TE Bvwg Beschluss 2021/5/18 I414 2144513-2

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Veröffentlicht am 18.05.2021
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Entscheidungsdatum

18.05.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I414 2144513-2/5E

BESCHLUSS

In dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2021, Zl. XXXX , erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. am XXXX , StA. TUNESIEN, hat das Bundesverwaltungsgericht durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter beschlossen.

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 sowie § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Der Fremde reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.05.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am 30.05.2014 gab er an, dass er Tunesien im Jahr 2012 verlassen habe. Er habe ein Jahr in Italien verbracht und sei in der Folge in die Schweiz gereist. In der Schweiz habe er einen Asylantrag gestellt, anschließend sei er zurück nach Tunesien und mit dem Flugzeug über Italien nach Österreich gereist.

Als Fluchtgrund gab er an, dass er Tunesien 2012 verlassen habe, weil er gezwungen worden wäre sich einer islamistischen Gruppe anzuschließen. Sollte er sich dieser Aufforderung entziehen, werde er umgebracht.

In der niederschriftlichen Einvernahme am 14.11.2016 brachte er zusammengefasst vor, dass sein Onkel väterlicherseits sehr religiös sei. Dieser habe versucht seine Familie zu bewegen sich dieser Gruppierung anzuschließen. Seine Familie und er hätten sich jedoch geweigert. Er sei 2012 aus Tunesien ausgereist, jedoch auf Ratschlag seiner Mutter sei er jedoch 2013 nach Tunesien zurückgekehrt. Er sei von den Extremisten geschlagen worden und aufgefordert worden einen Anteil seines Gehaltes an diese Gruppierung abzugeben, daher habe er neuerlich seinen Herkunftsstaat verlassen. Ferner sei er auch aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist. Seine in Tunesien lebende Familie habe mit den Extremisten keine Probleme, da diese die Lebensweise seiner Familie akzeptieren würden. Darüber hinaus sei er nur mehr am Papier Moslem und mochte zum Christentum konvertieren.

Der Fremde stellte am 05.03.2013 in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesbezüglich wurde mit der Schweiz ein Konsultationsverfahren eingeleitet. Das Schweizer Bundesamt für Migration teilte den österreichischen Behörden mit, dass der Fremde den Asylantrag am 05.04.2013 zurückgezogen habe und freiwillig in Anspruchnahme der Rückkehrhilfe nach Tunesien zurückgekehrt sei, daher sei das Konsultationsverfahren eingestellt worden.

Während des laufenden Asylverfahrens in Österreich, reiste der Fremde in das deutsche Bundesgebiet ein und stellte in Deutschland am 06.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Folge wurde mit den deutschen Behörden ein Konsultationsverfahren eingeleitet. Am 04.11.2015 erklärte sich Österreich dazu bereit, das Asylverfahren in Österreich fortzuführen. In der Folge wurde der Fremde am 26.09.2016 nach Österreich überstellt.

Mit Bescheid vom 06.12.2016, Zahl: XXXX , wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers vom 30.05.2014 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß „§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr.100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien (Spruchpunkt II) als unbegründet ab; zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß „§ 57 AsylG“ nicht erteilt. Gemäß „§ 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ wurde gegen den Fremden eine Rückkehrentscheidung gemäß „§ 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen. Weiters wurde gemäß „§ 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß „§ 46 FPG“ nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt III). Gleichzeitig wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß „§ 18 Absatz 1 Ziffer 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2912 (BFA-VG) idgF“ die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV). Die Zustellung erfolgte laut unterfertigter Übernahmebestätigung am 07.12.2016.

Gegen diesen Bescheid erhob der Fremde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.02.2017, Zl. I410 2144513-1/7E, wurde die Beschwerde rechtskräftig als unzulässig zurückgewiesen.

Am 18.12.2017 heiratete der Fremde eine serbische Staatsangehörige.

Der Fremde stellte am 06.06.2018 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag mit Bescheid vom 10.12.2019, Zl. XXXX , rechtskräftig zurückgewiesen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2019, Zl. XXXX , wurde gegen den Fremden eine aufenthaltsbeendende Maßnahme getroffen. Zugleich wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Diese Entscheidung erwuchs am 03.05.2019 in Rechtskraft.

Am 05.12.2020 wurde der Fremde einer Personenkontrolle unterzogen und wies sich mit einer gefälschten bulgarischen Identitätskarte aus.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2020, Zl. XXXX , wurde über den Fremden die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Am 06.12.2020 gab der Fremde im Rahmen einer polizeilichen Einvernahme an, dass er in Österreich keinen Asylantrag stellen wolle.

Gegen diesen Bescheid erhob der Fremde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit mündlich verkündeten Erkenntnis vom 20.01.2021, Zl. G308 2238702-1/14E, wurde die Beschwerde abgewiesen und gleichzeitig festgestellt, dass für die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.

Mit mündlich verkündeten Erkenntnis vom 22.02.2021, Zl. G302 2238702-2/12E, wurde die Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft seit 20.01.2021 abgewiesen und gleichzeitig festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.

