TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/25 W201 2180317-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.05.2021
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Entscheidungsdatum

25.05.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W201 2180317-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Benno WAGENEDER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 10.11.2017 Zl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.05.2021 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben, und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 27.05.2022 erteilt.

IV.      Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 14.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2.       Bei seiner Erstbefragung am 15.04.2025 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Bruder Polizist sei und die Taliban die Familie aufgefordert hätten, dass sein Bruder seine Arbeit beenden solle. Nachdem der Bruder sich geweigert habe, hätten die Taliban auf den Beschwerdeführer geschossen. Dies sei zehn Tage vor seiner Ausreise geschehen. Daraufhin habe der Vater aus Angst um den Beschwerdeführer einen Schlepper organisiert. Er habe keine weiteren – weder religiöse noch ethnische oder politische - Fluchtgründe. Im Falle der Rückkehr habe er Angst vor den Taliban. Er habe im Heimatland keine Probleme mit Behörden oder Polizei.

3.       Eine Bestimmung des Knochenalters vom 30.04.2015 ergab ein finales Stadium Schmeling 3, GP 30.

4.       Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 16.12.2015 Zl. XXXX wurde die Obsorge des Beschwerdeführers dem Land XXXX übertragen. Die Ausübung der Obsorge wurde der XXXX übertragen.

5.       Am 11.10.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge ‚belangte Behörde‘ bzw. BFA genannt) im Beisein seines gesetzlichen Vertreters. Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, sein Bruder habe bei der Polizei gearbeitet und die Taliban hätten das nicht gewollt. Sie hätten der Familie gesagt, dass der Bruder aufhören solle dort zu arbeiten und hätten dann ca. eine Woche später drei bis vier Drohbriefe geschickt, in denen sie damit gedroht hätten, den Beschwerdeführer und dessen Bruder zu töten und alles zu vernichten was die Familie habe. Sein Bruder habe gesagt, er könne nicht mit der Polizeiarbeit aufhören und werde den Taliban sicher nicht helfen. Eines Abends auf dem Nachhauseweg sei der Beschwerdeführer fünf bis sechs ihm unbekannten, stark bewaffneten Talibankämpfern begegnet, welche ihn aufgefordert hätten, stehen zu bleiben. Er sei jedoch aus Angst weggelaufen woraufhin die Taliban auf ihn geschossen hätten. Er sei von hinten getroffen worden. In der Folge wurden vom Beschwerdeführer die vermeintlich durch die Taliban verursachten Narben gezeigt, welche sich im Bauchbereich und am linken Brustkorb befinden. Auch habe sein Magen einen Riss. Weiter Verletzungen habe er nicht. Er sei im Krankenhaus wieder aufgewacht, wo er operiert worden sei. Danach habe sein Vater gesagt, dass die Taliban den Beschwerdeführer wiederfinden würden, wenn er zu Hause bleibe. Daher sei die Familie nach XXXX geflüchtet. Dort habe sein Vater den Entschluss gefasst, dass der Beschwerdeführer aus dem Land fliehen solle. Da sein Bruder nicht habe aufhören wollen bei der Polizei zu arbeiten hätten die Taliban sicher gedacht, der Beschwerdeführer werde auch bei der Polizei anfangen, wenn er größer sei. Auch hätten sie geschrieben, dass sie die ganze Familie töten würden, wenn der Bruder nicht bei der Polizei aufhören würde. Die Eltern seien wieder nach XXXX zurückgegangen, weil sie nicht hätten alles zurücklassen wollen und auch nie selbst angegriffen worden seien. Auf Nachfrage, warum den Eltern und dem Bruder trotz der Drohungen nichts zugestoßen sei und sie Angst hätten wieder in XXXX zu leben, wurde ausgeführt, dass der Vater einmal von den Taliban mitgenommen und übel zugerichtet worden sei als der Beschwerdeführer sich bereits in Österreich aufgehalten habe. Sein Bruder habe ihm erzählt, es gehe dem Vater sehr schlecht, der Bruder habe Angst, dass der Vater sterben könnte. Der Beschwerdeführer könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil ziemlich viel gekämpft werde und er würde wieder von den Taliban aufgehalten und wahrscheinlich umgebracht werden. Auch könnten die Taliban ihn überall finden und umbringen. Er habe regelmäßig telefonisch mit seinen Eltern und über Internet mit seinem Bruder Kontakt. Er habe nie Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten in Afghanistan gehabt, sei nicht politisch tätig und auch nicht Mitglied einer Partei gewesen. Er habe auch auf Grund seiner Religion oder seiner Volksgruppe keine Probleme gehabt. Probleme mit Privatpersonen in Afghanistan bestünden nicht und er habe auch nie aktiv an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen.

