Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde der H in G, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 19. Juni 1996, Zl. 115.032/1-7/96, betreffend Ruhestandsversetzung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1940 geborene Beschwerdeführerin steht als Fachoberinspektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; ihre Dienststelle ist das Bundessozialamt Steiermark.
Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Kärnten vom 25. Juli 1991 wurde der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin gemäß den §§ 3 Abs. 2 und 14 BEinstG im Hinblick auf ihre diversen physischen Gesundheitsstörungen mit 90 % festgesetzt.
Mit Antrag vom 19. Oktober 1995 begehrte die Beschwerdeführerin ihre Versetzung in den Ruhestand, weil sie sich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sehe, ihren Dienst auszuüben. In dem von der Beschwerdeführerin ausgefüllten "Erhebungsbogen" bezeichnete sie die Leiden, wegen der sie sich - ab September 1995 - für dienstunfähig halte, wie folgt:
"a) Bauchspeicheldrüsenentzündung
b)
Z.n. Hepatitis
c)
Bandscheibenvorfall L4/L5d Venenleiden
e)
Zwölffingerdarmgeschwür
f)
Zwerchfellbruch
g)
Kreislaufprobleme
h)
deg. Ver. d. HWS C5/C6
i)
Obstr. d. Bronchien"
Als Besonderheiten ihrer Tätigkeiten wies die Beschwerdeführerin in diesem Erhebungsbogen auf "saisonalbedingte Belastungsspitzen" und "ständiges Sitzen" hin; weiters bezeichnete sie die Diätmaßnahmen wegen "Leber, Bauchspeicheldrüse" als unbedingt erforderlich.
Dieser "Erhebungsbogen" wurde mit weiteren sachdienlichen Unterlagen, wie insbesondere ärztlichen Befunden und Gutachten und dem vorher erwähnten Bescheid des Landesinvalidenamtes für Kärnten, der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten zur Erstellung eines ärztlichen Gutachtens übermittelt.
Der herangezogene Facharzt für Innere Medizin gelangte zusammenfassend zu folgendem Ergebnis:
"7.
Diagnose in deutscher Sprache:
Rezidivierender Reizmagen
Zustand nach Pankreatitis
Cholesterinerhöhung
8.
Ärztliche Beurteilung:
Die 55-jährige Pensionswerberin wirkt altersentsprechend, ist gerade noch normgewichtig, weist einen leptosomen Habitus auf. Psychisch und geistig besteht keine Abnormität.
Die Lunge und das Herz/Kreislaufsystem sind unauffällig. Im Oberbauch findet sich ein mäßiger Meteorismus, eine Organvergrößerung besteht nicht. Im Verein mit der Anamnese sind die Beschwerden einem Reizmagen zuzuordnen. Im Rahmen der Cholestinerhöhung ist die gamma-GT etwas überhöht, labormäßig besteht ein Zustand nach durchgemachter Hepatitis A. Eine Ausgleichsstörung des Organes besteht nicht. Die übrigen inneren Organe sind altersentsprechend."
Aus dem Leistungskalkül ergeben sich keine besonderen Beschränkungen, wobei aber festgehalten wird, daß keine Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit einer bestimmten Diäternährung erfolgte.
Das weiters erstellte orthopädische Gutachten weist zusammenfassend folgendes aus:
"7.
Diagnose in deutscher Sprache:
Cervicobrachialsyndrom bei Osteochondrose der unteren HWS Spondylogene Myolumbalgien mit sensibler Irritation L5 re. Mäßige Skoliose
Geringer Beckenschiefstand
Senk/Spreizfüße und Hallux valgusbildungen
8.
Ärztliche Beurteilung:
Die 56jährige Untersuchte ist schlankwüchsig, weist an der HWS und LWS mäßig verstärkte Aufbrauchszeichen auf. Die Beweglichkeit am Achsenorgan ist nur endlagig eingeschränkt. Es besteht eine sensible Irritation von L5 re. Die Belastbarkeit des Achsenorganes und der Beine ist gering vermindert. Die Gebrauchsfähigkeit der Finger und Hände erhalten."
Aus dem orthopädischen Leistungskalkül ergeben sich gewisse Beschränkungen bei der Arbeitshaltung und bei der zumutbaren Hebe- und Trageleistung.
