Entscheidungsdatum
19.03.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W173 2167031-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Drin. Maria PARZER in Vertretung von Drin Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Einzelrichterin über die Beschwerde des Herrn XXXX , geb. XXXX 1997, StA. Afghanistan, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Clemens LAHNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.7.2017, Zl. 1090146005/151507769 RD NÖ, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 07.09.2020 und am 17.03.2021 zu Recht erkannt:
A)
1. Der Beschwerde wird stattgegeben und Herrn XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass Herrn XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
2. Die Spruchpunkte II.- IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) reiste illegal in Österreich ein und stellte am 7.10.2015 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.
2. Bei der am 7.10.2015 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ der Landespolizeidirektion Oberösterreich gab der BF an, er sei am 25.10.1999 geboren und schiitischer Muslim. Er habe von 2006 bis 2015 in Afghanistan die Grundschule besucht. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass in Afghanistan Krieg mit den Taliban herrsche und er große Angst vor dem Sterben habe. Er habe für sich und seine Familie keine Zukunft in Afghanistan gesehen und sie hätten beschlossen, das Land gemeinsam zu verlassen. Leider habe er seine Familie im Iran vor der türkischen Grenze verloren.
3. Mit Verfahrensanordnung vom 19.5.2016 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) auf Basis eines eingeholten medizinischen Gutachtens vom 11.3.2016 der XXXX 1997 als Geburtsdatum des BF festgesetzt.
4. Am 23.3.2017 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Tirol, niederschriftlich einvernommen. Der BF gab zusammengefasst an, er stamme aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni und habe dort mit seiner Familie bis zu seiner Ausreise gelebt. Er sei Hazara und schiitisch muslimischen Glaubens. Er sei bis zur siebenten Klasse in der Schule seines Heimatdorfes gewesen und habe keinen fixen Beruf gehabt, jedoch in der Landwirtschaft seiner Eltern geholfen. Er habe den Kontakt zu seinen Eltern am Grenzübergang zwischen dem Iran und der Türkei verloren. Über seinen Fluchtgrund befragt, gab der BF zusammengefasst an, dass sein Bruder beim Militär gewesen sei und die Dorfbewohner illegal mit Waffen beliefert habe, sodass diese sich gegen die Kutschis verteidigen hätten können. Sein Bruder sei dann am Weg nach Hause bei einem Angriff der Taliban getötet worden. Danach habe sein Vater den Entschluss gefasst, dass sie die Region verlassen müssten, da die Kutschis im Frühjahr wiederkommen würden. Im letzten Jahr seien die Kutschis bewaffnet gekommen und sie hätten ihnen die Region überlassen. Es habe gedauert, bis sie eine Gelegenheit bekommen hätten mit dem LKW Richtung Ghazni zu fahren, von wo aus sie Afghanistan verlassen hätten. Er sei nie von den Kutschis bzw. den Taliban bedroht worden. Er habe nie angegeben, dass er 1999 geboren sei, er habe dem Dolmetscher gesagt, dass er 16 Jahre alt sei. Laut seiner Tazkira, welche sich bei seinen Eltern befinde, sei er 18 Jahre alt. Hier sei sein Alter aber auf 19 Jahre festgelegt worden. In Österreich lebe er von der Grundversorgung. Er sei in einem Judoverein, arbeite bei der Gemeinde und lerne Deutsch mit einer Nachbarin. Im Zuge der Einvernahme wurden vom BF ein Dienstzeugnis über gemeinnützige Hilfstätigkeit der Stadtgemeinde Gänserndorf, ein Deutschzertifikat auf dem Niveau A1, Kursbesuchsbestätigungen und Empfehlungsschreiben vorgelegt.
5. Mit Schreiben vom 11.4.2017 wurden weitere Unterlagen, darunter ein weiteres A1 Zertifikat für Deutsch, eine Trainingsteilnahmebestätigung der Sektion JUDO des SV OMV Gänserndorf, eine Abschlussbestätigung über eine interne Ausbildung im Gesundheits- und Sozialdienstbereich des Roten Kreuzes, sowie eine Teilnahmebestätigung für die Schulung „Basisbildung“ vorgelegt.
6. Mit Bescheid vom 14.7.2017, Zl. 1090146005/151507769 RD NÖ, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Weiters wurde die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).
Im Bescheid traf die Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in Afghanistan. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF in Afghanistan bedroht oder verfolgt werde. Das Vorbringen des BF zu den Taliban/Kutschi sei nicht glaubhaft gewesen. Die Rückkehr des BF nach Kabul, Herat und Mazar-e Sharif stelle aufgrund der dortigen Sicherheitslage für den jungen, gesunden und arbeitsfähigen BF, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, keine Verletzung nach Art. 3 EMRK dar. Der BF bestreite seinen Aufenthalt durch finanzielle Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln, sei in keinem Verein Mitglied und habe ein A1 Zertifikat. Die Rückkehrentscheidung stelle daher auch keine Verletzung vom Art. 8 EMRK dar.
