TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/10 W102 2208353-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.05.2021
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Entscheidungsdatum

10.05.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8

Spruch


W102 2208353-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Georg BÜRSTMAYR, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 27.09.2018, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.02.2021 zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist.

III.     XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 07.12.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 08.12.2015 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, da in Afghanistan die Taliban herrschen würden, habe er nicht in die Schule gehen dürfen. Es sei eine gemischte Schule gewesen, die Taliban würden dies nicht dulden. Der Vater habe beschlossen, er solle in ein europäisches Land gehen.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 04.05.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, die Situation für Hazara sei sehr schlecht, sie würden getötet und geköpft. Er habe nicht an islamischen Festen teilnehmen wollen, er sei kein richtiger Moslem. Einmal hätten die Taliban das Heimatdorf attackiert. Er sei ab dem elften Lebensjahr nicht mehr in die Moschee gegangen. Als Hazara sei er von den Taliban bedroht, als Schiit von den Sunniten unterdrückt worden. Die Taliban seien ins Dorf gekommen, um junge Leute zu rekrutieren. Er habe nicht zur Schule gehen können, die Taliban seien gänzlich gegen Schulbildung. Die Taliban seien überall, es herrsche Krieg.

Am 18.05.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara, aufgrund seiner (unterstellten) politischen Gesinnung, aufgrund der allgemein herrschenden Kriegssituation, seiner westlichen Einstellung und seinem Wunsch auf ein Leben in Frieden verlassen. Die Sicherheitslage in Ghazni sei schlecht. Der Beschwerdeführer habe Verfolgung wegen seiner (unterstellten) religiösen und (unterstellten) westlichen Einstellung zu befürchten. Er werde aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder verfolgt. Die Sicherheitslage in Kabul sei katastrophal.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.09.2018, zugestellt am 01.10.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit „2 Wochen/Tage“ ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht. Er habe niemals angegeben, persönlich bedroht worden oder irgendeiner Bedrohung ausgesetzt gewesen zu sein. Der Beschwerdeführer habe keine persönliche Gefährdungslage zu befürchten. Der Beschwerdeführer könne seinen Lebensunterhalt in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat bestreiten.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2018 richtet sich die am 19.10.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, es sei von asylrelevanter Verfolgung aufgrund der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder/Jugendlichen und der wehrfähigen jungen Männer. Der Beschwerdeführer sei von Zwangsrekrutierung bedroht. Er weigere sich, seine Religion nach den Regeln islamischer Tradition zu vollziehen und zu praktizieren. Rückkehrer aus westlichen Ländern würden verfolgt, der Beschwerdeführer habe einen modernen und freizügigen Lebensstil verinnerlicht. Ihm würde Ungläubigkeit unterstellt. Der Beschwerdeführer sei hervorragend integriert.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.10.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Mit Ladung vom 09.02.2021 (OZ 12) brachte das Bundesverwaltungsgericht folgende aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung: 16.12.2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. State Structure and Security Forces von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Criminal law, customary justice and informal dispute resolution von Juli 2020

?        EASO, Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien)

?        EASO COI Report: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017

?        EASO COI Report: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017,

und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 16.02.2021 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer lebe – auch nach Erreichen der Volljährigkeit – bei seinen Pflegeeltern und bestehe ein besonders starkes Vertrauensverhältnis. Er habe im September 2017 eine Lehre begonnen, nach Lehrabschluss eine Beschäftigungsbewilligung erhalten und sei seither ununterbrochen selbsterhaltungsfähig, er spreche Deutsch auf zumindest B1-Niveua und sei in seiner Heimatgemeinde und den umliegenden Gemeinden fest integriert. Er habe ehrenamtlich gearbeitet und spiele in einer Volleyballgemeinschaft. Es sei von einem Überwiegen der Interessen des Beschwerdeführers auszugehen. Vorgelegt wurde zudem das Lehrabschlussprüfungszeugnis des Beschwerdeführers.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 23.02.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine im Akt namentlich genannte Zeugin und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt.

