Entscheidungsdatum
08.04.2021Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W119 2161446-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Jemen, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 8.5.2017, Zahl: 1073833209 - 150677577/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein jemenitischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.6.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er zunächst im Wesentlichen an, Staatsangehöriger des Jemen, ledig, in XXXX im Jemen geboren und sunnitischen Glaubens zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Araber an, habe von 1999 bis 2011 die Schule und von 2011 bis 2012 die Universität besucht und sei arbeitslos und Fußballer gewesen. Die Heimat habe er am 25.2.2015 mit einem jemenitischen Reisepass per Flugzeug von Sanaa aus nach Izmir verlassen, das Reisedokument wäre zwischen der Türkei und Griechenland im Wasser verloren gegangen.
Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, er hätte zum Bundesheer sollen, wolle keinen Krieg und sei deshalb von Zuhause weg. Zu seiner Rückkehrbefürchtung erklärte er, im Jemen herrschte ein Glaubenskrieg zwischen zwei Glaubensrichtungen und deshalb gebe es keine Sicherheit in diesem Land und keine Arbeit. Wegen Landesverrat könne ihm die Todesstrafe drohen.
Am 8.5.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen und legte zunächst folgende Dokumente vor: Die Kopie eines Schulzeugnisses seines Gymnasiums in Jemen sowie einen österreichischen Spielerpass des ÖFB, die Bestätigung seines Fußballvereins, weiters eine Bestätigung einer Volkschule in der Steiermark über die ehrenamtliche Mitarbeit des Beschwerdeführers und eine Deutschkursbestätigung. Dabei erklärte er, gesund zu sein.
Geboren sei er im Bezirk XXXX in Sanaa und habe dort mit seinen Eltern und fünf Schwestern gelebt. Alle befänden sich immer noch an der gleichen Adresse, sie stünden über WhatsApp in Kontakt, der Familie gehe es gut. Der Beschwerdeführer sei ledig, Araber und sunnitischer Moslem. Als Fußballer habe er Lohn bezogen und zudem als Taxifahrer gearbeitet. Das Taxi gehöre seinem Vater, er habe es noch immer.
Den Jemen habe er im Februar 2015 illegal verlassen, der kurz vor der Ausreise (vermutlich im Jänner 2015) beim Passamt in Sanaa ausgestellte Reisepass wäre mit der Tasche im Meer bei Griechenland verloren gegangen. Es wäre nicht leicht gewesen einen Pass zu bekommen, weil es im Jemen Probleme gegeben hätte. Seine Cousins hätten sich, obwohl sie Sunniten seien, der schiitischen Huthi-Miliz angeschlossen. Nachgefragt, was dies mit dem Reisepass zu tun habe, antwortete der Beschwerdeführer, direkt nichts, aber normalerweise dauere es zwei bis drei Monate, er habe ihn aber früher bekommen müssen.
Ausdrücklich erklärte der Beschwerdeführer, nie an Kampfhandlungen teilgenommen zu haben.
Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, seine Cousins hätten sich den Huithis angeschlossen und ihn gefragt, warum er dies als einziger nicht tue. Er hätte erwidert, der einzige Junge der Familie zu sein und sich um diese kümmern zu müssen. Die Cousins hätten erwidert, die ganze Ortschaft habe sich ihnen angeschlossen, nur der Beschwerdeführer nicht, woraufhin er gefragt hätte, wen er dann umbringen solle, seine Freunde oder auch andere Menschen. So etwas wolle und könne er nicht tun. Zudem habe er noch nie seinem Leben eine Waffe getragen.
Man erhalte Provisionen, wenn man jemanden zur Miliz bringe, ein Auto oder eine Belohnung. Nachdem sie es eine Woche lang versucht hätten, den Beschwerdeführer dazu zu zwingen, sich ihnen anzuschließen, seien seine drei Cousins bewaffnet zu ihm nach Hause gekommen, hätten die Waffen geladen und ihn mit Gewalt mitnehmen wollen. Seine Mutter habe versucht, ihn zu beschützen und sich vor ihn gestellt, ihnen sei das aber egal gewesen, sie hätten sie geschubst und ihn trotzdem mitnehmen wollen, weshalb die Mutter in Ohnmacht gefallen sei. Aus Angst ihr könnte etwas passiert sein hätten die Cousins vom Beschwerdeführer abgelassen und gesagt, sie würden wiederkommen. Der Beschwerdeführer habe seine Mutter ins Krankenhaus gebracht, wo festgestellt worden wäre, dass sie wegen des Schrecks zu hohen Blutdruck habe und überdies zuckerkrank sei. Den ganzen Tag sei der Beschwerdeführer mit Ihr im Krankenhaus geblieben, sein Vater bei der Arbeit gewesen. Ab diesem Zeitpunkt hätte der Beschwerdeführer gewusst, es wäre unmöglich, im Land zu bleiben, habe im Jänner den Reisepass ausstellen lassen und sei im Februar in die Türkei geflogen.
Passiert sei dieser Vorfall zwischen Dezember 2014 und Jänner 2015, genauer könne der Beschwerdeführer dies nicht angeben. Nach dem Vorfall bis zur Ausreise habe er sie in die Irre geführt und behauptet, er würde sich ihnen anschließen und um Zeit gebeten, bis seine Mutter wieder gesund sei und er sich vorbereitet hätte. Da sie Angst gehabt hätten, seiner Mutter könne etwas zustoßen, hätten sie den Beschwerdeführer in Ruhe gelassen. Zuvor sei er von der ganzen Ortschaft, auch von seinem besten Freund, „aufgefordert“ worden.
Bei einem der Cousins handle es sich gleichzeitig um seinen Schwager. Kontakt habe er zu ihnen nicht, auch nicht zu der mit dem Cousin verheirateten Schwester. Die Position der Cousins bei der Miliz kenne der Beschwerdeführer nicht, sie seien etwas Besonderes gewesen, hätten einen großen Bekanntenkreis und alle hätten sich wegen ihnen den Huthis angeschlossen. Was er selbst dort hätte tun sollen, wisse er nicht, man sage es keinem vorher. Jedoch sehe man, dass man in den Kampf ziehen müsse.
Grundwehrdienst habe der Beschwerdeführer keinen geleistet, er kenne sich da nicht aus. Zuerst sei er in der Schule gewesen, hätte dann hingehen müssen, aber es hätte ja Krieg geherrscht.
Weitere Vorkommnisse habe es nicht gegeben, der Beschwerdeführer habe sich immer an derselben Adresse aufgehalten. Die Cousins wären noch ca. zwei Wochen lang zu seiner Familie gekommen und hätten nach dem Beschwerdeführer gefragt, die erste Woche hätte seine Mutter sie hingehalten. Dann hätten sie erfahren, dass er tatsächlich das Land verlassen habe, seien wütend gewesen, hätten aber nichts gemacht. Im Jemen stelle man sich den Frauen nicht, man tue ihnen nichts, solange kein Mann im Haus sei, gehe man nicht einmal ins Haus hinein.