7. Mit Verfahrensanordnung vom 14.7.2017 wurde dem BF die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.
8. Mit Schreiben vom 31.7.2017 erhob der BF Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des Bescheides vom 14.7.2017 wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften, unrichtiger Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie falscher und unvollständiger Sachverhaltserhebung. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass es im Dorf des BF immer wieder zu Konflikten zwischen Kutschis und Dorfbewohnern gekommen sei und der Bruder Waffen für die Dorfbewohner für deren Verteidigung besorgt habe. Im Zuge der Tätigkeit sei der Bruder von den mit den Kutschis verbundenen Taliban mit zwei seiner Kollegen ermordet worden. Aufgrund der in Afghanistan weit verbreiteten Sippenhaftung sei die gesamte Familie des BF für die Tätigkeit des Bruders verantwortlich gemacht worden und habe vor den Kutschis und den Taliban flüchten müssen. Die Familie habe sechs Monate lang gewartet, das Dorf zu verlassen, weil die Kutschis das Dorf umstellt hätten und die Lage für Hazara besonders gefährlich sei. Es drohe dem BF durch die Kutschis und die Taliban Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und er sei zudem auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Die Länderfeststellungen zu bestehenden Konflikten zwischen Kutschis und Hazara seien mangelhaft und die Behörde habe sich unzureichend mit der Situation der Hazara auseinandergesetzt. Die Beweiswürdigung beruhe auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren und sei dem BF bei richtiger rechtlicher Beurteilung der Status des Asylberechtigten – zumindest aber der Status des subsidiär Schutzberechtigten – zuzuerkennen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für den BF nicht, weil das Erreichen anderer Städte oder Regionen von seiner Heimatprovinz aus für den BF aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit nicht möglich sei. In Ghazni sei die Sicherheitslage besonders volatil und außerdem drohe dem BF auch in Großstädten in Afghanistan weiterhin Verfolgung. Auch stelle die Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in das schützenswerte Privatleben des in Österreich unbescholtenen BF dar. Der Beschwerde wurde ein Mitgliedsausweis des BF im Österreichischen Judoverband von 2017, der Nachweis über den Abschluss zur Ausbildung für den Gesundheits- und Sozialdienstbereich des Roten Kreuzes, eine ÖSD-Zertifikat auf dem Niveau A2, sowie zwei Empfehlungsschreiben in Kopie angeschlossen.
9. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 8.8.2017 von der belangten Behörde vorgelegt.
10. Am 24.1.2019 wurde im Zuge einer Beweismittelvorlage mitgeteilt, dass der BF sich zum Christentum bekenne und sich habe taufen lassen. Er sei damit zurückhaltend umgegangen, weil er seine Religionszugehörigkeit als sehr persönlich und Ausdruck seiner inneren Überzeugung empfinde. Überdies sei ihm nicht bewusst gewesen, dass diese von Relevanz für sein Beschwerdeverfahren sei. Erst durch rezente Beratung sei der BF auf die Bedeutung seiner Religionszugehörigkeit aufmerksam geworden. Er lege seine Taufbestätigung nun vor, um die Konversion zum Christentum zu belegen. Dem Schreiben wurde ein in Englisch gehaltenes Dokument „Baptism and Confirmation“ ausgestellt auf den BF von der The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, datiert mit 17.12.2017, in Kopie angehängt. Ferner wurde auch eine Deutsch-Zertifikat auf dem Niveau B1 vom 23.4.2018 sowie die Teilnahmebestätigung am Orientierungskurs POLEposition vom 19.12.2017 übermittelt.
11. Am 29.7.2020 wurde von der Rechtsvertretung des BF ein Zeugnis über die Pflichtschulabschluss-Prüfung des BF an der SMS Ybbs an der Donau vom 8.5.2019 und die zugehörigen Semesterzeugnisse vorgelegt.
12. Mit Schreiben vom 28.8.2020 teilte die ARGE Rechtsberatung dir Rücklegung ihrer Vollmacht für den BF mit. Mit Schreiben vom 1.9.2020 wurde die Vollmachtserteilung des BF für den Rechtsanwalt Mag. Clemens Lahner mitgeteilt.
13. Mit Schreiben vom 4.9.2020 wurden von der Rechtsvertretung des BF mehrere Empfehlungsschreiben aus dem religiösen Umfeld des BF, ein Bewerbungsschreiben und Kursbesuchsbestätigungen des BF sowie eine Mitarbeiterbestätigung des BF als Dolmetscher für die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung vorgelegt. In der angeschlossenen Stellungnahme wurde das bisherige Fluchtvorbringen hinsichtlich der Kutschis und Taliban aufrechterhalten und darüber hinaus im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF seit August 2017 in der mormonischen Gemeinde in Wien angebunden und am 17.12.2017 getauft worden sei. Der Kontakt zur Familie sei abgebrochen, nachdem diese von der Konversion des BF erfahren habe. Die Religion nehme einen wichtigen Stellenwert im Leben des BF ein. Er praktiziere seinen Glauben offen und aus innerer Überzeugung. Der BF besuche regelmäßig den Gottesdienst in der Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und pflege Kontakt zu den Gemeindemitgliedern. Neben seinem bisherigen Fluchtgrund sei der BF auch aufgrund des Abfalls vom Islam und seiner Konversion zum Christentum (Mormonismus) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt. Eine Rückkehr in seine Heimatprovinz oder eine innerstaatliche Fluchtalternative sei dem BF aufgrund der derzeitigen Sicherheits- und Versorgungslage – nicht zuletzt wegen der Covid-19-Pandemie – nicht zumutbar.