Mit Schreiben vom 07.04.2021 (OZ 16) und vom 26.04.2021 (OZ 18) brachte das Bundesverwaltungsgericht folgende aktuellen Länderberichte in das Verfahren ein:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung: 31.03.2021 (in der Folge: Länderinformationsblatt)

?        EASO, Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance)

und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Mitteilungen vom 12.04.2021 und vom 27.04.2021 verzichtete der Beschwerdeführer jeweils auf eine Stellungnahme. Die belangte Behörde gab mit Schreiben vom 27.04.2021 bekannt, keine Stellungnahme abzugeben.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Kopie der Tazkira des Beschwerdeführers

?        Schulunterlagen

?        Lehrvertrag und weitere Unterlagen zur Lehre

?        Unterlagen zu Deutschkursen

?        Teilnahmebestätigung für Basisbildung und Workshops

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        Bestätigung „Patenfamilie“

?        Bestätigung über gemeinnützige Arbeit

?        Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeit

?        Mitgliedschaftsbestätigung Volleyball-Verein

?        Zeitungsberichte

?        Fotos

?        Berufsschulzeugnisse

?        Beschäftigungsbewilligungsbescheid

?        Lehrabschlussprüfungsbestätigung

?        Lohn-/Gehaltsabrechnungen

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren im Jahr XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer stammt aus einem Dorf in der Provinz Ghazni, Distrikt Jaghuri, wo die Familie im eigenen Haus lebt. Die Eltern des Beschwerdeführers betreiben eine Landwirtschaft, in der auch der Beschwerdeführer mitgearbeitet hat. Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat sechs Jahre die Schule besucht.

Der Beschwerdeführer hat zwei jüngere Brüder und zwei jüngere Schwestern. Sie leben mit den Eltern des Beschwerdeführers im Herkunftsdorf. Kontakt besteht. Außerdem hat der Beschwerdeführer einen Onkel väterlicherseits, fünf Onkel mütterlicherseits, drei Tanten väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits. Sie alle leben im Herkunftsdistrikt.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Dezember 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er besuchte 2016 und 2017 zunächst Deutschkurse und nahm am Kurs „Bildung für junge Flüchtlinge“ der Volkshochschule teil.

Ab 04.09.2017 war der Beschwerdeführer im Rahmen eines Lehrverhältnisses im Beruf „Einzelhandelskaufmann – Schwerpunkt Lebensmittelhandlung“ unselbstständig erwerbstätig und besuchte die Berufsschule. Die Lehrabschlussprüfung hat er am 15.07.2020 bestanden. Für den Zeitraum 01.12.2020 bis 30.11.2021 wurde dem Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann in jenem Unternehmen erteilt, in dem er bereits seine Lehre absolviert hatte. Der Beschwerdeführer bezieht ein Gehalt in Höhe von etwa EUR 1.400,– netto monatlich. Seit Jänner 2019 bezieht der Beschwerdeführer keine Grundversorgung mehr.

Seit dem Jahr 2016 ist der Beschwerdeführer in einem Volleyball-Verein aktiv und nimmt am regelmäßigen Training, Turnieren und sonstigen Vereinsaktivitäten teil und ist auch als Schiedsrichter aktiv. Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2017 in seiner Wohnsitzgemeinde gemeinnützige Arbeit in der Schülerbetreuung geleistet. Er engagiert sich laufend ehrenamtlich. So hat er etwa bei der Eröffnungsfeier des neuen Feuerwehrhauses und im Biobetrieb eines Klosters mitgeholfen, den Kultur- und Sozialausschuss der Gemeinde bei seinen öffentlichen Veranstaltungen (z.B. Open Air Kino, Lange Nach der Vereine, Konzerte, Konzerte, etc.) unterstützt und beim Osterbasar eines Krankenpflegevereins im Küchenteam mitgearbeitet.

Seit 01.04.2018 wohnt der Beschwerdeführer im Haushalt seiner „Patenfamilie“ und nahm und nimmt an deren Familienleben und sozialen Aktivitäten teil. Es besteht ein enges Vertrauensverhältnis. Der Beschwerdeführer ist in seiner Wohnsitzgemeinde vielfältig sozial vernetzt.

Der Beschwerdeführer hat die interne Deutschprüfung für das Niveau B1 an der Volkshochschule XXXX erfolgreich bestanden. Er wurde im Jahres- und Abschlussprüfungszeugnis der Berufsschule im Fach Deutsch und Kommunikation mit „Befriedigend“ benotet.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Minderheit der schiitischen Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung Afghanistans aus. Sie leben unter anderem in Kabul (Stadt), Herat (Stadt) und Mazar-e Sharif. Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19 % geschätzt, 90 % der Schiiten gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara.