Sein Vater gehe normal seinem Job nach, die älteste der Schwestern sei mit dem Cousin verheiratet und wohne an der gleichen Adresse im Haus nebenan, die anderen Schwestern besuchten noch die Schule. Die Familie könne deshalb in der Nachbarschaft ohne persönliche Probleme leben, weil Frauen sowieso nichts getan würde und sein Vater ein älterer Mann sei. Da er für die Regierung arbeite, gehöre er zu ihnen. Vorgehalten, der Beschwerdeführer habe angegeben, sein Vater würde Taxi fahren, antwortete er, er hätte das so gemeint, dass das Auto nun von seinem Vater als Privatauto genutzt werde. Ansonsten sei der Vater Offizier in der Luftverteidigung, seine Arbeitsstelle sei in der Nähe des Flughafens, er wäre Chef des Büros in der Kaserne. Was er genau mache, könne der Beschwerdeführer nicht sagen. Er arbeite jedoch seit der Geburt des Beschwerdeführers dort. Die Kaserne heiße „ XXXX “. Probleme habe der Vater niemals gehabt, jetzt sei er ca. 49 oder 50 Jahre und übe den gleichen Job an der gleichen Dienststelle noch immer aus.
Nachgefragt, ob der Beschwerdeführer in anderen Landesteilen bekannt gewesen sei, oder man dort wisse, dass seine Cousins der Miliz angehörten, verneinte der Beschwerdeführer dies ausdrücklich. Auch erklärte er ausdrücklich, dass es keine weiteren Details zu seinem Fluchtgrund mehr gebe.
Zu seiner Rückkehrbefürchtung erklärte der Beschwerdeführer, die Huthis seien an der Macht, die Cousins hätten seine Namen sicher schon weiter gemeldet und er könnte getötet werden.
Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde binnen offener Frist Beschwerde erhoben.
Am 12.1.2021 hielt das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung ab, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.
Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zunächst, gesund, in Sanaa in der Provinz XXXX geboren zu sein und in dieser Stadt sein ganzes Leben verbracht zu haben. Zu seiner Mutter, seinen Geschwistern und seinem Vater stehe er in Kontakt. Sein Vater habe zwei Brüder und zwei Schwestern, die Onkel hätten viele Söhne.
In der Heimat habe er die Matura gemacht, sei nur drei Monate lang auf der Uni gewesen und habe im ersten Jahr Wirtschaft studiert. Abgebrochen habe er das Studium wegen finanzieller Schwierigkeiten und wegen der von ihm bereits erwähnten Probleme. Er hätte als Taxifahrer arbeiten gehen müssen und dann seien die Probleme so stark geworden, dass er zur Ausreise gezwungen gewesen wäre.
Zudem habe der Beschwerdeführer bei einem näher genannten Verein der Bundesliga im Jemen in der Position Mittellinie Fußball gespielt und die laufenden Kosten und kleine Geldbeträge dadurch ergattert. Diese Mannschaft habe zum Nationalteam gehört, sei aber in Gruppen eingeteilt gewesen. Er selbst hätte zur Gruppe drei gehört, die nicht zu den Spielen mitgefahren sei, aber mit der Mannschaft trainiert habe. Nach seinem Dafürhalten sei er ein bekannter Fußballspieler gewesen, man hätte gewusst, wer er sei. Derzeit spiele er auch in Österreich. Ab und zu habe er auch seinen Onkeln geholfen und dafür eine Art Trinkgeld bekommen. Dies könne er jedoch nicht als wirkliche Arbeit bezeichnen. Taxifahrer sei er ca. zweieinhalb Jahre lang, zwischen 2012 und 2014 gewesen, das Taxi habe seinem Vater gehört.
Nach seiner Matura sei der Beschwerdeführer gleich auf die Uni gegangen. Zu diesem Zeitpunkt habe er erfahren, dass man zum Militär müsse, was einer der Gründe für sein Studium gewesen sei, um dem zu entgehen. Er habe zwar vorgehabt, weiter zu studieren, es sei ihm aber leider nicht geglückt und er habe dies aus finanziellen Gründen nicht gekonnt.
Nachgefragt, wann er mit dem Studium aufgehört habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass man sich bei ihnen bestimmte Daten gar nicht merke. Daher wisse er nur, dass er kurz nach der Matura auf die Uni gegangen sei, kenne das genaue Datum aber nicht.
Zu seiner Rückkehrbefürchtung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei der einzige männliche Nachkomme seines Vaters und habe große Probleme mit seinen Cousins gehabt, die zu den Huthis gehört hätten. Je mehr Leute diese erwischten, desto mehr stiegen sie im Rang. Sicher würde man sie fragen, warum verhaftet oder erwischt ihr nicht euren Cousin, sie müssten mehr Leute anwerben, auch den Beschwerdeführer, der dies aber nicht gewollt habe.
Anfangs hätten sie nur mit ihm geredet und versucht, ihn zu überzeugen. Da sie großen Druck von den anderen um sie herumgehabt hätten, den Beschwerdeführer anzuwerben und ständig deswegen nachgefragt worden sei, sei viel mehr Druck ausgeübt worden. Nachgefragt, wer sich ständig darüber erkundigt hätte, warum die Cousins den Beschwerdeführer nicht anwerben würden, antwortete dieser zunächst ausweichend und gab nach Wiederholung der Frage an, die Cousins wären zu ihm gekommen und hätten gefragt, warum er nicht dazugehören wollte, sie wären alle bei den Huthis und er der einzige aus ihrem Haus (gemeint Clan oder Großfamilie), der nicht dabei wäre. Leute redeten immer mit anderen Leuten und sagten, warum gehöre er nicht zu uns. Man wolle, dass alle bei der Miliz seien.
Das erste Mal hätten sie ihn aufgesucht, als er auf der Uni gewesen sei. Weiters nachgefragt, warum er aus seinem Haus der einzige sein soll, wenn er doch Onkel habe, erwiderte der Beschwerdeführer, in ihrer Provinz wohnten nur er und drei Söhne seines Onkels, die anderen lebten gar nicht in Sanaa. Vorgehalten, damit sei er noch immer nicht der einzige in dieser Provinz, wiederholte der Beschwerdeführer, sie seien zu viert. Er wolle keine Waffe tragen, niemanden töten oder getötet werden.
Insgesamt sei er ungefähr sechs Monate angeworben worden. Auf Vorhalt, beim Bundesamt habe er gesagt, dass dies eine Woche gedauert hätte, antwortete der Beschwerdeführer, er versuche nur, alles gut zu erklären. „Er“ sei mit seiner Schwester verheiratet und sie hätten seine Mutter angegriffen. Er selbst kenne sich mit Daten und Zeiten nicht genug aus. Sie wären ins Haus eingedrungen und hätten ihn mitnehmen wollen, seine Mutter hätte versucht, ihn zu verteidigen, sie hätten sie geschubst und sie wäre auf den Boden gefallen, woraufhin sie aufgehört hätten. Er wisse nicht genau, wie lange alles gedauert habe, er hätte ja einen Pass beantragt und dann den Jemen verlassen.
Sie hätten ihn bereits angeworben, als er Taxifahrer gewesen sei. Das Taxi hätte seinem Vater gehört, 2013 sei der Beschwerdeführer mit der Schule fertig gewesen, wahrscheinlich sei er 2014 auf die Uni gegangen.
Nochmals gefragt, warum er bei der Behörde angegeben habe, dass die Cousins eine Woche versucht hätten, ihn anzuwerben und dann zu ihm nach Hause gekommen seien, um ihn mit Gewalt mitzunehmen, antwortete der Beschwerdeführer, er sei genauso wie hier nach einer bestimmten Zeit gefragt worden. Man hätte versucht, ihn anzuwerben, was wieder und wieder passiert wäre. Man hätte ihm Fristen gegeben, bis sie dann mit Waffen zu ihm nach Hause gekommen wären. Nachgefragt, wann das gewesen sei, musste diese Frage zweimal wiederholt werden, bevor der Beschwerdeführer erklärte, er wisse es nicht.
