TE Bvwg Beschluss 2021/3/31 I415 2226783-2

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Veröffentlicht am 31.03.2021
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Entscheidungsdatum

31.03.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I415 2226783-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX ), geb. XXXX und neun weitere Alias-Geburtsdaten, StA. ALGERIEN alias staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 26.03.2021, Zl. XXXX :

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 rechtmäßig.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Fremde reiste erstmals Ende Juli 2014 ins österreichische Bundesgebiet ein, nachdem er am 16.07.2014 bereits einen Antrag auf internationalen Schutz in Ungarn gestellt hatte. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde nach Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 04.11.2014, Zl. W161 2013533-1/7E, zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages Ungarn zuständig ist.

2. Nach Aufenthalt in Italien reiste der Fremde erneut illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 10.04.2019 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Die Angabe zu den Fluchtmotiven, die er im Jahr 2014 gemacht hat, seien unwahr. Fluchtauslösend sei gewesen, dass man ihn für einen Schlepper gehalten habe und man habe ihn quasi gezwungen, eine Gruppe von 13 Personen nach Spanien zu bringen. Er habe Angst bekommen und habe mit einem gefälschten Reisepass seines Bruders das Land verlassen. Mit Bescheid vom 20.11.2019, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Fremden auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Fremden keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Außerdem wurde festgestellt, dass der Fremde das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 23.09.2019 verloren hat (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde gegen den Fremden ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VIII.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt IX.). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.01.2020, Zl. I412 2226783-1/3E, mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Spruchpunkte VI. und VII. zu lauten haben: „VI. Gemäß § 13 Abs 2 Z 1 AsylG 2005 haben Sie Ihr Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 14.09.2019 verloren. VII. Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG wird gegen Sie ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

3. Am 26.07.2020 brachte der Fremde einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz ein, wobei er angab, dass seine alten Asylgründen nach wie vor aufrecht sein. Zudem habe ihm seine Mutter vor fünf Monaten gesagt, dass er im Falle einer Rückkehr nach Regel Algerien für fünf Jahre inhaftiert werde. Seine Mutter habe ihm nur mitgeteilt, dass im Jahre 2010 verurteilt worden sei und ihn eine Haftstrafe erwarte. Er sei sich sicher, dass es eine falsche Anschuldigung war. Mit Bescheid des BFA vom 17.09.2020 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen. Mangels Beschwerde erwuchs der Bescheid mit 02.10.2020 in Rechtskraft.

4. Am 04.11.2020 stellte der Fremde einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass vor 20 Tagen mit seinem Bruder telefoniert habe und ihm dieser gesagt habe das nicht mehr nach Algerien kommen dürfe, da es Leute – Gangster – gebe, die nach ihm suchen würden. Deren Anführer – XXXX – sei bei ihm zu Hause gewesen und habe seiner Familie gedroht, dass er ihn töten werde. Am 30.11.2020 wurde der Fremde aus der Schubhaft ins Krankenhaus entlassen, weil er an Covid-19 erkrankt war. Am 09.12.2020 wurde der Fremde nach Genesung erneut in Schubhaft genommen. Am 18.01.2021 wurde der Fremde aufgrund eines Hungerstreiks aus der Schubhaft entlassen. Mit Bescheid vom 28.01.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz abermals wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen. Mangels Beschwerde erwuchs der Bescheid mit 11.02.2021 in Rechtskraft.

5. Am 13.03.2021 wurde der Fremde durch die LPD im Zuge einer Schwerpunktkontrolle einer Personenkontrolle unterzogen. Dabei wurde der unrechtmäßige Aufenthalt des Fremden festgestellt. Weil der Fremde im gelinderen Mittel nicht nachgekommen ist, wurde die Festnahme des Fremden ausgesprochen und die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

6. Aus dem Stande der Schubhaft stellte der Fremde mit den Worten „Ich will Asyl haben“ am 18.03.2021 einen weiteren Folgeantrag auf internationalen Schutz. Befragt warum er neuerlich einen Asylantrag stelle, führte der Fremde aus, dass die Gründe die gleichen seien und er außerdem 2010 einen Haftbefehl bekommen habe, wonach er in Algerien fünf Jahre in Haft müsse. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid hob das BFA gegenüber dem Fremden den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete das sinngemäß damit, dass Fremde keinen neuen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, der eine Asylrelevanz mit sich brächte. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht und würde keinen Eingriff in die durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte bedeuten.