14. Am 7.9.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des BF, dessen rechtlicher Vertretung, einer Vertreterin der belangten Behörde, den Zeugen Tibor Ryssman und Ass. Prof. Dr. Heber Ferraz-Leite sowie einem Dolmetscher für die Sprache Dari durch. Der BF wurde vom erkennenden Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinen Fluchtgründen, zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich sowie insbesondere zu seinem Glauben und seiner Religiosität befragt. Ebenso wurde die beiden Zeugen als Auskunftspersonen hinsichtlich der vom BF vorgebrachten Konversion zum christlichen Glauben befragt. Seitens der Rechtsvertretung des BF wurde hinsichtlich der Länderberichte auf die Stellungnahme vom 4.9.2020 verwiesen und die Einvernahme weiterer Zeugen zum Beweis dafür, dass der BF wöchentlich den Gottesdienst besuche, aktiv am Leben der Pfarrgemeinde teilnehme und den Eindruck vermittle, sehr interessiert und überzeugt von seiner neuen Religion zu sein, beantragt.
15. Mit Stellungnahme vom 28.9.2020 führte die Rechtsvertretung des BF aus, dass der BF im Rahmen der Beschwerdeverhandlung aufgefordert worden sei, typische Gebete seiner Religion zu nennen und aufzusagen. Der BF habe erklärt, dass Gebete in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage nicht auswendig gelernt würden, sondern in der Messe aus einem Buch vorgelesen werde. Tatsächlich würden in der mormonischen Kirche keine Gebete auswendig gelernt, sondern freie Gebete gesprochen und allenfalls vom Priester das Abendmahl-Gebet gesprochen werden, worauf die Gemeinde mit „Amen“ antworte. Zum Beweis wurde ein Schreiben des bereits zeugenschaftlich einvernommenen Ass. Prof. Dr. Heber Ferraz-Leite vorgelegt und um dessen Berücksichtigung ersucht. Im angehängten Schreiben führte Dr. Ferraz-Leite im Kern aus, dass die Erklärung des BF in der mündlichen Verhandlung, wonach keine Gebete auswendig gelernt würden, korrekt gewesen sei, da diese immer aus freiem Herzen gesprochen würden. Lediglich die sogenannten „Abendmahlsgebete“ würden hiervon eine Ausnahme darstellen, aber auch diese würde üblicherweise von einer Karte abgelesen.
16. Seitens der Volksanwaltschaft wurde das BVwG aufgefordert, einen Bericht über den aktuellen Stand des Verfahrens zu erstellen.
17. Am 17.3.2021 hielt das Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Verhandlung unter Richterin Drin. Maria PARZER, welche diese als Vertretung von Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR wahrnahm, im Beisein des BF, dessen rechtlicher Vertretung sowie einem Dolmetscher für die Sprache Dari ab. Der BF wurde hierbei insbesondere zu seinem Glauben und seiner Religiosität befragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person des BF:
Der BF stammt aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , in der afghanischen Provinz Ghazni.
Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekannte sich vor seiner Ausreise aus Afghanistan zum muslimischen Glauben schiitischer Ausprägung.
Der BF spricht muttersprachlich Dari. Er hat in Afghanistan sieben Schulstufen besucht und in der Landwirtschaft seiner Eltern geholfen.
Der BF hat zur Zeit keinen Kontakt zu seiner Familie.
Der BF hat am 23.4.2018 eine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 bestanden.
Der BF hat am 8.5.2019 eine Pflichtschulabschluss-Prüfung an der SMS Ybbs an der Donau abgelegt. Der BF war in Österreich in einem Judoverein aktiv.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der ursprünglich vom schiitisch muslimischen Glauben geprägte BF hat sich in Österreich von seinem muslimischen Glauben abgewandt und den christlichen Glauben mormonischer Ausprägung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints) angenommen. Diese Glaubensgemeinschaft ist seit 1955 in Österreich als Kirche anerkannt.
Zu den Regeln vgl. https://news-at.kirchejesuchristi.org/artikel/mormonen-in-oesterreich.
[…..] Es gelten besondere Gesundheitsregeln, Mitglieder trinken sie zum Beispiel keinen Alkohol und rauchen nicht. [……] Die Ämter in der Kirche sind ehrenamtlich - Laienpriestertum. Der Bischof steht einer Gemeinde von ca. 150 - 400 Mitgliedern vor. Er ist zumeist Familienvater und übt sein Amt etwa 5 Jahre zusätzlich zu seinem Beruf aus. Ihm stehen zur Unterstützung jeweils 2 Ratgeber zur Seite. Weiters arbeiten viele der Mitglieder der Kirche aktiv an der Gestaltung des Gemeindelebens mit. Das Familienleben ist in der Kirche von zentraler Bedeutung. die wöchentlichen Gottesdienste […..]
Die im Folgenden mit einem Seitenverweis versehenen beweiswürdigenden Erwägungen beziehen sich auf die erste mündliche Verhandlung am 07.09.2020.
Nachdem er über einen Freund auf diese Religionsgemeinschaft aufmerksam wurde, begann der BF im August 2017 sich intensiver mit der neuen Religion auseinanderzusetzen und die Kirche in der Böcklinstraße 55 in Wien zu besuchen. Bald darauf begann der BF einen Religionskurs zur Vorbereitung auf seine Taufe , welche wie ausgeführt bereits am 17.12.2017 erfolgte. Der BF besuchte nach seiner Taufe auch weiterhin Kurse seiner Glaubensgemeinschaft um mehr Informationen über die Religion zu erlangen. Der BF hat auch nach seiner Taufe an Veranstaltungen der Religionsgemeinschaft teilgenommen und den wöchentlichen zweistündigen Gottesdienst. Der BF hat laut dem Zeugen darüber hinaus auch nach seiner Taufe Abendmahlveranstaltungen besucht und an den Glaubenskursen (Sonntagsschule) teilgenommen. Nach Absolvierung von Taufkursen wurde der BF am 17.12.2017 in Wien getauft. Aufgrund der Beschränkungen in der Corona-Pandemie nimmt der Bf derzeit online an den Gottesdiensten teil.
