TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/23 W119 2163616-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.03.2021
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Entscheidungsdatum

23.03.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W119 2163616-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Jemen, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gregor KLAMMER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.5.2017, Zahl: 1091454607 – 151577228, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.2.2020 und am 19.1.2021 zu Recht erkannt:

A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine jemenitische Staatsangehörige, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 20.9.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.10.2015 erklärte sie im Wesentlichen, verheiratet, in Sanaa geboren, muslimisch sunnitischen Glaubens und von der Volksgruppe der Jemeniten zu sein. Sie habe zwölf Jahre die Schule besucht, diese mit Matura abgeschlossen und ein Jahr Wirtschaftswissenschaften an der Universität studiert. Gearbeitet habe sie noch nie.

Ausgereist sei sie nach dem Tode ihres Bruders im Februar 2015 mit einem gefälschten Reisepass mit dem Flugzeug nach Ankara.

Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie vor, von der Al-Shabaab Miliz entführt und misshandelt worden zu sein. Man habe sie geschlagen und verbrannt, als ihr Bruder sie habe retten wollen, sei er am XXXX erschossen worden. Da sie Angst um ihr Leben gehabt habe, habe sie sich zur Ausreise entschlossen. Bei einer Rückkehr befürchte sie den sicheren Tod durch Verschleppung bzw. Verhaftung.

Am 17.3.2017 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen und erklärte zunächst, keine Identitätsdokumente zu haben. Ihre Mutter habe ihr ihren Pass schicken wollen, aber in einem anderen Land unterwegs verloren. Vorgelegt wurden diverse Kursbestätigungen aus der Heimat sowie aus Österreich sowie ein Unterstützungsschreiben.

Die Beschwerdeführerin gab an, in Sanaa im Jemen geboren zu sein, ihre Eltern stammten aus der Stadt Taaez. Sie selbst habe immer in Sanaa gelebt, zwölf Jahre die Schule besucht und diese 2013 mit Matura abgeschlossen. Später sei sie drei Monate auf die Uni gegangen, habe Handel studiert, ihr Studium jedoch Anfang Februar 2015 unterbrochen. Im Jahr 2011 habe sie während der Schule für ca. fünf Monate in einem Reisebüro als Ticketverkäuferin gearbeitet. Von 2013 bis Ende 2014 sei sie arbeitslos zu Hause geblieben. Sie gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei muslimisch sunnitischen Glaubens.

Verheiratet sei sie nur traditionell, ihr Mann habe einen Scheich organisiert und sie hätten auf dem Papier geheiratet, aber nicht gemeinsam gelebt. Er habe vorgehabt, diese Ehe standesamtlich registrieren zu lassen, die Beschwerdeführerin sei jedoch in dieser Zeit ausgereist, er habe ihr bei der Ausreise geholfen, seine Arbeit dort noch erledigen und später ausreisen wollen, aber wegen des Krieges seien die Flughäfen und Botschaften seit Februar 2015 geschlossen. Der Gatte lebe in Sanaa, vor vier Monaten hätten sie sich scheiden lassen bzw. die traditionelle Ehe aufgelöst. Kennengelernt hätten sie sich im Jahr 2012, seine Schwester sei ihre Schulkollegin gewesen. Kinder habe die Beschwerdeführerin keine.

In Sanaa lebten nur mehr ein Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits, ihr Vater befinde sich seit Ende 2014 in Saudi-Arabien, die Mutter habe im Oktober 2016 gemeinsam mit dem jüngeren Bruder den Jemen verlassen und lebe seitdem in Dschibuti. Es sei ihr schlecht gegangen, weil der zweite Bruder verstorben und die Beschwerdeführerin ausgereist sei. Einmal monatlich stünden sie telefonisch in Kontakt.

Die Beschwerdeführerin sei am 11.2.2015 alleine aus dem Jemen ausgereist und mit einem gefälschten Reisepass nach Istanbul geflogen. Im Bundesgebiet mache sie gerade ein Praktikum als Krankenschwester.

Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie vor, am XXXX hätten „wir Studenten“ Demos an der XXXX organisiert, weil die Huthi-Gruppen dort anwesend gewesen seien. Am selben Tag sei die Beschwerdeführerin nach Hause zurückgekehrt und habe die Flugblätter noch aufliegen gehabt. In der Nähe ihres Hauses hätte einer der Huthis diese Zettel gesehen, zu ihr gesagt, dass Frauen nach Hause gehen sollten und sie keine Muslimin wäre, woraufhin sie geantwortet hätte, dass die Huthis nicht ausgebildet seien. Dann habe sie ihn zurückgelassen und er sei ihr nach Hause gefolgt. In dieser Zeit sei ihr Bruder entgegengekommen, habe mit diesem Mann sprechen wollen, die Beschwerdeführerin hätte ihn jedoch gebremst und sei nach Hause gegangen. Dann wäre ein Auto mit drei bewaffneten Huthi-Männern in Zivil gekommen, sie hätten die Beschwerdeführerin in das Auto gezogen und ihr Bruder hätte sie in diesem Moment verteidigt, indem er versucht habe, die Männer zu schlagen. Daraufhin hätten sie ihren Bruder getötet und die Beschwerdeführerin auf ihre Brust geschlagen, damit sie nicht zu ihm hinkomme. Als sie laut geschrien habe, hätten sie ihr eine brennende Zigarette auf der Hand ausgedrückt.

Nach ca. einer halben Stunde Autofahrt hätten sie sie zu einem Raum in einem einzelnen Haus gebracht, in dem sich zwei weitere Mädchen und ein Huthi befunden hätten. Einer von den Huthis hätte sie aufgefordert, für den Roten Halbmond zu arbeiten, danach sei deren Chef gekommen und die Beschwerdeführerin habe ihn angeschrien, warum sie ihren Bruder getötet hätten, woraufhin er ihr einen heißen Tee auf die linke Schulter geschüttet hätte. Ein Wächter habe sie ein Badezimmer gebracht, damit sie die Wunde mit kaltem Wasser abkühlen könne. Er habe gesagt, er würde ihr helfen und sie wegbringen, wenn sie mit ihm sexuell verkehre. Am Abend habe er ihr leise wieder das gleiche Angebot gemacht und erklärt, er würde ihr ein Taxi bestellen.

Dieses Taxi habe sie mitgenommen und hätte sie zu einer Adresse bringen sollen, welche der Wächter genannt habe. Der Fahrer sei jedoch auf der Straße stehen geblieben und sie hätten dort gewartet, weil der Wächter 10 Minuten später hätte kommen sollen. Als sie gewartet hätten, hätte die Beschwerdeführerin ihren zukünftigen Mann vom Telefon des Taxifahrers angerufen, jener habe dem Taxifahrer mehr Geld angeboten als der Wächter, woraufhin der Fahrer sie zu einem von ihrem künftigen Ehemann genannten Adresse gebracht habe. Dann habe letzterer sie zu einem Hotel gebracht, wo sie sich vom 3.2.2015 bis zu ihrer Ausreise am 11.2.2015 aufgehalten habe.

Weitere Fluchtgründe gebe es nicht.

Die Beschwerdeführerin habe mit keinem der beiden anderen Mädchen gesprochen. Sie hätte sich 10 Stunden in diesem Raum befunden, es hätte für die beiden Mädchen zwei Matratzen gegeben und sie habe auch eine erhalten. Die Männer seien öfter in den Raum gekommen, Essen habe die Beschwerdeführerin keines bekommen, sondern nur Wasser erhalten. Ausbildung als Sanitäterin habe sie keine, diese Personen hätten sie aufgefordert, ihnen einfach zu helfen oder für sie zu kochen.