Da sich auch die Lage im Herkunftsstaat nicht wesentlich geändert habe, sei der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Übermittlung des Akts gilt nach § 22 Abs. 10 AsylG 2005 als Beschwerde gegen die Aufhebung des Abschiebeschutzes, der Fremde somit als Beschwerdeführer im gerichtlichen Überprüfungsverfahren.

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Fremden

Der volljährige Fremde ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Algerien und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Fremde ist gesund und arbeitsfähig.

Der Fremde reiste illegal mit gefälschtem Reisedokument aus Algerien über Tunesien in die Türkei aus und gelangte über Griechenland nach Österreich. Zuvor verließ er bereits im Jahr 1999 seinen Herkunftsstaat in Richtung Spanien, Frankreich und Deutschland und wurde er mehrfach aus den Mitgliedsstaaten nach Algerien abgeschoben. Er hielt sich bereits im Jahr 2014 in Österreich auf. Nach mehrjährigem Aufenthalt und Verbüßens einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe in Italien reiste er erneut illegal nach Österreich ein und hält sich seit (mindestens) 10.04.2019 wieder im Bundesgebiet auf.

Die Familie des Fremden bestehend aus den Eltern, einem Bruder und einer Schwester lebt in Algerien und pflegt der Fremde regelmäßigen Kontakt zu ihnen. Weitere Geschwister halten sich in Spanien und Frankreich auf. In Österreich verfügt der Fremde über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der Fremde besuchte sieben Jahre lang die Schule. Einer geregelten Arbeit ging er nicht nach.

Im Strafregister der Republik Österreich - geführt von der Landespolizeidirektion Wien - scheinen folgende Verurteilungen auf:

01) LG F.STRAFS. XXXX XXXX vom 13.10.2014 RK 17.10.2014

§ 15 StGB §§ 127, 130 1. Fall StGB

§ 15 StGB § 229 (1) StGB

§ 15 StGB § 241e (3) StGB

Datum der (letzten) Tat 30.08.2014

Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 17.10.2014

zu LG F.STRAFS. XXXX XXXX RK 17.10.2014

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 17.10.2014

LG F.STRAFS. XXXX XXXX vom 14.06.2018

02) LG XXXX XXXX vom 09.10.2019 RK 09.10.2019

§ 127 StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 13.09.2019

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu LG XXXX XXXX RK 09.10.2019

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F.STRAFS. XXXX XXXX vom 03.01.2020

03) LG F.STRAFS. XXXX XXXX vom 03.01.2020 RK 03.01.2020

§ 27 (2a) SMG

Datum der (letzten) Tat 14.11.2019

Freiheitsstrafe 5 Monate

zu LG F.STRAFS. XXXX XXXX RK 03.01.2020

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 24.02.2020, bedingt, Probezeit 3 JahreLG F.STRAFS. XXXX XXXX vom 31.01.2020

Der Fremde wurde auch in Italien, Spanien und Deutschland zu Haftstrafen verurteilt.

Der Fremde weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf und befindet sich aktuell zum wiederholten Male in Schubhaft.

Er ging außerhalb der Haftanstalt keiner angemeldeten Arbeit nach, ist arbeitsfähig und leidet an keiner schweren Erkrankung.

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat

Im angefochtenen Bescheid wurden die aktuellen Länderinformationen zu Algerien mit Stand 02.07.2020 zitiert. Betreffend die aktuelle Lage sind gegenüber den im Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

Grundversorgung

Letzte Änderung am 26.6.2020

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90 Prozent der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund des sinkenden Öl- und Gaspreises drastisch zurückgegangen (RLS 17.12.2019; vgl. BS 29.4.2020).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2019).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 25.6.2019).

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12 bis 17%, die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-jährige) bei 30 bis 50% (WKO 10.2019 [jeweils niedrigerer Wert], RLS 17.12.2019 [jeweils höherer Wert]). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie werden an vulnerable Familien in isolierten und vom Lockdown besonders betroffenen Gebieten Lebensmittel und Hygieneprodukte verteilt (Gentilini et al 12.6.2020: 29f).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung am 26.6.2020

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019, BS 29.4.2020) Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 25.6.2019).

Rückkehr

Letzte Änderung am 26.6.2020

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 11.2019)

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 25.6.2019).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2019).

1.3 Zu den Fluchtmotiven des Fremden

Der Fremde hat im ersten inhaltlichen Asylverfahren vorgebracht, dass er von einem Terroristen für einen Schlepper gehalten und von diesem bedroht werde. Die im Dublinverfahren vorgebrachten Gründe aus dem Jahr 2014 seien dagegen unwahr.