Hazara bekleiden prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind allerdings in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Die Hazara haben seither auch erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.

Hinweise auf von staatlichen Akteuren ausgehende Misshandlungen gibt es nicht.

Der ISKP verfügt in Afghanistan über sehr begrenzte territoriale Kontrolle, seine landesweite Mannesstärke lag im November 2019 bei etwa 4.000 für 5.000 Kämpfern. „Zellen“ des ISKP sind in ganz Afghanistan präsent, auch in Kabul (Stadt). Er ist in der Lage, in unterschiedlichen Teilen des Landes Angriffe durchzuführen. Der ISKP zielt darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern, indem er seine Angriffe gegen Schiiten richtet. Es kommt zu Angriffen durch den ISKP auf schiitische Hazara, etwa in Kabul. Ziel sind insbesondere Orte, an denen Schiiten zusammenkommen, etwa Moscheen, politische Demonstrationen oder Hazara-dominierte Wohnviertel. Diese Angriffe stehen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubenszugehörigkeit der Hazara sowie mit deren – nach Wahrnehmung des ISKP – Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen den IS in Syrien.

Es kommt zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Hierfür kann jedoch häufig ein anderer Grund als deren Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit identifiziert werden, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter. Die Taliban führen Angriffe auf religiöse Stätten und Führer durch, die die Legitimität der Taliban anzweifeln.

Die schiitische Religionszugehörigkeit gehört zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara, Ethnien- und Religionszugehörigkeit sind in Afghanistan häufig untrennbar verbunden.

Die Taliban rekrutieren typischerweise arbeitslose männliche Paschtunen aus ländlichen Gemeinschaften, die in einer Madrassa ausgebildet wurden. Sie haben keinen Mangel an freiwilligen Kämpfern. Nur in Ausnahmefällen greifen die Taliban auf Zwangsrekrutierung zurück. Sie versuchen etwa, Personen mit militärischem Hintergrund zu rekrutieren, etwa ANSF-Angehörige oder greifen, wenn sie akut unter Druck stehen, auf Zwangsrekrutierung zurück. Druck, sich den Taliban anzuschließen, ist nicht immer gewaltsam, sondern wird etwa durch die Familie, den Stamm oder religiöse Netzwerke ausgeübt.

Kinder, die sich an die Freiheiten und Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, können Schwierigkeiten haben, sich an die sozialen Restriktionen in Afghanistan anzupassen. Die soziale Einstellung gegenüber „verwestlichten“ Männern ist gemischt. Männer, die sich mit „westlichen“ Werten identifizieren und aus westlichen Staaten zurückkehren können auf Misstrauen, Stigmatisierung oder Ablehnung stoßen. Teile der Gesellschaft insbesondere in Städten sind offen für „westliche“ Sichtweisen, während andere Teile, insbesondere in ländlichen und konservativen Umgebungen, sie ablehnen. Afghanen, die sich mit „westlichen“ Werten identifizieren, können von aufständischen Gruppierungen angegriffen werden, weil sie als unislamisch, die Regierung unterstützend oder als Spione wahrgenommen werden könnten. Es gibt Fälle, dass Rückkehrer in der Öffentlichkeit angegriffen wurde, weil sie als „Verräter“ oder „Ungläubige“ angesehen wurden.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Provinz Ghazni gehört zu den volatilen Provinzen, Taliban-Kämpfer sind aktiv. Im Jahr 2019 und in den ersten Monaten 2020 war Ghazni schwer umkämpft und gehörte zu den Hauptschauplätzen von Kämpfen zwischen Taliban und Regierung. Im Oktober 2019 standen die hauptsächlich von Paschtunen bewohnten Distrikte beinahe vollständig unter Talibankrontrolle, während die Hazara-Gebiete – darunter Jaghuri – und Ghazni Stadt von der Regierung kontrolliert wurden. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierung, Angriffen entlang der Hauptstraßen, Luftangriffen, Sicherheitsoperationen der afghanischen Streitkräfte. Auch Angriffe des IS sind verzeichnet. Insbesondere die Straßen in Ghazni sind gefährlich. Die Taliban betreiben in Gebieten unter ihrer Kontrolle illegale Checkpoints, wo sie Personen kontrollieren und Geld erpressen. Reisen ist in Ghazni aufgrund dieser Checkpoints gefährlich, es kommt zu Entführungen, Angriffen und Tötungen. Die Taliban platzieren Sprengfallen entlang der Straßen.