Von dem Haus der Huthis bis zum Stehenbleiben mit dem Taxifahrer seien sie ca. 25 Minuten lang unterwegs gewesen. Nachgefragt, warum der Taxifahrer trotz der mit dem Wächter vereinbarten Adresse stehen geblieben sei, antwortete die Beschwerdeführerin, weil sie ihren Freund angerufen habe. Beim Einsteigen ins Taxi hätte sie gefragt, ob der Fahrer ein Handy habe. Er habe sie dann nur bei ihrem Freund anläuten lassen, der sie zurückgerufen habe. Sie hätte dann ihrem Freund erklärt, dass sie Angst hätte und sofort das Handy dem Fahrer gegeben, damit er mit ihrem Freund spreche. Dass der Taxifahrer dieses Risiko eingehe, obwohl diese Gruppe für das willkürliche Töten von Menschen bekannt sei, begründete die Beschwerdeführerin damit, dass ihr Freund ihm mehr Geld angeboten habe. Auf Vorhalt, dies sei unglaubwürdig, erwiderte sie, sie habe den Taxifahrer nicht gekannt, der Wächter hätte selber die Huthis verraten, indem er versprochen hätte, ihr zu helfen, wenn sie mit ihm sexuell verkehre.

Den Namen des Hotels, in dem sie sich versteckt habe wisse sie nicht, sie habe in diesen acht Tagen das Zimmer nicht verlassen. Ihr Freund habe alles organisiert, auch den Reisepass. Als sie sich im Hotel befunden hätten, hätte er die Beschwerdeführerin unbedingt heiraten wollen und sie am 9.2.2015 traditionell geehelicht. Die Ehe sei nicht vollzogen wurden, seit vier Monaten sei diese Beziehung aufgelöst.

Zu ihrer Rückkehrbefürchtung erklärte die Beschwerdeführerin, sie habe Angst, weil die Huthis sie entführt und gewollt hätten, dass sie für sie arbeite. Der Wächter habe ihr damals gesagt, er wisse, wo sie wohne und er würde sie dann finden und töten.

Am 21.3.2017 legte die Beschwerdeführerin ihre Geburtsurkunde bei der belangten Behörde vor.

Am 30.3.2017 erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme zu den damaligen Länderfeststellungen.

Mit Schreiben vom 24.5.2015 wurden der belangten Behörde Fotoausdrucke eines Schulzeugnisses, die Kopien des jemenitischen Reisepasses und der Ausweiskarte sowie der saudischen Arbeitsberechtigungskarte des Vaters der Beschwerdeführerin und ein Bericht der Notfallambulanz übermittelt.

Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Beschwerdeführerin der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde binnen offener Frist Beschwerde erhoben.

Am 1.6.2018 stellte die Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung für ihre im Bundesgebiet nachgeborene Tochter unter Vorlage der Geburtsurkunde, eines ZMR-Auszuges sowie des Konventionspasses des somalischen Kindsvaters, dem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.1.2018 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden war (GZ W111 2148566-1/12E) und ihrer eigenen Karte für subsidiär Schutzberechtigte einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 17 AsylG. Mit Bescheid vom 4.7.2018, Zl. 1193290805 – 180507754, wies das Bundesamt diesen Antrag auf internationalen Schutz der Tochter der Beschwerdeführerin unter Spruchpunkt I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 13 AsylG 2005 ab, erkannte ihr gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 34 Absatz 3 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr gemäß § 8 Absatz 4 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). Gegen Spruchpunkt I. wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 24.2.2020 und am 19.1.2021 hielt das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung ab, zu der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht erschien.

Dabei gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie habe zwölf Jahre die Schule besucht, diese mit Matura abgeschlossen und drei Monate an der Fakultät für Wirtschaft der Universität Sanaa studiert. Wegen der Situation, in der sie sich damals befunden habe, hätte sie nicht weiter studiert und ihr Studium im Februar 2015 beendet. Im Jemen habe sie islamisch geheiratet.

Ihr Vater sei Erdölingenieur gewesen und habe zudem noch einen Beruf im Bauwesen gehabt, nämlich mit Fliesen. 2014 sei er wegen der Situation im Jemen nach Saudi-Arabien gegangen und habe dort lediglich eine Stelle als Fliesenleger gefunden. Nachdem er keine Bürgen für den Aufenthalt und die Arbeitserlaubnis in Saudi-Arabien gehabt habe, habe er sich das Visum gekauft. Weil es nicht genügend Geld gegeben habe, wäre es damals schwierig gewesen, dass die Familie mit ihm gehe.

Sie selbst habe an einer Demonstration teilgenommen, nämlich am XXXX auf der XXXX . Demonstriert hätten sie wegen des Rücktritts des Staatspräsidenten, eine große Anzahl von Frauen habe an der Demonstration teilgenommen. Es habe sich um Studentinnen, junge Leute und Frauen aus Parteien gehandelt. Vorher hätten die Frauen Rechte im Jemen gehabt, aber nachdem die Huthis an die Macht gekommen seien, hätten sie keine mehr. Anfang Jänner hätten diese ganz Sanaa erobert, die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht und auch den Rücktritt des Präsidenten veranlasst. An Demonstrationen hätten die Frauen trotzdem teilnehmen können, weil das Volk dem Befehl der Huthis nicht gehorche.

Am XXXX sei es zu diesem Problem gekommen, welches ihr ganzes Leben verändert habe. Nach der Demonstration habe sie noch ein Plakat auf dem Heimweg getragen, als ein Angehöriger der Miliz sie aufgehalten und ihr gesagt habe, dass die Frauen zu Hause bleiben müssten, es nicht gestattet wäre, dass sie sich auf der Straße befinde und sie deswegen wohl keine Muslimin wäre. Daraufhin habe sie ihm geantwortet, die Huthis seien ignorant und ungebildet. Dann habe sie diesem Mann beschimpft und er sei ihr gefolgt. Als die Beschwerdeführerin in die Gasse ihres Hauses eingebogen sei, sei ihr Bruder gemeinsam mit Freunden auf der Straße gesessen, auf sie zugekommen und habe gefragt, was los sei. Nachdem sie ihn daran gehindert hätte, auf diesen Mann zuzugehen, habe er sich wieder zu seinen Freunden zurückbegeben. Plötzlich sei ein Auto gekommen, in welchem sich drei junge Männer befunden hätten. Ihr Bruder habe das beobachtet und sei wieder zu ihr gekommen, woraufhin diese Personen versucht hätten, die Beschwerdeführerin ins Auto zu zerren, ihr Bruder versucht habe, die Beschwerdeführerin zu befreien und anschließend von den Personen kaltblütig getötet worden sei. Die Beschwerdeführerin habe geschrien und um Hilfe gerufen, weshalb ihr einer der drei Männer eine Zigarette auf dem Handrücken ausgedrückt hätte.