Im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens wurden Unterlagen zu Deutsch- und sonstigen Kursen, sowie integrationsbescheinigende Beweismittel in Vorlage gebracht.

6.       Mit Schriftsatz vom 07.11.2017 wurde vom gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers Stellung zum Länderinformationsblatt genommen und unter Zitierung von weiteren Berichten zur Lage in Afghanistan auf die sich verschärfende Sicherheitslage in Afghanistan, auf XXXX als Hochburg der Taliban, die Schutzunfähigkeit staatlicher Institutionen sowie auf die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers verwiesen.

7.       Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde über den Antrag des Beschwerdeführers wie folgt abgesprochen:

„I.      Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 14.04.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

II.      Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

III.    Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

IV.      Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe seine Fluchtgründe nicht glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.

8.       Gegen diese Bescheid richtet sich die mit Schriftsatz vom 11.12.2017 fristgerecht erhobene Beschwerde, mit welcher der Bescheid in allen Spruchpunkten angefochten wurde.

Unter Vorlage einer Schulbesuchsbestätigung wurde zu Fluchtgründen im Wesentlichen ausgeführt, dass es auf Grund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nicht unwahrscheinlich sei, dass er nicht mehr wisse aus welcher Richtung auf ihn geschossen worden sei. Es sei die traumatische Schocksituation mit zu berücksichtigen. Die Drohbriefe, welche die Familie erhalten habe und das Schussattentat auf den Beschwerdeführer würden deutlich zeigen, dass die Taliban den Bruder indirekt gefunden hätten und dieser mittelbar durch seine Familienangehörigen verfolgt werde. Auch seien die Drohungen der Taliban in die Realität umgesetzt worden. Die belangte Behörde habe sich unzureichend mit der eingebrachten Stellungnahme hinsichtlich der Aktivität der Taliban auseinandergesetzt. Es werde diesbezüglich auch auf die Problematik der Drohbriefe verwiesen, welche vom BFA gänzlich ignoriert worden seien. Von einer finanziellen Unterstützung des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers könne mangels finanzieller Mittel der Familie und des Gesundheitszustandes des Vaters nicht ausgegangen werden. Auch der Bruder verfüge nur über ein normales Polizistengehalt. Zudem könne der Beschwerdeführer eine erfolgreiche Integration vorweisen.

9.       Am 20.12.2017 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

10.      In der Folge wurden weitere integrationsbescheinigende Unterlagen sowie medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht.

11.      Mit Schriftsatz vom 29.06.2020 wurde die Bevollmächtigungsanzeige des im Spruch genannten Vertreters vorgelegt.

12.      Am 03.05.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu beigezogen wurde. In das Verfahren eingebracht wurde das LIB Afghanistan in der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aktuellen Fassung vom 01.04.2021.