Die daraufhin eingeholte Stellungnahme des Chefarztes der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten weist folgenden Gesundheitszustand aus:
"Schulterarmsyndrom bei Aufbrauchserscheinungen der Halswirbelsäule mit nur geringer Funktionsbeeinträchtigung. Wiederkehrendes Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom bei Abnützungserscheinungen der Lendenwirbelsäule mit geringer Bewegungseinschränkung und bei Angabe von Hautgefühlsstörungen im rechten Bein kein sicherer Hinweis auf Wurzelirritation. Bogige Achsenabweichung der Brust- und Lendenwirbelsäule mit nur endlagiger Bewegungseinschränkung sowie geringer Beckenschiefstand. Senk-Spreizfüße und Hallux valgus-Bildungen. Sonst altersentsprechend aufgebrauchter Stütz- und Bewegungsapparat.
Bei Zustand nach Gallenblasenentfernung 1977 und Bauchspeicheldrüsenentzündung 1992 Neigung zu Reizmagen- und Verdauungsbeschwerden, komplikationslos und behandelbar.
Zustand nach infektiöser Gelbsucht 1986 und etwas erhöhte Leberwerte, ohne Ausgleichsstörung. Fettstoffwechselstörung ohne bekannte Folgeerscheinungen.
Zustand nach Entfernung zweier gutartiger Brustknoten 1979 und 1981, folgenlos. Sonst intern altersentsprechend."
Die der Beschwerdeführerin als zumutbar bezeichneten Tätigkeiten folgen dem vorher wiedergegebenen Leistungskalkül des orthopädischen Gutachters.
Am 26. April 1996 wurde der Beschwerdeführerin Parteiengehör eingeräumt, in dem sie sich mit Schreiben vom 13. Mai 1996 unter Vorlage des Gutachtens einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie dahingehend äußerte, daß das "chirurgische" (orthopädische) Gutachten den "Diskusprolaps L4/L5" in keiner Weise berücksichtige. Diese Gesundheitsschädigung führe aber bei der sitzenden Tätigkeit zu enormen Beschwerden, die sich auf Grund der Schmerzen negativ auf die Konzentrationsfähigkeit auswirkten. Zum internen Gutachten führte die Beschwerdeführerin weiters aus, daß dieses nicht berücksichtigt habe, daß sie strengste Diät halten müßte und in Gasthäusern für sie keine verträglichen Speisen erhältlich seien. Weiters verwies die Beschwerdeführerin unter Vorlage des genannten privatärztlichen Gutachtens vom 2. Mai 1996 auf eine durch ihre Krankheiten verursachte "endoreaktive Depression", die sich in Abgeschlagenheit, Schlafstörungen mit nächtlichen Alpträumen und Angst vor dem nächsten Arbeitstag äußerten. Die bevorstehende Umstellung ihres Arbeitsplatzes auf EDV-Automation bereite ihr große Sorgen, weil sie fürchte, diese Umstellung nicht zu bewältigen und die termingebundenen Aufgaben nicht rechtzeitig erledigen zu können.
Mit dem angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde wie folgt:
"Ihr Antrag vom 19.10.1995 auf Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit wird gemäß § 14 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333, in der Fassung des BGBl. Nr. 820/1995, in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984, BGBl. Nr. 29, und § 56 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. Nr. 51, abgewiesen, da Sie nicht dauernd dienstunfähig sind."
Zur Begründung wird nach Wiedergabe des Verfahrensablaufes mit auszugsweiser Darstellung der ärztlichen Gutachten weiter ausgeführt, die Beschwerdeführerin weise seit 1. Jänner 1995 folgende krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten auf: 31. Jänner,
17. bis 19. März, 25. April, 6. Juni, 26. bis 27. Juni, 3. bis 4. Juli, 31. Juli und schließlich 28. September 1995 bis laufend.
Die Beschwerdeführerin sei in der Präsidialabteilung B des Bundessozialamtes Steiermark als selbständige Bearbeiterin tätig. Ihr Aufgabengebiet umfasse die Berechnung der Honorare für Ärzte und Labore samt Erstellung der haushalts- und zahlungswirksamen Verfügungen, Urgenzen, Terminvereinbarungen, Führung von Listen, Karteien und Statistiken. Sie sei Beamtin der Verwendungsgruppe C und werde seit 1. April 1987 überwiegend B-wertig verwendet.