Sie hätten die Beschwerdeführerin in ein Haus und dort in einen großen Raum gebracht, in dem sich zwei Mädchen befunden hätten. Nach einer Weile sei ein Mann, der wohl der Chef gewesen sei, gekommen und habe der Beschwerdeführerin gesagt, dass sie nun bei ihnen bleiben würde und für sie arbeiten müsste, entweder bei Arbeiten des Roten Halbmondes oder beim Kochen. Da die Beschwerdeführerin ihn angeschrieen hätte, hätte er ihr Tee entgegengeschüttet. Als die Beschwerdeführerin vor Schmerz geschrien habe, habe er einen seiner Untergebenen aufgefordert, sie mitzunehmen und die Brandwunde unter kaltes Wasser zu halten. Dieser Wachmann habe die Beschwerdeführerin in ein Badezimmer gebracht und ihr angeboten, sie herauszubringen, wenn sie mit ihm sexuell verkehre.

Nachdem sie in das Zimmer zurückgebracht worden sei, habe man ihr eine Matratze gebracht. Abends sei derselbe Wachmann wiedergekommen und habe ihr leise gesagt, dass ein Taxi kommen würde, mit dem sie sich zu einer bestimmten Adresse begeben solle. Ca. ein bis zwei Stunden später habe er ihr eine Burka gebracht und sie bis zur Straße begleitet. Dort hätte er ihr gedroht, wenn sie flüchtete oder sonst etwas tue, wisse er, wo sie wohne, werde sie erwischen und umbringen. Dann habe er ein Taxi angehalten, dem Fahrer einen Zettel gegeben und ihn aufgefordert, die Beschwerdeführerin zu dieser Adresse zu bringen, er würde in 10 Minuten nachkommen und ihm das Geld geben. In diesem Moment hätte sie verstanden, dass sie an der genannten Adresse im Taxi bleiben müsste, bis der Huthi komme und den Fahrer bezahlte. Sobald das Taxi losgefahren sei, hätte sie zu weinen begonnen und sich gedacht, sie könnte doch versuchen, mit dem Taxifahrer zu reden, damit er sie woanders hinbringe. Auf ihre Bitte hin habe der Fahrer das Taxi gestoppt und sie ihn dann gefragt, ob er ihr sein Telefon geben könne. Die Beschwerdeführerin habe dann ihren Freund angerufen, kurz mit ihm gesprochen, erklärt was passiert sei und dann das Telefon dem Fahrer weitergegeben. Ihr Freund habe dem Taxifahrer mehr Geld geboten und mit ihm eine andere Adresse vereinbart, an der er die Beschwerdeführerin abholte und weiter in ein Hotel brachte, in dem sie bis zu ihrer Ausreise am 11.2.2015 geblieben sei.

Ihr Freund habe ihr einen Reisepass besorgt, ein Visum und die ganze Reise organisiert. Er habe ihr einen Schlepper mitgeschickt, der ihr in Istanbul den Pass abgenommen habe.

Vorgehalten, die Beschwerdeführerin habe bei der Erstbefragung zu ihrem Fluchtgrund angegeben, dass sie von der Al-Shabaab Miliz entführt worden sei, antwortete sie, die Al-Shabaab Miliz und die Huthis seien ein und dasselbe. Sie würden den Islam falsch verstehen. Nachgefragt, ob sie dabeibleibe, dass es die Al-Shabaab Miliz auch im Jemen gebe, wiederholte die Beschwerdeführerin, beide wären dasselbe. Nachgefragt, wer sie entführt habe, antwortete die Beschwerdeführerin, einer von ihnen, die gebe es überall. Damit meine sie die Huthis.

Die Mutter der Beschwerdeführerin lebe derzeit mit ihrem kleinen Bruder in Dschibuti, ihr Vater befinde sich seit Ende 2014 in Saudi-Arabien. Der ältere Bruder habe Anglistik studiert, der Vater Ingenieurwesen und im Jemen im Erdölbereich gearbeitet. Wegen der Ereignisse habe er jedoch keine Arbeit mehr gefunden und sei deswegen in Saudi-Arabien als Fliesenleger tätig. Die Beschwerdeführerin sei jetzt islamisch verheiratet, und zwar mit dem Mann, der sie begleitet habe.

Seitens des Beschwerdeführervertreters wurde vorgebracht, dass die Kinder der Beschwerdeführerin Staatsangehörige Somalias seien. Daher hätte den unbeschnittenen Töchtern Asyl gewährt werden müssen und zwar nicht vom Vater abgeleitet. Aus diesem Grund habe die Beschwerdeführerin selbst das Recht, Asyl von ihren Töchtern abgeleitet zu erhalten. Dazu wurde der Bescheid der jüngeren Tochter der Beschwerdeführerin vorgelegt, der über ihren Vater am 26.11.2019, Zahl 1250867201 – 191108839, gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war.

Am 19.1.2021 erklärte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen, sie habe jetzt Familie, ihr Partner sei der Vater ihrer Kinder. Seitens der erkennenden Richterin wurden der LIB zur Situation im Jemen vom 16.12.2019 und die Anfragebeantwortung zu Somalia vom 23.9.2015: Informationen zur Verleihung der Staatsbürgerschaft bei Geburt außerhalb Somalias In das Verfahren eingeführt und es wurde eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.

In einer daraufhin abgegebenen Stellungnahme vom 2.2.2021 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei der (älteren) Tochter der Beschwerdeführerin um eine weibliche somalische Staatsangehörige handle, welche in Österreich geboren und noch nicht beschnitten worden sei. Sie falle daher in jene bestimmte soziale Gruppe von Frauen und Mädchen, die in Somalia einem entsprechend hohen Risiko ausgesetzt seien, Opfer dieser Misshandlung zu werden. Somit liege ein asylrelevanter Fluchtgrund der Tochter vor, weshalb die Mutter ihr Asylrecht bereits aus dem Konventionsgrund der Tochter ableiten könne. Aufgrund der anhaltend prekären Lage auch für Frauen und junge Mädchen im Jemen sei auch bereits der Beschwerdeführerin, unabhängig vom Status Ihrer Tochter, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wurde festgestellt, dass die XXXX im Bundesgebiet geborene Tochter der Beschwerdeführerin durch ihren Vater die somalische Staatsbürgerschaft hat und ihr im Familienverfahrens zu diesem gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wurde festgestellt, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt (GZ W119 2202563-1).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige des Jemen, stammt aus Sanaa, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist Sunnitin.

Sie wuchs mit ihrer Familie (Eltern und Geschwistern) in Sanaa auf, besuchte zwölf Jahre die Schule, absolvierte in Sanaa die Matura, arbeitete mehrere Monate nebenbei als Ticketverkäuferin und studierte einige Monate an der Universität Sanaa Wirtschaftswissenschaften.

In Österreich lebt die Beschwerdeführerin mit einem somalischen Staatsangehörigen zusammen, dem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.1.2018 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden war (GZ W111 2148566-1/12E) und mit dem sie zwei im Bundesgebiet nachgeborene Töchter hat.

Am 1.6.2018 stellte die Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung für ihre im Bundesgebiet nachgeborene ältere Tochter einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 17 AsylG. Mit Bescheid vom 4.7.2018, Zl. 1193290805 – 180507754, wies das Bundesamt diesen Antrag auf internationalen Schutz der Tochter der Beschwerdeführerin unter Spruchpunkt I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 13 AsylG 2005 ab, erkannte ihr gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 34 Absatz 3 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr gemäß § 8 Absatz 4 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). Gegen Spruchpunkt I. wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wurde festgestellt, dass die XXXX im Bundesgebiet geborene Tochter der Beschwerdeführerin durch ihren Vater die somalische Staatsbürgerschaft hat und ihr im Familienverfahrens zu diesem gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt (GZ W119 2202563-1).