Der nunmehrige christliche Glaube mormonischer Ausprägung des BF fußt auf seiner inneren Überzeugung. Er wird vom BF offen ausgelebt, er missioniert nicht, aber er spricht offen darüber. Der BF hat seine Konversion auch seiner im Iran lebenden Familie nicht verheimlicht. Diese hat aus diesem Grund den Kontakt mit ihm abgebrochen.
Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner in Österreich erfolgten Abkehr vom schiitisch-muslimischen Glauben und seiner Hinwendung zum christlichen Glauben mormonischer Ausprägung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage eine Verfolgung aus religiösen Gründen.
1.2 Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden insbesondere folgende Quellen zugrunde gelegt:
1.2.1 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 16.12.2020 (LIB), Kap. 12
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen engagiert sich politisch, kulturell und sozial und verleiht der Zivilgesellschaft eine starke Stimme. Diese Fortschritte erreichen aber nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Gerichten sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Afghanistan wurde 2017 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2020 gewählt (AA 16.7.2020). Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 16.7.2020; vgl. CoA 26.1.2004). Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (AA 16.7.2020).
Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken den Zugang der Bürger zu Justiz in Bezug auf Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen ein (USDOS 11.3.2020). In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt (FH 4.3.2020). Beschwerden gegen Menschenrechtsverletzungen können an die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC) gemeldet werden, welche die Fälle nach einer Sichtung zur weiteren Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Einige Bürgerinnen berichten von Regierungsbeamten, die sexuelle Gefälligkeiten als Gegenleistung verlangen, wenn Frauen sich mit der Bitte um Dienstleistungen an Regierungseinrichtungen wenden. Die gemäß Verfassung eingesetzte AIHRC bekämpft Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte; das Komitee für Drogenbekämpfung, Rauschmittel und ethischen Missbrauch sowie der Justiz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 11.3.2020). Präsident Ghani hat am 12.5.2018 eine Verordnung unterzeichnet, wonach ein unabhängiger Ombudsmann für Angelegenheiten des Präsidenten eingerichtet werden soll (SIGAR 5.2018). AIHRC entwickelte in Kooperation mit den Ministerien für Verteidigung und Inneres ein Ombudsmannprogramm, durch welches Polizeigewalt gemeldet werden kann (USDOD 12.2018; vgl. UNAMA 4.2019). Die Einrichtung dieses Ombudsmannprogramms wurde für 31.12.2018 angekündigt (SIGAR 5.2018), aber bisher noch nicht finanziert und umgesetzt (USDOD 12.2018).
Menschenrechtsverteidiger werden immer wieder sowohl von staatlichen, als auch nichtstaatlichen Akteuren angegriffen; sie werden bedroht, eingeschüchtert, festgenommen und getötet. Maßnahmen, um Menschenrechtsverteidiger zu schützen waren zum einen inadäquat, zum anderen wurden Misshandlungen gegen selbige selten untersucht (AI 30.1.2020). Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für Amtsträger, die Menschenrechte verletzen, stellen ernsthafte Probleme dar. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft sowie Gewalt gegen Journalisten (USDOS 11.3.2020).
Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission inAfghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht (UNHRC 21.2.2018). Im Dezember 2018 würdigte UNAMA die Fortschritte Afghanistans auf dem Gebiet der Menschenrechte, insbesondere unter den Herausforderungen des laufenden bewaffneten Konfliktes und der fragilen Sicherheitslage. Die UN arbeitet weiterhin eng mit Afghanistan zusammen, um ein Justizsystem zu schaffen, das die Gesetzesreformen, die Verfassungsrechte der Frauen und die Unterbindung von Gewalt gegen Frauen voll umsetzen kann (UNAMA 10.12.2018).
Religionsfreiheit
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 6.10.2020; vgl. AA 16.7.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.7.2020; vgl. CIA 6.10.2020, USDOS 10.6.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.6.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.6.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.6.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.6.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.6.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020).
Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.6.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.6.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.6.2020).
Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.6.2020).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 10.6.2020).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.6.2020).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.6.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.6.2020).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für
Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.6.2020).
LIB. Kap. 17.4 Apostasie, Blasphemie, Konversion Apostasie
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 4.3.2020; vgl AA 16.7.2020, USDOS 10.6.2020).
Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.7.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.6.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).
Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.6.2020; AA 16.7.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.6.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017).
Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).
Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.7.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.6.2020).
1.2.2 Auszug aus den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, Kap. III.A.5.
A. Risikoprofile […]
5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen
Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam „innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte“. Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates istund „kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf”. Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist. Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.
a) Religiöse Minderheiten
Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Wie oben dargestellt gilt gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch das kodifizierte Recht Afghanistans entsprechende Bestimmungen enthalten, die sunnitische Hanafi-Rechtsprechung. Dies gilt für alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Die einzige Ausnahme bilden personenstandsrechtliche Angelegenheiten, bei denen alle Parteien Schiiten sind. In diesem Fall wird das schiitische Personenstandsrecht angewendet. Für andere religiöse Minderheiten gibt es kein eigenes Recht.
