TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/26 W192 2166242-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.05.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

26.05.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W192 2166242-2/9E

W192 2166244-2/9E

W192 2166248-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX 2.) XXXX , geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 03.09.2020, Zahlen: 1.) 1092825307-200396357, 2.) 1092825100-200396373, und 3.) 1092824604-200396365, zu Recht:

A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. bis III. werden gemäß § 68 Abs. 1 AVG i.d.g.F., §§ 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. wird gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG i.d.g.F. stattgegeben und diese behoben. Die Rückkehrentscheidung ist jeweils bis zum 08.09.2021 vorübergehend unzulässig.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführer sind volljährige Staatsangehörige Afghanistans und Brüder. Sie reisten gemeinsam mit ihren Eltern, zwei weiteren Geschwistern, ihrer Schwägerin und einem Neffen (Ehegattin und Kind des ältesten Bruders) illegal ins Bundesgebiet ein und stellten am 30.10.2015 gemeinsam mit den genannten Familienangehörigen erste Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer waren zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig.

Die Beschwerdeführer beriefen sich in diesen Verfahren jeweils auf die für die gesamte Familie vorgebrachten Fluchtgründe ohne eine sie persönlich betreffende Verfolgung konkret anzuführen.

Diese Anträge wurden durch Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 nach Durchführung von mündlichen Beschwerdeverhandlungen gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und gegen die Beschwerdeführer jeweils Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und es wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise eingeräumt. In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht über die Beschwerdeführer folgende Feststellungen getroffen:

„Die Beschwerdeführer (…) sind allesamt afghanische Staatsangehörige, schiitischen Glaubens, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und stammen (…) aus Herat. Die letzten vier Jahre vor ihrer Ausreise nach Europa verbrachten die Beschwerdeführer im Iran. Sie sprechen die Sprache Dari auf muttersprachlichem Niveau.

Der Drittbeschwerdeführer ist ledig, gesund, in Herat geboren und dort mit seiner Familie aufgewachsen. Er hat in Herat zwölf Jahre lang die Schule besucht und abgeschlossen. Sodann hat er drei Jahre lang den Beruf eines „Naturheilers“ vergleichbar der Homöopathie bei einer Person erlernt und in dessen Geschäft in Herat gearbeitet. Bevor er im Bereich der Homöopathie gearbeitet hat, hat er bei seinem Vater im Kleidungsgeschäft gearbeitet. Im Iran hat er mit seinem älteren Bruder in einem Schuhgeschäft gearbeitet und den Lebensunterhalt für die Familie verdient.

Der [nunmehrige Erstbeschwerdeführer] ist ledig, gesund, in Herat geboren und dort mit seiner Familie aufgewachsen. Er hat vier Jahre lang die Schule in Afghanistan besucht. Im Iran ist er nicht in die Schule gegangen. Er hat in Afghanistan seinem Vater manchmal im Geschäft geholfen, im Iran hat er nicht gearbeitet.

Der [nunmehrige Zweitbeschwerdeführer] ist ebenfalls ledig, gesund, in Herat geboren und dort mit seiner Familie aufgewachsen. Er hat in Afghanistan bis zur vierten Klasse die Schule besucht. Im Iran ist er nicht zur Schule gegangen. Er hat weder in Afghanistan, noch im Iran gearbeitet.

Die Beschwerdeführer reisten (…) im Familienverband unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführer leiden nicht an lebensbedrohlichen Erkrankungen oder sonstigen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Es wird festgestellt, dass die Familien der Beschwerdeführer in Afghanistan in gesicherten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen leben und ihnen ebenfalls keine Verfolgung droht. Die Beschwerdeführer halten Kontakt zu ihren Familien und den Verwandten in Afghanistan.

Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer waren in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihnen asylrelevante Gründe für das Verlassen ihres Heimatstaates nicht glaubhaft dargetan. Es ist nicht glaubhaft, dass den Beschwerdeführern in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung droht.

Es ist nicht glaubhaft, dass die [Schwägerin der Beschwerdeführer] und die übrigen Beschwerdeführer aufgrund einer vermeintlichen Verteilung von CDs im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit als Koranlehrerin für Kinder bedroht wurden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer deshalb konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden sind noch, dass sie konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren oder sind.

Festgestellt wird auch, dass dem [Vater der Beschwerdeführer] und seiner Familie keine Verfolgung aufgrund seiner Vortragstätigkeit als Maddah, die er jahrzehntelang ausgeübt hat, gedroht hat und auch nach wie vor nicht droht.

Festgestellt wird, dass den Beschwerdeführern auch nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zum schiitischen Islam oder der tadschikischen Volksgruppe konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Dem Drittbeschwerdeführer droht und drohte auch keine individuelle Verfolgung aufgrund des Aufhängens schwarzer Tücher vor seinem Geschäft durch den Besitzer des Nachbargeschäfts (…).

Des Weiteren droht ihnen auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der Tatsache, dass sie in Europa bzw. dem Iran gelebt haben. Gleichsam wird festgestellt, dass nicht jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa/Iran physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Ebenso wenig droht den Beschwerdeführern aus etwaigen anderen Gründen eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan.

Die Beschwerdeführer verließen den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen.

Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:

Bei einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Heimatstadt Herat können die Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Sie können zumindest anfänglich auf die (zumindest finanzielle) Unterstützung durch die ebenfalls in Herat Stadt lebenden Familien der (…) und [des Vaters sowie der Mutter der Beschwerdeführer] zurückgreifen. Die wirtschaftliche Situation der dort lebenden Familien ist gesichert und sie können bei einer Rückkehr mit Unterstützung seitens der Familien rechnen. Darüber hinaus können die Beschwerdeführer für ihr Auskommen und Fortkommen sowie für das der [weiblichen und minderjährigen Familienmitglieder] sorgen. Sie leiden an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten, sind arbeitsfähig und haben bis auf den [nunmehrigen Erstbeschwerdeführer] bereits Berufserfahrung. (…) Die Beschwerdeführer haben auch die Möglichkeit, Rückkehrunterstützung in Anspruch zu nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe sowie Hilfe vor Ort zu erhalten.

(…)

Es ist den Beschwerdeführern nicht zuletzt auch aufgrund des vorhandenen sozialen Auffangnetzes somit möglich, nach einer Rückkehr in die Stadt Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.“

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 21.01.2020, Zahl: E 193-202/2020-6, die Behandlung einer Beschwerde gegen die dargestellten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts abgelehnt.

2. Die Beschwerdeführer brachten (ebenso wie die weiteren Familienmitglieder) am 12.05.2020 die vorliegenden Folgeanträge ein.

Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass die bereits vorgebrachten Fluchtgründe noch aufrecht seien, ihre Feinde seien noch mächtiger geworden. Zudem ginge er hier zur Schule und habe sich gut integriert.

Der Zweitbeschwerdeführer brachte ebenfalls vor, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht blieben, zwischenzeitlich hätten auch weitere Familienmitglieder aus Angst vor ihren Feinden Afghanistan verlassen müssen.

Der Drittbeschwerdeführer berief sich ebenfalls darauf, dass die alten Fluchtgründe noch aufrecht seien und die Feinde noch mächtiger geworden seien. Außerdem habe er im Jahr 2018 eine in Österreich asylberechtigte Frau geheiratet.

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.07.2020 gab der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass die Probleme seiner Familie im Herkunftsstaat nach wie vor aufrecht und noch intensiver geworden seien. Ihr Feind von damals sei stärker geworden, die Leute bzw. Mullahs von Mazar-e Sharif hätten sich mit diesem zusammengetan. Er persönliche habe keine Probleme gehabt. Für den Fall der Rückkehr befürchte er, dass ihr Feind – ein namentlich bezeichneter Mullah – überall Leute habe und der Staat nichts gegen diesen ausrichten könne. Der Erstbeschwerdeführer selbst sei damals sehr jung gewesen und könne sich an die Bedrohungssituation nicht erinnern. Aus Erzählungen seiner Familie habe er erfahren, dass es sich um eine Bedrohung gegen seine Schwägerin in Zusammenhang mit der Veröffentlichung von CDs gehandelt hätte. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, aufgrund seiner Familienzugehörigkeit ebenfalls bedroht zu sein. Auch hätten seine Feinde Probleme mit Schiiten. Zudem lebe er seit fünf Jahren in Österreich und habe sich an das Leben hier gewöhnt. Er habe bis zum elften Lebensjahr in Herat gelebt und dort eine Schule besucht, anschließend habe er mit seiner Familie vier Jahre im Iran verbracht. Zudem sei es insofern zu einer sexuellen Belästigung gekommen, als er von einem unbekannten älteren Mann am Körper angegriffen worden sei. Nach der negativen Entscheidung sei der Erstbeschwerdeführer sehr traurig gewesen; er habe sich das Leben nehmen wollen und sei eine Woche stationär behandelt worden. Momentan ginge es ihm gesundheitlich gut, er habe zwei- bis dreimal einen Psychologen aufgesucht. Aktuell stehe er nicht in Behandlung.

Der Erstbeschwerdeführer lebe gemeinsam mit seiner Familie von der Grundversorgung. Er habe den Pflichtschulabschluss absolviert und sich über eine Lehrstelle als Mechaniker erkundigt.

Der Erstbeschwerdeführer legte Unterlagen zur Bestätigung seines Schulbesuchs sowie absolvierter Praktika, Empfehlungsschreiben, ein von ihm verfasstes Schreiben über die Situation in Afghanistan und ärztliche Unterlagen aus September 2019, welchen sich die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, bzw. eine Anpassungsstörung mit depressiven und ängstlichen Anteilen sowie frontale Cephalea entnehmen lässt, vor.

Der Zweitbeschwerdeführer gab anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.07.2020 zusammengefasst an, die alten Fluchtgründe aufrecht zu halten. Er sei zum Zeitpunkt der Ausreise aus Afghanistan zehn Jahre alt gewesen. Junge Männer würden in Afghanistan belästigt und missbraucht werden. Die Schwierigkeiten seiner Familie seien ihm wegen seines noch sehr jungen Alters nicht mitgeteilt worden. Den Folgeantrag stelle er, da ihre Feinde vor etwa einem Jahr versucht hätten, seinen Neffen zu entführen. Ihre Feinde in Afghanistan seien mächtiger geworden. Bei den Feinden handle es sich um einen Mullah, dessen Leute wegen der bereits bekannten Geschichte seiner Schwägerin nach ihnen suchen würden. Vor kurzem seien auch seine Schwestern belästigt worden, welche nunmehr mit einem Onkel im Iran leben würden. Der Mullah habe viele Anhänger (Sunniten) in ganz Afghanistan. Der Zweitbeschwerdeführer sei in Afghanistan nicht persönlich bedroht worden, da er damals noch sehr jung gewesen sei. Allerdings sei er von einem Nachbarn belästigt worden, welcher ihn an der Hand genommen hätte und ihm zuvor bereits Sachen gesagt hätte, die ein normaler Mensch nicht sagen würde. Bei einer Rückkehr habe der Zweitbeschwerdeführer Angst vor dem erwähnten Mullah.

In Österreich lebe der Zweitbeschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie und besuche eine Handelsschule im letzten Jahr. Er spiele Fußball und würde gerne als Krankenpfleger arbeiten. Der Zweitbeschwerdeführer legte ein Schreiben eines Hotelbetriebes, Unterlagen über seinen Schulbesuch sowie seine Aktivität in einer Hobbyfußballgruppe und ein von ihm verfasstes Schreiben über die Situation in Afghanistan vor.

Der Drittbeschwerdeführer gab anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.07.2020 zusammengefasst an, seine ursprünglichen Fluchtgründe, welche die gesamte Familie betreffen würden, seien weiterhin aufrecht. Den Folgeantrag stelle er, da sie einen negativen Bescheid erhalten hätten und das Geld für eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht besessen hätten. Die Unterstützung durch das Land Niederösterreich sei nach Erhalt des negativen Bescheides weggefallen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er die mittlerweile noch mächtigeren Feinde seiner Familie, welche viele Anhänger hätten und öffentlich im Fernsehen auftreten würden. Jener Mullah sei deshalb so mächtig, da er eine Moschee in Herat hätte und alle, die ungebildet seien, ihm folgen würden. Zudem gebe es in Afghanistan täglich Attentate und er würde bei einer Rückkehr aus dem Ausland als Ungläubiger bezeichnet werden. Seine Schwestern und sein Onkel hätten mittlerweile auch wegen des erwähnten Mullahs das Land verlassen, nachdem sein Neffe persönlich bedroht worden wäre. Der Drittbeschwerdeführer habe bis zum Alter von 20 Jahren in Herat gelebt, im Anschluss habe er vier Jahre im Iran verbracht. Nach Afghanistan habe er keine Kontakte mehr.