Der Fremde stellte am 15.04.2021 im Stande der Schubhaft gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tag, gab er zusammengefasst an, dass sein Leben in Tunesien in Gefahr sei. Er sei vor dreizehn Jahren aus Tunesien ausgereist, In Tunesien habe er zwei Schüler kennengelernt, welche ihn zum Beten mitgenommen hätten. Daraufhin habe er sich einer salafistischen Gruppierung angeschlossen, weil er Angst vor Verfolgung gehabt hätte. Er sei von dieser Gruppierung unter Druck gesetzt worden. Die Gruppierung hätte von ihm verlangt an einem Kampftraining entweder in Libyen oder in Syrien teilzunehmen. Deshalb sei er aus Tunesien ausgereist. Befragt seit wann ihm diese Fluchtgründe bekannt seien, gab er an, dass er dies seit 05.12.2020 wisse. Anhand der Nachrichten könne er mitverfolgen, dass die al-Kaida von einer tunesischen Partei unterstützt werde und dies für ihn ein Nachteil sei und er seitens der tunesischen Regierung mit keiner Unterstützung rechnen könne.

Am 29.04.2021 wurde der Fremde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme gab er zusammenfassend an, dass er gesund sei und keine Medikamente zu sich nehme. Er habe bisher die Wahrheit angegeben und außer seiner Ehegattin habe er keine Familienangehörigen in Österreich. Er habe zwischen 2017 bis 2019 mit seiner Ehegattin in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, zuletzt habe er in der letzten Woche mit ihr Kontakt gehabt. Er sei aus Tunesien vor 13 Jahren ausgereist, um in Freiheit zu leben. Er sei auf der Suche nach Arbeit und könne ohne seine Frau nicht mehr leben. Des Weiteren brachte er vor, dass er im Jahr 2014 zum christlichen Glauben konvertiert sei und dies sei in Tunesien ein Problem. Er sei schon 2012 aus dem Islam ausgetreten. Über den christlichen Glauben könne er nicht viel erzählen, da er keinen Unterricht erhalten hätte, er wisse jedoch, dass es Feiertage gäbe und die Leute beten würden; er sei jedoch noch nicht getauft. Ende 2014 sei er von Österreich aus nach Deutschland gereist, weil er Probleme mit einem Tunesier in der Unterkunft gehabt habe; er habe ca. eineinhalb Jahre in Deutschland verbracht. Befragt danach, weshalb er erst im Mai 2021 den gegenständlichen Folgeantrag stellte, gleichwohl ihm seine neuen Gründe Anfang Dezember bekannt gewesen seien, brachte er vor, dass er gehofft habe einen Aufenthaltstitel zu erhalten und er nicht gewusst hätte einen Folgeantrag stellen zu können.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 06.05.2021, Zl. XXXX , wurde der Fremde wegen die Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Am 11.05.2021 wurde der Fremde neuerlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zusammengefasst an, dass die en-Nada Partei den Terrorismus in Tunesien fördern würde und er von diesen Mitgliedern der Partei gesucht werden würde. Die Mitglieder dieser Partei hätten in Erfahrung gebracht, dass er in seinem gegenständlichen Asylantrag sich auf diese Partei bezogen hätte.

Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2021 wurde der faktische Abschiebeschutz des Fremden aufgehoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

Der volljährige Fremde ist ein Staatsangehöriger von Tunesien.

Der Fremde leidet weder an einer schweren Krankheit noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig und ist daher auch arbeitsfähig.

Der Fremde reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.05.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2016 wurde der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien abgewiesen. Zugleich erteile sie dem Fremden keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Fremden eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig ist. Gleichzeitig wurde einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.02.2017 rechtskräftig als unzulässig zurückgewiesen.

Der Fremde stellte zuvor am 05.03.2012 in der Schweiz einen Asylantrag, welchen er am 05.04.2013 zurückgezogen hat; er ist anschließend freiwillig nach Tunesien zurückgekehrt.

Während des laufenden Asylverfahrens in Österreich, reiste der Fremde in das deutsche Bundesgebiet ein und stellte in Deutschland am 06.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Fremde wurde am 26.09.2016 nach Österreich rücküberstellt.

Am 18.12.2017 heiratete der Fremde eine serbische Staatsangehörige. Eine besondere intensive Beziehung oder Abhängigkeit zur Ehegattin kann nicht festgestellt werden.

Der Fremde stellte am 06.06.2018 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag mit Bescheid vom 10.12.2019, Zl. XXXX , rechtskräftig zurückgewiesen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2019, Zl. XXXX , wurde gegen den Fremden eine aufenthaltsbeendende Maßnahme getroffen. Zugleich wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Diese Entscheidung erwuchs am 03.05.2019 in Rechtskraft.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2020, Zl. XXXX , wurde über den Fremden die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit mündlich verkündeten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.01.2021 abgewiesen und festgestellt, dass für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Mit mündlich verkündeten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.02.2021 wurde die Beschwerde gegen die andauernde Anhaltung in Schubhaft seit dem 20.01.2021 abgewiesen und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 06.05.2021, Zl. XXXX , wurde der Fremde wegen die Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Der Fremde stellte am 15.04.2021 im Stande der Schubhaft gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Der Fremde befand sich zwischen 06.12.2020 bis zum 15.04.2021 in Schubhaft. Derzeit befindet sich der Fremde in einer staatlichen Unterkunft.

