TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/11 I403 2242230-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.05.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.05.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2242230-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Italien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.03.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Über den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen Italiens, wurde am 30.06.2020 wegen des Verdachts des Suchtgifthandels Untersuchungshaft verhängt.

Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 08.07.2020 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass die Erlassung eines gegen ihn gerichteten Aufenthaltsverbotes geprüft werde und ihm die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von vierzehn Tagen eine schriftliche Stellungnahme hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse abzugeben. Am 24.07.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, wonach er am 08.01.2014 in das Bundesgebiet eingereist sei, um hier zu arbeiten. Bis zu seiner Inhaftierung habe er als Koch gearbeitet. Seine Lebensgefährtin und seine Freunde würden sich im Bundesgebiet befinden.

Am 19.01.2021 wurde der Beschwerdeführer unter Heranziehung einer Dolmetscherin für die italienische Sprache durch die belangte Behörde einvernommen. Der Beschwerdeführer gab an, am 08.01.2014 nach Österreich gekommen zu sein, um hier als Koch zu arbeiten. Er fahre zwei- bis dreimal im Jahr nach Italien zu seiner Familie, zu der er eine enge Beziehung habe. Seine Mutter besitze ein großes Haus, in dem sie lebe und zwei Garconnieren vermiete. In Italien habe er auch noch seine besten Freunde, doch habe er dort keine Zukunft und könne er sich höchstens vorstellen in Bozen zu leben. Er habe einen Deutschkurs B1 besucht. Er habe immer gearbeitet und führe seit zwei Jahren eine Beziehung mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX , ein gemeinsamer Wohnsitz bestehe aber nicht.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 10.12.2020, Zl. XXXX wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 23.02.2021, Zl. XXXX wurde auf Antrag des Beschwerdeführers der Vollzug der über ihn verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 SMG für die Dauer von einem Jahr bis 24.02.2022 aufgeschoben.

Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 29.03.2021 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub bis zum 25.02.2022 erteilt (Spruchpunkt II.). Die Behörde erklärte, dass vom Beschwerdeführer, dem aufgrund seines mehr als fünfjährigen Aufenthaltes ein Daueraufenthaltsrecht zukomme, eine Gefährdung ausgehe, weil gerade bei Suchtgiftdelinquenz eine hohe Wiederholungsgefahr vorliege. Aufgrund des Strafaufschubes werde ein Durchsetzungsaufschub bis zum Ende der Maßnahmen gewährt; falls der Strafaufschub widerrufen werde, werde ein Widerruf des Durchsetzungsaufschubes durch die belangte Behörde geprüft werden.

Mit Schriftsatz vom 30.04.2021 wurde gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bis auf wenige Unterbrechungen durchgehend in der Gastronomie angestellt gewesen sei und davon auszugehen sei, dass er auch zeitnah wieder eine Beschäftigung finde. Er sei entschlossen, seine Drogenprobleme, die ursächlich für seine Straftaten gewesen seien, in den Griff zu bekommen. Bereits durch den Strafaufschub sei eine positive Zukunftsprognose indiziert. Eine mündliche Verhandlung wurde beantragt, die Ladung der Freundin des Beschwerdeführers als Zeugin angeboten. Der Beschwerdeführer verfüge über ein soziales Netzwerk in Österreich und spreche gut Deutsch. Zudem wurde beantragt, den Bescheid zu beheben, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes herabzusetzen bzw. in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde zurückzuverweisen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 06.05.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Italiens und somit EWR-Bürger. Er ist gesund und erwerbsfähig. Er spricht gut Deutsch und verfügt in Österreich über ein soziales Netzwerk, doch keine Verwandten. Seine Eltern, seine Schwester und weitere Verwandte leben in Italien, sein Bruder studiert in Portugal.

Der Beschwerdeführer ist seit 28.01.2014 mit einem Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Er kam nach Österreich, um in der Gastronomie zu arbeiten, und verfügt seit 03.03.2017 über eine Anmeldebescheinigung. Der Beschwerdeführer hat ein Daueraufenthaltsrecht erworben.

Er war von 04.02.2014 bis 09.02.2015 und vom 21.03.2015 bis 30.04.2016 als geringfügig Beschäftigter bei der XXXX GmbH angestellt, danach bzw. daneben bezog er von 10.03.2015 bis 03.04.2016 Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Von 04.04.2016 bis 09.12.2019 war er bei der XXXX GmbH beschäftigt, danach bis 19.03.2020 bei der XXXX GmbH&Co KG. Von 27.03.2020 bis 29.06.2020 bezog er Arbeitslosengeld, dann wiederum nach seiner Entlassung aus der Haft ab 26.02.2021. Seit 04.05.2021 ist der Beschwerdeführer wieder in der Gastronomie beschäftigt, konkret bei XXXX GmbH.