Im Wesentlichen zusammengefasst wurde vom Beschwerdeführer vorgebracht, er sei gesund und ledig. Er habe in XXXX , Distrikt XXXX im Dorf XXXX gelebt. Die Familie habe vom eigenen Grundstück und dem Einkommen des Bruders gelebt und sei finanziell schlecht gestellt gewesen. Er habe nie Probleme mit Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion gehabt. Seine Eltern würden nach wie vor im Heimatdorf im eigenen Haus leben. Der Bruder lebe an seinem Dienstort in XXXX . Der Name XXXX sei ein Wunschname, den er einfach so bekannt gegeben habe. Er gehöre dem Großstamm der XXXX , Unterstamm XXXX an.

Zum Fluchtgrund wurde im Wesentlich vorgebracht, der Bruder des Beschwerdeführers sei Polizist gewesen und mehrmals durch die Taliban bedroht worden, er solle mit seiner Tätigkeit aufhören. Das habe sein Bruder abgelehnt. Sie seien erneut gewarnt worden und der Beschwerdeführer sei sogar angeschossen worden. Er sei am Heimweg vom Einkaufen gewesen und sei von bewaffneten Personen aufgefordert worden, stehen zu bleiben. Da Waffen auf ihn gerichtet gewesen seien, habe der Beschwerdeführer begonnen, wegzulaufen und da sei auf ihn geschossen worden. Er wisse, dass dies die Taliban gewesen seien, da diese dann die Familie informiert hätten, dass sie ihn das nächste Mal töten würden. Er wisse nicht genau, wann das Attentat stattgefunden habe. Es sei warm gewesen, daher nehme er an, dass es Frühling gewesen sei. Er sei ca. 1 Monat im Krankenhaus gewesen. Die bisherigen Angaben korrigierend wurde mitgeteilt, dass es zehn Monate gedauert habe bis seine Schusswunden verheilt gewesen seien, dies aber irrtümlich mit zehn Tagen protokolliert worden sei. Sein Vater habe daher entschieden, dass der Beschwerdeführer ins Ausland müsse. Er habe über seinen Bruder regelmäßigen Kontakt mit den Eltern gehabt.

Er habe am 23.08.2020 von einem Freund aus dem Heimatdorf, der aktuell in der Stadt lebe, zu dem er jetzt keinen Kontakt mehr habe, erfahren, dass sein Bruder am 10.08.2020 von den Taliban ermordet worden sei. Der Bruder sei ins Haus der Eltern gefahren, da die Mutter des Beschwerdeführers schwer krank gewesen sei. Die Taliban seien gekommen und hätten den Bruder im Haus der Eltern ermordet. Den letzten Kontakt mit seinem Bruder, habe er zwei Tagen vor dessen Ermordung gehabt. Einen Gegenangriff durch die Polizei oder die Armee habe es nicht gegeben, denn die Taliban seien dort sehr mächtig und das Gelände unzugänglich, dadurch könnten Polizei oder Soldaten dort nicht hingelangen.

Er könne nirgendwo in Afghanistan sicher leben. Er fürchte um sein Leben. Die Taliban seien an der Macht und es würden Anschläge verübt. Der Beschwerdeführer habe keine Berufsausbildung, seine Gesundheit sei angeschlagen und sein Netzwerk im Heimatland sei durch die Ermordung des Bruders geschwächt worden. Er würde sich als Tagelöhner in den drei bekannten afghanischen Großstädten nicht über Wasser halten können.

Es wurden weitere integrationsbescheinigende Unterlagen sowie medizinische Beweismittel und ein Besprechungsprotokoll des Beschwerdeführers mit seinem Vertreter in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Niederschriften über die Erstbefragungen, der Niederschriften über die weiteren Einvernahmen durch die belangte Behörde, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie der Länderberichte zur Lage in Afghanistan und der von den BF vorgelegten Unterlagen werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der mittlerweile volljährige Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger Afghanistans, Paschtune und sunnitischer Moslem. Als Geburtsdatum wird der XXXX angenommen. Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung XXXX Jahre alt und somit volljährig.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan in der Provinz XXXX aufgewachsen und hat dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Der Beschwerdeführer hat zwei Jahre die Schule besucht, er spricht seine Muttersprache Paschtu kann diese aber nicht lesen oder schreiben. Er hat keinen Beruf erlernt.