Das Strafgesetzbuch von 2017 enthält Bestimmungen hinsichtlich „Straftaten, die eine Beleidigung einer Religion darstellen“, denen zufolge die vorsätzliche Beleidigung einer Religion oder die Störung ihrer Zeremonien oder die Zerstörung ihrer genehmigten Gebetsstätten oder Symbole, die den Anhängern einer Religion heilig sind, strafbar ist. Ebenfalls strafbar ist der Angriff auf einen Anhänger einer Religion, der in der Öffentlichkeit rechtmäßig religiöse Rituale vollzieht oder die Herabwürdigung oder Verzerrung des Glaubens oder der Bestimmungen des Islams. Ferner steht auch die Anstiftung zur Diskriminierung aufgrund der Religion unter Strafe.
Ungeachtet dessen werden nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftlich schikaniert und in manchen Fällen tätlich angegriffen.376 Es heißt, dass Angehörige religiöser Minderheiten wie Baha’i und Christen es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung vermeiden, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln.377 Es wird berichtet, dass sich nicht-muslimische Frauen genötigt sehen, eine Burka oder andere Gesichtsschleier zu tragen, um sich sicherer in der Öffentlichkeit bewegen zu können und den gesellschaftlichen Druck zu verringern.
Im Zeitraum vom 1. Januar bis 7. November 2017 „dokumentierte [UNAMA] 51 – hauptsächlich auf regierungsfeindliche Kräfte zurückzuführende – Fälle gezielter Tötungen, Entführungen, und Einschüchterungen von Religionsgelehrten und religiösen Führern, sowie Anschlägen auf Gebetsstätten und Personen, die ihr Recht auf Religionsausübung durch Gottesdienst, Bräuche und Riten wahrnahmen. Diese Zwischenfälle forderten 850 Opfer unter der Zivilbevölkerung (273 getötete und 577 verletzte Personen), was fast eine Verdoppelung der zivilen Opferzahlen derartiger Angriffe im gesamten zurückliegenden Siebenjahreszeitraum von 2009 bis 2015 darstellt.”379 2016 und 2017 wurden religiöse Führer Berichten zufolge in fortlaufendem und steigendem Maße zum Ziel von Tötung, Entführung, Bedrohung und Einschüchterung – hauptsächlich ausgeübt durch regierungsfeindliche Kräfte.380 Ferner wird berichtet, dass auch religiöse Gelehrte mehrmals durch regierungsfeindliche Kräfte angegriffen wurden, während regierungsnahe Kräfte gezielt gegen Imame von Moscheen, die angeblich regierungsfeindliche Kräfte unterstützten, vorgingen.
Analysten äußerten ihre Besorgnis, dass gewisse Bestimmungen eines neuen Gesetzesentwurfs zur Versammlungsfreiheit ganz besonders die Rechte religiöser Minderheiten einschränken würden. Der Gesetzesentwurf stellt Berichten zufolge „Ansammlungen, Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks zur Durchsetzung ethnischer, religiöser und regionaler Forderungen” als gesetzwidrige Proteste unter Strafe.
[…]
Christen
Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind.
[…]
b) Konversion vom Islam
Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie, also als Glaubensabfall betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, sie fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten „ungeheuerlichen Straftaten“, die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten.
Bekehrungsversuche, um Personen zum Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion zu bewegen, sind Berichten zufolge laut der Hanafi Rechtslehre ebenfalls rechtswidrig und es stehen darauf dieselben Strafen wie für Apostasie.nBerichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können, so wird berichtet, selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. In der Regel haben Beschuldigte laut Berichten indes keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien.
[…]
UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass für Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, einschließlich Personen, die der Blasphemie oder der Konversion vom Islam bezichtigt werden, sowie für Angehörige religiöser Minderheiten abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten.
1.2.3 Auszug aus den EASO-Country Giudance: Afghanistan, Stand Dezember 2020, Kap.2.16
Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostasy
This profile covers persons who are considered to have abandoned or renounced the religious belief or principles of Islam (apostasy), as well as persons considered to have spoken sacrilegiously about God or sacred things (blasphemy). It includes individuals who have converted to a new faith, based on their genuine inner belief (converts), as well as those who disbelieve or lack belief in the existence of God (atheists). It can be noted that, often, the latter grounds would be invoked sur place (Article 5 QD).
COI summary
In Afghanistan, blasphemy is punishable by death or imprisonment of up to 20 years. Individuals who have committed blasphemy have three days to withdraw their behaviours or face the death penalty. Additionally, a 2004 law prohibits writings and published materials, which are considered offensive to Islam or other faiths. Some cases of imprisonment sentences on charges of blasphemy were reported. There is low societal tolerance in Afghanistan for criticism of Islam, the latter is seen contrary to the religion and can be prosecuted as blasphemy [Society-based targeting, 2.2, 2.4].
Apostasy is also punishable by death, imprisonment, or confiscation of property. Apostasy is a serious offence and although it is reportedly rarely prosecuted, this has occurred in past years. Children of apostates are still considered Muslims unless they reach adulthood without returning to Islam, in which case they may also be put to death. Individuals perceived as apostates face the risk of violent attacks, which may lead to death, without being taken before a court [Criminal law and customary justice, 1.2; Society-based targeting, 2.1, 2.2, 2.4].
The Taliban see those individuals who preach against them or contravene their interpretations of Islam as ‘apostates’ [Society-based targeting, 2.7; Anti-government elements, 2].
According to the ISKP, Muslim allies of the West, but also those individuals who practice forms of ‘impure’ Islam, which includes non-Sunnis and Sunnis who practice Sufism or mystical schools of Islam, can be defined as ‘apostates’ [Society-based targeting, 2.8; Anti-government elements, 3].