Gemeinsam mit anderen Mittätern verkaufte der Beschwerdeführer von Oktober 2019 bis zum 30.06.2020 im Großraum XXXX als Mitglied einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift, in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit zumindest einem anderen Mitglied der kriminellen Vereinigung anderen im Zuge größtenteils gewinnbringender Verkaufshandlungen. Konkret gab der Beschwerdeführer 40 g Kokain (24 g reines Cocain bzw. 1,6 Grenzmengen) und 170 g Cannabis (3,4 g Delta-9-THC und 8,5g THCA bzw. für sich 0,38Grenzmengen), sohin insgesamt 1,98 Grenzmengen an verschiedene Abnehmer weiter, wobei er selbst an Suchtmittel gewöhnt war und die Straftaten vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen.

Am 30.06.2020 wurde der Beschwerdeführer festgenommen und in der Folge Untersuchungshaft über ihn verhängt. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 10.12.2020, Zl. XXXX wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. 5.000 Euro wurden für verfallen erklärt. Erschwerend wurden der lange Tatzeitraum, mildernd die geständige Verantwortung vor allem im Rahmen der polizeilichen Aussage, der Umstand, dass die Tat mit seinem bisherigen Lebenswandel in auffallendem Widerspruch steht und der Umstand, dass Suchtgift sichergestellt worden war, gewertet. Aufgrund der hohen kriminellen Energie, die den Taten des Beschwerdeführers und der Mitangeklagten innewohnt, und dem hohen sozialen Störwert, sohin auch aus generalpräventiven Erwägungen, kam eine bedingte bzw. teilbedingte Strafnachsicht für das Strafgericht nicht in Betracht.

Bereits in der Hauptverhandlung am 09.12.2020 hatte sich der Beschwerdeführer bereit erklärt, sich gesundheitsbezogenen Maßnahmen im Rahmen einer Therapie zu unterziehen. Sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft verzichteten in der Folge auf Rechtsmittel, sodass der Beschwerdeführer sich ab 16.12.2020 in Strafhaft befand. Der Beschwerdeführer stellte einen Antrag auf ein Vorgehen nach § 39 SMG. Ein Sachverständiger erstattete am 13.02.2021 ein psychiatrisches Gutachten, wonach beim Beschwerdeführer eine Cannabisabhängigkeit vorläge. Es handle sich bei ihm um eine Person, der der Gebrauch von Cannabis so sehr zum Bedürfnis geworden sei, dass er diesen Konsum nicht oder nur mit äußerster Anstrengung seiner Willenskraft unterlassen könne. Es handle sich bei ihm um eine an Suchtmittel gewöhnte Person. Ziel einer Behandlung sei es, die Motivation für eine längerfristige Abstinenz gegenüber illegalen Drogen zu fördern und aufrecht zu erhalten. Weiters sei es auch Ziel dieser Behandlungsform, rasch bei auftretenden Krisen und bei Cravingverhalten supportiv einschreiten zu können. Die Maßnahmen seien zumutbar und nicht von vornherein aussichtslos.

Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 23.02.2021, Zl. XXXX wurde auf Antrag des Beschwerdeführers der Vollzug der über ihn verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 SMG für die Dauer von einem Jahr bis 24.02.2022 aufgeschoben.

Gemäß § 39 Abs 2 erster Satz SMG wurden die gesundheitsbezogenen Maßnahmen wie folgt bestimmt:

a)       Durchführung einer ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustandes durch einen in Suchtmittelfragen erfahrenen Arzt einschließlich der Durchführung von Harnuntersuchungen auf THC und Kokain (in den ersten 3 Monaten alle 3 Wochen, anschließend alle 5 Wochen), wobei diese Harnuntersuchungen in einem dafür geeigneten Labor analysiert werden sollen und von Streifentests Abstand zu nehmen ist

b)       gleichzeitige Durchführung einer klinisch-psychologischen Beratung und Behandlung bei einer geeigneten Einrichtung

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister (aus welchem sich ergibt, dass der Beschwerdeführer seit 03.03.20217 über eine Anmeldebescheinigung verfügt), dem zentralen Melderegister (woraus sich die Hauptwohnsitzmeldung ergibt) und dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger (aus welchem sich die angemeldeten Erwerbstätigkeiten des Beschwerdeführers und der Bezug von Arbeitslosengeld ergeben) eingeholt.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen, seinem Gesundheitszustand, seinen Deutschkenntnissen und seiner Erwerbsfähigkeit ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren sowie dem Umstand, dass den insoweit im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen in der Beschwerde auch nicht entgegengetreten wurde.

