Qara Bagh, Dorf Pshegahr-Naiqala, geboren und lebte dort durchgehend bis zu seiner Ausreise nach Europa. Der BF besuchte acht Jahre lang eine Schule und hat nebenbei in der familieneigenen Landwirtschaft mitgeholfen.

Die Familie des BF lebt nach wie vor im Heimatdorf, wo diese ein eigenes Haus besitzt und von der Landwirtschaft lebt (im Besitz stehen Grundstücke in der Größe von weniger als einem Jirib). Es besteht regelmäßiger Kontakt des BF zu seinen Angehörigen. Im Distrikt Qara Bagh, Dorf Qalae Mirak, leben außerdem mehrere Verwandte mütterlicherseits (Großeltern und zwei Onkel).

Die Ausreise des BF erfolgte im November 2015 von Afghanistan aus. Dieser reiste spätestens am 13.12.2015 in Österreich ein und stellte an diesem Tag im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Flucht des BF wurde von diesem organisiert und mit Ersparnissen des Vaters sowie dem Verkauf des Textilgeschäftes des Vaters finanziert.

Es gab keinen konkreten Anlass für die Ausreise des BF. Dieser war in seinem Herkunftsstaat politisch nicht aktiv und gehört keiner politischen Organisation oder Partei an. In Afghanistan hatte der BF persönlich weder Probleme mit den Taliban wegen seiner Volks- und Religionszugehörigkeit, noch Schwierigkeiten mit den Kutschi-Nomaden.

Der BF und seine Kernfamilie hatten niemals spezielle Probleme mit den genannten Personen im Herkunftsstaat; auch nach der Ausreise des BF ist seine Kernfamilie nicht in deren Fokus geraten. Der BF wurde nie persönlich bedroht; eine solche Bedrohung stand nicht unmittelbar bevor und ist im Fall einer Rückkehr ebenfalls nicht zu befürchten. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Vater des BF von den Taliban entführt wurde.

Der BF hat auch sonst keine Probleme mit regierungsfeindlichen Gruppierungen, dem Staat oder sonst jemandem im Herkunftsland zu befürchten. Vor allem hat dieser im Herkunftsstaat keine Probleme wegen seiner Nationalität, Religion, Ethnie, politischen oder weltanschaulichen Einstellung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung nicht speziell zu befürchten.

Die Taliban sind in der Heimatprovinz des BF aktiv (die Sicherheitslage hat sich in den letzten Monaten verschlechtert: acht Distrikte der Provinz standen unter Kontrolle der Taliban, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft). Dem BF könnte bei einer Überstellung nach Ghazni daher ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit durch die regierungsfeindliche Gruppierung oder eine (Zwangs)Rekrutierung drohen, auch wenn nicht festgestellt werden konnte, dass der BF mit der Gruppierung persönlich Probleme hatte. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb der Provinz Ghazni, insbesondere in Regionen, in denen regierungsfeindliche Elemente keinen maßgeblichen Einfluss haben, wie in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, würde dem BF nicht mit gesteigerter Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit oder eine (Zwangs)Rekrutierung durch die Taliban drohen.

Die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif bieten grundlegende Versorgungsmöglichkeiten und Infrastruktur (Unterkunft, Trinkwasser, Hygiene, Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeitsplätze) für die Inanspruchnahme einer IFA, auch wenn es Rückkehrer auf dem angespannten Ressourcenmarkt schwer haben. Die Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif ist ungeachtet der Dürre des letzten Jahres nicht derart problematisch, dass ein Leben dort unmöglich oder auch nur unzumutbar wäre.

Der BF kann vorübergehend Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen. Angesichts seiner bisherigen Lebenserfahrung ist nicht davon auszugehen, dass der BF in den für eine Wiederansiedelung in Aussicht genommenen Städten in eine existenzbedrohende oder menschenunwürdige Situation geraten würde.

Im Bundesgebiet verfügt der BF über einen Onkel mütterlicherseits mit dem Status als anerkannter Flüchtling. Es besteht zwar regelmäßiger Kontakt, jedoch weder ein gemeinsamer Haushalt, noch eine finanzielle Abhängigkeit. Der BF ist gesund und arbeitsfähig sowie selbsterhaltungsfähig.

Der BF wohnt aktuell in einer Unterkunft in Herzogenburg und bezieht Gelder aus öffentlichen Mitteln. Einer regelmäßigen bezahlten Beschäftigung geht dieser nicht nach. Der BF hat seit seiner Ankunft im Bundesgebiet ein Bildungszentrum für Gesundheits- und Sozialberufe der Caritas besucht und den Pflichtschulabschluss nachgeholt. Außerdem hat sich dieser ehrenamtlich als Dolmetscher engagiert und an mehreren Workshops, einem Photovoltaik-Lehrgang, einem Werte- und Orientierungskurs, einem Erste-Hilfe-Grundkurs sowie am Theaterprojekt „Vom Wind, dem Sand und den Sternen“ als Schauspieler teilgenommen. Darüber hinaus absolvierte der BF mehrere Deutschkurse und legte eine B1-Sprachprüfung ab. In seiner Freizeit spielt der BF Fußball. Für diesen wurde ein Entwicklungs- und Betreuungsbericht ausgestellt, der seine angenehme und fröhliche Art, aber auch seine Inkonsequenz beim Schulbesuch und seine Unzuverlässigkeit betreffen die Einhaltung von Vereinbarungen hervorheben.

In Österreich ist der BF nicht vorbestraft.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan landesweit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Falle der Rückkehr in die Städte Mazar-e-Sharif und Herat ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Rückkehr kann er mit Unterstützung seiner in Afghanistan lebenden Verwandten rechnen und könnte seine Existenz dort auch – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat eine einfache Unterkunft zu finden.

Der Beschwerdeführer kann die Städte Mazar-e-Sharif und Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Auch die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2.1 Auszug Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand: 16.12.2020)

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).en COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

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1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, Kapitel 5).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (LIB, Kapitel 7).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 5).

1.5.1.1. Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 4).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (LIB, Kapitel 5).

Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4).

Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (LIB, Kapitel 4). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt. Für den Berichtszeitraum 01.01.2020-30.09.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012. Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (LIB, Kapitel 5).

Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung, wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben. Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (LIB, Kapitel 4).

1.5.1.2. COVID-19

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt. Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (LIB, Kapitel 3).

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind. Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden. Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet. Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. UNOCHA erwartet, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u. a. Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung) angewiesen sein werden. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze (LIB, Kapitel 22).

Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 22).

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (LIB, Kapitel 22).

Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst. Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes. Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne. Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (LIB, Kapitel 3).

Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (LIB, Kapitel 22).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 22).

Der durchschnittliche Verdienst eines ungelernten Tageslöhners in Afghanistan variiert zwischen 100 AFN und 400 AFN pro Tag (LIB, Kapitel 22).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte normalerweise die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.). Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (LIB, Kapitel 3).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt. Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden (LIB, Kapitel 23).

Zahlreiche Staatsbürger begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich. Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar (LIB, Kapitel 23).

Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. WHO und USAID zählten zwischen Jänner und August 2020 30 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen (LIB, Kapitel 23).

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken, unter anderem das staatliche He

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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