Individuals who hold views that can be perceived as having fallen away from Islam, such as converts, atheists and secularists, cannot express their views or relationship to Islam openly, at the risk of sanctions or violence, including by their family. Such individuals must also appear outwardly Muslim and fulfil the behavioural religious and cultural expectations of their local environment, without this being a reflection of their inner conviction [Society-based targeting, 2.4].
In particular, conversion from Islam to another faith is considered as a serious offence under Islamic law. It is punishable with the death penalty by beheading for men, and with life imprisonment for women. Under Islamic law, individuals will be given three days to recant the conversion or face punishment. They are also perceived with hostility by society [Society-based targeting, 2.1, 2.3].
There is an increasing number of Afghan converts to Christianity, but there have only been a few converts visible in the past decade in Afghanistan. The State deals with them by asking them to recant or face expulsion from the country [Society-based targeting, 2.3].
Risk analysis
The acts to which individuals under this profile could be exposed are of such severe nature that they would amount to persecution (e.g. death penalty, killing, violent attacks).
When considering such applications, the case officer should take into account that it cannot reasonably be expected that an applicant will abstain from his or her religious practices.28 It should be noted that the concept of religion shall in particular include the holding of theistic, non-theistic and atheistic beliefs (Article 10(1)(b) QD).
In the case of those considered apostates or blasphemers, in general, well-founded fear of persecution would be substantiated.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts basieren auf der Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakt und durch die durchgeführten mündlichen Verhandlungen am 7.9.2020 und am 17.3.2021.
2.2 Zum Beschwerdeführer und dessen Fluchtgründe:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, der Volksgruppenzugehörigkeit, der Herkunft, Arbeitserfahrung und zur Schulbildung des BF ergeben sich aus den dahingehend glaubhaften und übereinstimmenden Angaben des BF und waren auch im bisherigen Verfahren nicht strittig. Die Feststellung, dass der BF derzeit keinen Kontakt zu seinen Eltern hat, gründet auf seinen glaubwürdigen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 07.09.2020.
Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF in Österreich ergibt sich aus dem aktuell eingeholten Strafregisterauszug.
Die Feststellungen zu den vom BF in Österreich erbrachten Integrationsleistungen und seinen Deutschkenntnissen gründen auf den vorgelegten Unterlagen.
Die getroffenen Feststellungen zur Konversion des BF zum Christentum mormonischer Ausprägung basieren auf den glaubhaften Angaben des BF im Zuge mündlichen Verhandlungen am 07.09.2020 und am 17.03.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht, die sich auch mit den nachvollziehbaren Aussagen der getrennt einvernommenen Zeugen Tibor Ryssman und Ass. Prof. Dr. Heber Ferraz-Leite sowie den vorgelegten Dokumenten decken. Dazu zählt insbesondere das im Verfahren vorgelegte Taufzeugnis, dem zu entnehmen ist, dass der BF am 17.12.2017 in der der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints) in Wien getauft wurde. Weiters wurde mit 4.9.2020 auch ein Empfehlungsschreiben von Darin Sorensen in Vorlage gebracht, welcher in der englischsprachigen Gemeinde der The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints im 4. Wiener Gemeindebezirk das Amt des Bischofs innehat. Das religiöse Leben wurde auch vom glaubwürdigen Zeugen Tibor Ryssman, welcher dem BF die Taufe spendete, bestätigt.
Nach Ansicht des Zeugen Ryssman hat sich der BF endgültig für die mormonische Glaubensgemeinschaft entschieden. Anders als andere Interessenten, die nach der Taufe weggefallen seien, habe der BF weiter Fragen gestellt und sein Interesse gezeigt (VH 31). Weiters schilderte der Zeuge, dass der BF, der auf der Suche nach etwas gewesen sei, als er ihn kenne gelernt habe, in seiner Gemeinde eine Gemeinschaft und eine Glaubensrichtung gefunden habe.
Der ebenfalls als Zeuge einvernommene Ass Prof. Dr. Heber Ferraz-Leite hat den BF im Jahr 2019 in einem Glaubenskurs kennengelernt. Er führte aus, dass die Mormonen in Wien fünf Glaubensgemeinschaften haben und er wie der BF Mitglied der Gemeinschaft im 2. Bezirk ist. Befragt, warum er glaube, dass der BF nun von seinem Glauben überzeugt sei, führte der Zeuge aus, dass der BF dies durch konsequentes Verhalten und Solidarität gegenüber anderen Menschen beweise. Die Unterstützung im alltäglichen Leben sei ein großer Bestandteil ihres Glaubens Auch vom Zeugen Dr. Heber Ferraz-Leite wurde in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass der BF konsequent am Sonntag die Messe besucht. In diesem Zusammenhang wird festgehalten, dass der Zeuge bereits im vorgelegten Empfehlungsschreiben vom 16.8.2020 angegeben hat, dass ihm bekannt sei, dass der BF jeden Sonntag in der Kirche anwesend ist. Nach Ansicht des Zeugen versteht der BF die religiösen Belehrungen und worum es in ihrer Kirche geht. Wenn der BF etwas nicht verstehe, will er dies sofort aufklären und dazulernen. Der Zeuge gab an, dass der BF sich gegenüber anderen als respektvoller Christ verhält. Auch ergeht aus den Angaben des Zeugen, dass der BF gut in seiner Glaubensgemeinschaft integriert ist und als sehr beliebter Bruder wahrgenommen wird. Da der BF keine Familie in Österreich hat, wird er öfters von der Familie des Zeugen zum Essen eingeladen und verbringt mit ihnen den Tag. Auch dieser Zeuge bestätigte, dass der BF interessiert ist, mehr von seiner neuen Religion zu lernen und dass er insbesondere gerne aus dem Buch Mormon liest.