Die Feststellungen hinsichtlich den seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlungen, den Erwägungen des Strafgerichts zur Strafbemessung sowie des dem Beschwerdeführer per Beschluss gewährten Strafausschubes ergeben sich aus der im Akt enthaltenen Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX bzw. dem entsprechenden Beschluss zum Strafaufschub. Im Urteil, das sich gegen sieben Täter der kriminellen Vereinigung richtet, wurde insgesamt ein Tatzeitraum von Anfang 2019 bis zum 30.06.2020 festgelegt. Hinsichtlich des Beschwerdeführers wurde kein exakter Tatzeitraum festgelegt, aus dem Urteil ergibt sich aber, dass er selbst im Rahmen seiner polizeilichen Aussage angegeben hatte, ab Oktober 2019 Kokain verkauft zu haben.

Dass der Beschwerdeführer das Daueraufenthaltsrecht erworben hat, ergibt sich aus dem Umstand, dass er von Jänner 2014 bis Jänner 2019, somit fünf Jahre, rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig war (unabhängig davon, dass sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht ab Oktober 2019 aufgrund des von ihm betriebenen Suchtgifthandels nicht mehr bestand).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.Rechtslage:

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I. Nr. 87/2012).“

§ 67 FPG setzt Art. 28 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl. § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) um. Diese mit "Schutz vor Ausweisung" betitelte Bestimmung lautet:

„(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.

(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie

a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder

b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Nach dem 24. Erwägungsgrund der Freizügigkeitsrichtlinie soll der Schutz vor Ausweisung in dem Maße zunehmen, wie Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaat stärker integriert sind.

Bei Unionsbürgern, die nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG und Art. 16 Freizügigkeitsrichtlinie erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen (vgl. VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057). Ein Aufenthaltsverbot gegen Personen, denen das Recht auf Daueraufenthalt zukommt, setzt demnach voraus, dass ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse (vgl. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

3.2. Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall:

Ein Aufenthaltsverbot kann nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG gegen einen Unionsbürger, der sich unter potentieller Inanspruchnahme seines unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechtes in Österreich aufhält oder aufgehalten hat (vgl. dazu VwGH 19.9.2019, Ro 2019/21/0011, Rn. 9), erlassen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Des Weiteren ist es ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass hinsichtlich Unionsbürgern, die - gemäß § 53a Abs. 1 NAG nach einem fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet - das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) entspricht, heranzuziehen ist (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205, Rn. 13, mit dem Hinweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181, Punkt 3. der Entscheidungsgründe; an dieses Erkenntnis anknüpfend etwa VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135, und VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066, Rn. 17, mwN). Bei Unionsbürgern mit einem Daueraufenthaltsrecht setzt eine Aufenthaltsbeendigung voraus, dass der (weitere) Aufenthalt des Unionsbürgers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG, jedoch unter jenem nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG. Hält sich der Unionsbürger nämlich bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes schon zehn Jahre rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich auf, so verlangt die zuletzt genannte Bestimmung für die Zulässigkeit dieser Maßnahme, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden könne, die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich werde durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet. Dieser Maßstab entspricht jenem des Art. 28 Abs. 3 lit a der Freizügigkeitsrichtlinie (VwGH 26.11.2020, Ro 2020/21/0013).

Mangels eines zehnjährigen kontinuierlichen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im vorliegenden Beschwerdefall jedenfalls nicht maßgeblich.

Die belangte Behörde ging allerdings zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines mehr als fünfjährigen Aufenthalts gemäß § 53 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) das Recht auf Daueraufenthalt erworben habe und somit gegenständlich der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") zur Anwendung gelange.