Seine früheren Angaben vorgehalten, dass dies zwischen Dezember 2014 und Jänner 2015 gewesen sein müsse, erwiderte der Beschwerdeführer, im letzten Monat sei es ihm psychisch nicht gut gegangen, er könne auch medizinische Berichte zeigen. Er vergesse sehr viel. Vorgehalten, bei der Frage, ob es ihm für die heutige Verhandlung gut gehe, habe er dies bejaht und nur erklärt, er wäre von der Zugfahrt etwas angestrengt, antwortete der Beschwerdeführer, im Augenblick gehe es ihm gesundheitlich gut, die psychische Krankheit sei gewesen, deswegen vergesse er viel. Dazu legte der Beschwerdeführer die Besuchsbestätigung eines Krankenhauses vor, aus der sich der Grund dieses Besuches jedoch nicht ersehen lässt. Weitere Bestätigungen habe der Beschwerdeführer nicht.
Zudem brachte er vor, sie seien hierhergekommen, um eine bessere Zukunft zu haben. Er wolle Fußball spielen und arbeiten, im Jemen hätten sie nur Probleme. Sein Vater hätte gewollt, dass er bei seinen Cousins mitmache, weil es ihnen finanziell nicht so gut gehe. Das was er sich gewünscht hätte, sei auch passiert, er spiele Fußball und arbeite.
Seitens der erkennenden Richterin wurde das Länderinformationsblatt zur Situation im Jemen vom 16.12.2019 übergeben und eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Jemen, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist Sunnit. Er wurde in Sanaa geboren, wo er bis zu seiner Ausreise lebte, von 1999 bis 2011 die Schule absolvierte, maturierte und einige Monate die Universität besuchte, auf der er Wirtschaft studierte. Zudem war er als Taxifahrer tätig und in einem Fußballverein aktiv. Er wuchs mit seinen Eltern und Geschwistern in dem Haus in Sanaa auf, in dem sich seine Anghörigen noch immer befinden.
Der Beschwerdeführer reiste im Februar 2015 legal per Flugzeug von Sanaa nach Izmir aus.
Das individuelle Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, seine Cousins hätten versucht, ihn für die Huthi-Miliz zwangszurekrutieren, hat sich als nicht glaubwürdig erwiesen. Auch ist nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer – wie (nur) in der Erstbefragung angegeben - die Heimat verlassen hätte, weil er nicht zum Milität wollte und dies bis zur Todesstrafe wegen Landesverrat führen könnte.
Weitere persönliche Verfolgungen oder Bedrohungen verneinte der Beschwerdeführer ausdrücklich.
Feststellungen zur Situation im Jemen
(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 16. 12. 2019)
Politische Lage
Die Republik Jemen bezeichnet sich in ihrer am 15./16. Mai 1991 in einer Volksabstimmung angenommenen Verfassung (geändert am 28. September 1994) als unabhängigen, arabischen, islamischen und republikanischen Staat. Staatsreligion ist der Islam (GIZ 10.2019). Die innere Lage des Landes wird immer noch durch die geteilten historischen Erfahrungen geprägt: einerseits britische Kolonialherrschaft und danach sozialistische Einflüsse im Süden, andererseits konservative muslimische Herrschaft und Stammesgesellschaft im Norden. 1990 vereinigten sich beide Staaten; der Nordjemen war die dominierende Kraft (DW 30.1.2018). Die gravierenden ökonomischen, sozialen und politischen Differenzen zwischen beiden Landesteilen sind jedoch nicht überwunden (GIZ 10.2019). Die politischen Herausforderungen für Jemen bestanden bereits vor Ausbruch des andauernden bewaffneten Konflikts im Jahr 2014. 2004 begann in der nordjemenitischen Provinz Saada der Huthi-Aufstand, ab 2007 erstarkte die sezessionistische Bewegung im Süden des Landes. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrer jeweiligen Region auf. Zusätzlich bereitete sich spätestens seit 2009 das internationale islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida im Jemen immer weiter aus. 2011 kam es landesweit zu Massenprotesten, in denen die Demonstranten das Ende des Saleh-Regimes und einen demokratischen Wandel forderten. Gleichzeitig traten jedoch Kämpfe innerhalb der Machtelite zutage (BPB 18.10.2011). (Ex-)Präsident Ali Abdullah Saleh bekämpfte während seiner Amtszeit den mutmaßlich durch den Iran unterstützten Huthi-Aufstand. 2011 trat er nach langen Verhandlungen und unter Zugeständnissen zu seinen Gunsten wie dem Erlangen von strafrechtlicher Immunität für seine Rolle bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen die Regierung zugunsten seines damaligen Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi zurück, der 2012 von den Wählern interimistisch im Amt bestätigt wurde. Ein Konsens für die Neuordnung des politischen Systems wurde zwar begonnen, dann aber vom Huthi-Aufstand und dem bewaffneten Konflikt zum Erliegen gebracht. Hadis Regierung ist zwar international anerkannt, sie kontrolliert jedoch nicht das ganze Territorium und hat kein klares Mandat (FH 4.2.2019; vgl. Der Standard 4.12.2017). Es gibt im Jemen keine funktionierende Zentralregierung, und staatliche Institutionen, die noch funktionieren, werden durch nicht-gewählte Beamte oder bewaffnete Gruppierungen kontrolliert (FH 4.2.2019). Das gewählte (und somit legitime) Parlament besteht laut derzeitiger Verfassung aus einer Kammer mit 301 Abgeordneten, die für sechs Jahre gewählt werden (GIZ 10.2019). Am 13. April 2019 wurde Sultan al-Barakani zum Parlamentspräsidenten gewählt, nachdem das Parlament erstmals seit Ausbruch des Konflikts 2015 wieder zusammengetreten war. Zahlreiche Abgeordnete halten sich derzeit im Ausland auf (AA 12.8.2019). Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind viele Jahre überfällig, und keiner Seite gelang es während des Krieges, genug Territorium zu kontrollieren, um etwaige Wahlen abzuhalten. Parlamentswahlen wurden zuletzt am 27. April 2003 abgehalten, und hätten eigentlich 2009 wieder durchgeführt werden sollen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 gab es nur einen Kandidaten. Im Kontext des Bürgerkriegs wird die politische Opposition unterdrückt. Normale politische Aktivität wird durch die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen im Jemen verhindert, darunter Huthi-Rebellen, sunnitische Extremisten, südjemenitische Separatisten, ausländische Truppen der von SaudiArabien angeführten Koalition, Truppen der Hadi-Regierung und lokale Milizen (FH 4.2.2019).