Der Fremde ist nicht bereit, freiwillig in seinen Herkunftsstaat auszureisen.

Die maßgebliche Lage in Tunesien hat sich seit rechtskräftig beendetem Vorverfahren nicht entscheidungswesentlich für den Fremden geändert.

Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz des Fremden wird voraussichtlich abzuweisen sein.

Zum Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Tunesien mit Stand 19.03.2021 zitiert. Im Verfahren sind keine Änderungen dieser entscheidenden Sachverhaltselemente bekannt geworden. Im gegebenen Zusammenhang sind daher mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

Tunesien ist ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne der Herkunftsstaaten-Verordnung.

COVID-19

Letzte Änderung: 19.03.2021

Aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19), kommt es zu Einschränkungen im Flug- und Reiseverkehr und es ist mit weitgehenden Einschränkungen im öffentlichen Leben zu rechnen (BMEIA 10.3.2021; vgl. AA 10.3.2021). Es gilt eine landesweite Ausgangssperre von 22:00 bis 05:00 Uhr, und generell gilt die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes sowie eine Distanzpflicht im öffentlichen Raum (BMEIA 10.3.2021). Nach einem starken Anstieg der Infektionszahlen seit Herbst 2020 ist zuletzt eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen. Tunesien wird als Risikogebiet eingestuft. Regionale Schwerpunkte sind der Großraum Tunis sowie Gabès. Aktuelle und detaillierte Zahlen bieten das tunesische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation (AA 10.3.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.3.2021): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 10.3.2021

?        BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (10.3.2021): Reiseinformationen Tunesien, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 10.3.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 19.03.2021

Tunesien ist gemäß der Verfassung von 2014 ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Die erste Phase nach der Flucht des Präsidenten Ben Ali am 14.1.2011 prägten Übergangsregierungen, unterstützt von der "Hohen Instanz zur Verwirklichung der Ziele der Revolution" als Ersatzparlament. Die Verfassung betont den zivilen und rechtsstaatlichen Charakter des Regierungssystems. Sie sieht ein gemischtes Regierungssystem vor, in dem sowohl der Präsident als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Der Premierminister bestimmt die Richtlinien der Politik - mit Ausnahme der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in die Zuständigkeit des Staatspräsidenten fallen (ÖB 1.10.2020; vgl. AA 19.2.2021). Die Verfassung garantiert durch eine stärkere Gewaltenteilung und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs eine bessere Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Außerdem wurde die Gleichstellung von Frauen festgeschrieben. Bezüglich der Rolle der Religion einigten sich die Abgeordneten auf einen zwiespältigen Text, der sowohl den zivilen Charakter des Staates sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert, als auch den Schutz des Sakralen festschreibt (GIZ 11.2020a).

Tunesien hatte nach dem sogenannten Arabischen Frühling vor zehn Jahren zwar tiefgreifende demokratische Reformen eingeleitet, diese erbrachten allerdings nur teilweise die erhoffte strukturellen Reformen und Veränderungen. Das Land kämpft mit großen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß (BAMF 25.1.2021; vgl. ÖB 1.10.2020). Dies gilt vor allem für jene Bevölkerungsschicht, die sich von den Regierungen nach der Revolution eine Verbesserung der Lebensqualität erwartet hatten, indem Ungleichheiten und Benachteiligungen behoben werden. Diese Menschen sehen sich als marginalisiert (Merip.org 16.3.2021).

Im Herbst 2019 fanden zum dritten Mal in Folge freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt (AA 16.12.2020a). Die Wahlen verliefen grundsätzlich frei und fair (AA 19.2.2021). Der neue Präsident Kaïes Saïed gilt als unbestechlich und politisch unerfahren. Den Tunesiern verspricht er neben der Bekämpfung der Korruption eine rigorose Überarbeitung der Verfassung und des Wahlsystems sowie mehr Demokratie auf lokaler Ebene. Saïed ist zudem für seine sehr konservativen Ansichten in gesellschaftlichen Fragen bekannt (BAMF 21.10.2019). Bei den Parlamentswahlen wurden die traditionellen Parteien abgestraft und viele unabhängige Kandidaten gewählt, was zu einer weiteren Zersplitterung des Parlaments geführt hat. Die muslimisch-konservative Ennahdha-Partei bleibt zwar stärkste Partei, stellt aber nur rund ein Viertel der 217 Abgeordneten im neuen Parlament. Zweitstärkste Kraft ist die Partei Qalb Tounes (Das Herz Tunesiens) des Medienmoguls und Präsidentschaftskandidaten Nabil Karoui (GIZ 11.2020a) mit 30 Sitzen (ÖB 1.10.2020).