Zu seinem ersten Folgeantrag gab er an, es habe sich nichts geändert, seine Mutter habe ihm jedoch vor fünf Monaten zudem mitgeteilt, dass er in Algerien inhaftiert werden würde. Er sei im Jahr 2010 verurteilt worden und erwarte ihn deshalb eine Haftstrafe.

Zum zweiten Folgeantrag erklärte er, dass er von ungefähr 20 Tagen mit seinem Bruder telefoniert habe und ihm dieser gesagt habe, dass er nicht mehr nach Algerien kommen dürfte. Dort gebe es nämlich Leute, die ihn suchen und mit dem Umbringen bedrohen würden. Ein Gericht habe zudem 2010 entschieden, dass er für fünf Jahre ins Gefängnis müsste.

Beim gegenständlichen dritten Folgeantrag führte der Fremde aus, dass seine Gründe weiterhin die gleichen seien. Zudem habe er 2010 einen Haftbefehl bekommen, weswegen ihm eine fünfjährige Haftstrafe drohe.

Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Fremden nach Algerien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, zumal Algerien nach § 1 Z. 10 HStV ein sicherer Herkunftsstaat ist.

Der Fremde hat keinen Fluchtgrund behauptet, der seit der Entscheidung seines vorigen Asylverfahrens entstanden oder bekannt geworden wäre.

Es existieren keine Umstände, die einer Abschiebung entgegenstünden. Der Fremde verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation in Algerien ist seit der Entscheidung über den vorigen Antrag des Fremden auf internationalen Schutz nicht eingetreten, insbesondere nicht auf sein Vorbringen bezogen.

Der gegenständliche dritte Folgeantrag wird voraussichtlich vom BFA zurückzuweisen sein. Der erste und der zweite Folgeantrag des Fremden wurden bereits mit Bescheiden des BFA vom 17.09.2020 bzw. 28.01.2021 rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes und aus den BFA-Akten der genannten vorherigen Verfahren.

2.1 Zur Person des Fremden

Die Identität des Fremden steht mangels diesbezüglicher Dokumente nicht fest. Die Feststellung der Vorstrafen ergab sich aus dem vorgelegten Akt, den Strafregisterauszügen und Melderegistereinträgen. Seine Lebensumstände samt Ausbildung, Arbeitsmarkterfahrung sowie Privat- und Familienleben ergaben sich aus den bisherigen Feststellungen, seinen Angaben, speziell zuletzt vor dem BFA, und den Abfragen des Registers der Grundversorgung und des ZMR.

Seine Arbeitsfähigkeit folgte aus seinem Alter, der Delinquenz und der Haftfähigkeit sowie den Feststellungen des bekämpften Bescheids. Befunde legte der Fremde nicht vor, er führte jedoch aus Magentabletten sowie das Substitutionsmittel Subutex einzunehmen. Es ist unbestritten, dass in Algerien derzeit noch keine Substitutionsprogramme zur Verfügung stehen. Zugleich muss aber festgehalten werden, dass ein Abbruch der Substitutionsbehandlung für den einzelnen zwar eine massive Belastung darstellen mag, dass aber, wie in einem Sachverständigengutachten in einem Verfahren am Bundesverwaltungsgericht zur Zl. I403 1432554-2 auch festgestellt wurde, der Entzug von Subutex relativ mild verläuft und jedenfalls nicht lebensbedrohlich ist. Im Dezember 2020 war der Fremde an Covid-19 erkrankt, ist zwischenzeitlich aber wieder genesen. Daher war die Feststellung zu treffen, dass der Fremde gesund ist.

2.2 Zur Lage im Herkunftsland

Die unter 1.2 zitierten Länderfeststellungen finden sich wörtlich auch in dem vom BFA im Bescheid zitierten Länderinformationsblatt. Zu den Länderfeststellungen hat der Fremde beim BFA angegeben: „Was soll ich sagen.“ (AS 167) Damit ist er den Feststellungen inhaltlich nicht substantiiert entgegengetreten.

Nicht zuletzt sind – nach der eben wiedergegebenen Äußerung auch unbestritten – seit der Rückkehrentscheidung von 2020 im Herkunftsstaat nicht einmal behauptetermaßen Änderungen vorgefallen, die Einfluss auf das Ergebnis der Beurteilung hätten. Es ist daher und auch betreffend die Pandemie keine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation eingetreten. Letzteres auch deshalb, weil der Fremde bereits im Dezember 2020 an Covid-19 erkrankt war und zwischenzeitlich wieder genesen ist.

2.3 Zu den Fluchtmotiven des Fremden

Der Fremde behauptet im vorliegenden Folgeverfahren, dass seine Gründe nach wie vor dieselben sind und er 2010 in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt worden sei.

Das Vorbringen bezieht sich darüber hinaus auf einen angeblichen Sachverhalt, der vor der Einreise und damit dem ersten Asylverfahren des Fremden (und auch dem ersten, zweiten und gegenständlich dritten Folgeverfahren) vorgelegen hätte. Es ist damit von der Rechtskraft der früheren Entscheidungen umfasst und darum nicht geeignet, eine neue meritorische Entscheidung über den Antrag des Fremden herbeizuführen.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Abschiebung des Fremden eine reale Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 dazu bedeuten oder eine ernsthafte Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, weil dies bereits im ersten Verfahren – sowie den beiden rechtkräftig entschiedenen Folgeanträgen – geprüft wurde und seither eine diesbezügliche Lageänderung weder behauptet noch in den Länderfeststellungen berichtet wurde.

Somit konnte die Feststellung getroffen werden, dass der dritte Folgeantrag – wie auch bereits der erste und zweite Folgeantrag mit rezenten, unangefochten gebliebenen Bescheiden des BFA vom 17.09.2020 bzw. 28.01.2021 – voraussichtlich zurückgewiesen werden wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

Nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA unter anderem dann den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden aufheben, der einen Folgeantrag gestellt hat, wenn dieser voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z. 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z. 3).

Weiter ist vorausgesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht (Z. 1).

Die angeführte Rückkehrentscheidung ist seit Jänner 2020 rechtskräftig. Wie auch bereits dargetan, ist kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen wäre, dass es beachtlich im Sinne einer materiellen Erledigung anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache wäre. Der Sachverhalt hat sich seither nicht maßgeblich geändert, und der Fremde hätte sein Vorbringen bereits im früheren Verfahren erstatten können, was gemäß § 20 Abs. 1 BFA-VG zu beachten ist, da dieser laut § 22 Abs. 1 BFA-VG bei der Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes sinngemäß gilt.

Nach § 68 AVG hat die Behörde Anbringen von Beteiligten, die eine Abänderung eines der formell rechtskräftigen Bescheides begehren, grundsätzlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Ausnahmen dazu bilden die Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 69 und 71 AVG sowie die in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG vorgesehenen Arten von Abänderungen und Behebungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

Die vorgesehenen Ausnahmen kommen nach dem Inhalt der Akten im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, insbesondere handelt es sich bei den vorgebrachten Tatsachenbehauptungen weder um glaubhafte nachträglich eingetretene Änderungen noch um nachträglich hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen.

Daher ist davon auszugehen, dass die in § 68 AVG grundsätzlich vorgesehene Zurückweisung als Erledigung des BFA zu erwarten ist. Dies insbesondere im Lichte der rechtskräftigen Zurückweisungsbescheiden des BFA vom 17.09.2020 bzw. 28.01.2021.

Daraus ergibt sich, dass der Fremde einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005 gestellt hat, und die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 vorliegen, weil dem Fremden keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Nach all dem wird der Folgeantrag des Fremden voraussichtlich abermals zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Es gibt nämlich auch dafür, dass dem Fremden im Falle einer Rückkehr nach Algerien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, keine Anhaltspunkte, zumal der ausreichend gesund und daher erwerbsfähig ist.

Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Fremde seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht bestreiten können sollte, selbst wenn ihn Angehörige nicht unterstützen, sei es mit der bereits ausgeübten Gelegenheitsarbeit oder einer anderen Tätigkeit. Zudem besteht ganz allgemein in Algerien keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass für den Fremden ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der Fremde führt in Österreich kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben und hat kaum über die Aufenthaltszeit selbst hinausgehende - z. B. sprachliche, kulturelle, berufliche oder soziale - private Integrationsmerkmale.

Somit sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig ist. Damit hatte das Gericht wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung war mit Beschluss zu treffen, da § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dies so vorsieht. Nach § 22 Abs. 1 BFA-VG hatte auch keine Verhandlung stattzufinden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Identität der Sache Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I415.2226783.2.00

Im RIS seit

16.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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