Der jüngeren Tochter der Beschwerdeführerin wurde über ihren Vater mit Bescheid des Bundesamtes vom 26.11.2019, Zahl 1250867201 – 191108839, gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Das individuelle Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin, von Angehörigen der Huthi- oder der Al-Shabaab-Miliz entführt und misshandelt worden zu sein, hat sich als nicht glaubwürdig erwiesen.

Feststellungen zur Situation im Jemen

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 16. 12. 2019)

Politische Lage

Die Republik Jemen bezeichnet sich in ihrer am 15./16. Mai 1991 in einer Volksabstimmung angenommenen Verfassung (geändert am 28. September 1994) als unabhängigen, arabischen, islamischen und republikanischen Staat. Staatsreligion ist der Islam (GIZ 10.2019). Die innere Lage des Landes wird immer noch durch die geteilten historischen Erfahrungen geprägt: einerseits britische Kolonialherrschaft und danach sozialistische Einflüsse im Süden, andererseits konservative muslimische Herrschaft und Stammesgesellschaft im Norden. 1990 vereinigten sich beide Staaten; der Nordjemen war die dominierende Kraft (DW 30.1.2018). Die gravierenden ökonomischen, sozialen und politischen Differenzen zwischen beiden Landesteilen sind jedoch nicht überwunden (GIZ 10.2019). Die politischen Herausforderungen für Jemen bestanden bereits vor Ausbruch des andauernden bewaffneten Konflikts im Jahr 2014. 2004 begann in der nordjemenitischen Provinz Saada der Huthi-Aufstand, ab 2007 erstarkte die sezessionistische Bewegung im Süden des Landes. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrer jeweiligen Region auf. Zusätzlich bereitete sich spätestens seit 2009 das internationale islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida im Jemen immer weiter aus. 2011 kam es landesweit zu Massenprotesten, in denen die Demonstranten das Ende des Saleh-Regimes und einen demokratischen Wandel forderten. Gleichzeitig traten jedoch Kämpfe innerhalb der Machtelite zutage (BPB 18.10.2011). (Ex-)Präsident Ali Abdullah Saleh bekämpfte während seiner Amtszeit den mutmaßlich durch den Iran unterstützten Huthi-Aufstand. 2011 trat er nach langen Verhandlungen und unter Zugeständnissen zu seinen Gunsten wie dem Erlangen von strafrechtlicher Immunität für seine Rolle bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen die Regierung zugunsten seines damaligen Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi zurück, der 2012 von den Wählern interimistisch im Amt bestätigt wurde. Ein Konsens für die Neuordnung des politischen Systems wurde zwar begonnen, dann aber vom Huthi-Aufstand und dem bewaffneten Konflikt zum Erliegen gebracht. Hadis Regierung ist zwar international anerkannt, sie kontrolliert jedoch nicht das ganze Territorium und hat kein klares Mandat (FH 4.2.2019; vgl. Der Standard 4.12.2017). Es gibt im Jemen keine funktionierende Zentralregierung, und staatliche Institutionen, die noch funktionieren, werden durch nicht-gewählte Beamte oder bewaffnete Gruppierungen kontrolliert (FH 4.2.2019). Das gewählte (und somit legitime) Parlament besteht laut derzeitiger Verfassung aus einer Kammer mit 301 Abgeordneten, die für sechs Jahre gewählt werden (GIZ 10.2019). Am 13. April 2019 wurde Sultan al-Barakani zum Parlamentspräsidenten gewählt, nachdem das Parlament erstmals seit Ausbruch des Konflikts 2015 wieder zusammengetreten war. Zahlreiche Abgeordnete halten sich derzeit im Ausland auf (AA 12.8.2019). Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind viele Jahre überfällig, und keiner Seite gelang es während des Krieges, genug Territorium zu kontrollieren, um etwaige Wahlen abzuhalten. Parlamentswahlen wurden zuletzt am 27. April 2003 abgehalten, und hätten eigentlich 2009 wieder durchgeführt werden sollen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 gab es nur einen Kandidaten. Im Kontext des Bürgerkriegs wird die politische Opposition unterdrückt. Normale politische Aktivität wird durch die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen im Jemen verhindert, darunter Huthi-Rebellen, sunnitische Extremisten, südjemenitische Separatisten, ausländische Truppen der von SaudiArabien angeführten Koalition, Truppen der Hadi-Regierung und lokale Milizen (FH 4.2.2019).

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Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist im ganzen Land ausgesprochen volatil. Die Sicherheit kann durch staatliche Behörden nicht gewährleistet werden. Der bewaffnete Konflikt zwischen Huthi-Rebellen aus dem Nordwesten des Landes und der Regierung und ihren Unterstützern, darunter die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, dauert weiter an (AA 28.8.2019). Daneben ist auch der südjemenitische, von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützte Southern Transitional Council (STC) ein zentraler bewaffneter Akteur. Sowohl STC als auch die Kräfte, die hinter der Regierung stehen, kämpfen gegen die Huthi. Sie bekämpfen sich jedoch auch untereinander, was die Spannungen zwischen Abu Dhabi und Riyadh verdeutlicht (ICG 16.10.2019). Im Chaos des Krieges zwischen Hadi-Regierung und Huthi erstarkten außerdem AlQaida auf der Arabischen Halbinsel, der „Islamische Staat“ und andere bewaffnete Gruppierungen (Al Jazeera 2.8.2019; vgl. The Guardian 1.10.2019). Die fortdauernden Kampfhandlungen stellen für die Zivilbevölkerung weiterhin eine erhebliche Gefährdung dar. Die staatlichen Institutionen sind landesweit nur noch sehr eingeschränkt funktionsfähig. Bereits im September 2014 hatten Huthi-Milizen die Kontrolle über weite Landesteile, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, übernommen und auch Teile der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. Die staatlichen Sicherheitsorgane sind nur bedingt funktionsfähig und können im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz garantieren. Die Spannungen zwischen Nord- und Südjemen und die zunehmende Fragmentierung des Landes tragen zur Instabilität des Landes bei (AA 28.8.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen im Konflikt seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden 2019 circa 1,100 getötete Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die Luftschläge der saudisch-geführten Koalition und die Angriffe der Huthis unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärpersonen. Bei einem saudischen Luftangriff im August 2018 wurde beispielsweise ein Schulbus in Saada getroffen und 40 Kinder getötet (FH 4.2.2019). Ab Juni 2018 war die Hafenstadt Hodeidah von starken Kämpfen betroffen. Im Dezember 2018 vermittelte die UN ein Abkommen („Stockholm-Abkommen“), das die Demilitarisierung Hodeidahs vorsah. Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig. So brachen dort z.B. gleich nach Unterzeichnung des Abkommens, so wie auch im Mai 2019 erneut Kämpfe aus. Gleichzeitig intensivierten die Huthi ihre Angriffe auf saudisches Territorium, und auch die saudischen Luftangriffe verstärkten sich in den letzten Monaten [Mai bis Juli 2019] (ICG 18.7.2019; vgl. The Guardian 15.5.2019; vgl. FH 4.2.2019). Anfang August 2019 kam es in der Hafenstadt Aden zu schweren Gefechten zwischen südjemenitischen Separatisten und gegenüber der Hadi-Regierung loyalen Truppen. Weite Teile des Landes sind von täglichen Bombardierungen, Raketenangriffen und Kampfhandlungen am Boden betroffen (AA 28.8.2019). Im August nahmen die Separatisten Aden ein (BBC 11.8.2019). Im September erklärten die Huthis einen unilateralen Waffenstillstand; die saudischen Luftangriffe haben seitdem zumindest abgenommen (Al Jazeera 24.9.2019; vgl. ICG 10.2019). Im Oktober 2019 kam es Berichten zufolge in den Gouvernements Abyan und Shebwa zu sporadischen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten des STC. Saudische Kräfte übernahmen schrittweise die Kontrolle über Aden, und die Kräfte der VAE zogen sich zurück (ICG 10.2019; vgl. ACLED 5.11.2019). Am 5. November 2019 wurde das „Riyad-Abkommen“ unterzeichnet, nachdem die Unterzeichnung wegen Eskalation der Kämpfe in Abyan am 31. Oktober verschoben worden war. Das Abkommen zwischen den Separatisten im Südjemen und der Hadi-Regierung soll eine Machtteilung bringen. Die Kämpfe im Gouvernement Abyan gehen weiter. Luftangriffe der saudisch-geführten Militärkoalition in den Gouvernements Hajjah und Sadah, sowie in geringerem Maße in Sanaa, halten an (ACLED 5.11.2019). Die politische Instabilität im Jemen führt dazu, dass der Fluss an Waffen und Munition in die Region nicht kontrolliert werden kann (USDOS 1.11.2019). Im ganzen Land leiden Zivilisten an einem Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, an der sich verschlimmernden Wirtschaftskrise, sowie am Nicht-Funktionieren der Verwaltung, des Gesundheits-, Bildungs- und Justizsystems (HRW 17.1.2019). In Jemen herrscht laut UN die größte humanitäre Krise weltweit. Sie hat sich seit Beginn des Konflikts im März 2015 immer weiter zugespitzt. Von den 30 Millionen Einwohnern Jemens sind 24 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Viele sind ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei über 3 Millionen Menschen (AA 12.8.2019).