Tunesiens designierter Ministerpräsident Habib Jemli hat Anfang 2020 eine Regierung aus unabhängigen Technokraten gebildet, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen (ÖB 1.10.2020; vgl. DS 10.1.2020). Regierungschef Jemli hatte aber nicht genügend Unterstützung für eine Koalitionsbildung bekommen (ÖB 1.10.2020; vgl. DW 21.1.2020). Daher wurde der frühere Tourismus- und Finanzminister Elyes Fekhfekh vom Präsidenten zum designierten Ministerpräsidenten ernannt (ÖB 1.10.2020; vgl. DW 21.1.2020). Dieser konnte eine Regierung bilden, die am 27.2.2020 ihr Amt antrat. Fekhfekh stolperte allerdings über ihm vorgeworfene Interessenskonflikte und musste zurücktreten. Ihm folgte am 1.9.2020 Hichem Mechichi, ein als integer geltender Jurist mit Karriere im öffentlichen Dienst. Er konnte seine Regierung, die er als Experten- und Technokratenregierung versteht, aber ebenfalls nicht ohne Kompromisse mit der islamistischen Ennahda sowie anderen Parteien bilden, deren Ränke- und Machtspiel er somit ausgeliefert ist (ÖB 1.10.2020).

Aktuell kommt es seit Jahresbeginn 2021 regelmäßig zu Protesten und Demonstrationen. Im Jänner 2021 kam es trotz Pandemie-bedingter Ausgangssperren und Versammlungsverbot zu landesweiten Protesten und gewaltsamen Unruhen gegen die Regierung. Dabei kam es auch zu gewaltsamen Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften (BAMF 25.1.2021). Im Feber 2021 protestierten Hunderte Menschen gegen die Polizeigewalt (BAMF 8.2.2021) und am 27.2.2021 kam es zu Demonstrationen tausender Unterstützer der regierenden Partei Ennahdha, nachdem diese zum "Marsch zur Verteidigung demokratischer Institutionen" aufgerufen hatte. Hintergrund des Protests ist eine sich zuspitzende politische Krise im Land. Präsident Kaïes Saïed weigerte sich, einer von Ministerpräsident Hichem Mechichi vorgeschlagenen Kabinettsumbildung zuzustimmen, obwohl das Parlament diese bereits abgesegnet hatte. Der Konflikt lähmt die Arbeit der Regierung, die neben der Covid-19-Pandemie auch mit einer schweren Wirtschaftskrise ringt (BAMF 1.3.2021; vgl. DW 27.2.2021).

Die Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 2014 hätte ein entscheidender Meilenstein zur Sicherung des demokratischen Experiments in Tunesien sein können. Die Ennahda war in der Vergangenheit aber nicht in der Lage, wesentliche Land- oder Steuerreformen zu verabschieden, um soziale Ungleichheiten zu beseitigen (Merip.org 16.3.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.12.2020a): Tunesien: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/politisches-portrait/219068, Zugriff 5.3.2021

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes 1. März 2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw09-2021.html, Zugriff 5.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.2.2021): Briefing Notes 8. Februar 2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw06-2021.html, Zugriff 5.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (25.1.2021): Briefing Notes 25. Januar 2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw04-2021.html, Zugriff 5.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland [Deutschland] (21.10.2019): Briefing Notes 21. Oktober 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2020341/briefingnotes-kw43-2019.pdf, Zugriff 27.1.2020

?        DS - der Standard (10.1.2020): Tunesisches Parlament stimmt gegen Technokraten-Kabinett von designiertem Regierungschef, https://www.derstandard.at/story/2000113173373/tunesisches-parlament-stimmt-gegen-technokraten-kabinett-von-designiertem-regierungschef, Zugriff 13.1.2020

?        DW - Deutsche Welle (27.2.2021): Politische Krise in Tunesien spitz sich zu, https://www.dw.com/de/politische-krise-in-tunesien-spitzt-sich-zu/a-56726821, Zugriff 5.3.2021

?        DW - Deutsche Welle (21.1.2020): Regierungsbildung - Alles auf Anfang in Tunesien, https://www.dw.com/de/alles-auf-anfang-in-tunesien/a-52080584?maca=de-rss-de-region-afrika-4022-rdf, Zugriff 23.1.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 4.3.2021

?        Merip.org (16.3.2021): Tunisia’s Marginalized Redefine the Political, https://merip.org/2021/03/tunisias-marginalized-redefine-the-political/, Zugriff 18.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaften [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht zu Tunesien, 1. Oktober 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 5.3.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 19.03.2021

Die von den bisherigen Regierungen angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Kampf gegen den Terrorismus bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde und dem schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesische Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 hat sich die Sicherheitslage verbessert. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren aber auch der inneren Sicherheit (AA 19.2.2021; vgl. AA 8.3.2021, EDA 8.3.2021).