Für das Jahr 2020 sind 418 zivile Opfer (183 Tote und 235 Verletzte) dokumentiert. Dies entspricht einem Rückgang von 38% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und gezielten Tötungen

Der Distrikt Jaghuri wird hauptsächlich von Hazara bewohnt und gilt als umkämpft. Für das Jahr 2020 sind für den Distrikt allerdings weder nach der Globalincidentmap, noch nach ACLED Sicherheitsvorfälle verzeichnet.

Balkh zählte zuletzt zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes. Für die gesamte Provinz sind für das Jahr 2020 sind 712 zivile Opfer (263 Tote und 449 Verletzte) verzeichnet, eine Steigerung von 157 % gegenüber 2019. Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern. Balkh ist ethnisch divers und wird unter anderem von Hazara bewohnt.

In Mazar-e Sharif kam es von 2020 der Globalincidentmap zufolge zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall, nach ACLED kam es zu zwölf sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher und steht unter Regierungskontrolle. 2019 fanden beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern statt. Deren Ziel waren oftmals Sicherheitskräfte, doch gab es auch zivile Opfer. Kriminalität stellt ein Problem dar, insbesondere bewaffnete Raubüberfälle. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen, für den keine Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. In urbanen Gebieten leben rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Während der Covid-19-Pandemie ist insbesondere die Situation für Tagelöhner schwierig, viele Wirtschaftszweige wurden durch Sperr- und Restriktionsmaßnahmen negativ beeinflusst. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus. 2016/2017 waren rund 45 % der Menschen von anhaltender oder vorrübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen. Auch aktuell verschlechtert sich die aktuelle Ernährungsunsicherheit infolge der Covid-19-Pandemie, bis März 2021 wurde ein Anstieg auf 42 % prognostiziert. Die Krise führte zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die Preise für Weizenmehl waren von November bis Dezember 2020 stabil, allerdings auf einem Niveau, das 11% über dem des letzten Jahres und 27% über dem Dreijahresdurchschnitt lag.

Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit, sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung liegt auf hohem Niveau und und ist infolge der Pandemie auf 37,9 % gestiegen, gegenüber 23,9 % im Jahr 2019. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert nicht. Ein Mangel an Bildung korreliert mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden.

Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus hat starke Auswirkungen auf Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen. Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein, sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen. „Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens“ an. Sie werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa, was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab.

Afghanistan ist von der COVID-Pandemie betroffen. Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen. Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet, wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht. Ein „Lockdown“ oder Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sind in Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul aktuell nicht in Kraft. Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten sind derzeit nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für Rückkehrer unter der Schirmherrschaft von IOM, die eine Unterkunft benötigen, kann IOM ein Hotel buchen.

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die COVID-19-Pandemie hat sich negativ auf die Bereitstellung und Nutzung grundlegender Gesundheitsdienste in Afghanistan ausgewirkt. In großen Städten ist die medizinische Versorgung grundsätzlich sichergestellt.

Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie Muttersprache des Beschwerdeführers beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf des Verfahrens, die auch die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legte. Zur Religionszugehörigkeit wird zudem am Rande angemerkt, dass der Beschwerdeführer zwar im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme am 04.05.2018 angab, er sei kein richtiger Moslem (Einvernahmeprotokoll S. 5), in der Folge erstattete der Beschwerdeführer jedoch hierauf bezogen kein substantiiertes Vorbringen mehr, machte insbesondere im Zuge der mündlichen Verhandlungen keinerlei Andeutungen im Hinblick auf einen Wechsel seiner religiösen Überzeugungen, sondern verneinte viel mehr die Frage nach einer Konversion, die ihm den Spielraum zur Diskussion von Glaubensüberzeugungen eröffnet hätte, mit nur einem Wort (OZ 15, S. 3).

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, beruht darauf, dass anderslautendes Vorbringen im Lauf des Verfahrens nicht erstattet wurde und der Beschwerdeführer auch keine medizinischen Unterlagen in Vorlage brachte, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung seinerseits nachweisen würden. Insbesondere bestätigte der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.02.2021, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen (OZ 15, S. 3).