Quellen: - AA – Auswärtiges Amt (28.8.2019): Jemen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemensicherheit/202260, Zugriff 15.11.2019 - AA – Auswärtiges Amt (12.8.2019): Jemen: Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemen/202270, Zugriff 20.11.2019 - ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (31.10.2019): PRESS RELEASE: Over 100,000 Reported Killed in Yemen War, https://www.acleddata.com/2019/10/31/press-releaseover-100000-reported-killed-in-yemen-war/, Zugriff 13.11.2019 - ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (5.11.2019): Regional Overview: Middle East, 27 October – 2 November 2019, https://www.acleddata.com/2019/11/05/regional-overviewmiddleeast-27-october-2-november-2019/, Zugriff 20.11.2019- Al Jazeera (2.8.2019): Al-Qaeda launches deadly attack on army base in southern Yemen, https:// www.aljazeera.com/news/2019/08/al-qaeda-launches-deadly-attack-army-base-southern-yemen190802081549242.html, Zugriff 15.11.2019 - Al Jazeera (24.9.2019): Seven children among 16 dead in Yemen air strikes, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/7-children-16-dead-yemen-air-strikes190924122950086.html, Zugriff 20.11.2019 - BBC News (11.8.2019): Yemen conflict: Southern separatists seize control of Aden, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49308199, Zugriff 20.11.2019 - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - The Guardian (15.5.2019): Yemen: ceasefire broken as fresh fighting breaks out in Hodeidah, https://www.theguardian.com/world/2019/may/15/yemen-ceasefire-broken-as-fresh-fighting-breaksout-in-hodeidah, Zugriff 20.11.2019 - The Guardian (1.10.2019): Yemen: Aden's changing alliances erupt into four-year conflict's newest front, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/01/yemen-adens-changing-allianceserupt-into-four-year-conflicts-newest-front, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - ICG – International Crisis Group (18.7.2019): Saving the Stockholm Agreement and Averting a Regional Conflagration in Yemen, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-andarabian-peninsula/yemen/203-saving-stockholm-agreement-and-averting-regional-conflagrationyemen, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (16.10.2019): Yemen’s Multiplying Conflicts, https://www.ecoi.net/en/document/2018614.html, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (10.2019): CrisisWatch, Tracking Conflict Worldwide, Yemen, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/november-alerts-october-trends-2019#yemen, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (5.11.2019): The Beginning of the End of Yemen’s Civil War?, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/yemen/beginningend-yemens-civil-war, Zugriff 15.11.2019 - USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 4 - Terrorist Safe Havens - Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2019263.html, Zugriff 20.11.2019

Huthi (Harakat Ansar Allah)

Die Huthi - offiziell bekannt als Harakat Ansar Allah (wörtl. „Bewegung der Helfer Gottes“) - sind eine vom Iran unterstützte, schiitisch-muslimische militärische und politische Bewegung. Ihre Mitglieder, die sich der Minderheit der Zaiditen des schiitischen Islam zugehörig fühlen, setzen sich für die regionale Autonomie der Zaiditen im Nordjemen ein [siehe auch Abschnitt 12.1. Religiöse Gruppe: Zaiditen]. Die Gruppe hat seit 2004 eine Reihe blutiger Aufstände gegen die jemenitische Regierung ausgeführt, die zu einem Sturz des Regimes Anfang 2015 geführt haben. Die HuthiBewegung begann als Versuch, die Autonomie der Stämme im Nordjemen aufrechtzuerhalten und gegen den westlichen Einfluss im Nahen Osten zu protestieren. Heute streben die Huthi eine größere Rolle in der jemenitischen Regierung an und setzen sich weiterhin für die Interessen der zaiditischen Minderheit ein. Die Huthi sind für ihre heftige anti-amerikanische und antisemitische Rhetorik bekannt (CEP 2019). Sie sind außerdem durch die von ihnen so wahrgenommene wirtschaftliche Diskriminierung während der Saleh-Herrschaft motiviert (DW 1.10.2019). Die Ziele der Huthi umfassen auch Entschädigungen für die Schäden während der Saada-Kriege [Anm.: Kriege zwischen Huthi und Regierung im Gouvernement Saada zwischen 2004 und 2010], die Interessensvertretung [der Zaiditen] innerhalb der Zentralregierung, und die Garantie, dass die Gruppe vor zukünftiger politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung geschützt wird. Nicht alle Zaiditen im Jemen identifizieren sich mit der Huthi-Bewegung (CT 2019). Die Huthi-Bewegung besteht heute aus verschiedenen militärischen Kräften, darunter auch circa 60 Prozent ehemalige Angehörige der jemenitischen Armee unter Ex-Präsident Saleh. Schätzungen zufolge sollen die Huthi militärisch 180.000 bis 200.000 Mann stark sein und über verschiedene Waffensysteme verfügen (DW 1.10.2019). In den nördlichen Gebieten, die traditionell unter zaiditischer Kontrolle standen, gibt es Berichte über fortgesetzte Bemühungen der Huthi, ihre religiösen Bräuche auch Nicht-Zaiditen aufzuzwingen, unter anderem durch ein Musikverbot und die Forderung, dass Frauen eine Voll-Verschleierung tragen müssen (USDOS 21.6.2019). Bewaffnete Huthi-Kräfte nahmen häufig Geiseln und begingen andere ernsthafte Missbräuche an Personen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden (HRW 25.9.2018).

Quellen: - CEP – Counter Extremism Projekt (2019): Houthis, https://www.counterextremism.com/threat/houthis, 21.11.2019 - CT – Critical Threats (2019): al Houthi Movement, https://www.criticalthreats.org/organizations/al-houthi-movement, Zugriff 21.11.2019 - DW – Deutsche Welle (1.10.2019): Yemen's Houthi rebels: Who are they and what do they want?, https://www.dw.com/en/yemens-houthi-rebels-who-are-they-and-what-do-they-want/a50667558, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (25.9.2018): Yemen: Houthi Hostage-Taking, https://www.ecoi.net/en/document/1444267.html, Zugriff 20.11.2019 - USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2011009.html, Zugriff 20.11.2019

Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der Islamische Staat im Jemen (IS-Y)

Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (eng. abk.: AQAP) ist ein Zusammenschluss von Al-QaidaKämpfern in Saudi-Arabien und der früheren Al-Qaida im Jemen (CISAC 7.2015). AQAP ist im gesamten Jemen vor allem in den südlichen und zentralen Regionen des Landes tätig. In vielen dieser Provinzen regiert AQAP über kleinere Gebiete mit Sharia-Gerichten und einer schwer bewaffneten Miliz. AQAP versucht die jemenitische Bevölkerung anzusprechen, indem sie die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt, sich in die lokale Bevölkerung integriert, auch durch die Anpassung an lokale Regierungsstrukturen. Als formaler Bestandteil der Al-Qaida stehen die Ideologie und Praktiken der AQAP im Einklang mit den weiter gefassten Zielen der Al-Qaida, nämlich auf eine globale islamistische Herrschaft hinzuarbeiten (CEP 4.1.2017; vgl. CH 9.2019). AQAP nutzte die Wirren von 2015, um weite Teile der Provinzen Abyan, Shabwa und Hadramaut einzunehmen und zu kontrollieren. Gemeinsam mit verbündeten Stämmen eroberte sie Anfang April 2015 Mukalla — mit 300.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Landes und Hauptstadt der südöstlichen Provinz Hadramaut — und erbeutete große Waffenarsenale und viel Geld. Außerdem übernahm AQAP dort zusammen mit ihren Alliierten die Verwaltung. Truppen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und deren lokale Verbündete eroberten die Stadt im April 2016 zurück (SWP 7.2017; vgl. CH 9.2019). Bis 2016 kontrollierte AQAP größere Gebiete im Jemen, in den beiden darauffolgenden Jahren erlitt AQAP Gebietsverluste (HRW 17.1.2019; vgl. Jamestown 5.4.2019). Sowohl AQAP als auch der sog. Islamische Staat Yemen (IS-Y) profitieren weiterhin vom Konflikt mit den Huthi, indem sie von anderen Einheiten der Anti-Huthi-Koalition nicht als Feind betrachtet werden und das Sicherheitsvakuum in großen Teilen des Landes ausnutzen (USDOS 1.11.2019). Sowohl AQAP als auch IS-Y bekannten sich im Jahr 2018 zu Selbstmordanschlägen und anderen Angriffen (HRW 17.1.2019). 2018 wurden Operationen zur Terrorismusbekämpfung, vor allem durch von den VAE unterstützten Kräften, gegen AQAP durchgeführt, und zwar in den Gouvernements Abyan, Shabwa und Hadramaut. Der IS-Y ist bezüglich Mitgliederanzahl und Einfluss deutlich kleiner als AQAP. IS-Y ist jedoch weiterhin aktiv und führt Angriffe gegen AQAP, jemenitische Sicherheitskräfte und Huthi durch (USDOS 1.11.2019). Eine der aktivsten Gruppen des IS-Y soll es mit Stand September 2018 in Al-Bayda geben, genauso wie eine der aktivsten Gruppen von AQAP (Jamestown 5.4.2019). Im Juli 2018 kam es zu heftigeren Zusammenstößen zwischen AQAP und IS-Y, was die Rivalität zwischen Al-Qaida und IS allgemein zeigt (Jamestown 21.9.2018). Es wird berichtet, dass AQAP und IS-Y im Sommer 2019 das Machtvakuum im Süden des Landes ausnutzten und Angriffe gegen Truppen der Hadi-Regierung sowie des Southern Transitional Council (STC) in Aden, Abyan und Al-Bayda durchführten (ACAPS 8.2019).

Quellen: - ACAPS – Yemen Analysis Hub (8.2019): Crisis InSight, Yemen Crisis Impact Overview, June – August 2019, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20190925_yemen_crisis_impact_overview_ju ne_august_2019.pdf, Zugriff 14.11.2019 - CEP – Counter Extremism Projekt (4.1.2017): Al-Qaeda in the Arabian Peninsula (AQAP), https:// www.counterextremism.com/threat/al-qaeda-arabian-peninsula-aqap, Zugriff 21.11.2019 - CH - Chatham House (9.2019): Between Order and Chaos, A New Approach to Stalled State Transformations in Iraq and Yemen, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/2019-09-05StateTransformationsIraqYemen.pdf, Zugriff 15.11.2019 - CISAC – Center for International Security and Cooperation (7.2015): Al Qaeda in Yemen, https://cisac.fsi.stanford.edu/mappingmilitants/profiles/al-qaeda-yemen#text_block_17347, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - Jamestown Foundation (21.9.2018): Clashes Between Islamic State and AQAP Emblematic of Broader Competition; Terrorism Monitor Volume: 16 Issue: 18, https://www.ecoi.net/en/document/1447309.html, Zugriff 20.11.2019 - Jamestown Foundation (5.4.2019): Continued Fighting Between Islamic State and AQAP Complicates Security in al-Bayda - Jamestown, https://www.ecoi.net/en/document/2006052.html, Zugriff 20.11.2019- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik. Steinberg, Guido (7.2017): Saudi-Arabiens Krieg im Jemen, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A51_sbg.pdf, Zugriff 21.11.2019 - USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 4 - Terrorist Safe Havens - Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2019263.html, Zugriff 20.11.2019

Bewegung des Südens (Al Hirak), Southern Transitional Council (STC)

Die Bewegung des Südens, auch bekannt als „al Hirak“ oder „al Harakat al Janubiyya“, begann ihre Aktivitäten 2007 auf dem Gebiet der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen. Sie war nie eine einheitliche Gruppierung. Es handelte sich mehr um eine lose Vereinigung von Kräften, deren Forderungskatalog von mehr Mitspracherecht für die Bevölkerung des Südens bis hin zur abermaligen Abspaltung und Unabhängigkeit vom Norden reicht. Die Bewegung begann mit Reparationsforderungen nach der Zerstörung des südlichen Jemen während des Bürgerkriegs 1994. Die Mitgliedergruppen unterscheiden sich in ihrem Charakter von politisch bis militant. Die Bewegung hat seit den Umbrüchen des Arabischen Frühlings 2011 starken Zulauf (GIZ 10.2019; vgl. CT 2017). Die Unterstützung des Southern Movement speist sich u.a. aus der Enttäuschung über die politische und wirtschaftliche Marginalisierung des südlichen Jemens nach der Einigung der beiden Landesteile 1990. Das Southern Movement ist in vielerlei Hinsicht ein Vorläufer des 2017 gegründeten Southern Transitional Coucil (STC) (Jamestown 10.9.2019). Zu Beginn des Konflikt waren es aber eher lose organisierte südjemenitische Milizen, die die Huthi-Rebellen und die Truppen der Hadi-Regierung aus ihren Gebieten im Süden vertrieben. Dabei wurden sie militärisch von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt (CH 3.2018). Ab 2015 schlossen sich die bewaffneten Truppen des Southern Movement der Anti-Huthi-Koalition der Hadi-Regierung an. Im April 2017 kam es zu zunehmenden Spannungen in Aden, da Hadi den Bürgermeister der Stadt aus seinem Amt entließ. Nach Massenprotesten als Reaktion auf die Entlassung wurde der Southern Transitional Council (STC) mit Unterstützung durch die VAE gegründet. Der STC tritt für die Unabhängigkeit des Südjemens ein (Al Jazeera 20.9.2019). Im Jänner 2018 brachen Kämpfe zwischen Regierungskräften und von den VAE unterstützten südjemenitischen Kräften in Aden aus (HRW 17.1.2019). Im August 2019 eroberten südjemenitische separatistische Kräfte nach tagelangen Kämpfen erneut den Regierungssitz von Präsident Hadi in Aden. Die Kämpfe offenbarten Risse innerhalb der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition gegen die Huthi (Der Standard 25.10.2019). Am 5.11.2019 einigten sich südjemenitische Separatisten und die Hadi-Regierung im Rahmen des „Riyadh-Abkommens“ auf eine Machtteilung (Der Standard 12.11.2019) [siehe Abschnitt 2. Politische Lage]. Der Süden des Jemens ist, entgegen häufiger Annahmen, kein homogener Raum. Nicht alle Südjemeniten unterstützen den STC, und nicht alle unterstützen das Southern Movement. Einige Personen, die seit Kriegsbeginn immer prominenter wurden, waren in der Bewegung vor dem Krieg keine wichtigen Figuren (CH 3.2018; vgl. Jamestown 10.9.2019). Außerhalb von Aden gibt es kleinere separatistische Bewegungen in den südlichen Provinzen, die die Forderung des STC nach der Wiederherstellung der Republik Südjemen mittels Gewalt ablehnen (Al Jazeera 20.9.2019).