Der Drittbeschwerdeführer lebe zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern, beziehe Grundversorgung und habe 2018 eine asylberechtigte Afghanin nach islamischem Recht sowie standesamtlich geheiratet, mit welcher er acht Monate lang zusammengelebt hätte. Derzeit bestehe wegen seiner aufenthaltsrechtlichen Situation ein getrennter Wohnsitz, er sehe seine Frau alle zwei bis drei Tage. Den negativen Bescheid habe er am Tag der traditionellen Eheschließung erhalten. Der Drittbeschwerdeführer würde gerne als Hilfskoch arbeiten, aktuell sei ihm eine Erwerbstätigkeit aufgrund seiner aufenthaltsrechtlichen Stellung nicht möglich.

Vorgelegt wurden die traditionelle und standesamtliche Heiratsurkunde, Zertifikate über eine Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 und eine ÖSD-Deutschprüfung auf dem Niveau B2.

In der Folge wurden ein Unterstützungsschreiben sowie eine Einstellungszusage für eine Tätigkeit als Koch in einem Hotel übermittelt.

3. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020 wurden die Folgeanträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten jeweils gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde den Beschwerdeführern nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkte V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkte VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführer hätten jeweils keine seit rechtskräftigem Abschluss des vorangegangenen Verfahrens neu entstandenen asylrelevanten Tatsachen vorgebracht. Die Beschwerdeführer hätten sich neuerlich auf die bereits im vorangegangenen Verfahren als unglaubwürdig erachtete Verfolgung ihres Vaters und ihrer Schwägerin berufen, eine persönliche Bedrohung ihrer Personen jedoch – auch mit ihren Ausführungen zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan – nicht aufgezeigt. Eine generelle Verfolgung von aus Europa zurückgekehrten Personen ließe sich der Berichtslage nicht entnehmen.

Diese seien allesamt jung, gesund und könnten ihren Lebensunterhalt in Afghanistan eigenständig bestreiten und sich zudem gegenseitig unterstützen. Ein maßgebliches Risiko bei einer Rückkehr in die Heimatstadt Herat, in welcher eine vergleichsweise stabile Sicherheitslage bestehe, sei demnach auch unter Berücksichtigung der derzeit vorherrschenden Covid-19-Pandemie nicht zu erkennen. Im Falle des Erstbeschwerdeführers sei von einer Stabilisierung seines psychischen Gesundheitszustandes auszugehen, zumal er sich nach dem stationären Aufenthalt in einem Landesklinikum im September 2019 in keine weitergehende Behandlung begeben hätte. Im Übrigen würden auch in Afghanistan Behandlungsmöglichkeiten in Bezug auf psychische Erkrankungen vorhanden sein.

Der Drittbeschwerdeführer sei sich zum Zeitpunkt des Eingehens einer Ehe im Bundesgebiet der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst gewesen und habe mit seiner Gattin nur kurze Zeit im gemeinsamen Haushalt gelebt, sodass eine verfestigte Beziehung nicht anzunehmen sei. Eine Abhängigkeit zwischen den in Österreich aufhältigen Familienmitgliedern sei nicht zu erkennen gewesen. Die Beschwerdeführer hätten ausschließlich aus Mitteln der Grundversorgung gelebt und seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Diese hätten sich zwar um eine sprachliche und schulische Integration bemüht, seien sich jedoch der Unsicherheit ihres Aufenthalts bewusst gewesen und hätten den Großteil ihres bisherigen Lebens im Familienverband in Afghanistan verbracht.