Nach Wiedergabe der Rechtslage führt die belangte Behörde im wesentlichen weiter aus, entsprechend dem Gutachten des Chefarztes der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten lägen bei der Beschwerdeführerin zwar Leistungseinschränkungen vor, die aber für ihren Arbeitsplatz nicht von Bedeutung seien. Aus dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten privatärztlichen Gutachten ergebe sich nur, daß sie ihre Tätigkeit unter DAUERNDEM BESONDEREN ZEITDRUCK nicht im erforderlichen Ausmaß und zur vollsten Zufriedenheit des Dienstgebers erbringen könne. Die Beschwerdeführerin müsse zwar - nach ihren eigenen Angaben am Erhebungsbogen - häufig, aber nicht überwiegend, unter besonderem Zeitdruck arbeiten. Zu dem Einwand der Beschwerdeführerin, der "Diskusprolaps L4/L5" würde in keiner Weise berücksichtigt, werde festgehalten, daß dieser Umstand im primär maßgeblichen Gutachten des Chefarztes vom 26. März 1996 sehr wohl berücksichtigt worden sei. Der Chefarzt halte nämlich folgendes fest: "Wiederkehrendes Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom bei Abnützungserscheinungen der Lendenwirbelsäule mit geringer Bewegungseinschränkung und bei Angabe von Hautgefühlsstörungen im rechten Bein, kein sicherer Hinweis auf Wurzelirritation."
Zu dem Einwand der Beschwerdeführerin, das interne Gutachten würde nicht berücksichtigen, daß sie seit Auftreten der Pankreatitis gezwungen sei, strengste Diät zu halten und insbesondere jeden Fettkonsum zu vermeiden, sei festzuhalten, daß sich dieser Umstand in keiner Weise auf ihre Dienstfähigkeit auswirken könne. Wenn die Beschwerdeführerin ausgeführt habe, daß sie während des Dienstes keine Diät halten könne, weil in den Gasthäusern der Umgebung keine entsprechenden Speisen angeboten würden, sei dem entgegenzuhalten, daß die Möglichkeit bestehe, eigene diätgerechte Speisen ins Amt mitzubringen.
Wenn die Beschwerdeführerin schließlich in ihrer Stellungnahme vom 13. Mai 1996 darauf verweise, daß in keinem Gutachten die wesentliche psycho-somatische Komponente berücksichtigt worden sei und ihre Beschwerden zu einer "endoreaktiven Depression" geführt hätten, sei dazu einerseits festzuhalten, daß sie diese Umstände im Erhebungsbogen vom 19. Oktober 1995 überhaupt nicht erwähnt habe. Andererseits komme die von ihr beigezogene Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie in ihrem Gutachten auf Grund des gesamten Krankheitsbildes zur Schlußfolgerung, daß die Beschwerdeführerin nur Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck nicht im erforderlichen Ausmaß erbringen könne. Wie aber bereits vorher ausgeführt, unterliege die Tätigkeit der Beschwerdeführerin keinem dauernden besonderen Zeitdruck.
Da somit auch das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Privatgutachten keine Leistungseinschränkungen festgestellt habe, die auf ihrem Arbeitsplatz von wesentlicher Bedeutung wären, habe eine Ergänzung des Gutachtens der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten unterbleiben können. Zusammenfassend ergebe sich daher, daß die Beschwerdeführerin dienstfähig sei; das bedeute, daß sie nach ihrer festgestellten körperlichen und geistigen Verfassung in der Lage sei, die Aufgaben ihres Arbeitsplatzes zu erfüllen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf antragsgemäße Ruhestandsversetzung nach § 14 BDG 1979 durch unrichtige Anwendung dieser Norm sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung verletzt.
Nach § 14 Abs. 1 BDG 1979, BGBl. Nr. 333, in der Fassung BGBl. Nr. 820/1995, ist der Beamte von Amts wegen oder auf seinen Antrag in den Ruhestand zu versetzen, wenn er dauernd dienstunfähig ist. Der Beamte ist nach Abs. 3 der genannten Bestimmung (in der Stammfassung) dienstunfähig, wenn er infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen und ihm im Wirkungsbereich seiner Dienstbehörde kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben er nach seiner körperlichen und geistigen Verfassung zu erfüllen imstande ist und der ihm mit Rücksicht auf seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 14 BDG 1979 und auch zu vergleichbaren Rechtsgrundlagen ist unter der bleibenden Unfähigkeit eines Beamten, seine dienstlichen Aufgaben ordnungsgemäß zu versehen, alles zu verstehen, was die Eignung des Beamten, diese Aufgaben zu versehen, dauernd aufhebt. Dazu können nicht nur Gesundheitsstörungen, sondern auch habituelle Charaktereigenschaften und leichtere geistige Störungen gehören, welche eine ordnungsgemäße Führung der ihm übertragenen Geschäfte ausschließen. Dabei ist nicht allein auf die Person des Beamten abzustellen, sondern es sind vielmehr auch die Auswirkungen einer Gesundheitsstörung auf seine Fähigkeit, die ihm gesetzlich obliegenden Pflichten zu erfüllen, und damit auch die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf den Amtsbetrieb entscheidend (vgl. beispielsweise Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Februar 1995, Zl. 92/12/0286, vom 22. März 1995, Zl. 94/12/0245, und vom 19. April 1995, Zl. 94/12/0317).
Im Beschwerdefall war Gegenstand des Verwaltungsverfahrens nur die Frage der Dienstfähigkeit der Beschwerdeführerin bezogen auf den von ihr innegehabten Arbeitsplatz im Bundessozialamt. Eine Auseinandersetzung mit der für die Frage ihrer Dienstunfähigkeit und die von ihr angestrebte Ruhestandsversetzung nach § 14 Abs. 3 BDG 1979 weiters maßgebende Verweisungsmöglichkeit auf einen anderen gleichwertigen und ihr zumutbaren Arbeitsplatz im Wirkungsbereich ihrer Dienstbehörde ist von vornherein unterblieben. Eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nach § 14 Abs. 1 BDG 1979 kommt aber nur dann in Frage, wenn der Beamte bezogen auf seinen Arbeitsplatz dienstunfähig ist und keine Verweisungsmöglichkeit im Sinne des § 14 Abs. 3 BDG 1979 besteht.
Zur Problematik der Einholung von ärztlichen Gutachten über die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten bei der gegebenen Verfahrensrechtslage (vgl. § 52 AVG) wird auf die diesbezüglichen Ausführungen im Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 96/12/0242, hingewiesen. Auch im vorliegenden Beschwerdefall hat die belangte Behörde im Sinne der genannten gesetzlichen Bestimmung nicht dargelegt, aus welchen rechtlich relevanten Gründen zur ärztlichen Begutachtung nicht Amtssachverständige herangezogen worden sind.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten laute, daß ihr diese und jene Tätigkeiten "zumutbar" seien; hiebei handle es sich aber um einen Rechtsbegriff und damit um eine Wertung, die dem ärztlichen Gutachter nicht zustehe. Dieser Behauptung der Zumutbarkeit müsse weiters die Ansicht zugrunde liegen, daß auch das Arbeiten unter Schmerzen verlangt werden könne und daß daher die angegebene Entwicklung über Angstzustände bis hin zu Depression in Kauf zu nehmen sei, ja sogar nach aller menschlichen Erfahrung die durch weitere Arbeitsleistung zu erwartende weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes hingenommen werden müsse. "Das scheint somit der neue Sozialstandard für die öffentlich-rechtlichen Dienstnehmer zu sein."