Die Eltern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatdorf und verfügen über eine 5 Jirib große landwirtschaftliche Fläche im Heimatdorf. Der Bruder des Beschwerdeführers hat zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers mit seiner Familie in der Provinz XXXX gelebt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bruder des Beschwerdeführers von den Taliban ermordet wurde.

Der Beschwerdeführer ist jung und arbeits- und anpassungsfähig. Er leidet aber an einer wesentlichen Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes in Form einer Facettenarthrose mit hochgradiger linksseitiger Neuroforamenstenose L4/L5 bei hochgradiger Bedrängung der Nervenwurzel L4 links introforaminär mit hier Kontakt zur absteigenden Nervenwurzel L5 beidseits, einer Retrolisthese L5 gegenüber S1 mit hochgradiger bilateraler Neuroforamenstenose und hochgadiger Bedrängung der Nervenwurzel L5 intraforanimär beidseits mit hier auch Kontakt zu absteigenden Nervenwurzel S 1 beidseits, wodurch bereits eine Wurzelblockade erforderlich war.

Weiters bestehen ein Zustand nach Septumplastik sowie eine minimale Bauchwandhernie von 6mm ohne Hinweis auf Inkanzeration.

Die bauchseitig befindlichen Narben des Beschwerdeführers sind nicht auf Schussverletzungen zurückzuführen.

Der Beschwerdeführer fällt nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020.


1.2.    Zum Leben in Österreich

Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich integriert. Er hat in Österreich soziale Kontakte geknüpft, hat jedoch in Österreich keine Verwandten und führt keine Lebensgemeinschaft.

Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers sind auf dem Niveau A1 nachgewiesen, die A2 Prüfung wurde zwar bereits abgelegt aber vom Beschwerdeführer nicht bestanden, wobei die Disziplinen Sprechen und Werte- und Orientierungswissen auf dem Level A2 befindlich objektiviert werden konnten. Er hat versucht, den Pflichtschulabschluss nachzuholen, hat die Prüfung aber nicht bestanden.

Zusätzlich hat der Beschwerdeführer freiwillige Tätigkeiten für die Lebenshilfe durchgeführt.

Der Beschwerdeführer bestreitet seinen Lebensunterhalt in Österreich aus staatlicher Unterstützung (Grundversorgung).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Angehörigen.

1.3.    Zu den Fluchtgründen:

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine landesweite Verfolgung wegen eines Konventionsgrundes in asylrelevantem Ausmaß.

Es droht dem Beschwerdeführer in Afghanistan weder staatliche Verfolgung, noch Verfolgung durch die Taliban oder andere regierungsfeindliche Gruppierungen aus Gründen welche in der GFK aufgelistet sind.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von den Taliban verfolgt oder angeschossen wurde.

Der Beschwerdeführer ist mittlerweile volljährig, weshalb das Risikoprofil, als Minderjähriger, ohne familiäres Netz, kinderspezifischen Formen von Verfolgung ausgesetzt zu sein, auf ihn nicht mehr zutrifft.

Dem Beschwerdeführer droht wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen bzw. zur sunnitischen Religion konkret und individuell keine physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine psychische und/oder physische Gewalt aufgrund seines Aufenthaltes in Europa, wegen einer ihm unterstellten Moral- und Wertehaltung, welche nicht jener in Afghanistan vorherrschenden entspricht. Eine allgemeine systematische Verfolgung aller Rückkehrer durch die Taliban bzw. regierungsfeindliche Gruppen, kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat auch weder politisch tätig noch gehörte er einer politischen Partei an. Er hatte keine Probleme mit den afghanischen Behörden aufgrund seiner Rasse, seines Glaubens oder seiner Volksgruppe.

Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich konkret für den Beschwerdeführer kein Status eines Asylberechtigten ableiten.