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei sowie Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge vor einer Infiltration durch aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrende Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mit Hilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurden die Grenzkontrollen drastisch verschärft, und es wird auch im Land nach Rückkehrern gefahndet (ÖB 1.10.2020).

Laut österreichischem Außenministerium gilt (für österreichische Staatsbürger) eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile. Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen terroristischer Organisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt (BMEIA 8.3.2021). Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten (EDA 8.3.2021).

Der seit 2015 geltende nationale Ausnahmezustand in Tunesien wurde am 26.12.2020 von Präsident Kaïes Saïed um weitere sechs Monate bis Ende Juni 2021 verlängert. Im Ausnahmezustand verfügen die Sicherheitsbehörden über erweiterte Befugnisse, was zu einer Einschränkung der Bewegungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit führen kann (BAMF 11.1.2021). Es erlaubt den Sicherheitskräften Streiks, Kundgebungen und große Versammlungen zu verbieten, von denen angenommen wird, dass sie zu Unruhen führen. Die Regierung hat diese Maßnahmen aus Sicherheitsgründen als notwendig bezeichnet, aber Analysten haben argumentiert, dass die Maßnahmen Dissens unterdrücken sollen (FH 3.3.2021; vgl. ÖB 1.10.2020). Die Behörden verfügen somit über eine weitreichende Erlaubnis, die Bewegungsfreiheit von Einzelpersonen einzuschränken, und Tausende von Menschen sind von solchen Verfügungen betroffen (FH 3.3.2021).

Tunesien erlebt eine Welle landesweiter Streiks und Proteste gegen den COVID-19-bedingten Anstieg der Arbeitslosigkeit im Land und auch gegen das Versagen des öffentlichen Gesundheitssystems. Regierungs- und öffentliche Gebäude sind beliebte Orte für Streiks und Proteste (AQ 2.2021).

Am 27.6.2019 wurden in Tunis zwei Anschläge gegen die Sicherheitskräfte verübt; eine Person wurde getötet und mehrere wurden verletzt, darunter auch Zivilisten (EDA 8.3.2021; vgl. AA 19.2.2021). Am 4.4.2020 töteten tunesische Sicherheitskräfte in der Provinz Kasserine nahe der Grenze zu Algerien zwei Terroristen die mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung gebracht werden (BAMF 6.4.2020). Am 20.12.2020 wurde ein Hirte in der zentralwestlichen Provinz Kasserine von militanten Islamisten entführt und enthauptet. Seit mehreren Jahren gilt die Gebirgsregion um die Stadt Kasserine an der Grenze zu Algerien als Rückzugsgebiet für militant islamistische Gruppierungen. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen (BAMF 21.12.2020 ; vgl. CIR 2.2021). Der IS ist seit seinen beiden Anschlägen in Sousse im Jahr 2015, in Tunesien aktiv, hat aber nie eine offizielle Niederlassung im Land erklärt. Seine Aktivitäten beschränken sich auf sporadische Anschläge, meist gegen Sicherheitskräfte in den abgelegenen Regionen des Chaambi-Gebirges, manchmal auch in städtischen Gebieten. Am 7.1.2021 meldete das Innenministerium die Verhaftung eines ranghohen Anführers von al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) (CIR 2.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.3.2021): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 8.3.2021

?        AQ - Anonyme Quelle (2.2021): Mail an die Staatendokumentation vom 3.2.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland [Deutschland] (11.1.2021): Briefing Notes, 1. Januar 2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw02-2021.html, Zugriff 8.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland [Deutschland] (21.12.2020): Briefing Notes, 21. Dezember 2020, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw52-2020.html?nn=282314, Zugriff 8.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland [Deutschland] (6.4.2020): Briefing Notes 6. April 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027827/briefingnotes-kw15-2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

?        BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (8.3.2021): Tunesien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 8.3.2021

?        EDA - Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (8.3.2021): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/tunesien/reisehinweise-tunesien.html#par_textimage_0, Zugriff 8.3.2021

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 8.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 8.3.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 19.03.2021

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021, AA 19.2.2021). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 11.3.2020). Allerdings schreitet die Justizreform seit der Revolution nur langsam voran (FH 3.3.2021; vgl. AA 19.2.2021, GIZ 11.2020a). Auch weiterhin finden sich zahlreiche Richter aus der Ben-Ali-Ära auf der Richterbank und aufeinanderfolgende Regierungen versuchen regelmäßig, Gerichte zu manipulieren. Mit den 2016 verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde der Oberste Justizrat eingesetzt, der für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts zuständig ist. Die Ratsmitglieder wurden 2016 von Tausenden von Juristen gewählt. Bis 2019 waren jedoch weder das Verfassungsgericht, noch seine formell ernannten Mitglieder eingerichtet worden (FH 3.3.2021). Der Oberste Justizrat konnte seine Arbeit als neues Selbstverwaltungsorgan der Justiz erst aufnehmen, nachdem eine Gesetzesänderung die internen Konflikte der Richterschaft neutralisiert hatte. Als nächster Schritt soll die Konstituierung eines ordentlichen Verfassungsgerichts erfolgen. Bislang wacht eine provisorische Instanz über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor ihrem Inkrafttreten (AA 19.2.2021; vgl. ÖB 1.10.2020).