Quellen: - Al Jazeera (20.9.2019): Who are south Yemen's separatists?, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/south-yemen-separatists-190919074008631.html, Zugriff 20.11.2019 - CH – Chatham House (3.2018): Yemen’s Southern Powder Keg, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/publications/research/2018-03-27-yemensouthern-powder-keg-salisbury-final.pdf, Zugriff 20.11.2019 - CT – Critical Threats (2017): Southern Movement, https://www.criticalthreats.org/organizations/southern-movement, Zugriff 21.11.2019 - GIZ – Länderinformationsportal (10.2019): Jemen, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jemen/geschichte-staat/, Zugriff 15.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - Jamestown Foundation (10.9.2019): Some Old, Some New: Grievances, Players, and Backers in the Conflict in Southern Yemen; Terrorism Monitor Volume: 17 Issue: 17, https://www.ecoi.net/en/document/2017648.html, Zugriff 20.11.2019 - Der Standard (25.10.2019): Einigung zwischen Regierung des Jemen und Unabhängigkeitskämpfern, https://www.derstandard.at/story/2000110324214/einigung-zwischenregierung-des-jemen-und-unabhaengigkeitskaempfern, Zugriff 15.11.2019 - Der Standard (12.11.2019): Warum im Jemen und am Golf nun ein Friedenslüftchen weht, https:// www.derstandard.at/story/2000110940654/warum-im-jemen-und-am-golf-friedenslueftchen, Zugriff 15.11.2019

Rechtsschutz / Justizwesen

Im Jemen gibt es keine funktionierende Zentralregierung, und alle staatlichen Institutionen, die noch intakt sind, werden von nicht gewählten Beamten oder bewaffneten Gruppen kontrolliert. Das Justizwesen ist nominell unabhängig, jedoch anfällig für Beeinflussung durch politische Fraktionen. Die Behörden haben eine schlechte Bilanz, was die Durchsetzung von juristischen Urteilen angeht, besonders wenn es sich um Verurteilungen von Stammesführern oder bekannten politischen Personen handelt. Durch das Fehlen eines effektiven Gerichtswesens greift die Bevölkerung häufig auf stammesrechtliche Formen von Justiz oder Gewohnheitsrecht zurück, besonders seit der Einfluss der Regierung schwächer wird (FH 4.2.2019). Unter Kontrolle der Huthi ist die Justiz schwach und durch Korruption, politische Einmischung, gelegentliche Bestechung und mangelnde juristische Ausbildungen beeinträchtigt. Die mangelnde Kapazität der Regierung und die teilweise mangelnde Durchsetzungsbereitschaft der Gerichte, insbesondere außerhalb der Städte, haben die Glaubwürdigkeit der Justiz weiter untergraben. Kriminelle bedrohen und schikanieren Angehörige der Justiz, um den Ausgang von Verfahren zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Verhaftungen sind üblich. In den letzten Jahren wurden hunderte solcher Fälle dokumentiert. In vielen Fällen kommt es zu gewaltsamem Verschwindenlassen. Gefangene werden oft in inoffiziellen Haftanstalten untergebracht. Es gibt unzählige Berichte über politische Gefangene (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Vor dem Gesetz sind Angeklagte unschuldig bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind im Allgemeinen öffentlich, aber Gerichte können aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit oder Moral“ geschlossene Verhandlungen abhalten. Richter nehmen aktiv an der Befragung der Zeugen und des Angeklagten teil und urteilen über Kriminalfälle. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Gerichtsverhandlung anwesend zu sein und sich mit einem Anwalt zu beraten. Der Angeklagte kann Zeugen, die gegen ihn aussagen, befragen und konfrontieren und zu seiner eigenen Verteidigung Zeugen oder Beweise vorbringen. Die Regierung muss laut Gesetz in schweren Kriminalfällen einen Anwalt für mittellose Angeklagte zur Verfügung stellen, wobei dies in der Vergangenheit nicht immer geschehen ist. Grundsätzlich haben Angeklagte und deren Anwälte Zugang zu relevanten Beweisen und Anwälten wird ermöglicht, Klienten und Zeugen zu befragen sowie Beweise zu prüfen. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Angeklagte können weder zu einer Zeugenaussage noch zu einem Schuldgeständnis gezwungen werden. Es gibt außerdem ein spezielles Staatssicherheitsgericht, welches unter anderen Bedingungen arbeitet und Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführt. Dieses Gericht garantiert den Angeklagten nicht dieselben Rechte wie die ordentlichen Gerichte. Anwälte bekommen oft nicht ausreichend Zugang zu den Anklagepunkten, Beweismitteln oder Gerichtsakten. Das Fehlen von Geburtsregistern erschwert die Altersfeststellung, woraufhin die Gerichte Jugendliche wie Erwachsene verurteilen, auch zum Tode. Neben dem bestehenden Gerichtssystem gibt es ein Stammesrechtssystem für Fälle, die nicht unter das Strafrecht fallen [Anm. d.h. z.B. Familienrecht, etc.]. Stammesrichter, meist angesehene Scheichs, entscheiden jedoch auch oft in Kriminalfällen auf stammesrechtlicher Basis. Zu diesen Fällen kommt es gewöhnlich in Folge öffentlicher Beschuldigungen, nicht in Folge von formell eingereichten Anklagepunkten. Stammes-Mediation betont oft den sozialen Zusammenhalt mehr als Bestrafung. Die Öffentlichkeit respektiert die Ergebnisse von Stammesprozessen oft mehr als das formelle Gerichtssystem, das von vielen als korrupt und nicht unabhängig angesehen wird (USDOS 13.3.2019).