Dem ist entgegenzuhalten, daß im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausgehend vom Befund (medizinische Tatsachenfeststellung) auf Grund der besonderen ärztlichen Fachkenntnis als Schlußfolgerung notwendigerweise eine Aussage über das Leistungsvermögen bzw. die Leistungseinschränkungen vorgenommen werden muß, weil es sich auch hiebei um eine ärztliche Fachfrage handelt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes als offensichtlich zu bezeichnen, daß die Frage der Dienstunfähigkeit (= Unfähigkeit zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben am konkreten Arbeitsplatz bzw. auf einem Verweisungsarbeitsplatz) dem Grunde nach auch dann zu bejahen ist, wenn durch die dienstliche Tätigkeit regelmäßig beachtliche Schmerzzustände hervorgerufen werden und daraus noch dazu eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist (vgl. in diesem Sinne auch die Ausführungen in dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tag, Zl. 96/12/0272). Es kann aber diesbezüglich auch keinen Zweifel geben, daß diese Umstände nicht von der Selbsteinschätzung des Beamten abhängen, sondern in einem ordnungsgemäßen Verfahren objektiviert werden müssen. Wenn - wie im vorliegenden Fall - in einem ärztlichen Gutachten zur Überprüfung der Dienstunfähigkeit medizinisch begründete Aussagen getroffen werden, daß auf Grund des festgestellten Gesundheitszustandes bestimmte Tätigkeiten (noch) zumutbar sind, so kann unter Berücksichtigung der ärztlichen Sorgfaltspflichten, denen auch ärztliche Sachverständige unterliegen, davon ausgegangen werden, daß mit der Durchführung dieser Arbeiten keine oder nur geringe Schmerzen verbunden sind und somit durch diese Tätigkeiten keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes hervorgerufen wird, welche ohne Arbeitsleistung nicht eingetreten wäre.
Ungeachtet dessen hatte die Beschwerdeführerin aber die Möglichkeit, den von ihr bemängelten fachärztlichen Gutachten auch diesbezüglich entsprechend entgegenzutreten. Sie hat hievon auf gleicher medizinischer Ebene aber nur insofern Gebrauch gemacht, als sie eine Erweiterung (Verschlechterung) ihres Leidenszustandes im Hinblick auf die psycho-somatische Komponente und das Vorliegen einer endoreaktiven Depression mit einem fachärztlichen Gutachten geltend machte. Dieses Gutachten konnte aber, wie die belangte Behörde zutreffend im angefochtenen Bescheid ausgeführt hat, deshalb kein für den Antrag der Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis bewirken, weil die in diesem Gutachten bezeichneten Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin auf ihrem Arbeitsplatz nach ihren eigenen und durchaus plausiblen Angaben in der Regel gar nicht zum Tragen kommen. Wenn nur ein Teil der Aufgaben der Beschwerdeführerin termingebunden ist und auch mit der Erledigung dieser Aufgaben nicht notwendigerweise ein dauernder zeitlicher Erledigungsdruck verbunden ist, kann nicht vom Vorliegen eines dauernden besonderen Zeitdruckes, auf den das genannte Gutachten abstellt, gesprochen werden. Nur bei einer solchen Sachlage könnte nämlich die Beschwerdeführerin nach Auffassung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens ihre Tätigkeit "nicht im erforderlichen Ausmaß und zur vollsten Zufriedenheit" erbringen. Ausgehend von dieser privatärztlichen Beurteilung und unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Beschwerdeführerin auf ihrem Arbeitsplatz konnte daher eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Aspekt unterbleiben.
Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, daß ihre gesundheitliche Beeinträchtigung durch die bei ihr anerkannte Minderung der Erwerbsfähigkeit objektiviert sei und ihre Weiterbeschäftigung im Hinblick auf ihre angegriffene Gesundheit auch nach rein ökonomischen Gesichtspunkten unzweckmäßig sei. Da der öffentlich-rechtliche Bedienstete jedenfalls nicht auf einen Arbeitslosenbezug reduziert werden könne, müsse die Folge der Verweigerung der Ruhestandsversetzung darin bestehen, daß bei Fortdauer des Aktivbezuges überwiegend keine aktive Dienstleistung erbracht werden könne, sondern "Krankenstände" anfallen würden. Erzielt werde daher nur ein Scheineffekt: Statistisch gingen die Frühpensionierungen zurück, im Entgelt-Leistungsverhältnis werde jedoch kein Vorteil erzielt.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen bewirkt eine anerkannte Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem BEinstG nicht ohne weiteres die Dienstunfähigkeit bzw. eine diesbezügliche Bindung im Ruhestandsversetzungsverfahren. Dem darüber hinausgehenden Vorbringen der Beschwerdeführerin kommt im Interesse einer sinnvollen, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Gestaltung der entsprechenden Pensionierungsregelungen allenfalls Bedeutung zu, nicht aber bezogen auf den konkreten Verfahrensgegenstand, sodaß eine Auseinandersetzung damit zu unterbleiben hat.