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Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist im ganzen Land ausgesprochen volatil. Die Sicherheit kann durch staatliche Behörden nicht gewährleistet werden. Der bewaffnete Konflikt zwischen Huthi-Rebellen aus dem Nordwesten des Landes und der Regierung und ihren Unterstützern, darunter die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, dauert weiter an (AA 28.8.2019). Daneben ist auch der südjemenitische, von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützte Southern Transitional Council (STC) ein zentraler bewaffneter Akteur. Sowohl STC als auch die Kräfte, die hinter der Regierung stehen, kämpfen gegen die Huthi. Sie bekämpfen sich jedoch auch untereinander, was die Spannungen zwischen Abu Dhabi und Riyadh verdeutlicht (ICG 16.10.2019). Im Chaos des Krieges zwischen Hadi-Regierung und Huthi erstarkten außerdem AlQaida auf der Arabischen Halbinsel, der „Islamische Staat“ und andere bewaffnete Gruppierungen (Al Jazeera 2.8.2019; vgl. The Guardian 1.10.2019). Die fortdauernden Kampfhandlungen stellen für die Zivilbevölkerung weiterhin eine erhebliche Gefährdung dar. Die staatlichen Institutionen sind landesweit nur noch sehr eingeschränkt funktionsfähig. Bereits im September 2014 hatten Huthi-Milizen die Kontrolle über weite Landesteile, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, übernommen und auch Teile der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. Die staatlichen Sicherheitsorgane sind nur bedingt funktionsfähig und können im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz garantieren. Die Spannungen zwischen Nord- und Südjemen und die zunehmende Fragmentierung des Landes tragen zur Instabilität des Landes bei (AA 28.8.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen im Konflikt seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden 2019 circa 1,100 getötete Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die Luftschläge der saudisch-geführten Koalition und die Angriffe der Huthis unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärpersonen. Bei einem saudischen Luftangriff im August 2018 wurde beispielsweise ein Schulbus in Saada getroffen und 40 Kinder getötet (FH 4.2.2019). Ab Juni 2018 war die Hafenstadt Hodeidah von starken Kämpfen betroffen. Im Dezember 2018 vermittelte die UN ein Abkommen („Stockholm-Abkommen“), das die Demilitarisierung Hodeidahs vorsah. Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig. So brachen dort z.B. gleich nach Unterzeichnung des Abkommens, so wie auch im Mai 2019 erneut Kämpfe aus. Gleichzeitig intensivierten die Huthi ihre Angriffe auf saudisches Territorium, und auch die saudischen Luftangriffe verstärkten sich in den letzten Monaten [Mai bis Juli 2019] (ICG 18.7.2019; vgl. The Guardian 15.5.2019; vgl. FH 4.2.2019). Anfang August 2019 kam es in der Hafenstadt Aden zu schweren Gefechten zwischen südjemenitischen Separatisten und gegenüber der Hadi-Regierung loyalen Truppen. Weite Teile des Landes sind von täglichen Bombardierungen, Raketenangriffen und Kampfhandlungen am Boden betroffen (AA 28.8.2019). Im August nahmen die Separatisten Aden ein (BBC 11.8.2019). Im September erklärten die Huthis einen unilateralen Waffenstillstand; die saudischen Luftangriffe haben seitdem zumindest abgenommen (Al Jazeera 24.9.2019; vgl. ICG 10.2019). Im Oktober 2019 kam es Berichten zufolge in den Gouvernements Abyan und Shebwa zu sporadischen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten des STC. Saudische Kräfte übernahmen schrittweise die Kontrolle über Aden, und die Kräfte der VAE zogen sich zurück (ICG 10.2019; vgl. ACLED 5.11.2019). Am 5. November 2019 wurde das „Riyad-Abkommen“ unterzeichnet, nachdem die Unterzeichnung wegen Eskalation der Kämpfe in Abyan am 31. Oktober verschoben worden war. Das Abkommen zwischen den Separatisten im Südjemen und der Hadi-Regierung soll eine Machtteilung bringen. Die Kämpfe im Gouvernement Abyan gehen weiter. Luftangriffe der saudisch-geführten Militärkoalition in den Gouvernements Hajjah und Sadah, sowie in geringerem Maße in Sanaa, halten an (ACLED 5.11.2019). Die politische Instabilität im Jemen führt dazu, dass der Fluss an Waffen und Munition in die Region nicht kontrolliert werden kann (USDOS 1.11.2019). Im ganzen Land leiden Zivilisten an einem Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, an der sich verschlimmernden Wirtschaftskrise, sowie am Nicht-Funktionieren der Verwaltung, des Gesundheits-, Bildungs- und Justizsystems (HRW 17.1.2019). In Jemen herrscht laut UN die größte humanitäre Krise weltweit. Sie hat sich seit Beginn des Konflikts im März 2015 immer weiter zugespitzt. Von den 30 Millionen Einwohnern Jemens sind 24 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Viele sind ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei über 3 Millionen Menschen (AA 12.8.2019).
Quellen: - AA – Auswärtiges Amt (28.8.2019): Jemen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemensicherheit/202260, Zugriff 15.11.2019 - AA – Auswärtiges Amt (12.8.2019): Jemen: Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemen/202270, Zugriff 20.11.2019 - ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (31.10.2019): PRESS RELEASE: Over 100,000 Reported Killed in Yemen War, https://www.acleddata.com/2019/10/31/press-releaseover-100000-reported-killed-in-yemen-war/, Zugriff 13.11.2019 - ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (5.11.2019): Regional Overview: Middle East, 27 October – 2 November 2019, https://www.acleddata.com/2019/11/05/regional-overviewmiddleeast-27-october-2-november-2019/, Zugriff 20.11.2019- Al Jazeera (2.8.2019): Al-Qaeda launches deadly attack on army base in southern Yemen, https:// www.aljazeera.com/news/2019/08/al-qaeda-launches-deadly-attack-army-base-southern-yemen190802081549242.html, Zugriff 15.11.2019 - Al Jazeera (24.9.2019): Seven children among 16 dead in Yemen air strikes, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/7-children-16-dead-yemen-air-strikes190924122950086.html, Zugriff 20.11.2019 - BBC News (11.8.2019): Yemen conflict: Southern separatists seize control of Aden, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49308199, Zugriff 20.11.2019 - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - The Guardian (15.5.2019): Yemen: ceasefire broken as fresh fighting breaks out in Hodeidah, https://www.theguardian.com/world/2019/may/15/yemen-ceasefire-broken-as-fresh-fighting-breaksout-in-hodeidah, Zugriff 20.11.2019 - The Guardian (1.10.2019): Yemen: Aden's changing alliances erupt into four-year conflict's newest front, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/01/yemen-adens-changing-allianceserupt-into-four-year-conflicts-newest-front, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - ICG – International Crisis Group (18.7.2019): Saving the Stockholm Agreement and Averting a Regional Conflagration in Yemen, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-andarabian-peninsula/yemen/203-saving-stockholm-agreement-and-averting-regional-conflagrationyemen, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (16.10.2019): Yemen’s Multiplying Conflicts, https://www.ecoi.net/en/document/2018614.html, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (10.2019): CrisisWatch, Tracking Conflict Worldwide, Yemen, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/november-alerts-october-trends-2019#yemen, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (5.11.2019): The Beginning of the End of Yemen’s Civil War?, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/yemen/beginningend-yemens-civil-war, Zugriff 15.11.2019 - USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 4 - Terrorist Safe Havens - Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2019263.html, Zugriff 20.11.2019
Huthi (Harakat Ansar Allah)
Die Huthi - offiziell bekannt als Harakat Ansar Allah (wörtl. „Bewegung der Helfer Gottes“) - sind eine vom Iran unterstützte, schiitisch-muslimische militärische und politische Bewegung. Ihre Mitglieder, die sich der Minderheit der Zaiditen des schiitischen Islam zugehörig fühlen, setzen sich für die regionale Autonomie der Zaiditen im Nordjemen ein [siehe auch Abschnitt 12.1. Religiöse Gruppe: Zaiditen]. Die Gruppe hat seit 2004 eine Reihe blutiger Aufstände gegen die jemenitische Regierung ausgeführt, die zu einem Sturz des Regimes Anfang 2015 geführt haben. Die HuthiBewegung begann als Versuch, die Autonomie der Stämme im Nordjemen aufrechtzuerhalten und gegen den westlichen Einfluss im Nahen Osten zu protestieren. Heute streben die Huthi eine größere Rolle in der jemenitischen Regierung an und setzen sich weiterhin für die Interessen der zaiditischen Minderheit ein. Die Huthi sind für ihre heftige anti-amerikanische und antisemitische Rhetorik bekannt (CEP 2019). Sie sind außerdem durch die von ihnen so wahrgenommene wirtschaftliche Diskriminierung während der Saleh-Herrschaft motiviert (DW 1.10.2019). Die Ziele der Huthi umfassen auch Entschädigungen für die Schäden während der Saada-Kriege [Anm.: Kriege zwischen Huthi und Regierung im Gouvernement Saada zwischen 2004 und 2010], die Interessensvertretung [der Zaiditen] innerhalb der Zentralregierung, und die Garantie, dass die Gruppe vor zukünftiger politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung geschützt wird. Nicht alle Zaiditen im Jemen identifizieren sich mit der Huthi-Bewegung (CT 2019). Die Huthi-Bewegung besteht heute aus verschiedenen militärischen Kräften, darunter auch circa 60 Prozent ehemalige Angehörige der jemenitischen Armee unter Ex-Präsident Saleh. Schätzungen zufolge sollen die Huthi militärisch 180.000 bis 200.000 Mann stark sein und über verschiedene Waffensysteme verfügen (DW 1.10.2019). In den nördlichen Gebieten, die traditionell unter zaiditischer Kontrolle standen, gibt es Berichte über fortgesetzte Bemühungen der Huthi, ihre religiösen Bräuche auch Nicht-Zaiditen aufzuzwingen, unter anderem durch ein Musikverbot und die Forderung, dass Frauen eine Voll-Verschleierung tragen müssen (USDOS 21.6.2019). Bewaffnete Huthi-Kräfte nahmen häufig Geiseln und begingen andere ernsthafte Missbräuche an Personen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden (HRW 25.9.2018).