Im Oktober 2020 prüfte das Parlament einen Gesetzentwurf, der Sicherheitskräften Immunität gewähren soll, die tödliche Gewalt anwenden, um einige Versammlungen zu zerstreuen, wenn die Aktion als letztes Mittel angesehen wird. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen sprachen sich heftig gegen das Gesetz aus, das erstmals 2013 vorgeschlagen worden war, das Parlament zog das Gesetz zurück (FH 3.3.2021).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Die gesetzlich garantierten Rechte sind jedoch nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der notfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 9.3.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 9.3.2021

?        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043733.html, Zugriff 9.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 9.3.2021

?        USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 19.03.2021

Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden 2011 größtenteils zurückgezogen. Eine ständige Herausforderung bleibt die Anpassung der nationalen Rechtsordnung an die neue Verfassung (AA 19.2.2021). Im Jahr 2020 machte das Parlament keine Fortschritte bei der Reform von Gesetzen, die Menschenrechte verletzen oder bedrohen (HRW 13.1.2021).

Tunesien verfügt über eine Reihe an Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen. Das Land schneidet allerdings auch nach dem Umbruch in den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen regelmäßig schlecht ab. Eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Folter von Häftlingen und Attacken gegen Oppositionelle listet der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International auf. Seit dem Sturz Ben Alis hat sich die Situation zwar gebessert, allerdings kommt es nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen, so die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) (GIZ 11.2020a).

Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren allerdings grundlegend verbessert. Es wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen und offizielle und informelle Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft. Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten - in unterschiedlicher Qualität - frei und offen (AA 19.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 19.2.2021).

Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen, wie wohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021). Diese Einschränkungen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen (AA 19.2.2021). Mit der Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere sechs Monate, verfügen nun auch die Sicherheitskräfte über erweiterte Befugnisse, was unter anderem zur Einschränkung der Pressefreiheit führen kann (BAMF 11.1.2021).

Während Online- und Printmedien häufig regierungskritische Artikel veröffentlichen, üben Journalisten und Aktivisten dennoch zeitweise Selbstzensur als Resultat von Gewaltakten gegen Journalisten. Meinungsäußerungen, welche "die öffentliche Ordnung oder Moral verletzen" oder "absichtlich Personen stören, auf eine Art und Weise, die den öffentlichen Anstand beleidigen" stehen weiterhin unter Strafe (USDOS 11.3.2020).

Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den "Schutz des Sakralen" garantiert. Es kommt immer wieder zu einzelnen Fällen von fragwürdiger Strafverfolgung von Journalisten und freischaffenden Bloggern (AA 19.2.2021). Entsprechende Verfahren gegen Zivilisten werden oft von Militärgerichten geführt – eine Praxis, die von tunesischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird (FH 3.3.2021; vgl. AA 19.2.2021). Am 4.5.2020 lud die Kriminalpolizei Emna Chargui vor, nachdem sie auf Facebook einen kurzen Text mit dem Titel "Sura Corona" gepostet hatte, geschrieben und formatiert im Stil eines Koranverses (Sure). Der Staatsanwalt beschuldigte Chargui der "Aufstachelung zum Hass zwischen den Religionen durch feindselige Mittel oder Gewalt" gemäß Artikel 52 des Pressefreiheitsdekret-Gesetzes. Am 17.7.2020 verurteilte ein Gericht der ersten Instanz in Tunis Chargui zu sechs Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe (HRW 13.1.2021).

Einige Journalisten sind im Zusammenhang mit ihrer Arbeit Druck und Einschüchterung durch Regierungsbeamte ausgesetzt. Reporter, die über die Sicherheitskräfte berichten, sind weiterhin besonders anfällig für Schikanen und Verhaftungen (FH 3.3.2021). Die Behörden stützten sich auf repressive Bestimmungen des Strafgesetzbuches sowie auf andere Gesetze, um Meinungsäußerungen zu bestrafen, darunter auch Kritik an Amtsträgern. Zwei Social-Media-Aktivisten wurden im April 2020 verhaftet und angeklagt, weil sie sich auf Facebook kritisch über die ihrer Meinung nach unzureichende oder korrupte Reaktion der Regierung auf die durch die Covid-19-Pandemie verursachte finanzielle Notlage äußerten (HRW 13.1.2021; vgl. FH 3.3.2021). Im November 2020 wurde ein Blogger zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, weil er sich in einem Facebook-Video kritisch über einen Staatsanwalt geäußert hatte (FH 3.3.2021).

Im Vorfeld der Wahlen 2019 äußerten tunesische Journalisten ihre Besorgnis über den Einfluss der Regierung auf die öffentliche Rundfunkanstalt (FH 3.3.2021).

Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (FH 3.3.2021; vgl. AA 19.2.2021, USDOS 11.3.2020). Zu Einschränkungen kommt es mehrfach aufgrund des weiterhin gültigen Ausnahmezustands. Die Übergänge zwischen legitimen Protesten gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits und periodisch auftretenden gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen andererseits sind oft fließend. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass die Sicherheitsorgane friedliche Versammlungen und Demonstrationen in der Regel zuverlässig schützen, aber bei Rechtsverletzungen auch entsprechend robust auftreten. Nur vereinzelt kommt es dabei zu unverhältnismäßigem Einsatz polizeilicher Mittel (AA 19.2.2021).

Die Versammlungsfreiheit wurde auch unter den COVID-19-bezogenen Notstandsmaßnahmen Ende März 2020 eingeschränkt, die zunächst alle Versammlungen untersagten. Das Protestverbot wurde im November 2020 in eine weitere Anordnung aufgenommen, aber die Beschränkungen für Massenversammlungen wurden in einer Anordnung vom Dezember 2020 wieder gelockert. Dennoch kam es im Mai 2020 zu kleineren Protesten. Ende Juni 2020 protestierten Demonstranten in der Stadt Tataouine gegen die hohe Arbeitslosigkeit und stießen mit den Behörden zusammen, nachdem ein Aktivist festgenommen worden war. Das Innenministerium berichtete von zehn Verhaftungen nach diesen Zusammenstößen. Im Oktober 2020 protestierten Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Tunis gegen einen Gesetzesvorschlag, der dem Sicherheitspersonal Immunität gewähren würde; die Teilnehmer wurden von den Sicherheitskräften körperlich angegriffen und mehrere wurden festgenommen. Andere Demonstrationen verliefen im Laufe des Jahres jedoch ohne gewaltsames Eingreifen (FH 3.3.2021).

Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (FH 3.3.2021; vgl. AA 19.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Zuge der Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche wird derzeit eine Reform des Vereinsrechts vorbereitet, die von der tunesischen Zivilgesellschaft sehr kritisch beobachtet wird, hinsichtlich ihrer abschließenden Gestalt aber noch nicht beurteilt werden kann (AA 19.2.2021).

Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Innerhalb des Präsidentenbüros ist der Hohe Ausschuss für Menschenrechte und Grundfreiheiten eine von der Regierung finanzierte Agentur, die mit der Überwachung der Menschenrechte und der Beratung des Präsidenten betraut ist. Das Ministerium für die Beziehungen zu den Verfassungsorganen, der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten ist für die Koordinierung der Regierungsaktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten zuständig. Die Wahrheits- und Würdekommission (IVD) wurde 2014 gegründet, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen (USDOS 11.3.2020). Anfang 2018 stimmte das Parlament gegen eine Verlängerung des Mandats der Kommission, eine Entscheidung, die sich kritisch äußerte, weil sie die Bemühungen um eine Übergangsjustiz schwächte. Die Kommission legte ihren Abschlussbericht im März 2019 vor und veröffentlichte ihn offiziell im Juni 2020. Sie stützte sich dabei auf mehr als 62.000 Beschwerden, die tunesische Bürger wegen Menschenrechtsverletzungen gegen den Staat eingereicht hatten. Tunesische Gerichte prüften zum Jahresende 69 Anklagen und 131 Überweisungen der IVD (FH 3.3.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (11.1.2021): Briefing Notes, 1. Januar 2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw02-2021.html, Zugriff 10.3.2021

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 10.3.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 10.3.2021

?        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043733.html, Zugriff 10.3.2021

?        USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 19.03.2021

98-99% der Bevölkerung sind Muslime – mehr oder weniger praktizierend. Die meisten sind Sunniten. Neben Muslimen leben in Tunesien rund 25.000 Christen (zum Großteil Katholiken), wobei die Gemeinden zum Großteil aus ausländischen Bürgern bestehen, und 1.500 Juden (GIZ 11.2020b; vgl. AA 19.2.2021). Des Weiteren gibt es noch Schiiten und Baha’i (USDOS 10.6.2020).

Der Islam ist offizielle Religion Tunesiens und der Staatspräsident muss laut Verfassung Muslim sein (GIZ 11.2020b; vgl. USDOS 10.6.2020). Allerdings ist die freie Religionsausübung in der Verfassung garantiert (GIZ 11.2020b; vgl. AA 19.2.2021). Religions- und Weltanschauungsfreiheit wird in Tunesien mit gewissen Einschränkungen gewährt (AA 19.2.2021). Die Verfassung reflektiert das herrschende Gleichgewicht zwischen religiösem und säkularem Lager in Gesellschaft und Politik: Der Islam ist als Religion des Landes anerkannt, aber die islamische Scharia wurde nicht in der Verfassung verankert. Ein ziviler Staat ist die Grundlage der Verfassung, in der ausdrücklich auf die universellen Menschenrechte Bezug genommen wird (AA 19.2.2021; vgl. USDOS 10.6.2020).

Die verschiedenen Religionsgemeinschaften leben in der Regel friedlich zusammen (GIZ 11.2020b).

Bis zur Revolution im Jänner 2011 konnte der Islam über die Befolgung der grundlegenden muslimischen Riten hinaus kaum gesellschaftliche und politische Aktivitäten entfalten. Außerhalb der Gebetszeiten blieben die Moscheen geschlossen. Zudem wurden die Freitagspredigten sowie alle religiösen Gemeinschaften vom Staat überwacht. Mit der Revolution ist der Islam im gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes allmählich immer sichtbarer geworden. Das Religionsministerium hat nach eigenen Angaben die Kontrolle über annähernd alle Moscheen des Landes gewonnen und radikalen Imamen Predigtverbot erteilt bzw. diese Prediger abgesetzt. Allerdings hat lediglich eine geringe Anzahl der derzeit an tunesischen Moscheen eingesetzten Imame eine theologische Ausbildung. Die Regierung plant daher nach der Rückgewinnung der Moscheen nun den Fokus auf die Förderung der Imam-Ausbildung zu legen, um sicherzustellen, dass ein zeitgemäßes, umfassendes Islambild in den Moscheen vermittelt wird (AA 19.2.2021).

Es ist rechtlich möglich, vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Missionierung und das Verteilen religiösen Materials sind der katholischen Kirche jedoch verboten (AA 19.2.2021). Es gibt erheblichen gesellschaftlichen Druck gegen die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion (USDOS 10.6.2020). Tunesische Konvertiten (einige Hundert im Land) werden innerhalb ihres sozialen und familiären Umfelds zwar zunächst häufig geächtet, mittelfristig aber gesellschaftlich wieder akzeptiert und integriert (AA 19.2.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020b): Tunesien - Gesellschaft, https://www.liportal.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2021

?        USDOS - US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031218.html, Zugriff 30.6.2020

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 19.03.2021

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021), Emigration sowie Wiedereinbürgerung. Die Regierung respektiert im Allgemeinen diese Rechte auch in der Praxis (USDOS 11.3.2020). Die Situation bezüglich Bewegungsfreiheit hat sich seit 2011 substantiell verbessert. Allerdings können die Behörden unter dem breiten Mandat des Ausnahmezustands die Bewegungsfreiheit einzelner Personen beschränken. Davon waren tausende Menschen betroffen. Die Bewegungsfreiheit wurde auch durch COVID-19-bezogene Maßnahmen beeinträchtigt (FH 3.3.2021).

Einer Flucht innerhalb Tunesiens werden durch die geringe Größe des Landes enge Grenzen gesetzt. Ein Verlassen besonders gefährdeter Gebiete in den Grenzregionen ist grundsätzlich möglich (AA 19.2.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 10.3.2021

?        USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 19.03.2021

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 19.2.2021). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte (AA 9.2019b) und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor") (GIZ 11.2020c). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%) (AA 9.2019b; vgl. GIZ 11.2020c). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft (GIZ 11.2020c). Der Tourismus ist einer der Sektoren, der am meisten von der Corona-Krise betroffen ist. Die Zahlen der Touristen im Jahr 2020 sind um knapp zwei Millionen zurückgegangen und die Gesamteinnahmen seit Jahresbeginn 2020 um 60% gesunken (WKO 9.10.2020). Im Dienstleistungssektor spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll aufstrebenden jungen Kleinunternehmen v.a. im IT-Bereich den Start erleichtern. Seine Umsetzung wird jedoch kritisiert (GIZ 11.2020c).

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung zu, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringlichsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst (GIZ 11.2020c).

Die Corona-Krise trifft Tunesien hart und zeichnet vor allem die Wirtschaft mit tiefen Kerben. Für das Gesamtjahr 2020 wird ein Einbruch des tunesischen BIP um 8,1% erwartet (WKO 9.10.2020). Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (AA 9.2019b; vgl. GIZ 11.2020c) und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 9.2019b). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15% und 16%, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 9.2019b; vgl. GIZ 11.2020c, ÖB 1.10.2020). Mit Ausbruch der Covid-19 Krise Mitte März 2020 verschärfte sich die Lage nochmals um ein Vielfaches: die Arbeitslosigkeit, seit Jahren gemäß offiziellen Statistiken 15,6% ist auf 18% gestiegen und dürfte bis Jahresende weiter auf 20% steigen (ÖB 1.10.2020; vgl. WKO 9.10.2020). Die Erhebung tatsächlich zutreffender Zahlen wird durch die Tatsache erschwert, dass 45% der Arbeitskräfte Tunesiens im informellen Sektor beschäftigt sind (ÖB 1.10.2020).

Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 9.2019b). Die vorherige Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu diesen Regionen vorgenommen (AA 19.2.2021).

Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 1.10.2020). Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (ca. 125 Euro) angehoben. Auch das genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 11.2020c). Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 11.2020b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Grundschutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 1.10.2020).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet (AA 19.2.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.2019b): Tunesien - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219026, Zugriff 21.10.2019

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020b): Tunesien - Gesellschaft, https://www.liportal.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020c): Tunesien - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/tunesien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 10.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 10.3.2021

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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