Auch in den übrigen vorgelegten Dokumenten wird das Engagement und die Überzeugung des BF für seine neue Religion bekräftigt. So wird im Englisch abgefassten Schreiben vom 24.8.2020 von Darin Sorensen, der in der Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage im 4. Bezirk Wiens das Amt des Bischofs innehat, angegeben, dass er den BF im Dezember 2017 kennengelernt hat. Herr Sorensen führt im Schreiben aus, dass ihre Kirche die Konversion vom Islam zum Christentum aufgrund der damit einhergehenden kulturellen und gesellschaftlichen Konsequenzen sehr ernst behandelt. In diesem Zusammenhang müsse man gegenüber den Entscheidungsträgern der religiösen Gemeinde ein aufrichtiges Verlangen nach der Konversion zum Christentum glaubhaft machen. Im Zuge der Taufvorbereitung habe der BF dieses ehrliche und aufrichtige Verlangen als Jünger Jesus Christus ein neues Leben zu beginnen, bewiesen. Auch weiterhin zeige der BF diese Überzeugung und besuche seit Jahren regelmäßig die Gottesdienste. Ferner erläuterte Herr Sorensen, dass der BF zu Beginn in der Englisch sprechenden Kirchengemeinde im 4. Bezirk unterrichtet wurde und anschließend der Deutsch sprechenden Kirchengemeinde im 2. Bezirk beigetreten ist, nachdem sich seine Sprachkenntnis verbessert habe. Zusammengefasst ergibt sich aus dem Schreiben des Bischofs, dass dieser von einer aufrichtigen Konversion des BF überzeugt ist und wird durch dessen Inhalt auch das anhaltende Interesse und die Aktivität des BF in seiner neuen Glaubensgemeinschaft bestätigt.
Auch aus dem Empfehlungsschreiben von Herrn Michal Christan Neuhauser vom 1.9.2020, der den BF demnach im Anschluss an einen Gottesdienst kennengelernt hat, geht hervor, dass der Beschwerdeführer es geschafft hat, in der Gemeinde Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage im 2. Bezirk Fuß zu fassen. Auch sei es für Herrn Neuhauser keine Selbstverständlichkeit, dass der BF jeden Sonntag den Weg aus seiner Heimatgemeinde Michelhausen zur Kirche nach Wien auf sich nehme. Auch aus diesem Schreiben ergibt sich, dass der BF gut in seiner religiösen Gemeinschaft integriert ist und er hierfür auch schon längere Zeit einen Aufwand betreibt.
Hinsichtlich seiner inneren Überzeugung vermittelte der BF der erkennenden Richterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einen überzeugenden Eindruck zur nunmehrigen Verinnerlichung seines christlichen Glaubens. Der BF begründete seine Abkehr vom Islam damit, dass er im Islam oft Zwang erlebt habe. Als er nach Österreich gekommen sei, habe er mehr Freiheiten erlebt. Als Moslem habe er Angst vor Gott haben müssen, während dies im Christentum umgekehrt sei und man von Gott geliebt werde. Im Islam gebe es Vorschriften bei deren Nichtbefolgung man eine Sünde begehe. Zwar gebe es auch in seiner neuen Religion Gebote, aber diese hätten nichts mit Zwang zu tun. Beispielsweise werde gesagt, dass man darauf zu achten habe, am Sonntag die Messe wahrzunehmen. Aber wenn man einmal nicht bei der Messe erscheine, heiße das nicht, dass man in der Hölle lande. Der BF führte weiter aus, dass Jesus Christus nur über die Liebe unterrichtet und gezeigt und gesagt habe, dass alle Menschen sich mit Respekt begegnen und ohne Konflikt begegnen sollten. Jesus Christus habe alle Menschen überzeugt, dass man eine Religion mit Liebe verbreite und nicht mit Krieg. Auch auf die diesbezügliche Nachfrage, dass es auch im Namen des Christentums Gewalt – wie beispielsweise die Kreuzzüge – gegeben habe, führte der BF nachvollziehbar aus, dass sie nur an Jesus Christus und nicht an diejenigen, die damals Gewalt ausgeübt hätten, glauben würden.
Der BF konnte ferner auch religiös-dogmatischen Fragen wie beispielsweise zur Dreifaltigkeit oder zur unterschiedlichen Stellung von Jesus Christus im Islam und dem Christentum fundiert beantworten. In diesem Zusammenhang führte der BF auch aus, dass er von mehreren Leuten viel über Jesus Christus erfahren habe. Dies habe mit der Zeit zu seinem innerlichen Entschluss geführt, nicht mehr dem Islam anzugehören und sich taufen zu lassen. Er habe etwas in der Messe gehört, selbst über Jesus Christus gelesen und von anderen über Jesus Christus gehört. Ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren war somit ausschlaggebend für die Überzeugung des BF ein Christ zu werden.
Die Taufe bedeutet für den BF einen Akt der persönlichen Reinigung von aller Art von Sünden. Auch gab der BF An, dass er mit der Taufe öffentlich zeigen könne, ein Christ geworden zu sein. Der Umstand, dass der BF seinen neuen Glauben offen ausleben und nicht verheimlichen will, wird ebenso dadurch dokumentiert, dass er seinen Vater bereits im Frühjahr 2018 über seine Konversion informiert hat, als zu diesem noch Kontakt bestand (VH 5).