Quellen: - CEP – Counter Extremism Projekt (2019): Houthis, https://www.counterextremism.com/threat/houthis, 21.11.2019 - CT – Critical Threats (2019): al Houthi Movement, https://www.criticalthreats.org/organizations/al-houthi-movement, Zugriff 21.11.2019 - DW – Deutsche Welle (1.10.2019): Yemen's Houthi rebels: Who are they and what do they want?, https://www.dw.com/en/yemens-houthi-rebels-who-are-they-and-what-do-they-want/a50667558, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (25.9.2018): Yemen: Houthi Hostage-Taking, https://www.ecoi.net/en/document/1444267.html, Zugriff 20.11.2019 - USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2011009.html, Zugriff 20.11.2019
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der Islamische Staat im Jemen (IS-Y)
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (eng. abk.: AQAP) ist ein Zusammenschluss von Al-QaidaKämpfern in Saudi-Arabien und der früheren Al-Qaida im Jemen (CISAC 7.2015). AQAP ist im gesamten Jemen vor allem in den südlichen und zentralen Regionen des Landes tätig. In vielen dieser Provinzen regiert AQAP über kleinere Gebiete mit Sharia-Gerichten und einer schwer bewaffneten Miliz. AQAP versucht die jemenitische Bevölkerung anzusprechen, indem sie die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt, sich in die lokale Bevölkerung integriert, auch durch die Anpassung an lokale Regierungsstrukturen. Als formaler Bestandteil der Al-Qaida stehen die Ideologie und Praktiken der AQAP im Einklang mit den weiter gefassten Zielen der Al-Qaida, nämlich auf eine globale islamistische Herrschaft hinzuarbeiten (CEP 4.1.2017; vgl. CH 9.2019). AQAP nutzte die Wirren von 2015, um weite Teile der Provinzen Abyan, Shabwa und Hadramaut einzunehmen und zu kontrollieren. Gemeinsam mit verbündeten Stämmen eroberte sie Anfang April 2015 Mukalla — mit 300.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Landes und Hauptstadt der südöstlichen Provinz Hadramaut — und erbeutete große Waffenarsenale und viel Geld. Außerdem übernahm AQAP dort zusammen mit ihren Alliierten die Verwaltung. Truppen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und deren lokale Verbündete eroberten die Stadt im April 2016 zurück (SWP 7.2017; vgl. CH 9.2019). Bis 2016 kontrollierte AQAP größere Gebiete im Jemen, in den beiden darauffolgenden Jahren erlitt AQAP Gebietsverluste (HRW 17.1.2019; vgl. Jamestown 5.4.2019). Sowohl AQAP als auch der sog. Islamische Staat Yemen (IS-Y) profitieren weiterhin vom Konflikt mit den Huthi, indem sie von anderen Einheiten der Anti-Huthi-Koalition nicht als Feind betrachtet werden und das Sicherheitsvakuum in großen Teilen des Landes ausnutzen (USDOS 1.11.2019). Sowohl AQAP als auch IS-Y bekannten sich im Jahr 2018 zu Selbstmordanschlägen und anderen Angriffen (HRW 17.1.2019). 2018 wurden Operationen zur Terrorismusbekämpfung, vor allem durch von den VAE unterstützten Kräften, gegen AQAP durchgeführt, und zwar in den Gouvernements Abyan, Shabwa und Hadramaut. Der IS-Y ist bezüglich Mitgliederanzahl und Einfluss deutlich kleiner als AQAP. IS-Y ist jedoch weiterhin aktiv und führt Angriffe gegen AQAP, jemenitische Sicherheitskräfte und Huthi durch (USDOS 1.11.2019). Eine der aktivsten Gruppen des IS-Y soll es mit Stand September 2018 in Al-Bayda geben, genauso wie eine der aktivsten Gruppen von AQAP (Jamestown 5.4.2019). Im Juli 2018 kam es zu heftigeren Zusammenstößen zwischen AQAP und IS-Y, was die Rivalität zwischen Al-Qaida und IS allgemein zeigt (Jamestown 21.9.2018). Es wird berichtet, dass AQAP und IS-Y im Sommer 2019 das Machtvakuum im Süden des Landes ausnutzten und Angriffe gegen Truppen der Hadi-Regierung sowie des Southern Transitional Council (STC) in Aden, Abyan und Al-Bayda durchführten (ACAPS 8.2019).