Aus folgenden Überlegungen kommt aber der Beschwerde Berechtigung zu:
Zunächst ist der Dienstbehörde die seit Jahren anerkannte Minderung der Erwerbsfähigkeit der Beschwerdeführerin nach dem BEinstG bekannt (vgl. § 53 Abs. 2 Z. 6 BDG 1979). Die belangte Behörde wäre daher nach § 8 Abs. 1 DVG von sich aus verpflichtet gewesen, sich mit diesem Umstand (aus dem zwar, wie schon ausgeführt wurde, nicht ohne weiteres folgt, daß die Beschwerdeführerin dienstunfähig sei, dem aber bei der Ermittlung der diesbezüglichen Tatsachengrundlage Bedeutung zukommen kann) erhebungs- und begründungsmäßig auseinanderzusetzen.
Die Beschwerdeführerin hat ferner in ihrem ursprünglichen Antrag auf die Notwendigkeit der Einhaltung einer strengen Diät im Hinblick auf ihre bestehenden Leiden (betreffend Leber und Bauchspeicheldrüse) hingewiesen. Darauf sind weder die fachärztlichen Gutachten noch die Stellungnahme des Chefarztes eingegangen. Dem diesbezüglichen Einwand der Beschwerdeführerin im Parteiengehör hält die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich entgegen, der Umstand der Diät könne sich "in keiner Weise auf ihre Dienstfähigkeit auswirken". Selbst wenn in den Gasthäusern der Umgebung keine entsprechenden Speisen angeboten würden, bestehe für die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, eigene diätgerechte Speisen ins Amt mitzubringen.
Damit geht die belangte Behörde von einem zu engen Begriff der Dienstunfähigkeit aus. Ursache einer Dienstunfähigkeit können nicht nur Gesundheitsstörungen (- unmittelbar -), sondern - wie einleitend unter Hinweis auf die Rechtsprechung ausgeführt - auch sonstige Störungen sein, welche eine ordnungsgemäße Führung der übertragenen Geschäfte ausschließen, wobei auch die (mittelbaren) Auswirkungen einer Gesundheitsstörung auf den Dienstbetrieb zu berücksichtigen sind. Das bedeutet, daß die gesundheitsbedingte Notwendigkeit der Einhaltung einer strengen Diät dann, wenn die Einsatzfähigkeit des Bediensteten unter Berücksichtigung seiner konkreten dienstlichen Verwendung dadurch schwer gestört wird, und ein solcher Zustand weder vom Betroffenen noch von der Dienstbehörde im Interesse eines sinnvollen Ausgleiches zwischen den Interessen des Dienstes und den gesundheitlichen Notwendigkeiten behebbar ist, Dienstunfähigkeit darstellen kann. Um diese Frage zu beantworten, ist primär eine medizinische Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und mit der Notwendigkeit und der speziellen Art ihrer Diät erforderlich. Weiters wird abzuklären sein, ob die notwendige Diät unter Berücksichtigung des konkreten Dienstbetriebes und des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin tatsächlich in der von der Behörde angenommenen Form eingehalten werden kann.
Da es in dieser Frage trotz des Vorbringens der Beschwerdeführerin vom Anfang des Verwaltungsverfahrens an in den amtswegigen Ermittlungen zu keiner medizinischen Abklärung gekommen ist, obwohl es sich dabei sehr wohl auch um eine medizinische Fachfrage gehandelt hat, kann nicht gesagt werden, die Beschwerdeführerin hätte einem ärztlichen Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegentreten müssen.
Ausgehend vom § 8 Abs. 1 DVG und unter Berücksichtigung der Grundsätze für das Ermittlungsverfahren (§ 37 AVG) hätte die belangte Behörde vielmehr - auch in diesem Zusammenhang - von sich aus die Verpflichtung gehabt, auf Grund dieses Einwandes der Beschwerdeführerin den maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Da nicht von vornherein ein für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis ausgeschlossen werden kann, war der angefochtene Bescheid im Hinblick darauf, daß die belangte Behörde ausgehend von einem zu engen Begriff der Dienstunfähigkeit möglicherweise entscheidende Erhebungen und Feststellungen unterlassen hat, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelSachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztSachverständiger ArztRechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeSachverständiger AufgabenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996120243.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
15.02.2011