Zusammenfassend kann beurteilt werden, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung besonders überzeugend darlegen, dass er seine Religion sehr ernst nimmt und auch im Alltag eine große Rolle spielt. Er übt diese Religion schon seit längerem konsequent und beharrlich aus, auch das zeugt von seiner inneren Überzeugung. Der Beschwerdeführer konnte der nunmehr erkennenden Richterin glaubhaft verdeutlichen - aufgrund der Corona-Epidemie zwar mehrheitlich online – aber dennoch regelmäßig an den Gottesdiensten und Kursen seiner Glaubensgemeinschaft teilzunehmen. Ebenso war er in diesem Zusammenhang in der Lage den Ablauf dieser Gottesdienste inhaltlich umfassend und stringent zu schildern, sodass auch vor dem Hintergrund des im Verfahren neu vorgelegten Bestätigungsschreiben des Präsidenten des Kirchenvorstandes, kein Zweifel daran besteht, dass der BF nach wie vor ein engagierter und regelmäßiger Teilnehmer dieser Gottesdienste ist. In weiterer Folge führte der BF in Einklang mit der Lehre seiner Glaubensgemeinschaft aus, dass ihm Gott befohlen habe, den Sonntag als heilig zu sehen, aber dass dies aber nicht nur bedeute in die Kirche zu gehen, sondern auch an diesem Tag etwas Gutes für andere Menschen zu tun. Überzeugend schilderte der BF auch, dass er die Mitglieder der Kirche als Teile seiner Familie sieht und der Gottesdienst ihm die Möglichkeit gibt, sich mit diesen Personen zu treffen und sich auszutauschen. Die engsten Bekannten des BF in Österreich sind ebenfalls Mormonen und hat er nach eigenen Angaben hier nur wenige Bekannte, die nicht dieser Glaubensgemeinschaft angehören. Wie obig bereits dargelegt bestätigte der BF abermals, dass er seine zu diesem Zeitpunkt im Iran lebende Familie bereits 2018 über seine Konversion informiert hat, sodass diese den Kontakt zu ihm abbrach.
In einer Zusammenschau dieser Umstände konnte der BF somit glaubhaft darlegen, dass er aus freier persönlicher Überzeugung vom schiitischen Islam in Österreich zum Christentum mormonischer Ausprägung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage konvertiert ist und er seinen Glauben anhaltend und offen als aktives Mitglied seiner Glaubensgemeinschaft lebt. Er besucht seit mehr als drei Jahren regelmäßig den Gottesdienst seiner neuen Kirche und ist ein willkommenes Mitglied seiner mormonischen Gemeinde, was unter anderem durch ein persönliches Empfehlungsschreiben eines Bischofs seiner Glaubensgemeinschaft dargetan wird. Es ist in gesamthafter Betrachtung der Aussagen des BF, der Zeugenaussagen und der vorgelegten Dokumente davon auszugehen, dass sich der BF mit Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen zum christlichen Glauben hingewendet hat und auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan beabsichtigt, die von ihm neu gewählte Religion auszuüben. Er bekennt sich öffentlich zum Christentum und hat dies insbesondere auch mit seiner Taufe am 17.12.2017 zum Ausdruck gebracht. Auch, dass der BF seine Konversion seiner Familie bereits mitgeteilt hat und diese somit im familiären Umfeld bekannt wurde, zeigt, dass der BF seine neue religiöse Gesinnung nicht verheimlicht und seinen Glauben auch im Fall einer Rückkehr nicht verbergen würde.
Die erkennende Richterin hat in der Verhandlung am 17.3.2021 den persönlichen Eindruck gewonnen, dass der BF aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist. Es sind im Verfahren auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die den Schluss zulassen würden, dass die Konversion des BF zu diesem christlichen Glauben bloß zum Schein erfolgt wäre. Dagegen spricht zum einen das nun schon seit mehreren Jahren anhaltende Engagement des BF in seiner kirchlichen Gemeinde. Ebenso spricht gegen eine Scheinkonversion, dass der BF seine Taufurkunde und seine Konversion im Verfahren erst mit Urkundenvorlage vom 24.1.2019 vorbrachte, wenngleich die Taufe zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein Jahr zurücklag. Die rechtliche Vertretung des BF begründete dies damit, dass dem BF die mögliche Relevanz einer Konversion für sein Beschwerdeverfahren nicht bewusst gewesen sei. Ferner lassen auch die die glaubhaften und übereinstimmenden Zeugenaussagen und Empfehlungsschreiben keinen Rückschluss auf eine Scheinkonversion zu. Auch die Aussagen des BF in den mündlichen Verhandlungen bezeugen das anhaltende Interesse des BF an seiner Religion und sprechen gegen eine nur kurzweilige und oberflächliche Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben. Der BF konnte seine Gründe für die Abkehr vom Islam schlüssig darlegen und seine wachsende innere religiöse Überzeugung für das Christentum wie auch die hierfür ausschlaggebenden Faktoren glaubhaft vermitteln. Der BF konnte somit insgesamt glaubhaft machen, den christlichen Glauben mormonischer Ausprägung in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage – durch welche er in Österreich Unterstützung und Gemeinschaft erfahren hat – aus innerer Überzeugung angenommen zu haben.
Da mit der Konversion des BF zum Christentum bereits ein asylrelevanter Nachfluchtgrund festgestellt wurde, konnte die Prüfung des weiteren Vorbringens zur Verfolgung durch die Kutschi bzw. die Taliban und einer allfälligen asylrelevanten Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara unterbleiben.
2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Be