4. Gegen diese Bescheide brachten die Beschwerdeführer durch die damals bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 24.09.2020 fristgerecht die verfahrensgegenständlichen Beschwerden ein, in welchen begründend ausgeführt wurde, die Beschwerdeführer hätten Afghanistan aufgrund der Tätigkeit ihres Vaters als schiitischer Maddah (Liedermacher, Sänger) und der Tätigkeit ihrer Schwägerin verlassen. Die gesamte Familie sei durch einen namentlich bezeichneten Mullah bedroht worden. Auch hätte sich nicht nur die allgemeine Sicherheits- und Versorgungssituation in Afghanistan, sondern auch die individuelle Situation der Beschwerdeführer verschlechtert. Die Behörde habe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer unterlassen und zu Unrecht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der Erstbeschwerdeführer habe sich nach Erhalt der negativen Entscheidung des BVwG das Leben nehmen wollen und leide, auch wenn es ihm momentan besser ginge, an psychischen Problemen, welche in Afghanistan keiner ausreichenden Behandlung zugänglich wären. Durch die vorherrschende Covid-19-Pandemie seien die Versorgungslage sowie der Zugang zum Arbeitsmarkt zusätzlich beschränkt und es wäre den Beschwerdeführern jeweils nicht möglich, in Herat Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen. Die Eltern der Beschwerdeführer seien in Österreich als subsidiär Schutzberechtigte zum befristeten Aufenthalt berechtigt, diese seien krank, Analphabeten und demnach auf Unterstützung der Beschwerdeführer angewiesen. Zu Afghanistan hätten die Beschwerdeführer jeweils keine Bindungen mehr und wären dort auf sich alleine gestellt.

Die Beschwerdeführer hätten während ihres fünfjährigen Aufenthalts ein schützenswertes Privatleben im Bundesgebiet begründet und einen westlichen Lebensstil angenommen. Der Erstbeschwerdeführer habe in Österreich den Pflichtschulabschluss absolviert, besuche derzeit die erste Klasse einer Tourismusschule, sei ehrenamtlich tätig, habe an Bildungsveranstaltungen teilgenommen und einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Dieser habe mehrere Arbeitsplatzzusagen und wolle keine Last für den österreichischen Staat sein.

Der Zweitbeschwerdeführer besuche eine Handelsschule, verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse, könnte bei Erteilung eines Aufenthaltstitels als Koch oder im Service in einem Hotelbetrieb arbeiten, er habe einen großen Freundeskreis und sei ehrenamtlich tätig.

Die von der Behörde vertretene Ansicht, dass das vom Drittbeschwerdeführer in Österreich begründete Familienleben keine besondere Intensität aufweisen würde, sei unzutreffend. Im Falle einer positiven Entscheidung könnte dieser als Koch arbeiten, zudem gehe er ehrenamtlichen Tätigkeiten nach.

Mit Eingabe vom 29.10.2020 wurden Zeugnisse über die absolvierte Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 des Erstbeschwerdeführers und des Zweitbeschwerdeführers übermittelt.

Mit Eingaben vom 15.03.2021 wurden Zertifikate über vom Erstbeschwerdeführer und vom Zweitbeschwerdeführer bestandene ÖSD-Prüfungen auf dem Niveau B2 übermittelt.

Mit Eingabe vom 28.04.2021 wurde bekanntgegeben, dass der Drittbeschwerdeführer den österreichischen Führerschein erlangt hat.

Am 19.05.2021 wurde betreffend den Zweitbeschwerdeführer ein Jahreszeugnis einer Bundeshandelsakademie für das Schuljahr 2020/2021 übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, Muslime schiitischer Ausrichtung und Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken. Die Beschwerdeführer sind Brüder. Sie sind mit ihren Eltern und weiteren Familienangehörigen 2015 illegal nach Österreich eingereist und stellten am 30.10.2015 jeweils einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019, Zahlen: W162 2166242-1/26E, W162 2166244-1/24E und W162 2166248-1/29E, sowohl hinsichtlich des Status von Asylberechtigten als auch des Status von subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig abgewiesen worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung die Verfolgungsbehauptungen der Beschwerdeführer, im Herkunftsstaat wegen der Tätigkeit des Vaters der Beschwerdeführer als Maddah und wegen einer durch die Schwägerin der Beschwerdeführer erfolgten Verteilung von CDs an Schüler einer Drohung ausgesetzt zu sein, als nicht glaubhaft beurteilt. Weiters hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass die vom Drittbeschwerdeführer erwähnte Bedrohung durch einen benachbarten Geschäftsinhaber keinen asylrelevanten Umstand bilde und eine generelle Verfolgung von Rückkehrern aus dem Ausland sowie von Schiiten in Afghanistan nicht vorherrsche.