Das angesprochene Recht auf Daueraufenthalt erwerben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht gemäß § 51 NAG zukommt, gemäß § 53a Abs. 1 NAG - unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 51 NAG - nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet, wobei gemäß Abs. 2 Z 1 die Kontinuität dieses Aufenthalts durch Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Die belangte Behörde stützte das gegenständlich angefochtene Aufenthaltsverbot auf das strafrechtswidrige Fehlverhalten des Beschwerdeführers, welches seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde lag. Er hatte als Mitglied einer kriminellen Vereinigung Kokain und Cannabis an verschiedene Abnehmer verkauft, wobei er selbst an Suchtmittel gewöhnt war und die Straftaten vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Er wurde wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Erschwerend wurden der lange Tatzeitraum, mildernd die geständige Verantwortung vor allem im Rahmen der polizeilichen Aussage, der Umstand, dass die Tat mit seinem bisherigen Lebenswandel in auffallendem Widerspruch steht und der Umstand, dass Suchtgift sichergestellt worden ist, gewertet. Aufgrund der hohen kriminellen Energie, die den Taten innewohnt, und dem hohen sozialen Störwert, sohin auch aus generalpräventiven Erwägungen, kam eine auch nur teilbedingte Strafnachsicht für das Strafgericht nicht in Betracht. Allerdings wurde der Vollzug der über ihn verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 SMG für die Dauer von einem Jahr bis 24.02.2022 aufgeschoben. Dem Beschwerdeführer wurde aufgetragen, seinen Gesundheitszustand ärztlich überprüfen und seinen Harn auf THC und Kokain (in den ersten 3 Monaten alle 3 Wochen, anschließend alle 5 Wochen) untersuchen zu lassen und gleichzeitig eine klinisch-psychologische Beratung und Behandlung bei einer geeigneten Einrichtung vorzunehmen. Laut psychiatrischen Sachverständigengutachten seien die Maßnahmen „nicht von vornherein aussichtslos“.

Gemäß § 39 Abs. 1 SMG ist unter bestimmten, dort näher genannten Voraussetzungen ein von der Durchführung gesundheitsbezogener Maßnahmen abhängiger Aufschub des Strafvollzuges für die Dauer von höchstens zwei Jahren zu gewähren. Der Aufschub ist nach § 39 Abs. 4 SMG zu widerrufen und die Strafe zu vollziehen, wenn der Verurteilte sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme, zu der er sich bereit erklärt hatte, nicht unterzieht oder es unterlässt, sich ihr weiterhin zu unterziehen, oder wegen bestimmter Straftaten neuerlich verurteilt wird; außer der Vollzug der Freiheitsstrafe erschiene zur Verhinderung weiterer Straftaten nicht geboten.

Ist der Aufschub nicht nach § 39 Abs. 4 SMG zu widerrufen oder hat sich ein an ein Suchtmittel gewöhnter Verurteilter sonst mit Erfolg einer gesundheitsbezogenen Maßnahme unterzogen, so hat das Gericht gemäß § 40 Abs. 1 SMG die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen. Bei einer erfolgreichen Therapie ist die verhängte Freiheitsstrafe bzw. deren Rest daher nach Ablauf der Frist, für die der Aufschub gewährt wurde, nicht zu vollziehen, sondern bedingt nachzusehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH, 10.09.2018, Ra 2018/19/0169; 23.02.2016, Ra 2015/01/0249). Auch der EGMR vertritt die Auffassung, dass „angesichts der verheerenden Auswirkungen der Suchtgiftkriminalität die Staaten berechtigt sind, insofern besonders rigoros vorzugehen“ (vgl. EGMR Salem v Denmark, 01.12.2016, 77036/11).

Entsprechend stellte die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr fest: „Es besteht daher der begründete Verdacht, dass Sie im Falle eines weiteren Aufenthaltes in Österreich bzw. nach Ihrer Entlassung aus der Strafhaft erneut rechtswidrige Handlungen setzen werden, zumal Sie sich erst seit dem 23.02.2021 auf freiem Fuß befinden und ein Erfolg der gerichtlich angeordneten Therapie und das Ausschließen eines Rückfalles in Ihr altes suchtgeprägtes Leben derzeit überhaupt nicht absehbar ist. Ein markanter Zeitraum, in welchem Sie sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wohlverhalten haben und nicht straffällig wurden, konnte von der Behörde nicht festgestellt werden.“ (Bescheid S 20) und folgerte, dass sich die Erfüllung des Gefährdungsmaßstabs des § 66 Abs. 1 fünfter Satz FPG aus der hohen Sozialschädlichkeit des strafbaren Verhaltens, nämlich dem Handel mit Suchtgift über einen längeren Zeitraum, ergebe.