Es haben sich im Verfahren keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte für eine wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers, dass ihm in Afghanistan individuell und aktuell Verfolgung droht, ergeben.

Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

Festgestellt wird jedoch, dass dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Verbindung mit seinen persönlichen bzw. gesundheitlichen Umständen im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 droht.

Es besteht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer. Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat, würde er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten.

1.4. Zu einer Rückkehr in das Herkunftsland:

Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr in seine Heimatprovinz allein schon aufgrund der volatilen Sicherheitslage in XXXX nicht möglich.

Allerdings würde sich unter Zugrundelegung der in den Feststellungen wiedergegebenen Länderberichte unter dem Aspekt der Sicherheitslage in Mazar-e Sharif für sich betrachtet keine besondere Gefährdungssituation für den Beschwerdeführer ergeben.

Mazar-e Sharif ist, wie aus den zitierten Länderfeststellungen zu entnehmen ist, für Zivilisten, wie es der Beschwerdeführer ist, weitgehend sicher, sodass er bei einer Rückkehr in diese Städte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit keinen Eingriffen in seine körperliche Unversehrtheit zu rechnen hätte. Der Beschwerdeführer liefe im Falle einer Rückkehr nicht Gefahr, aus einer individuellen Bedrohung ernsthaft Schaden zu nehmen. Eine Reise nach Mazar-e Sharif wäre über den internationalen Flughafen sicher und legal möglich, die Kosten für die Anreise würden dem Beschwerdeführer im Rahmen der Rückkehrhilfe grundsätzlich ersetzt.

Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nicht von einer dem Beschwerdeführer individuell drohenden Verfolgungsgefahr ausgegangen wird, ergibt sich, dass er im Falle einer Rückkehr nicht Gefahr liefe, aus einer individuellen Bedrohung ernsthaft Schaden zu nehmen.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgewachsen. Zuletzt hat er in XXXX im Familienverband mit seinen Eltern gelebt.

Der Beschwerdeführer hat nur zwei Jahre die Koranschule besucht und verfügt nicht über eine Berufsausbildung. Seine Berufserfahrung beschränkt sich darauf, dass er als Kind bzw. Jugendlicher der Familie als Hirte in der Landwirtschaft geholfen hat. Er hat nie auf sich alleine gestellt, in Afghanistan gelebt und war nicht selbsterhaltungsfähig.

Er wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan und Ansiedlung in einer der Städte zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten angewiesen. Diese stehen aber aufgrund der in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängten Ausgangsbeschränkungen in den Großstädten derzeit nur in sehr eingeschränktem Ausmaß zur Verfügung. Die ohnehin schwierige Situation am Arbeitsmarkt wird durch die große Zahl von Rückkehrern aus dem Iran und Pakistan, die sich vor allem in den Großstädten ansiedeln, weiter verschärft. Dasselbe gilt für die Unterkunftssituation, die Teehäuser sind zwar wieder geöffnet, stehen aber derzeit offiziell nur Geschäftsreisenden zur Verfügung.

Der Beschwerdeführer ist jung und grundsätzlich erwerbsfähig, jedoch ist er durch seine Wirbelsäulenprobleme und die daraus resultierenden Schmerzzustände, welche bereits in jungen Jahren eine stationär durchgeführte Wurzelblockade erforderlich machten, in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Es liegt beim Beschwerdeführer jedoch keine existenzbedrohende Erkrankung vor. In den Großstädten der Nord- und Zentralprovinzen bzw. in urbanen Zentren besteht ein Zugang zur medizinischen Behandlung. Diverse einschlägige Medikamente wären in den urbanen Zentren verfügbar.

Der Beschwerdeführer fällt im Hinblick auf die derzeit bestehende COVID-19 Pandemie auch nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen bzw. der Personen mit erheblichen chronisch-internistischen Vorerkrankungen.

Es ist nicht hervorgekommen, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan ein effektives familiäres bzw. soziales Netz zur Verfügung steht.