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellungen zu Lebensverhältnissen und Lebenswandel des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beruhen auf seinen plausiblen Angaben im Lauf des Verfahrens, die auch die belangte Behörde nicht in Zweifel zog. Den Verbleib seiner Angehörigen in Afghanistan bestätigte der Beschwerdeführer zudem in der mündlichen Verhandlung und gab hier auch an, erst kürzlich Kontakt mit Eltern und Geschwistern gehabt zu haben (OZ 15, S. 3). Die Feststellungen zu den übrigen Verwandten und deren Verbleib beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 04.05.2018 (Einvernahmeprotokoll S. 4), wobei der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung hierzu kein anderslautendes Vorbringen erstattete.

Das Einreisedatum des Beschwerdeführers ist aktenkundig und sind Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen. Zu seinen Kursen hat der Beschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt.

Zum Lehrverhältnis des Beschwerdeführers ist der Lehrvertrag (mehrfach) aktenkundig (z.B. OZ 8), ebenso hat der Beschwerdeführer sein Lehrabschlussprüfungszeugnis (OZ 13), seine Beschäftigungsbewilligung (OZ 13) und Lohn-/Gehaltsabrechnung in Vorlage gebracht. Dass der Beschwerdeführer seit Jänner 2019 keine Grundversorgung mehr bezieht, geht aus dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor, wo als Entlassungsgrund „Nicht hilfsbedürftig“ vermerkt ist.

Zum Volleyball-Verein hat der Beschwerdeführer mehrere Bestätigungen und Empfehlungsschreiben vorgelegt (z.B. OZ 13), aus denen seine Vereinsaktivitäten hervorgehen. Eine Bestätigung über eine gemeinnützige Beschäftigung im ebenso aktenkundig (Beilage zum Einvernahmeprotokoll), sowie einige Bestätigungen hinsichtlich ehrenamtlichem Engagement (Beilagen zum Einvernahmeprotokoll; OZ 13).

Dass der Beschwerdeführer seit 01.04.2018 bei seiner „Patenfamilie“ wohnt, geht etwa aus der Bestätigung der BH Feldkirch hervor (OZ 13). Seine Integration in deren Haushalt und Teilnahme am Familienleben geht aus mehreren aktenkundigen Empfehlungsschreiben der „Pateneltern“ selbst, sowie deren Kindern und weiteren Verwandten, Freunden, Nachbarn hervor. Auch Fotos wurden hierzu vorgelegt. In einer Gesamtschau der vorgelegten Empfehlungsschreiben mit Blick auf die zahlreichen Aktivitäten des Beschwerdeführers ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer in seiner Wohnsitzgemeinde vielfältig sozial vernetzt ist.

Zur Deutschprüfung der VHS hat der Beschwerdeführer seinen Leistungsnachweis vorgelegt, seine Noten an der Berufsschule gehen aus den vorgelegten Zeugnissen hervor.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu den Siedlungsgebieten der schiitischen Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt. So geht das traditionelle Besiedelungsgebiet der Hazara, zu dem Teile der Provinz Balkh zählen, aus Kapitel Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel Hazara, hervor, das auch von „Hazara-Vierteln“ in Kabul berichtet. Im Hinblick auf Herat zählt das Länderinformationsblatt die Hazara ebenso als eine der wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz auf und erwähnt im Hinblick auf Herat (Stadt) eine beträchtliche Hazara-Minderheit (Kapitel Sicherheitslage, Unterkapitel Herat). Die Feststellungen zum Anteil der schiitischen Muslime an der Bevölkerung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Religionsfreiheit, Unterkapitel Schiiten.

Die Feststellungen zur gesellschaftlichen Lage der Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel Hazara, sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86, sowie Kapitel 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87). Auch die UNHCR-Richtlinien – ebenso vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 21.10.2020 (OZ 9) in das Verfahren eingebracht – berichten einerseits von gesellschaftlicher Diskriminierung, Erpressung durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung, aber auch von erheblichen wirtschaftlichen und politischen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban-Regimes (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 106-107).

Hinweise auf Misshandlungen der schiitischen Hazara durch den Staat sind der EASO Country Guidance zufolge nicht ersichtlich (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 86, Unterkapitel 17. 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87).