Quellen: - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html, Zugriff 11.11.2019


Sicherheitsbehörden

Die jemenitischen Sicherheitsbehörden sind in Folge des politischen und militärischen Konflikts stark fragmentiert (EASO 15.10.2019). Die jemenitischen Streitkräfte bestehen mit Stand März 2018 grundsätzlich aus Landstreitkräften, Seestreitkräften und Küstenwache, Luftstreitkräften, Grenzwache, Strategischer Reserve, sowie militärischen Nachrichtendiensten (u.a. Department of Military Intelligence, Department of Reconnaissance) (CIA 5.11.2019). Die Huthi übernahmen 2014 die Kontrolle über das Verteidigungs- und Innenministerium in Sanaa. Laut eines Berichts haben bis zu 70 Prozent der Armee-, Polizei und paramilitärischen Kräfte zu Beginn des Krieges die Huthi-Saleh-Allianz unterstützt. Die staatliche Armee (Yemen National Army, YNA) wurde ab 2015 von der Hadi-Regierung neu formiert, indem Saleh-treues Personal ersetzt wurde, und bis zu 200.000 neue Soldaten rekrutiert wurden, darunter Stammeskämpfer (EASO 15.10.2019). Die primären staatlichen Nachrichtendienste, die Organisation für Politische Sicherheit (Political Security Organisation - PSO) und das Büro für Nationale Sicherheit (National Security Bureau - NSB) unterstehen zuerst dem Innenminister und dann dem Präsidenten. Die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen bleibt unklar, und es gibt keine klaren Definitionen vieler Prioritäten des NSB. Die PSO ist laut Gesetz dafür zuständig, politische Verbrechen und Sabotageakte aufzudecken und zu verhindern. PSO und NSB gerieten Ende 2014 unter die Kontrolle der Rebellen der Huthi-Saleh-Allianz. Die Hadi-Regierung behielt jedoch ihre eigenen Posten in PSO und NSB in den von der Regierung kontrollierten Gebieten bei (USDOS 13.3.2019; vgl. GS 21.1.2015). Wie andere staatliche Institutionen auch, teilten sich Sicherheits- und Nachrichtendienste wie die PSO in parallele Strukturen auf; ein Teil wird von den Huthi kontrolliert, der andere Teil von der Hadi-Regierung. Die Dienste operieren jeweils in einem von ihrer Seite im Bürgerkrieg kontrollierten Gebiet (FH 4.2.2019). Auch die Abteilung für kriminaldienstliche Ermittlungen (Criminal Investigation Division) untersteht dem Innenministerium und führt die meisten Untersuchungen und Festnahmen in Kriminalfällen durch. Der Innenminister kontrolliert außerdem die paramilitärischen Spezialsicherheitskräfte (Special Security Forces SSF) – oft zur Kontrolle von Menschenansammlungen eingesetzt -, sowie die Anti-Terror-Einheit. Dem Verteidigungsminister unterstehen außerdem Einheiten zum Einsatz gegen interne Unruhen und in internen bewaffneten Konflikten (USDOS 13.3.2019). Straflosigkeit von Sicherheitsbeamten bleibt ein Problem, zum einen, weil die Hadi-Regierung nur begrenzt Macht ausübt und zum anderen, weil es keine wirksamen Mechanismen zur Untersuchung und Verfolgung von Missbrauch und Korruption gibt. Die SSF, die Sondereinsatzkräfte des Jemen, die Präsidentengarde (ehemals republikanische Garde), die NSB und andere Sicherheitsorgane sind vordergründig zivilen Behörden des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Präsidentenbüros unterstellt. Die zivile Kontrolle über diese Einrichtungen verschlechterte sich 2018 jedoch weiter, da regionale Bemühungen zur nationalen Versöhnung ins Stocken gerieten. Durch die Verschärfung des Problems der Straflosigkeit verstärkten Interessensgruppen, darunter auch die Familie des ehemaligen Präsidenten Saleh und andere Stammes- und Parteigruppen, ihren Einfluss auf die Nachrichtendienste, oft auf inoffiziellem Wege und nicht durch die formale Befehlsstruktur (USDOS 13.3.2019). Die Southern Resistance Forces wurden ab 2016 mit Unterstützung der VAE aufgebaut. Sie werden manchmal auch als unter Kontrolle der international anerkannten jemenitischen Regierung angesehen, obwohl sie angeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten ferngesteuert werden (EASO 15.10.2019; vgl. MEI 31.7.2019; vgl. WP 28.8.2019).

Quellen: - CIA Factbook (5.11.2019): Middle East, Yemen, Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ym.html#People, Zugriff 11.11.2019 - EASO – European Asylum Support Office (15.10.2019): COI Query, Background on the Yemeni armed forces, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018892/2019_10_17_EASO_COI_Query_Yemen_Conscription_ Q23.pdf, Zugriff 12.11.2019 - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - GS – Global Security (21.1.2015): Yemen Intelligence Agencies, https://www.globalsecurity.org/intell/world/yemen/index.html, Zugriff 12.11.2019 - MEI – Middle East Institute (31.7.2019): Security in South Yemen, https://www.mei.edu/publications/security-south-yemen, Zugriff 12.11.2019 - USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html, Zugriff 11.11.2019 - WP – The Washington Post (28.8.2019): The UAE is weakening its partnership with the Saudis in Yemen. Here’s why that matters, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/08/28/what-saudiarabia-uaes-changing-partnership-means-future-yemens-war/, Zugriff 12.11.2019

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Bevölkerung im Jemen leidet weiterhin unter den Auswirkungen des bewaffneten Konflikts, an Gewalt sowie schweren Menschenrechtsverletzungen und Missbräuchen. Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, darunter politische Morde; Verschwindenlassen; Folter; willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; politische Gefangene; willkürliche Verletzungen der Rechte der Bürger auf Privatsphäre; erhebliche Eingriffe in die Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; die Tatsache, dass die Bürger ihre Regierung nicht durch freie und faire Wahlen wählen können; Korruption und der Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 13.3.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Die Hadi-Regierung unternimmt den Versuch, Menschenrechtsverletzungen durch Beamte zu verfolgen und bestrafen, wobei sie nicht alle Institutionen des Landes kontrolliert. Straffreiheit blieb jedoch ein weit verbreitetes Problem. Nicht-staatliche Akteure, darunter Huthis, Stammesmilizen, südjemenitische separatistische Gruppierungen, Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der IS begehen erhebliche Verstöße gegen die Menschenrechte (USDOS 13.3.2019). Huthi-Truppen nahmen Geiseln. Bewaffnete Kräfte in Aden verprügelten, vergewaltigten und folterten Migranten (HRW 17.1.2019). Der Krieg führte landesweit zu weit verbreiteter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Laut OHCHR wurden seit Konfliktbeginn bis November 2018 mehr als 6,800 Zivilisten getötet und mehr als 10,700 verletzt, die meisten davon durch Luftangriffe der von Saudi Arabien angeführten Koalition. Die wahren Opferzahlen dürften weit höher liegen. Tausende wurden durch die Kämpfe vertrieben, und Millionen Menschen sind von Engpässen in Nahrungsmittelversorgung und medizinischer Versorgung betroffen (HRW 17.1.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden im Jahr 2019 circa 1,100 tote Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition führte zahlreiche wahllose und unverhältnismäßige Luftangriffe durch, unter anderem auf Wohnhäuser, Märkte, Schulen, Krankenhäuser und Moscheen, bei denen Tausende von Zivilisten getötet und zivile Objekte unter Verletzung des Völkerrechts beschossen bzw. zerstört wurden. Die Koalition setzte auch international verbotene Streumunition ein. Huthi-Truppen setzten verbotene Landminen ein, es kam zur Rekrutierung von Ki

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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