Die Eltern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatort in XXXX und bewirtschaften dort ihr Grundstück. Es ist aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Eltern des Beschwerdeführers nicht davon auszugehen, dass diese – auch auf Grund der räumlichen Distanz - in der Lage wären, die Lebenshaltungskosten des Beschwerdeführers mitzutragen.

Das „soziales Kapital“ stellt jedoch die wichtigste Ressource für Rückkehrer dar, wobei die Großfamilie als die zentrale Institution in Afghanistan bezeichnet wird. Sie gewähre Schutz, Betreuung und Versorgung und bilde eine wirtschaftliche Einheit. Die Männer der Familie treffe die Pflicht, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen. Ein solches Netzwerk sei für das Überleben in Afghanistan wichtig und sein Fehlen stelle die größte Herausforderung für Rückkehrer dar. Insbesondere aus dem EASO Bericht Afghanistan Netzwerke von Jänner 2018 bzw. 2019 lässt sich entnehmen, dass der Zugang zu sozialen Netzen als zentrale Voraussetzung für die Sicherung des wirtschaftlichen Überlebens und insbesondere die Teilnahme am Arbeitsmarkt im Fall einer Niederlassung im Herkunftsstaat bedeutsam ist. Auf ein solches Netzwerk kann der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat jedoch nicht zurückgreifen.

Hinzu kommt die COVID-19 Pandemie, die es dem Beschwerdeführer noch ungleich schwieriger macht, Arbeit und Unterkunft zu finden. Im Falle einer Rückkehr könnte der Beschwerdeführer zu Beginn nur Gelegenheits- oder Hilfsarbeiten annehmen. Derzeit sind auch in den genannten Städten Gelegenheitsarbeiten nur sehr eingeschränkt zu finden, weswegen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass er dort in der Lage sein wird, sich ein Leben aufzubauen, ohne in eine existenzbedrohende Lage zu kommen. Erschwerend kommt das Wirbelsäulenleiden hinzu, welches die Verrichtung von körperlicher Arbeit – wie die meisten Gelegenheits – oder Hilfsarbeiten für Analphabeten es sind - maßgeblich einschränkt.

Es wäre dem Beschwerdeführer daher in der aktuellen Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich, eine Arbeit und eine günstige Unterkunft zu finden. Durch die Inanspruchnahme der nach den vorliegenden Länderinformationen grundsätzlich verfügbaren Rückkehrhilfe könnte der Beschwerdeführer höchstens sehr kurzfristig das Auslangen finden.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat, droht ihm im Hinblick auf seine persönlichen Umstände, unter Berücksichtigung der Versorgungs- und Wirtschaftslage, in Zusammenschau mit der COVID-19 Pandemie bedingten wirtschaftlichen Situation und den damit für Rückkehrer verbundenen Einschränkungen, ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Weder kann er in seine Heimatprovinz zurückkehren, noch steht ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es ist ihm nicht zumutbar, sich in den urbanen Gebieten Afghanistans, insbesondere in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, oder an einem anderen Ort Afghanistans niederzulassen.

1.5. Zur Lage in Afghanistan (LIB in der Fassung 01.04.2021)

COVID-19:

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19- Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).

Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021)

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020).

Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese, wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. NachAngaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“. Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5 % geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Frauen und Kinder

Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete an, alle Schulen im März 2020 zu schließen (IOM 23.9.2020), und die CBE-Klassen (gemeindebasierte Bildung-Klassen) konnten erst vor Kurzem wieder geöffnet werden (IPS 12.11.2020). In öffentlichen Schulen sind nur die oberen Schulklassen (für Kinder im Alter von 15 bis 18 Jahren) geöffnet. Alle Klassen der Primär- und unteren Sekundarschulen sind bis auf Weiteres geschlossen (IOM 23.9.2020). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, sahen sich nun auch einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber der Rekrutierung durch die Konfliktparteien ausgesetzt (IPS 12.11.2020; cf. UNAMA 10.8.2020). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; cf. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (HRW 13.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, AAN 1.10.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (Martins/Parto 11.2020; vgl. HRW 13.1.2021, AAN 1.10.2020).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 18.3.2021). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021).

5. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage inAfghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum „vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte“ gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2020

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, so dass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020).

Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu.

Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden von den Taliban durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020).

In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021, vgl. AIHRC 28.1.2021).

Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat, scheint es eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020).

Zivile Opfer

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021; vgl. AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (UNAMA 2.2021).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021).

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.1.2021).

Während des gesamten Jahres 2020 dokumentierte UNAMA Schwankungen in der Zahl der zivilen Opfer parallel zu den sich entwickelnden politischen Ereignissen. Die „Woche der Gewaltreduzierung“ vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban in Doha am 29.2.2020 zeigte, dass die Konfliktparteien die Macht haben, Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern und zu begrenzen, wenn sie sich dazu entschließen, dies zu tun. Ab März wuchs dann die Besorgnis über ein steigendes Maß an Gewalt, da UNAMA zu Beginn des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie eine steigende Zahl von zivilen Opfern und Angriffen auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen dokumentierte. Regierungsfeindliche Elemente verursachten mit 62% weiterhin die Mehrzahl der zivilen Opfer im Jahr 2020. Während UNAMA weniger zivile Opfer dem Islamischen Staat im Irak und in der Levante - Provinz Chorasan (ISIL-KP, ISKP) und den Taliban zuschrieb, hat sich die Zahl der zivilen Opfer, die durch nicht näher bestimmte regierungsfeindliche Elemente verursacht wurden (diejenigen, die UNAMA keiner bestimmten regierungsfeindlichen Gruppe zuordnen konnte), im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (UNAMA 2.2021; vgl. AAN 16.8.2020). Pro-Regierungskräfte verursachten ein Viertel der getöteten und verletzten Zivilisten im Jahr 2020 (UNAMA 2.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Nach den Erkenntnissen der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind von allen zivilen Opfern in Afghanistan im Jahr 2020 die Taliban für 53 % verantwortlich, regierungsnahe und verbündete internationale Kräfte für 15 % und ISKP (ISIS) für fünf Prozent. Bei 25 % der zivilen Opfer sind die Täter unbekannt und 2 % der zivilen Opfer wurden durch pakistanischen Raketenbeschuss in Kunar, Chost, Paktika und Kandahar verursacht (AIHRC 28.1.2021).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019 als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 01.07.2020). Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 01.06.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019). Angriffe auf hochrangige Ziele setzen sich im Jahr 2021 fort (BAMF 18.01.2021).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexerAngriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.03.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.02.2020; vgl. UNGASC 17.03.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 01.07.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.03.2020).

5.1. Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ Kabul o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS Kabul o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Kabul 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kabul im Zeitraum 2020-21 auf 4.459.463

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 4.434.550

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014), inklusive der Ring Road (Highway 1), welche die fünf größten Städte Afghanistans - Kabul, Herat, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Jalalabad - miteinander verbindet (USAID o.D.).

Der Highway zwischen Kabul und Kandarhar gilt als unsicher (TN 7.7.2020a). Aufständische sind auf dem Highway aktiv (UNGASC 28.2.2019; vgl. UNOCHA 23.2.2020) und kontrollieren Teile der Straße und es wurde von Straßenblockaden und Checkpoints durch Aufständische berichtet, die sich gegen Regierungsmitglieder und Sicherheitskräfte richten (LI 22.1.2020; vgl. EASO 9.2020).

Der Kabul-Jalalabad-Highway ist eine wichtige Handelsroute, die oft als „eine der gefährlichsten Straßen der Welt“ gilt (was sich auf die zahlreichen Verkehrsunfälle bezieht, die sich auf dieser Straße ereignet haben) und durch Gebiete führt, in denen Aufständische aktiv sind (TD 13.12.2015; vgl. EASO 9.2020).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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