Quellen: - ACAPS – Yemen Analysis Hub (8.2019): Crisis InSight, Yemen Crisis Impact Overview, June – August 2019, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20190925_yemen_crisis_impact_overview_ju ne_august_2019.pdf, Zugriff 14.11.2019 - CEP – Counter Extremism Projekt (4.1.2017): Al-Qaeda in the Arabian Peninsula (AQAP), https:// www.counterextremism.com/threat/al-qaeda-arabian-peninsula-aqap, Zugriff 21.11.2019 - CH - Chatham House (9.2019): Between Order and Chaos, A New Approach to Stalled State Transformations in Iraq and Yemen, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/2019-09-05StateTransformationsIraqYemen.pdf, Zugriff 15.11.2019 - CISAC – Center for International Security and Cooperation (7.2015): Al Qaeda in Yemen, https://cisac.fsi.stanford.edu/mappingmilitants/profiles/al-qaeda-yemen#text_block_17347, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - Jamestown Foundation (21.9.2018): Clashes Between Islamic State and AQAP Emblematic of Broader Competition; Terrorism Monitor Volume: 16 Issue: 18, https://www.ecoi.net/en/document/1447309.html, Zugriff 20.11.2019 - Jamestown Foundation (5.4.2019): Continued Fighting Between Islamic State and AQAP Complicates Security in al-Bayda - Jamestown, https://www.ecoi.net/en/document/2006052.html, Zugriff 20.11.2019- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik. Steinberg, Guido (7.2017): Saudi-Arabiens Krieg im Jemen, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A51_sbg.pdf, Zugriff 21.11.2019 - USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 4 - Terrorist Safe Havens - Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2019263.html, Zugriff 20.11.2019
Bewegung des Südens (Al Hirak), Southern Transitional Council (STC)
Die Bewegung des Südens, auch bekannt als „al Hirak“ oder „al Harakat al Janubiyya“, begann ihre Aktivitäten 2007 auf dem Gebiet der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen. Sie war nie eine einheitliche Gruppierung. Es handelte sich mehr um eine lose Vereinigung von Kräften, deren Forderungskatalog von mehr Mitspracherecht für die Bevölkerung des Südens bis hin zur abermaligen Abspaltung und Unabhängigkeit vom Norden reicht. Die Bewegung begann mit Reparationsforderungen nach der Zerstörung des südlichen Jemen während des Bürgerkriegs 1994. Die Mitgliedergruppen unterscheiden sich in ihrem Charakter von politisch bis militant. Die Bewegung hat seit den Umbrüchen des Arabischen Frühlings 2011 starken Zulauf (GIZ 10.2019; vgl. CT 2017). Die Unterstützung des Southern Movement speist sich u.a. aus der Enttäuschung über die politische und wirtschaftliche Marginalisierung des südlichen Jemens nach der Einigung der beiden Landesteile 1990. Das Southern Movement ist in vielerlei Hinsicht ein Vorläufer des 2017 gegründeten Southern Transitional Coucil (STC) (Jamestown 10.9.2019). Zu Beginn des Konflikt waren es aber eher lose organisierte südjemenitische Milizen, die die Huthi-Rebellen und die Truppen der Hadi-Regierung aus ihren Gebieten im Süden vertrieben. Dabei wurden sie militärisch von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt (CH 3.2018). Ab 2015 schlossen sich die bewaffneten Truppen des Southern Movement der Anti-Huthi-Koalition der Hadi-Regierung an. Im April 2017 kam es zu zunehmenden Spannungen in Aden, da Hadi den Bürgermeister der Stadt aus seinem Amt entließ. Nach Massenprotesten als Reaktion auf die Entlassung wurde der Southern Transitional Council (STC) mit Unterstützung durch die VAE gegründet. Der STC tritt für die Unabhängigkeit des Südjemens ein (Al Jazeera 20.9.2019). Im Jänner 2018 brachen Kämpfe zwischen Regierungskräften und von den VAE unterstützten südjemenitischen Kräften in Aden aus (HRW 17.1.2019). Im August 2019 eroberten südjemenitische separatistische Kräfte nach tagelangen Kämpfen erneut den Regierungssitz von Präsident Hadi in Aden. Die Kämpfe offenbarten Risse innerhalb der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition gegen die Huthi (Der Standard 25.10.2019). Am 5.11.2019 einigten sich südjemenitische Separatisten und die Hadi-Regierung im Rahmen des „Riyadh-Abkommens“ auf eine Machtteilung (Der Standard 12.11.2019) [siehe Abschnitt 2. Politische Lage]. Der Süden des Jemens ist, entgegen häufiger Annahmen, kein homogener Raum. Nicht alle Südjemeniten unterstützen den STC, und nicht alle unterstützen das Southern Movement. Einige Personen, die seit Kriegsbeginn immer prominenter wurden, waren in der Bewegung vor dem Krieg keine wichtigen Figuren (CH 3.2018; vgl. Jamestown 10.9.2019). Außerhalb von Aden gibt es kleinere separatistische Bewegungen in den südlichen Provinzen, die die Forderung des STC nach der Wiederherstellung der Republik Südjemen mittels Gewalt ablehnen (Al Jazeera 20.9.2019).
Quellen: - Al Jazeera (20.9.2019): Who are south Yemen's separatists?, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/south-yemen-separatists-190919074008631.html, Zugriff 20.11.2019 - CH – Chatham House (3.2018): Yemen’s Southern Powder Keg, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/publications/research/2018-03-27-yemensouthern-powder-keg-salisbury-final.pdf, Zugriff 20.11.2019 - CT – Critical Threats (2017): Southern Movement, https://www.criticalthreats.org/organizations/southern-movement, Zugriff 21.11.2019 - GIZ – Länderinformationsportal (10.2019): Jemen, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jemen/geschichte-staat/, Zugriff 15.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - Jamestown Foundation (10.9.2019): Some Old, Some New: Grievances, Players, and Backers in the Conflict in Southern Yemen; Terrorism Monitor Volume: 17 Issue: 17, https://www.ecoi.net/en/document/2017648.html, Zugriff 20.11.2019 - Der Standard (25.10.2019): Einigung zwischen Regierung des Jemen und Unabhängigkeitskämpfern, https://www.derstandard.at/story/2000110324214/einigung-zwischenregierung-des-jemen-und-unabhaengigkeitskaempfern, Zugriff 15.11.2019 - Der Standard (12.11.2019): Warum im Jemen und am Golf nun ein Friedenslüftchen weht, https:// www.derstandard.at/story/2000110940654/warum-im-jemen-und-am-golf-friedenslueftchen, Zugriff 15.11.2019
Rechtsschutz / Justizwesen
Im Jemen gibt es keine funktionierende Zentralregierung, und alle staatlichen Institutionen, die noch intakt sind, werden von nicht gewählten Beamten oder bewaffneten Gruppen kontrolliert. Das Justizwesen ist nominell unabhängig, jedoch anfällig für Beeinflussung durch politische Fraktionen. Die Behörden haben eine schlechte Bilanz, was die Durchsetzung von juristischen Urteilen angeht, besonders wenn es sich um Verurteilungen von Stammesführern oder bekannten politischen Personen handelt. Durch das Fehlen eines effektiven Gerichtswesens greift die Bevölkerung häufig auf stammesrechtliche Formen von Justiz oder Gewohnheitsrecht zurück, besonders seit der Einfluss der Regierung schwächer wird (FH 4.2.2019). Unter Kontrolle der Huthi ist die Justiz schwach und durch Korruption, politische Einmischung, gelegentliche Bestechung und mangelnde juristische Ausbildungen beeinträchtigt. Die mangelnde Kapazität der Regierung und die teilweise mangelnde Durchsetzungsbereitschaft der Gerichte, insbesondere außerhalb der Städte, haben die Glaubwürdigkeit der Justiz weiter untergraben. Kriminelle bedrohen und schikanieren Angehörige der Justiz, um den Ausgang von Verfahren zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Verhaftungen sind üblich. In den letzten Jahren wurden hunderte solcher Fälle dokumentiert. In vielen Fällen kommt es zu gewaltsamem Verschwindenlassen. Gefangene werden oft in inoffiziellen Haftanstalten untergebracht. Es gibt unzählige Berichte über politische Gefangene (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Vor dem Gesetz sind Angeklagte unschuldig bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind im Allgemeinen öffentlich, aber Gerichte können aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit oder Moral“ geschlossene Verhandlungen abhalten. Richter nehmen aktiv an der Befragung der Zeugen und des Angeklagten teil und urteilen über Kriminalfälle. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Gerichtsverhandlung anwesend zu sein und sich mit einem Anwalt zu beraten. Der Angeklagte kann Zeugen, die gegen ihn aussagen, befragen und konfrontieren und zu seiner eigenen Verteidigung Zeugen oder Beweise vorbringen. Die Regierung muss laut Gesetz in schweren Kriminalfällen einen Anwalt für mittellose Angeklagte zur Verfügung stellen, wobei dies in der Vergangenheit nicht immer geschehen ist. Grundsätzlich haben Angeklagte und deren Anwälte Zugang zu relevanten Beweisen und Anwälten wird ermöglicht, Klienten und Zeugen zu befragen sowie Beweise zu prüfen. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Angeklagte können weder zu einer Zeugenaussage noch zu einem Schuldgeständnis gezwungen werden. Es gibt außerdem ein spezielles Staatssicherheitsgericht, welches unter anderen Bedingungen arbeitet und Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführt. Dieses Gericht garantiert den Angeklagten nicht dieselben Rechte wie die ordentlichen Gerichte. Anwälte bekommen oft nicht ausreichend Zugang zu den Anklagepunkten, Beweismitteln oder Gerichtsakten. Das Fehlen von Geburtsregistern erschwert die Altersfeststellung, woraufhin die Gerichte Jugendliche wie Erwachsene verurteilen, auch zum Tode. Neben dem bestehenden Gerichtssystem gibt es ein Stammesrechtssystem für Fälle, die nicht unter das Strafrecht fallen [Anm. d.h. z.B. Familienrecht, etc.]. Stammesrichter, meist angesehene Scheichs, entscheiden jedoch auch oft in Kriminalfällen auf stammesrechtlicher Basis. Zu diesen Fällen kommt es gewöhnlich in Folge öffentlicher Beschuldigungen, nicht in Folge von formell eingereichten Anklagepunkten. Stammes-Mediation betont oft den sozialen Zusammenhalt mehr als Bestrafung. Die Öffentlichkeit respektiert die Ergebnisse von Stammesprozessen oft mehr als das formelle Gerichtssystem, das von vielen als korrupt und nicht unabhängig angesehen wird (USDOS 13.3.2019).
Quellen: - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html, Zugriff 11.11.2019
Sicherheitsbehörden
Die jemenitischen Sicherheitsbehörden sind in Folge des politischen und militärischen Konflikts stark fragmentiert (EASO 15.10.2019). Die jemenitischen Streitkräfte bestehen mit Stand März 2018 grundsätzlich aus Landstreitkräften, Seestreitkräften und Küstenwache, Luftstreitkräften, Grenzwache, Strategischer Reserve, sowie militärischen Nachrichtendiensten (u.a. Department of Military Intelligence, Department of Reconnaissance) (CIA 5.11.2019). Die Huthi übernahmen 2014 die Kontrolle über das Verteidigungs- und Innenministerium in Sanaa. Laut eines Berichts haben bis zu 70 Prozent der Armee-, Polizei und paramilitärischen Kräfte zu Beginn des Krieges die Huthi-Saleh-Allianz unterstützt. Die staatliche Armee (Yemen National Army, YNA) wurde ab 2015 von der Hadi-Regierung neu formiert, indem Saleh-treues Personal ersetzt wurde, und bis zu 200.000 neue Soldaten rekrutiert wurden, darunter Stammeskämpfer (EASO 15.10.2019). Die primären staatlichen Nachrichtendienste, die Organisation für Politische Sicherheit (Political Security Organisation - PSO) und das Büro für Nationale Sicherheit (National Security Bureau - NSB) unterstehen zuerst dem Innenminister und dann dem Präsidenten. Die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen bleibt unklar, und es gibt keine klaren Definitionen vieler Prioritäten des NSB. Die PSO ist laut Gesetz dafür zuständig, politische Verbrechen und Sabotageakte aufzudecken und zu verhindern. PSO und NSB gerieten Ende 2014 unter die Kontrolle der Rebellen der Huthi-Saleh-Allianz. Die Hadi-Regierung behielt jedoch ihre eigenen Posten in PSO und NSB in den von der Regierung kontrollierten Gebieten bei (USDOS 13.3.2019; vgl. GS 21.1.2015). Wie andere staatliche Institutionen auch, teilten sich Sicherheits- und Nachrichtendienste wie die PSO in parallele Strukturen auf; ein Teil wird von den Huthi kontrolliert, der andere Teil von der Hadi-Regierung. Die Dienste operieren jeweils in einem von ihrer Seite im Bürgerkrieg kontrollierten Gebiet (FH 4.2.2019). Auch die Abteilung für kriminaldienstliche Ermittlungen (Criminal Investigation Division) untersteht dem Innenministerium und führt die meisten Untersuchungen und Festnahmen in Kriminalfällen durch. Der Innenminister kontrolliert außerdem die paramilitärischen Spezialsicherheitskräfte (Special Security Forces SSF) – oft zur Kontrolle von Menschenansammlungen eingesetzt -, sowie die Anti-Terror-Einheit. Dem Verteidigungsminister unterstehen außerdem Einheiten zum Einsatz gegen interne Unruhen und in internen bewaffneten Konflikten (USDOS 13.3.2019). Straflosigkeit von Sicherheitsbeamten bleibt ein Problem, zum einen, weil die Hadi-Regierung nur begrenzt Macht ausübt und zum anderen, weil es keine wirksamen Mechanismen zur Untersuchung und Verfolgung von Missbrauch und Korruption gibt. Die SSF, die Sondereinsatzkräfte des Jemen, die Präsidentengarde (ehemals republikanische Garde), die NSB und andere Sicherheitsorgane sind vordergründig zivilen Behörden des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Präsidentenbüros unterstellt. Die zivile Kontrolle über diese Einrichtungen verschlechterte sich 2018 jedoch weiter, da regionale Bemühungen zur nationalen Versöhnung ins Stocken gerieten. Durch die Verschärfung des Problems der Straflosigkeit verstärkten Interessensgruppen, darunter auch die Familie des ehemaligen Präsidenten Saleh und andere Stammes- und Parteigruppen, ihren Einfluss auf die Nachrichtendienste, oft auf inoffiziellem Wege und nicht durch die formale Befehlsstruktur (USDOS 13.3.2019). Die Southern Resistance Forces wurden ab 2016 mit Unterstützung der VAE aufgebaut. Sie werden manchmal auch als unter Kontrolle der international anerkannten jemenitischen Regierung angesehen, obwohl sie angeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten ferngesteuert werden (EASO 15.10.2019; vgl. MEI 31.7.2019; vgl. WP 28.8.2019).
Quellen: - CIA Factbook (5.11.2019): Middle East, Yemen, Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ym.html#People, Zugriff 11.11.2019 - EASO – European Asylum Support Office (15.10.2019): COI Query, Background on the Yemeni armed forces, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018892/2019_10_17_EASO_COI_Query_Yemen_Conscription_ Q23.pdf, Zugriff 12.11.2019 - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - GS – Global Security (21.1.2015): Yemen Intelligence Agencies, https://www.globalsecurity.org/intell/world/yemen/index.html, Zugriff 12.11.2019 - MEI – Middle East Institute (31.7.2019): Security in South Yemen, https://www.mei.edu/publications/security-south-yemen, Zugriff 12.11.2019 - USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html, Zugriff 11.11.2019 - WP – The Washington Post (28.8.2019): The UAE is weakening its partnership with the Saudis in Yemen. Here’s why that matters, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/08/28/what-saudiarabia-uaes-changing-partnership-means-future-yemens-war/, Zugriff 12.11.2019
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung verbietet Folter und ähnliche andere Missbräuche. Es gibt Bestimmungen, dass Folter mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann, aber das Gesetz bietet keine genaue Definition von Folter (USDOS 3.3.2017).
Sowohl die Houthi-Rebellen als auch die alliierten Streitkräfte haben Menschen verschwinden lassen, Gefangene gefoltert und zahlreiche Aktivisten, Journalisten, Stammesführer und politische Gegner willkürlich festgenommen. Seit August 2014 wurden die willkürliche oder missbräuchliche Festnahme von mindestens 61 Personen durch die in Sanaa ansässigen Behörden dokumentiert (HRW 12.1.2017).
Zivilisten, die sich zu Wort meldeten oder sich den Konfliktparteien auf andere Weise widersetzten, waren Schikanen, Einschüchterungen, Inhaftierungen und gelegentlich Folter und Tötungen ausgesetzt. Am 22. Juni 2017 eröffnete die jemenitische Regierung gemäß dem Präsidialerlass Nr. 115 eine Untersuchung mutmaßlicher Folterungen und Verschwinden-Lassens durch Einheiten der Vereinigten Arabischen Emirate und ihrer alliierten jemenitischen Streitkräfte im Süden des Landes. Mit Stand Mitte August 2017 hatte der sechsköpfige Untersuchungsausschuss, der die Untersuchung durchführte, seine Ergebnisse noch nicht veröffentlicht (UN-HRC 13.9.2017).
In einer Untersuchung behauptet Associated Press, dass die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und ihre alliierten jemenitischen Sicherheitskräfte willkürlich Festgenommene inhaftieren und foltern, und dieselben auch von US-Truppen in einem Netzwerk von Geheimgefängnissen im gesamten südlichen Jemen verhört werden. Associated Press dokumentierte mindestens 18 Geheimgefängnisse im südlichen Jemen, die von den Vereinigten Arabischen Emiraten oder von jemenitischen Streitkräften betrieben wurden, und bezog sich dabei auf Berichte ehemaliger Häftlinge, Familien von Gefangenen, Anwälte und jemenitischer Militärbeamte. Die Einrichtungen sind entweder versteckt oder der jemenitischen Regierung nicht zugänglich. Auch US-amerikanische Kräfte seien bei den Verhören anwesend gewesen. In einem der Hauptgefängniskomplexe am Flughafen von Riyan im südlichen Teil der Stadt Mukalla berichteten ehemalige Häftlinge, sie seien wochenlang mit Fäkalien beschmiert und mit verbundenen Augen in Schiffscontainern zusammengepfercht worden. Sie sagten, sie wurden verprügelt, auf dem sogenannten "Grill" gefesselt und sexuell missbraucht (AP 22.6.2017).
Die jemenitische Menschenrechtsorganisation "SAM" hat mit Stand Mai 2017 über 200 illegale Haftanstalten und Gefängnisse dokumentiert, die von Huthi-Milizen und Salehs Streitkräften, bewaffneten Gruppen, die mit der legitimen Regierung verbündet sind, oder von der Regierung anerkannten Militärbefehlshabern verwaltet werden. Verschiedene Quellen, darunter Opfer und Augenzeugen, bestätigten, dass Häftlinge körperlicher und seelischer Folter ausgesetzt warn, und dass ihnen die Grundrechte verweigert wurden, wie sie in der jemenitischen Verfassung und den internationalen Gesetzen verankert sind (SAM 5.9.2017).
Quellen:
- AP - Associated Press (22.6.2017): In Yemen's secret prisons, UAE tortures and US interrogates,
https://www.apnews.com/4925f7f0fa654853bd6f2f57174179fe, Zugriff 3.10.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Yemen, https://www.ecoi.net/local_link/334724/476564_de.html, Zugriff 2.10.2017
- SAM (5.9.2017): Close all Illegal Detention Centers in Yemen, http://www.samrl.org/close-all-illegal-detention-centers-in-yemen/, Zugriff 4.10.2017
- UN-HRC - United Nations - Human Rights Council (13.9.2017): Annual report of the United Nations High Commissioner for Human Rights and reports of the Office of the High Commissioner and the Secretary-General - Situation of human rights in Yemen, including violations and abuses since September 2014 [A/HRC/36/33], http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1505899727_a-hrc-36-33.doc, Zugriff 2.10.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Yemen,
https://www.ecoi.net/local_link/337264/480030_de.html, Zugriff 2.10.2017
Korruption
2016 lag der Jemen auf Platz 170 von 176 (Anmerkung: 2015 Platz 154 von 168) des Korruptionsindex von Transparency International (TI 2016). Das Gesetz sieht Strafen für amtliche Korruption vor, die Exilregierung setzt dieses Gesetz jedoch nicht effektiv durch. Kleinere Fälle von Korruption kamen häufig und in fast allen Ämtern vor. Von Bewerbern für einen Beruf wird oft erwartet, dass sie sich ihren Beruf kaufen. Zahlreiche Regierungsbeamte und öffentliche Bedienstete erhielten Bezahlungen für Arbeiten, die sie nicht ausführten, oder mehrere Gehälter für eine Arbeitsstelle. Korruption ist ein ernstes Problem in fast allen Bereichen und auf allen Ebenen der Regierung, besonders im Sicherheitssektor. Bestechungen und Korruption spielen auch eine wichtige Rolle in Gefängnissen. Insassen, die Bestechungsgelder zahlten, bekamen Vergünstigungen (USDOS 3.3.2017).
Die Beobachter glaubten, die Steuerinspektoren würden die Berechnungen zu niedrig ansetzen und den Differenzbetrag einstreichen. Korruption betraf auch regelmäßig das öffentliche Beschaffungswesen. Jüngste Analysen von unparteiischen internationalen und lokalen Beobachtern, einschließlich Transparency International, stimmten darin überein, dass Korruption in allen Regierungsbereichen und -ebenen, insbesondere im Sicherheitssektor, ein ernsthaftes Problem darstelle. Internationale Beobachter vermuteten, dass Regierungsbeamte und Parlamentarier von internen Absprachen, Veruntreuung und Bestechungsgeldern profitierten. Politische Führer und die meisten Regierungsbehörden haben nur unwesentliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption ergriffen. Korruption ist in der jemenitischen Polizei vorherrschend, meist in Form von kleineren Bestechungen. Eine Untersuchung des jemenitischen Meinungsforschungszentrum (Yemen Polling Center) über Bestechung ergab, dass 59% der Teilnehmer das Sicherheitspersonal als am meisten korrupt innerhalb des öffentlichen Sektors identifizierten. Die schlechte Bezahlung scheint ein Grund für die hohe Korruptionsrate zu sein. Manche Polizeistationen haben Abteilungen für "interne Angelegenheiten", die Missbräuche untersuchen sollen, und Bürger haben die Möglichkeit Beschwerde beim Staatsanwalt vorzubringen (Global Security 2.9.2017).
Quellen:
- Global Security (2.9.2017): Yemen Intelligence Agencies https://www.globalsecurity.org/military/world/yemen/corruption.htm, Zugriff 3.10.2017
- TI-Transparency International (2016): Corruption Perception Index 2016, https://www.transparency.org/country/YEM, Zugriff 3.10.2017
- USDOS - US Department of