Ebenso sind nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes strafgerichtliche Milderungs- und Erschwerungsgründe im Rahmen einer Entscheidung bezüglich der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zu berücksichtigen (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/21/0305). Als mildernd wurden seitens des Strafgerichts die geständige Verantwortung vor allem im Rahmen der polizeilichen Aussage, der Umstand, dass die Tat mit seinem bisherigen Lebenswandel in auffallendem Widerspruch steht und der Umstand, dass Suchtgift sichergestellt worden ist, gewertet, erschwerend dagegen der lange Tatzeitraum.

Generell hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur zum Ausdruck gebracht, dass auch aus einem einmaligen Fehlverhalten - entsprechende Gravidität vorausgesetzt - eine maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden könne und dass im Hinblick darauf die Verhängung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, auch gegen langjährig rechtmäßig in Österreich aufhältige Fremde, gegebenenfalls nicht zu beanstanden sei (vgl. jüngst auch VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0305, betreffend einen nur einmal, zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren mit einem unbedingten Teil von einem Jahr strafgerichtlich verurteilten Drittstaatsangehörigen).

So war nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes in einem anderen Fall durch die Verübung des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und fünfter Fall sowie Abs. 2 Z 3 SMG (Einfuhr und Überlassen von Suchtgift jeweils in einer großen Menge über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren), was zur Verhängung einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren führte, wobei wegen Wiederbetätigung noch eine Zusatzstrafe von sechs Monaten verhängt wurde, der Art und Schwere der Straftat nach auch der erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 fünfter Satz FPG erfüllt (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0262). Im gegenständlichen Fall sind die Umstände dagegen etwas anders geartet: Der Tatzeitraum war kürzer, zudem wurde eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten (anstelle von zweieinhalb Jahren) verhängt und wurde außerdem ein Strafaufschub gewährt, so dass bei erfolgreicher Absolvierung der gesundheitlichen Maßnahmen eine Umwandlung in eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe möglich ist. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt keineswegs die hohe Sozialschädlichkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers, sieht aber angesichts der vorhergehenden Unbescholtenheit und der gegenwärtigen Begleitung durch psychosoziale Maßnahmen sowie durch den Umstand, dass es dem Beschwerdeführer nach Erlassung des Bescheides wieder möglich war, eine Anstellung zu finden, zwar die Schwelle des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr“), nicht aber jene des § 66 Abs. 1 fünfter Satz FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") erreicht. Aufgrund des Erwerbs des Daueraufenthalts durch den Beschwerdeführer ist letztere im gegenständlichen Fall anzuwenden.

Das seitens der belangten Behörde verhängte Aufenthaltsverbot in der Dauer von sechs Jahren ist daher gegenständlich aufgrund des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechtes unzulässig. Sollte der Beschwerdeführer gegen die ihm vom Strafgericht auferlegten gesundheitlichen Maßnahmen verstoßen und der Strafaufschub widerrufen und die Freiheitsstrafe vollzogen werden, könnte die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes neuerlich zu prüfen sein.

Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid war daher stattzugeben.

4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG erfassten Verfahren - wie es auch das vorliegende ist - enthält § 21 Abs. 7 BFA-VG eigene Regelungen, wann - auch: trotz Vorliegens eines Antrages - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann. Lediglich „im Übrigen“ sollen die Regelungen des § 24 VwGVG anwendbar bleiben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 08.03.2021, Ra 2020/14/0457).

Diese Kriterien treffen im gegenständlichen Fall zu:

?        Der Sachverhalt wurde durch die belangte Behörde vollständig erhoben. Die belangte Behörde gewährte dem Beschwerdeführer zunächst die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme, ehe sie ihn am 19.01.2021 niederschriftlich einvernahm.

?        Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen. Die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung werden vom Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen geteilt. Anders als die belangte Behörde geht das Bundesverwaltungsgericht allerdings davon aus, dass aufgrund der besonderen Umstände des Falles (insbesondere des unbestrittenen Strafaufschubes) die Schwelle des § 66 Abs. 1 fünfter Satz FPG nicht erreicht ist.

?        In der Beschwerde wurde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüberhinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet. In der Beschwerde wurde daher nichts vorgebracht, was eine Erörterung in einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätte.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt ist, zumal der Beschwerde stattgegeben wird. Von Seiten der belangten Behörde wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Angemessenheit Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung Daueraufenthalt EU (int. Schutzberechtigte) Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Integration Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Verbrechen Verhältnismäßigkeit Wiederholungsgefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2242230.1.00

Im RIS seit

16.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten