TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/26 W224 2208309-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.05.2021
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Entscheidungsdatum

26.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch


W224 2208309-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Martina WEINHANDL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX StA. Iran, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2021, Zl. 1090129701/210418056, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Zum ersten Antrag auf internationalen Schutz:

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Lor, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er im Iran Taxifahrer gewesen sei und dort christliche Fahrgäste gehabt habe, mit denen er ständig in Kontakt gewesen sei. Er habe Interesse am christlichen Glauben gezeigt. Als er sich eines Tages mit den christlichen Fahrgästen treffen habe wollen, habe die Polizei mit den Fahrgästen auf ihn gewartet. Bevor ihn die Polizei ergreifen habe können, sei er geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, dass er in seinem Heimatland eingesperrt werde.

3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz „BFA“) am 01.08.2018 gab der Beschwerdeführer nach seinem Fluchtgrund befragt zusammengefasst an, dass er im Iran Taxifahrer gewesen sei und eine Frau und zwei Männer zu seinen Stammkunden gehört hätten. Mit diesen habe er sich oft über religiöse Themen und das Christentum unterhalten und habe allmählich erfahren, dass diese Bibeln transportieren würden. Die Fahrgäste hätten auch bei ihm das Interesse für das Christentum geweckt. Einmal hätten diese ihn abgeholt und ihn einem Mann vorgestellt, der vermutlich ein großer Führer gewesen sei. Einige Tage später habe er mit den christlichen Fahrgästen wieder ein Treffen vereinbart. Als er zum Treffpunkt hingegangen sei, habe er die Fahrgäste aus der Ferne beobachtet und dabei bemerkt, dass jemand mit einem Funkgerät versteckt gewesen sei. Er habe seine Stammkundin angerufen, welche ihm nur gesagt habe, dass er kommen solle. Dabei sei auch eine unbekannte männliche Stimme zu hören gewesen. Daraufhin habe er Angst gehabt und habe sein Handy in einen Abflusskanal weggeworfen. Er habe sich eine Telefonkarte gekauft und seine Mutter angerufen. Diese habe ihm mitgeteilt, dass Leute bei ihr gewesen seien und nach ihm gefragt hätten. Anschließend sei er mit dem Bus nach Arak zu seiner Cousine gefahren und nach zwei Tagen sei er aus dem Iran ausgereist. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland fürchte er um sein Leben. Davon abgesehen führte der Beschwerdeführer aus, dass er fünf bis sechs Monate vor den Begebenheiten mit den christlichen Fahrgästen in einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit vier Basiji, die zwei Frauen belästigt hätten, involviert gewesen sei. Deswegen habe er aber keine Probleme bekommen (AS 133 ff).

4. Mit Bescheid vom 25.09.2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

5. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer fristgerecht eine Beschwerde. In der Beschwerdebegründung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sehr detailliert, ausführlich und ohne Widersprüche über die Geschehnisse im Iran berichtet habe. Die Feststellung im angefochtenen Bescheid, dass der Beschwerdeführer sicher nicht das Bedürfnis haben werde, im Rückkehrfall die christliche Religion zu praktizieren, diese nach außen zu tragen oder gar missionarisch tätig zu sein, sei lediglich eine Spekulation. Aufgrund der Konversion des Beschwerdeführers sei von einer Verfolgung in asylrelevanter Intensität aus Gründen der Religion und der damit verbundenen unterstellten politischen Gesinnung auszugehen.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.11.2019 in Anwesenheit einer beeideten Dolmetscherin für die Sprache Farsi, eines behördlichen Vertreters und im Beisein des rechtskundigen Vertreters des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung durch, in welcher zwei Zeugen einvernommen wurden und der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.

7. Am 03.01.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 29.12.2019 ein. Darin wird der Beschwerdeführer beschuldigt, mit einem Kopfstoß die Glasscheibe einer Eingangstüre eines Lokales beschädigt zu haben. Der Beschwerdeführer habe den Schaden wiedergutgemacht und angegeben, dass er sich aufgrund seiner starken Alkoholisierung nicht mehr an die Tat erinnern könne.

8. Das Bundesverwaltungsgericht wies diese Beschwerde mit Erkenntnis vom 18.12.2020, W259 2208309-2/21E als unbegründet ab. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 21.12.2020 zugestellt.

9. Die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgericht erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11.02.2021, Ra 2021/20/0025, zurück.

Zum (verfahrensgegenständlichen) zweiten Antrag auf internationalen Schutz:

10. Am 27.03.2021 stellte der Beschwerdeführer den zweiten – den gegenständlichen – Antrag auf internationalen Schutz und gab dazu in der Erstbefragung an, er habe nur mehr Kontakt zu seiner Schwester. Nachdem er „den dritten negativen Bescheid“ erhalten habe, habe er mit seiner Schwester im Iran telefoniert und sie habe ihm gesagt, er könne auf keinen Fall zurück, da auch seine Eltern im Iran Anzeige gegen ihn wegen seiner Religion erstattet hätten. Seine Eltern seien sehr religiös und sie könnten es nicht ertragen. Seine Eltern hätten auch schon bekannt gegeben, dass er nicht mehr ihr Sohn sei. Auch vorher hätten seine Eltern bereits Anzeige gegen ihn erstattet und öffentlich bekannt gegeben, dass er nicht mehr ihr Sohn sei. Nur diese Information von seiner Schwester habe er ganz neu erfahren, da er nur sehr selten Kontakt zu ihr habe. Auf Grund der Änderung seiner Religion und weil das „auch alle“ wüssten, sei das für seine Regierung ein Tabu und sie würden ihn erhängen. Er sei jetzt sehr aktiv in meiner neuen Religion. Sie hätten eine eigene WhatsApp-Gruppe und in dieser schreiben sie jeden Samstag miteinander. In Iran wisse die Geheimpolizei schon über ihn Bescheid. Nach seinem „dritten negativen Bescheid“ habe er seine Schwester angerufen und sie habe ihm die Situation von zu Hause nochmals genau geschildert. Sie habe ihm gesagt, dass seine Eltern allen erzählt hätten, dass er die Religion gewechselt habe.

11. Am 06.04.2021 wurde der Beschwerdeführer bezüglich seines Antrags auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, er könne nicht in den Iran zurück, weil sein Leben dort in Gefahr sei. Er habe keinen Kontakt zu seinen Eltern, er habe nur mit einer Schwester Kontakt, sie rufe ihn alle 2-3 Monate einmal an. Nachdem er die „dritte negative Entscheidung“ erhalten habe, habe er mit seiner Schwester telefoniert. Sie habe gesagt, dass seine Eltern, die extrem konservative Moslems seien, ihn bei der Behörde angezeigt hätten. Sie habe das bis dahin nicht erzählt. Er habe nicht gewusst, dass er von seinen Eltern angezeigt worden sei. Das sei vor ca. sechs Jahren passiert, seine Eltern seien seinetwegen beleidigt und beschimpft worden. Er habe aber nichts davon gewusst, sonst hätte er das alles schon damals gesagt. Er habe darüber mit seinem Anwalt gesprochen, er meinte, wenn es der Beschwerdeführer damals nicht wusste, dann konnte er es auch nicht sagen, aber es seien neue Entwicklungen. Der Anwalt habe dann für den Beschwerdeführer den schriftlichen Antrag geschrieben und gestellt. Nachgefragt, ob es noch andere Gründe gebe, aus denen er den gegenständlichen Antrag stellte, führte der Beschwerdeführer aus: „Nein, ich habe vor sechs Jahren auch deswegen aus dem Iran flüchten müssen.“ Nachgefragt zu den Details seines Gespräches mit der Schwester gab der Beschwerdeführer an, seine Schwester habe ihn angerufen, um ihn zu fragen, wie es ihm gehe und wie es in seinem Asylverfahren aussehe. Bei dem letzten Telefonat habe er ihr gesagt, dass die „dritte Entscheidung“ auch negativ sei. Sie habe dann gemeint, dass er nicht in den Iran zurückkehren könne, weil er im Iran verfolgt würde. Dann habe sie ihm erzählt, dass ihn seine Mutter schon vor sechs Jahren angezeigt habe. Die iranische Polizei hätte damals seine Eltern zweimal befragt, und sie hätten sich von ihm distanziert und ihn angezeigt. Seine Schwester habe gesagt, dass sie das damals nicht gesagt hätte, weil der Beschwerdeführer im Ausland wäre und allein und einsam wäre und sie wollte ihn nicht beunruhigen. Diese Ereignisse seien nicht neu, er habe aber jetzt erst davon erfahren. Seine Schwester rufe ihn alle zwei bis drei Monate an, wenn es ihr möglich sei und ihr Mann nicht zu Hause sei. Sie rufe ihn auf seinem österreichischen Handy an, manchmal über WhatsApp.

Das BFA nahm Einsicht in das Handy des Beschwerdeführers, wobei der Beschwerdeführer eine WhatsApp-Gruppe herzeigt. Das BFA stelle fest, dass die Konversation leer sei. Der Beschwerdeführer führte dazu aus, dass dies eine Gruppe mit zwei kleinen Kindern seiner Schwester sei. Diese würden manchmal Fotos schicken. Das BFA hielt dem BFA dann entgegen, dass er einerseits angeben, dass seine Schwester große Probleme bekomme, wenn die Mutter des Beschwerdeführers erfahre, dass die Schwester Kontakt mit dem Beschwerdeführer habe und andererseits, dass die kleine Nichte des Beschwerdeführers ihm regelmäßig Fotos schicke. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, dies zu erläutern. So gab er an: „Meine Nichten sind noch Kinder, sie wissen nicht, was es bedeutet, dass man mit mir keinen Kontakt haben darf. Solche Sachen verstehen sie nicht, sie haben diese Gruppe gegründet und mich hinzugefügt. Wenn es anders gewesen wäre, hätte ich es Ihnen nicht gezeigt.“ Seine Schwester rufe „eher normal“ an.

Das BFA sah das Handy des Beschwerdeführers weiter ein und stellte fest, dass der entsprechende Gesprächsverlauf leer war. Zu anderen Kontakten gab es einen Gesprächsverlauf bis März 2021 bzw. sogar bis November 2020. Das BFA hält dem Beschwerdeführer vor, dass er nach eigenen Angaben den Gesprächsverlauf zu seiner Schwester lösche, aber zu anderen Personen nicht. Der Beschwerdeführer meinte dazu: „Ich habe wirklich keine technischen Kenntnisse, und keine technischen Informationen. Wenn ich einen Anruf oder eine Nachricht aus dem Iran bekomme, lösche ich sie, nachdem ich sie gelesen habe.“ Auf Vorhalt, dass das BFA ein zweijähriges Einreiseverbot zu verhängen gedenke, führte der Beschwerdeführer aus: „Ich kann nicht in den Iran zurückkehren. Wenn ich hier auf der Straße schlafe, ist es gut, aber zurück gehe ich nicht, das kommt nicht in Frage. In den letzten sechs Jahren, war ich ein braver Bürger, ich habe nie gegen Gesetze verstoßen, ich habe freiwillig gearbeitet, ich war in der Kirche aktiv. Ich habe alles gemacht, um meinen iranischen Führerschein umzuschreiben. Wenn ich noch einmal in Linz bin, kann ich meinen österreichischen Führerschein abholen, ich mache mich selbständig, kann arbeiten und meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich kann nicht zurückkehren. Ich war 31 als ich nach Österreich kam, jetzt bin ich 37. Ich habe eine Arbeitszusage, von einem Freund, der bei UPS tätig ist. Er ist ein Mitglied der Kirche, inzwischen ist er ein Unternehmer und ich kann für ihn als Fahrer arbeiten. Dafür brauche ich nur einen Aufenthaltstitel.“

12. Am 13.04.2021 wurde der Beschwerdeführer neuerlich bezüglich seines Antrags auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Er habe vergessen zu erwähnen – er dachte nämlich, es sei eine alte Geschichte – aber er möchte es doch ergänzen: Er habe seine Fluchtgründe ausführlich geschildert, was er nunmehr erzähle, sei etwa ein Jahr vor seiner Ausreise passiert. Damals habe es im Iran in der Nachbarschaft oft Diskussionen zwischen Jugendlichen bzgl. politischer und religiöser Themen gegeben. Die Leute, die ihn dann später mit einem Schwert verletzt hätten, und er hätte immer noch Spuren am linken Oberarm, hätten mit ihm über religiöse Themen gestritten. Sie hätten gemeint, dass er nicht regelmäßig zur Moschee gehe, dass er nicht am gemeinsamen Gebet teilnehme, und er immer gesagt habe, dass es seine Sache sei und sie nichts angehe. Sie hätten ihn dann zu dritt mit dem Motorrad angegriffen und hätten ihm die Verletzungen zugefügt. Auf Nachfrage des BFA, aus welchem Grund er es nicht erwähnt habe, gab der Beschwerdeführer an, es habe mit seinem Fluchtgrund nichts zu tun, deshalb habe er es nicht erwähnt, er sei später ausgereist. Auf Nachfrage des BFA, seit wann er keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern habe, führte der Beschwerdeführer aus: „Als ich neu in Österreich war, habe ich vielleicht ein oder zweimal mit meinen Eltern gesprochen, das war schon 2015. Am Telefon wurde ich nur kritisiert von ihnen und dann gab es keinen Kontakt mehr.“ Er habe nur Kontakt zu seiner älteren Schwester Nahid. Etwa vier oder fünf Monate nach seiner Ausreise sei er von seinen Eltern angezeigt worden. Er habe aber erst jetzt davon erfahren.

Das BFA hält dem Beschwerdeführer in weiterer Folge folgendes Zitat aus der Einvernahme vom 01.08.2018 vor:

„F: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu Ihren Angehörigen?

A: Ich rede manchmal mit meiner Mutter. Nachgefragt über Internet. Nachgefragt sehr wenig mit meinen Geschwistern. Wenn mein Bruder meine Mutter besucht, dann kann ich mit Ihr über Internet sprechen, denn sie kennt sich nicht gut aus.“

Der Beschwerdeführer führte dazu aus, dass es sich um einen Tippfehler oder ein Missverständnis handle, es müsste richtigerweise „Schwester“ statt „Mutter“ heißen. Das BFA hielt dem Beschwerdeführer eine weitere Aussage vom 01.08.2018 betreffend seine Mutter vor:

„A: Ich habe meiner Mutter erklärt, dass ich meinen Glauben gewechselt habe. Sie konnte es nicht akzeptieren. Wir hatten keinen Kontakt mehr. Jetzt reden wir wieder. Mit meinem Vater habe ich keinen Kontakt mehr.“

Dazu gab der Beschwerdeführer an, das sei auch ein Missverständnis und es sei um seine Schwester gegangen.

13. Mit dem Bescheid vom 07.05.2021, Zl. 1090129701/210418056, wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.03.2021 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für eine freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das BFA aus, das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers am 21.12.2020 rechtskräftig abgeschlossen worden sei. Es sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer im Iran nie einer individuellen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, dass er sich im Iran nicht dem christlichen Glauben zugewandt habe, sowie dass er in Österreich nicht aus innerer Überzeugung den mormonischen Glauben angenommen habe. Seinem Vorbringen, dass ihn seine Eltern im Iran aufgrund seines Religionswechsels angezeigt hätten, komme kein glaubhafter Kern zu. Im Zuge des gegenständlichen Folgeantrages habe sich daher kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Der Beschwerdeführer leide an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten. Er verfüge in Österreich und Europa über keine Verwandten oder Angehörigen. Zuletzt sei im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts festgehalten worden, dass die Erlassung der Rückkehrentscheidung keine Verletzung seines Rechts auf Privat- und Familienleben darstelle. Seither hätten sich keine entscheidungswesentlichen Änderungen ergeben. Er habe sich während seines Aufenthalts in Österreich in Grundversorgung befunden. Er sei strafrechtlich unbescholten. Auch die allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers habe sich seit Rechtskraft seines ersten Asylverfahrens (21.12.2020) nicht entscheidungswesentlich geändert. Es sei – so das BFA – keineswegs nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einerseits angeben habe, dass seine Mutter der Familie untersagt hätte, mit ihm Kontakt zu halten und andererseits seine Schwester und seinen Nichten eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe hätten und diese dem Beschwerdeführer immer wieder Fotos schickten. Darauf hingewiesen, habe er angegeben, dass seine Nichten noch Kinder wären und nicht wissen würden, was es bedeuten würde, dass man keinen Kontakt haben dürfe. Dies sei aber aus der Sicht des BFA keinesfalls glaubhaft. Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich von seiner Familie geächtet worden und würde seine Schwester nur im Geheimen mit ihm in Kontakt stehen, würde sie keinesfalls ihre Kinder in eine derartige Gruppe aufnehmen. Das BFA führte weiters aus, dass der Beschwerdeführer bei anderen Kontakten in seinem Handy die Verbindungsdaten nicht löschte. Es hätten sich in einem zufällig ausgewählten Kontakt Gesprächsverläufe bis November 2020 gefunden. Darauf hingewiesen, habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er die Anrufe und Nachrichten aus dem Iran löschen würde, nachdem er sie gelesen hätte. Dies stehe aber im Widerspruch zu seiner ursprünglichen Angabe, dass er die Gesprächsverläufe und Nachrichten deshalb lösche, weil er wenig Kapazität hätte (vgl. S. 4 der Einvernahme vom 06.04.2021). Der Beschwerdeführer habe keineswegs glaubhaft machen können, dass es das Gespräch mit seiner Schwester tatsächlich gegeben habe. Auch habe der Beschwerdeführer in seinem ersten Verfahren angegeben, dass er manchmal mit seiner Mutter sprechen würde und nur sehr wenig mit seinen Geschwistern. Wenn sein Bruder die Mutter besuchen würde, könnte er über Internet mit ihr sprechen. Auch habe er in dieser Einvernahme angegeben, dass er seiner Mutter erklärt hätte, dass er seinen Glauben gewechselt hätte. Sie hätten keinen Kontakt mehr gehabt, würden nunmehr aber wieder miteinander reden. Zu seinem Vater hätte er keinen Kontakt mehr. Es sei – so das BFA – keinesfalls glaubhaft, dass seine Mutter den Beschwerdeführer vor sechs Jahren angezeigt hätte und ihm das bis dato nicht mitgeteilt hätte. Es bestehe sohin ein Widerspruch zwischen den Aussagen des Beschwerdeführers am 01.08.2018 und am 13.04.2021 in Bezug auf den Kontakt zur Familie bzw. zur Schwester. Der Beschwerdeführer habe dies dann aufklären wollen mit einem Tippfehler. Dazu meinte das BFA jedoch, dass diese Angaben als reine Schutzbehauptung zu werten seien. Aus dem Kontext gehe klar hervor, dass es in der in der Einvernahme zitierten Passage um seine Mutter gehe. So habe der Beschwerdeführer sogar angegeben, dass er nur mit ihr reden könnte, wenn sein Bruder dabei wäre, weil sie sich mit dem Internet nicht so gut auskennen würde. Auf die Frage, ob er nie versucht hätte, seine Mutter zu kontaktieren, habe er angegeben, dass das nicht möglich wäre, weil seine Mutter eine alte Frau wäre und von Technik und Handys nichts verstehen würde und dafür immer eine zweite Person benötigen würde. Dies zeige nochmal, dass in der Einvernahme am 01.08.2018 sehr wohl seine Mutter gemeint gewesen sei. Es stehe daher aus der Sicht des BFA fest, dass der Beschwerdeführer in Kontakt mit seiner Mutter stand und stehe. Daher sei sein neues Vorbringen hinsichtlich der Anzeige durch seine Eltern völlig unglaubwürdig und weise auch keinen glaubhaften Kern auf. Zusammengefasst ergebe sich daher kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt, der zu einer neuen inhaltlichen Prüfung berechtigen würde.

Der Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 07.05.2021 übernommen.

14. Mit Verfahrensanordnung vom 07.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die BBU GmbH als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde der Beschwerdeführer über eine freiwillige Ausreise informiert.

15. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 19.05.2021 fristgerecht erhobene Beschwerde. In der Beschwerdebegründung wurde unter anderem ausgeführt, dass das BFA den Antrag auf internationalen Schutz fälschlicherweise wegen entschiedener Sache zurückgewiesen habe. Er habe die Gründe, die den Sachverhalt maßgeblich änderten, jetzt vorgebracht, da er zuvor von dieser Anzeige nicht gewusst habe. Er nehme weiterhin an Gottesdiensten teil und halte regelmäßig Kontakt zu anderen Mitgliedern. Trotz schwieriger Situationen bleibe er seinem Glauben treu. Er habe sich dem christlichen Glauben endgültig zugewandt und würde nie sein Glaube verleugnen, was im Falle einer Rückkehr für ihn auch Tod bedeuten würde. Der Beschwerdeführer poste auch sehr oft regimekritische Posts auf Instagram, welche seine politische Ansicht widerspiegelten. Die Situation des Beschwerdeführers sei von der belangten Behörde falsch eingeschätzt worden. Die Behörde habe es versäumt weiter nachzufragen, welche Gefahr von den Eltern selbst, von der Verwandtschaft bzw. Nachbarschaft ausgehe. Der Beschwerdeführer befürchte im Falle einer Rückkehr, dass seine Familie ihn an die Behörden ausliefern werde, um so die Ehre der Familie wiederherzustellen. Die belangte Behörde habe sich viel zu ungenau damit auseinandergesetzt und hätte überdies inhaltlich über den Folgeantrag des Beschwerdeführers entscheiden müssen. Deswegen hätte die belangte Behörde den Folgeantrag inhaltlich zu prüfen gehabt und die Erlassung einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG sei daher unzulässig und rechtswidrig. Aufgrund seiner Konversion, regimekritischen Ansicht und Anzeige durch Eltern unterliege der Beschwerdeführer einem realen Risiko, dass seine durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte bei einer Rückkehr in den Iran verletzt würden. Diese Prüfung, die bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung verpflichtend durchzuführen ist, habe die belangte Behörde unterlassen und das Verfahren mit einem groben Mangel behaftet. Der Beschwerdeführer verfüge zweifellos über schützenswertes Privatleben iSd Art. 8 EMRK. Der Eingriff in die Rechte des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK sei „als unzulässig zu betrachten“, und es hätte daher festgestellt werden müssen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Er sei strafgerichtlich unbescholten und habe nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Die Verhängung eines zweijährigen Einreiseverbotes sei in „überschießender Ausnutzung des gesetzlichen Ermessensspielraumes“ erfolgt und sei somit willkürlich. Zudem regte der Beschwerdeführer an, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

16. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.05.2021 vom BFA vorgelegt und der Gerichtsabteilung W224 zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakten sowie in die Vorverfahren, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1.    Zum sozialen Hintergrund des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Iran, Angehöriger der Volksgruppe der Lor an. Der Beschwerdeführer spricht Farsi und ein wenig Deutsch.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter. Er ist arbeitsfähig, gesund und nicht immungeschwächt.

Der Beschwerdeführer gehört keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an.

Er ist ledig. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Schwester im Iran.

Der Beschwerdeführer wurde als schiitischer Moslem geboren und hat diesen Glauben zuletzt im Iran nicht aktiv ausgeübt.

Er ist in der Provinz Teheran geboren und in der Stadt Teheran aufgewachsen. Zu seiner Familie zählen seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern. Seine Familie sind Angehörige des islamischen Glaubens und religiös. Seine Familienangehörigen leben in Teheran. Der Beschwerdeführer lebte vor seiner Ausreise aus dem Iran in der Stadt Teheran bei seinen Eltern. Seine Familie hat im Iran keine finanziellen Probleme. Er reiste illegal aus dem Iran aus.

Er besuchte mehrere Jahre die Schule. Danach arbeitete er bei einem Mechaniker. Zuletzt war er als Taxifahrer beschäftigt und konnte mit dieser Tätigkeit seinen Lebensunterhalt im Iran gewährleisten.

1.2.    Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Er ist kein Mitglied von Vereinen und politischen Parteien und war bisher auch sonst politisch nicht aktiv. Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2015 in Österreich auf, derzeit in XXXX .

Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich und lebt auch in keiner Lebensgemeinschaft.

Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach, lebt in der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht in ärztlicher Behandlung und nimmt auch keine Medikamente ein.

1.3.    Zum bisherigen (ersten) Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich:

Mit Bescheid vom 25.09.2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers vom 07.10.2015 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 18.12.2020, W259 2208309-2/21E, als unbegründet ab. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 21.12.2020 zugestellt.

Die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgericht erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11.02.2021, Ra 2021/20/0025, zurück.

1.4.    Zum Fluchtgrund und zur Rückkehr:

Der Beschwerdeführer hat generell keine neuen Gründe und in diesem Zusammenhang daher auch keine neuen Gründe, denen ein „glaubwürdiger Kern“ innewohnen würde, vorgebracht. Er hat im gegenständlich Verfahren im Vergleich zu seinem ersten Verfahren keinen wesentlich geänderten Sachverhalt glaubhaft gemacht. Das Kernvorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen im gegenständlichen (ersten) Folgeantrag enthält sohin keine neuen Fluchtgründe im Vergleich zu den Fluchtgründen des Erstverfahrens.

Es ergab sich zwischenzeitig weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen.

Insgesamt liegt eine maßgebliche Änderung hinsichtlich der asyl- und abschieberelevanten Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz (Vergleichsentscheidung) des Beschwerdeführers ebenso wenig vor, wie zur Frage des Vorliegens einer maßgeblichen Bedrohung des Beschwerdeführers im Iran. Die anzuwendenden Rechtsvorschriften haben sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des vorhergehenden Asylverfahrens (Vergleichsentscheidung) nicht geändert.

Die allgemeine Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers hat sich in Bezug auf die bereits im vorangegangenen Asylverfahren behandelten Aspekte nicht geändert.

Der Beschwerdeführer hat im Falle seiner Rückkehr in den Iran weder von staatlicher noch von privater Seite Drohungen oder Gewalthandlungen zu erwarten. Er würde auch nicht in eine seine Existenz bedrohende Notlage geraten.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Mit Stand 25.05.2021 scheinen im Iran insgesamt 2.843.523 Fälle und 78.848 Todesfälle auf, wobei am 25.05.2021 nicht ersichtlich war, wie viele Personen bereits genesen sind. Es wurden 3.141.577 Impfdosen verabreicht, wobei 403.073 Personen vollimmunisiert sind. Die Feststellungen zu den derzeitigen Informationen betreffend COVID-19 sind amtsbekannt und der weltweiten Gesamtberichterstattung zu entnehmen. Die Feststellungen hinsichtlich der Anzahl der erkrankten und verstorbenen Personen Iran stammen von der John Hopkins University & Medicine (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 25.05.2021). Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört mit Blick auf sein junges Alter und das Fehlen einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde. Beim derzeitigen Stand der Wissenschaft geht man von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html, abgerufen am 25.05.2021).

1.5.    Zur maßgeblichen Situation im Iran:

In diesem Zusammenhang wird betreffend die maßgebliche Situation im Iran festgestellt (vgl. bereits die Länderfeststellungen im Bescheid des BFA; letzte Änderung 28.01.2021):

COVID-19 (Letzte Änderung: 28.01.2021)

Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder (DW 18.11.2020) und ist nun auch von einer dritten COVID-19-Infektionswelle stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind dabei kaum auszumachen, da das Ansteckungsrisiko flächendeckend sehr hoch ist. Städte und Provinzen sind je nach Infektionszahlen in unterschiedliche Risikogruppen eingeteilt (rot = kritische Situation, orange = hohes Risiko, gelb = geringes Risiko) (AA 1.12.2020). Die Zahl der Neuinfektionen bewegt sich den offiziellen Zahlen zufolge weiterhin auf einem hohen, und weiter steigenden Niveau, die Zahl der täglichen Todesopfer ist auch im Steigen begriffen (WKO 28.11.2020). Aktuelle Informationen und detaillierte Zahlen bieten das iranische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation WHO (AA 1.12.2020). Die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist sehr hoch, verschiedentlich gibt es Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten (WKO 28.11.2020). Die Spitäler kämpfen mit Überlastung (WKO 28.11.2020; vgl. ZDF.de 18.10.2020). Für alle der 31 Provinzen inklusive Teheran gilt die Situation als sehr besorgniserregend (WKO 28.11.2020).

Personen, die in den Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf bei der Einreise nicht älter als 96 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, wird ausländischen Staatsangehörigen die Einreise nach Iran verwehrt. Iranische Staatsangehörige (Doppelstaatsbürger reisen in der Regel mit ihrem iranischen Reisepass ein) werden unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums in ein Flughafenhotel eingewiesen, dessen Kosten selbst zu tragen sind. Mit eigenhändiger Unterschrift ist zu bestätigen, dass das Hotel nicht verlassen werden darf. Die 14-tägige Quarantäne kann durch einen negativen molekularbiologischen Test beendet werden (BMeiA 1.12.2020; vgl. AA 1.12.2020). Positiv auf COVID-19 getestete Passagiere werden in ein Krankenhaus in Teheran oder andere Isolationsstationen verbracht (AA 1.12.2020).

Seit 21. November 2020 gilt für alle Provinzhauptstädte und zahlreiche weitere Städte ein zunächst zweiwöchiger Lockdown mit weitreichenden Verkehrseinschränkungen (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020), obwohl sich die iranische Regierung - aus Angst vor Protesten - lang gegen einen Lockdown gewehrt hat (DW 18.11.2020). Der Reiseverkehr zwischen diesen rot eingestuften Städten ist grundsätzlich untersagt. In Teheran gilt von 21 Uhr bis 4 Uhr ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020). Ab 22 Uhr gilt dies auch für den öffentlichen Nahverkehr. Taxis verkehren auch nach 22 Uhr (AA 1.12.2020). Es kommt – abgesehen vom Lebensmittelhandel und systemrelevanten Einrichtungen – ebenfalls zu landesweiten Betriebsschließungen (BMeiA 1.12.2020). Im Alltag ist derzeit vor allem in orangen und roten Regionen wieder mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Vorübergehend werden weitergehende Beschränkungen eingeführt (z.B. Schließungen von Restaurants, Sporteinrichtungen, religiösen Einrichtungen usw.). Einrichtungen für den essentiellen Lebensbedarf wie Supermärkte und Apotheken bleiben geöffnet. Davon sind u.a. Teheran sowie der Großteil der Provinzhauptstädte und weitere Großstädte betroffen. In roten Regionen bleiben Touristenziele teilweise geschlossen. Camping in öffentlichen Parks ist grundsätzlich untersagt (AA 1.12.2020). Behörden bleiben geöffnet, werden aber nur mit einem Drittel der üblichen Mitarbeiter besetzt (DW 18.11.2020). In allen Schulen und Universitäten wird auf Fernunterricht umgestellt (WKO 28.11.2020; vgl. DW 18.11.2020).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und öffentliche Transportmittel zu meiden. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr (AA 1.12.2020; vgl. WKO 28.11.2020). Künftig soll die Polizei stärker gegen Verstöße vorgehen, Strafen für Verstöße gegen die Auflagen wurden angekündigt (AA 1.12.2020).

Die Regierung hat ein Hilfspaket für Haushalte und Arbeitgeberbetriebe in der Höhe von 24 Mrd. USD beschlossen. 4 Mio. Haushalte sollen einen zinsfreien Mikrokredit von umgerechnet 62 bzw. 124 USD erhalten (WKO 28.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.12.2020, unverändert gültig seit 18.11.2020): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396, Zugriff 1.12.2020

?        BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (1.12.2020, unverändert gültig seit 20.11.2020): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 1.12.2020

?        DW – Deutsche Welle (18.11.2020): Irans Regierung gibt Widerstand gegen Corona-Lockdown auf, https://www.dw.com/de/irans-regierung-gibt-widerstand-gegen-corona-lockdown-auf/a-55651492, Zugriff 1.12.2020

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (28.11.2020): Coronavirus: Situation im Iran, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/iran-bulletin-aussenwirtschaftscenter-zum-coronavirus--.html, Zugriff 1.12.2020

?        ZDF.de (18.10.2020): Wie die zweite Welle den Iran trifft, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-iran-zweite-welle-100.html, Zugriff 1.12.2020

1. Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 9.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Revolutionsführer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 4.3.2020). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2020). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 9.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2020). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 9.2020a). Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020). Nach dem die Erwartungen des Volks vom moderat-reformorientierten Parlament nicht erfüllt wurden und die Wirtschaftslage und die finanzielle Situation des Volks nach den US-Sanktionen immer schlechter wurde, kamen nach den Parlamentswahlen 2020 hauptsächlich die konservativen und erzkonservativen Kräfte ins Parlament. Die Mehrheit der Abgeordneten der neuen Legislaturperiode verfolgt sowohl gegenüber der Regierung von Rohani als auch gegenüber westlichen Werten eine sehr kritische Linie (ÖB Teheran 10.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. GIZ 9.2020a, FH 4.3.2020, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 9.2020a). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 9.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 9.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 9.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 9.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

2. Sicherheitslage

Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 2.12.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Diese haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 2.12.2020; vgl. AA 2.12.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 2.12.2020b).

In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 2.12.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 2.12.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 2.12.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 2.12.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 2.12.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2020).

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2020). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (USDOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ [divine knowledge] für schuldig befinden (USDOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erde";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Die Amputation z.B. eines Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen (Qisas), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann (ÖB Teheran 10.2020). Bei derartigen Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes (Diya) auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020). Durch Erhalt einer Kompensationszahlung (Diya) kann also der ursprünglich Verletzte auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen Diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2020). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (USDOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2020).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 26.2.2020). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij Milizen unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).

Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Letztere nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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