Die Feststellungen zum ISKP und dessen Angriffe auf die Hazara beruhen auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86, Unterkapitel 17. 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87), wobei auch das Länderinformationsblatt im Wesentlichen übereinstimmend von Angriffen auf schiitische Hazara durch den ISKP berichtet (Kapitel Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel Hazara). Dieses berichtet auch, dass der ISKP den Großteil seines Territoriums verloren hat (Kapitel Sicherheitslage, Abschnitt Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)). Der EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020 berichtet, dass es weiterhin zu Angriffen des ISKP auf schiitische Hazara kommt (Kapitel 3. Der Islamische Staat in der Provinz Khorasan (ISKP), Unterkapitel 3.6.1 Hazara-Schiiten, S. 38), ihm sind die Feststellungen zur aktuellen Präsenz und Stärke des ISKP in Afghanistan entnommen (insbesondere Kapitel 3.2 Stärke, Präsenz, territoriale Kontrolle, Kapazität, S. 30 ff). Von relevanter territorialer Kontrolle wird hier ebenso nicht berichtet.

Der EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020 führt Schiiten und Hazara hinsichtlich der Taliban nicht gesondert als „Targeted individuals“ an. Die UNHCR-Richtlinien berichten allgemein von Fällen von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte, wobei den Fußnoten im Hinblick auf konkrete Vorfälle zu entnehmen ist, dass dem IS insbesondere Terror-Anschläge auf die schiitische Minderheit zuzurechnen sind. Im Hinblick auf die Taliban werden insbesondere Entführungen erwähnt, ihnen werden jedoch auch Anschläge zugeschrieben (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 107, sowie Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Abschnitt Schiiten, S. 69.-70). Der EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020 führt ebenso Anschläge der Taliban gegen religiöse Stätten und Führer an, bringt diese jedoch in Zusammenhang mit einer Infragestellung der Legitimität der Taliban (Kapitel 2. Die Taliban, Unterkapitel 2.6. Gezielt angegriffene Personen, Unterkapitel 2.6.2.4 Religiöse Führer, S. 30-31). Die EASO Country Guidance berichtet im Hinblick auf Entführungen konkret, es würde Vorfälle geben, wo Hazara-Zivilisten auf Reisen entlang der Straßen entführt und getötet würden, jedoch auch, dass dies häufig mit anderen Motiven als der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehe, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86, Unterkapitel 17. 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87).

Im Hinblick auf die Verbundenheit von Ethnie und Religion berichtet das Länderinformationsblatt, die schiitische Religionszugehörigkeit würde wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählen (Kapitel Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel Hazara). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten von einer häufig untrennbaren Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit, weswegen eine eindeutige Unterscheidung zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder der ethnischen Zugehörigkeit andererseits oftmals nicht möglich sei (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Auch die EASO Country Guidance spricht die Verknüpfung an (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).

Die Feststellungen zur Zwangsrekrutierung durch die Taliban beruhen auf der EASO Country Guidnace, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.6 Persons fearing forced recruitment by armed groups, Buchstabe a. Forced recruitment by the Taliban, S. 64.

Die Feststellungen zur Situation „verwestlichter“ Männer bzw. aus dem westlichen Ausland zurückkehrender Männer beruht auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.13 Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 80-82), die inhaltlich im Einklang mit den Informationen der UNHCR-Richtlinien steht (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52-53).

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Ghazni beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Sicherheitslage, Unterkapitel Ghazni, der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 3.3 Article 15(c) QD, Unterabschnitt Ghazni S. 123-124, sowie dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, Kapitel 2.10 Ghazni, S. 130 ff.).

Die Feststellungen zur Sicherheitslag ein Balkh beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Sicherheitslage, Unterkapitel Balkh, sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, Kapitel 2.5. Balkh, S. 90 ff., insbesondere Unterkapitel 2.5.2 Conflict background and actors in Balkh, S. 91 ff. Die Feststellungen zur Entwicklung der Sicherheitslage in Mazar-e Sharif beruhen auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 3.3. Article 15 (c) QD, Abschnitt Balkh, S. 117-119, insbesondere Unterabschnitt Focus on the provincial capital: Mazar-e Sharif, S. 118-119. Die Feststellungen zum Flughafen beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Sicherheitslage, Unterkapitel Erreichbarkeit, Abschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif, wobei aus der EASO Country Guidance zum Flughafen Mazar-e Sharif hervorgeht, dass nicht von Vorfällen berichtet wird (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Travel and admittance, S. 164).

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 7. Rechtsschutz/Justizwesen, 9. Folter und unmenschliche Behandlung und 13. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Grundversorgung.

Die Feststellungen zur Situation von Rückkehrern beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 25. Rückkehr.

Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie und ihren Folgen beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. COVID-19.

Die Feststellungen zur medizinischen Versorgung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 24. Medizinische Versorgung.

Die Feststellung zu den Landessprachen beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Relevante ethnische Minderheiten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2018, Ra 2017/18/0119 mwN).

3.1.1.  Zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer bringt mehrfach vor, er werde wegen seiner Religions- bzw. Volksgruppenzugehörigkeit in Afghanistan verfolgt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden, sondern auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (jüngst etwa VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0450). Eine Eingriffsintensität im Sinne eines „Genozids“ muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht vorliegen, um eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zu bejahen (VwGH 03.08.2020, Ra 2020/20/0034).

Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer – wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt – glaubhaft machen, dass der zu den schiitischen Hazara gehört. Auch kommt es – so wie in der Beschwerde vorgebracht – zu Vorfällen durch die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte.

Hinsichtlich des ISKP ist zwar – nachdem dieser Angriffe auf schiitische Hazara durchführt, die mit deren schiitischer Glaubenszugehörigkeit, sowie einer zumindest unterstellten Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen IS in Syrien in Zusammenhang stehen – ersichtlich, dass dieser zielgerichtete Maßnahmen gegen Schiiten und damit auch gegen schiitische Hazara setzt. Dem ISKP kommt jedoch lediglich eine beschränkte territoriale Reichweite und Stärke zu.

Durch die Taliban kommt es zwar ebenso zu Angriffen auf Angehörige der schiitischen Hazara, jedoch ist diesbezüglich ein systematisches Vorgehen nicht ersichtlich und stehen diese Angriffe häufig in einem anderen Kontext als jenem der Volkgruppen- oder Religionszugehörigkeit.

Eine Gruppenverfolgung von Seiten des ISKP, sowie der Taliban im Sinne der oben zitierten Judikatur ist damit bereits mangels zielgerichteter Maßnahmen zu verneinen, weswegen eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob staatliche Schutz bestünde, unterbleiben konnte.

Hinweise auf Misshandlungen von Seiten des Staates konnten dagegen nicht festgestellt werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist weiter nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002).

Zwar gibt es Hinweise auf Diskriminierungen der schiitischen Hazara etwa auf dem Arbeitsmarkt, soziale Diskriminierung und eine Unterrepräsentation in der Verwaltung, jedoch wurde ebenso die Beteiligung von Hazara an nationalen Institutionen festgestellt, sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Fortschritte. Diskriminierende Maßnahmen gegen alle Angehörigen der Volksgruppe der Hazara im Sinne einer „Verfolgung“ nach der oben zitierten Rechtsprechung sind damit nicht ersichtlich. Eine individuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers wurde dagegen nicht konkret vorgebracht.

Auch der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an (jüngst etwa VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0400). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ging zuletzt davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara – unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit – nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Im Übrigen geht auch EASO im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam nicht von einer Gruppenverfolgung aus, sondern stellt auf individuelle Elemente des Betroffenen ab, nämlich etwa die Herkunftsregion insbesondere im Hinblick auf die dortige Präsenz des ISKP, die Teilnahme an religiösen Praktiken, sowie politischer Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87). Auch im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara stellt EASO auf individuelle Merkmal ab, nämlich ebenso die Herkunftsregion, das Arbeitsgebiet, den Beruf und politischen Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 86). Auch nach den UNHCR-Richtlinien ist im Hinblick auf eine Verfolgung religiöser Minderheiten bzw. im Hinblick auf die ethnische Zugehörigkeit auf die jeweiligen Umstände des Falles abzustellen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe d) Zusammenfassung, S. 73 und Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe e) Zusammenfassung, S. 110). Eine Gruppenverfolgung schiitischer Hazara wird von den UNHCR-Richtlinien demnach ebenso nicht bestätigt.

Individuelle Aspekte wurden jedoch nicht konkret dargetan und waren auch nicht ersichtlich. Dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit im Fall der Rückkehr Verfolgung droht, wurde damit nicht glaubhaft gemacht.

3.1.2.  Zur behaupteten Gefahr der Zwangsrekrutierung

Der Verwaltungsgerichtshof differenziert in ständiger Judikatur zwischen der per se nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei von der Verfolgung, die an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist daher, mit welcher Reaktion durch die Milizen aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, gerechten werden muss und ob in ihrem Verhalten eine (unterstellte) politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN).

Soweit der Beschwerdeführer widerholt anführt, er sei einer Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt, ist zunächst anzumerken, dass das Vorbringen eines Asylwerbers nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entferne Möglichkeit von Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

Der Beschwerdeführer macht jedoch keinerlei konkrete Angaben zu einer Zwangsrekrutierungsgefahr.

Weiter ist den UNHCR-Richtlinien im Zusammenhang mit dem Profil der „Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung“ der Bedarf an internationalem Schutz nach den jeweiligen Umständen des Falles zu beurteilen und geht UNHCR in diesem Zusammenhang nicht von einer Gruppenverfolgung aus (UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, Buchstabe c) Zusammenfassung, S. 62). Ebenso ist nach der EASO Country Guidance nicht für alle jungen Männer im wehrfähigen Alter von einer Verfolgungsgefahr auszugehen, auch EASO zufolge ist auf die individuellen Umstände des Antragsstellers abzustellen, nämlich Alter, militärischer Hintergrund, Herkunftsregion und Präsenz aufständischer Gruppierungen, erhöhte Konfliktintensität, Position des Stammes im Konflikt und die sozio-ökonomische Situation der Familie (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.6 Persons fearing forced recruitment by armed groups, S. 64). Eine Gruppenverfolgung ist demnach nicht anzunehmen. Weiter mangelt es den Taliban nicht an freiwilligen Kämpfern und greifen sie lediglich in Ausnahmefällen auf Zwangsrekrutierung zurück. Dafür, dass dies ausgerechnet den Beschwerdeführer treffen könnte, sind jedoch Anhaltpunkte nicht ersichtlich. So gehört der Beschwerdeführer als schiitischer Hazara bereits nicht der Personengruppe der typischerweise von den Taliban rekrutierten arbeitslosen männlichen Paschtunen aus ländlichen Gemeinschaften, die in einer Madrassa ausgebildet wurden, an. Weiter sind am Beschwerdeführer keine spezifischen, für die Taliban besonders interessante Kenntnisse oder Fähigkeiten ersichtlich. Dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Zwangsrekrutierung betroffen wäre, ist damit nicht ersichtlich.

3.1.3.  Zur Verwestlichung bzw. Rückkehr aus dem westlichen Ausland

Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde im Wesentlichen vor, Rückkehrer aus westlichen Ländern würden verfolgt, der Beschwerdeführer habe einen modernen und freizügigen Lebensstil verinnerlicht, ihm würde Ungläubigkeit unterstellt und gab im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.02.2021 an, er habe sich an die Kultur in Österreich so sehr gewöhnt, dass er in Afghanistan nicht mehr zurechtkomme. Er könne sich an ein Leben dort nicht mehr anpassen (OZ 15, S. 4).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können zudem Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0459). Weiter hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu führt, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte. Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen westlicher Orientierung wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0303).

Im Hinblick auf die „Lebensweise“ des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass dieser im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung relevante Aspekte nicht vorbringt. Insbesondere konkretisiert der Beschwerdeführer keinen Aspekt seiner Lebensweise, der im Fall einer Rückkehr nicht aufrechterhalten werden kann und Teil seiner Identität geworden wäre. Weiter wurde auch ein Bruch mit in Afghanistan an Männer gestellten Rollenerwartungen, der eine Inanspruchnahme von Grundrechten entspräche – etwa der Wunsch nach Berufstätigkeit, Bewegungsfreiheit, Teilnahme am öffentlichen Leben – nicht behauptet. Der Beschwerdeführer beschränkt sich viel mehr auf die allgemeine Behauptung einer Verfolgungssituation, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar ist (Vgl. VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

Weiter ist nicht ersichtlich, dass mit der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erforderlichen Regelmäßigkeit Maßnahmen gezielt gegen Dritte gerichtet werden (VwGH 03.08.2020, Ra 2020/20/0034), die die Eigenschaft einer Rückkehr nach längerem Aufenthalt im westlichen Ausland mit dem Beschwerdeführer teilen. Die Annahme einer Gruppenverfolgung (Vgl. VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0450) erscheint damit nicht gerechtfertigt. Auch EASO geht i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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