Am 12.05.2020 brachten die Beschwerdeführer sowie die erwähnten weiteren Familienmitglieder Folgeanträge auf internationalen Schutz ein, zu deren Begründung sie keinen neuen Sachverhalt behauptet, sondern sich auf ein weiteres Bestehen der bereits durch die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 als unglaubhaft beurteilten Bedrohungssituation berufen haben.

1.2. Die Beschwerdeführer sind in Herat geboren und haben dort bis zum Jahr 2011 im Familienverband gelebt. Im Anschluss zogen die Beschwerdeführer gemeinsam mit ihren Eltern und weiteren Geschwistern in den Iran, wo sie bis zur Ausreise Richtung Europa im Jahr 2015 lebten. Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer haben in Herat jeweils vier Jahre eine Schule besucht, der Drittbeschwerdeführer hat eine zwölfjährige Schulbildung absolviert. Der Erstbeschwerdeführer hat fallweise im Geschäft seines Vaters ausgeholfen. Darüber hinaus haben der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer weder in Afghanistan, noch im Iran gearbeitet.

Der Drittbeschwerdeführer hat in Afghanistan drei Jahre lang den Beruf eines „Naturheilers“ vergleichbar der Homöopathie bei einer Person erlernt und in deren Geschäft in Herat gearbeitet. Bevor er im Bereich der Homöopathie gearbeitet hat, hat er bei seinem Vater im Kleidungsgeschäft gearbeitet. Im Iran hat er mit seinem älteren Bruder in einem Schuhgeschäft gearbeitet und den Lebensunterhalt für die Familie verdient.

Bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsstadt Herat oder einer alternativen Niederlassung in Mazar-e Sharif besteht für die Beschwerdeführer als jeweils leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine konkrete Gefahr, einen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit zu erleiden und liefen die Beschwerdeführer auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der Erstbeschwerdeführer leidet an keinen körperlichen Erkrankungen, die ihn in seiner Möglichkeit, seinen Alltag und seinen Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten, einschränken. Bei diesem wurde im September 2019 nach Erhalt der das erste Verfahren abschließenden abweisenden Entscheidung infolge eines laut seinen Angaben aus diesem Grund erfolgten Suizidversuchs und eines fünftägigen stationären Aufenthalts in der psychiatrischen Abteilung eines Landesklinikums eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2), diagnostiziert. Der Erstbeschwerdeführer nahm seither keine Behandlung in Anspruch und brachte im Verfahren vor dem Bundesamt vor, dass es ihm nunmehr besser ginge und er gesund sei. Zudem befand sich der Erstbeschwerdeführer im Zeitraum 2016/2017 aufgrund der Diagnose frontale Cephalea (Anm.: Kopfschmerzen) in Behandlung; ein aktueller Behandlungsbedarf wurde auch in diesem Zusammenhang nicht vorgebracht. Der Erstbeschwerdeführer hat nicht dargetan, dass er zum Entscheidungszeitpunkt eine Behandlung benötigen würde, welche in Afghanistan nicht erhältlich oder für ihn nicht individuell zugänglich ist.

Der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer sind gesund.

1.3. Die unbescholtenen Beschwerdeführer waren jeweils seit ihrer Antragstellung im Oktober 2015 auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in ihren Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Infolge des rechtskräftigen Abschlusses der Verfahren über ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz und Erlassung von Rückkehrentscheidungen mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 sowie Ablehnung der Behandlung einer gegen diese Erkenntnisse eingebrachten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 21.01.2020, Zahl: E 193-202/2020-6, verblieben diese nach Ablauf der gesetzten Frist für die freiwillige Ausreise im Bundesgebiet und stellten die gegenständlichen (unbegründeten) Folgeanträge.

Die Beschwerdeführer haben ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung sowie durch Unterstützung von Freunden bestritten und waren bislang nicht selbsterhaltungsfähig. Sie leben gemeinsam mit ihren Eltern und einer Schwester in einem gemeinsamen Haushalt in Oberösterreich und unterstützen ihre Eltern im Alltag (u.a. Begleitung zu Arztbesuchen, Übersetzungen).

Alle Beschwerdeführer haben sich um eine Integration im Bundesgebiet bemüht und sich jeweils fortgeschrittene Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet.

Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer haben jeweils im September 2020 eine ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 bestanden. Im März 2021 haben diese jeweils das ÖSD-Zertifikat B2 absolviert und „gut bestanden.“ Zuletzt haben diese sich für einen weiterführenden Sprachkurs auf dem Niveau C1 angemeldet.

Der Drittbeschwerdeführer hat im Juli 2020 die ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 sowie das ÖSD-Zertifikat auf dem Niveau B2 absolviert und letzteres „sehr gut bestanden.“

Der Erstbeschwerdeführer hat ab dem Schuljahr 2015/2016 eine Handelsschule in Österreich besucht. Im Rahmen dieses Schulbesuchs absolvierte der Erstbeschwerdeführer zwischen Oktober 2018 und Mai 2019 ein Betriebspraktikum bei einer Stadtgemeinde.

Ab Herbst 2019 besuchte er einen WIFI-Kurs „Nachholen des Pflichtschulabschlusses.“

Seit September 2020 besucht dieser eine HTL im Bundesgebiet.

Der Erstbeschwerdeführer arbeitete ehrenamtlich beim Roten Kreuz und nahm an verschiedenen Freizeitaktivitäten des ortsansässigen Jugendzentrums teil.

Der Zweitbeschwerdeführer besucht seit September 2017 eine Bundeshandelsakademie im Bundesgebiet und hat zuletzt das Schuljahr 2020/2021 (elfte Schulstufe) positiv abgeschlossen.

Der Zweitbeschwerdeführer ist Mitglied in einem Fußballverein.

Der Drittbeschwerdeführer geht in Österreich weder einer beruflichen Tätigkeit nach, noch übt er gemeinnützige Tätigkeiten aus, oder beteiligt sich aktiv in einem Verein oder seiner Nachbarschaft.

Im April 2021 wurde diesem ein österreichischer Führerschein ausgestellt.

Der Drittbeschwerdeführer verfügt über schriftliche Einstellungszusagen aus August 2020 und September 2020 für eine Tätigkeit als Koch bzw. Hilfskoch.


Der Drittbeschwerdeführer hat im August 2019 eine in Österreich asylberechtigte afghanische Staatsbürgerin nach islamischem Recht sowie standesamtlich geheiratet. Er lebte mit dieser rund acht Monate in einem gemeinsamen Haushalt, aktuell liegt ein gemeinsamer Haushalt laut seinen Angaben wegen seiner aufenthaltsrechtlichen Situation nicht mehr vor, jedoch sei die neuerliche Begründung eines gemeinsamen Wohnsitzes geplant. Die im Jahr 1997 geborene Ehegattin des Drittbeschwerdeführers lebt in Wien im Haushalt ihrer Schwester, bereitet sich auf den Pflichtschulabschluss vor und arbeitet geringfügig in einem Café. Der Drittbeschwerdeführer und seine Ehegattin waren sich zum Zeitpunkt der Begründung der Beziehung und der Eheschließung der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus des Drittbeschwerdeführers bewusst und konnten nicht auf die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Familienleben in Österreich vertrauen.

Die Beschwerdeführer sind jeweils kinderlos und haben keine Sorgepflichten.

Die Beschwerdeführer haben sich in Österreich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, mit welchem sie regelmäßig Freizeitaktivitäten unternahmen. Die Beschwerdeführer waren sich bei Setzung der dargestellten Integrationsbemühungen der Unsicherheit der Möglichkeit eines weiteren Aufenthalts stets bewusst und konnten insbesondere nach rechtskräftigem Ausspruch einer Rückkehrentscheidung nicht mehr mit einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen.

Die Folgeanträge der Eltern der Beschwerdeführer wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020, Zahlen: 1092819702-200396322 und 1092819800-200396349, jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde den Eltern der Beschwerdeführer der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen jeweils die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigten für ein Jahr erteilt, welche bis zum 08.09.2021 Gültigkeit besitzt.

Begründend wurde ausgeführt, dem Vater der Beschwerdeführer sei zum aktuellen Zeitpunkt eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht zumutbar, da dieser aufgrund festgestellter gesundheitlicher Beeinträchtigungen wie Diabetes und Asthma immungeschwächt sei und damit zu einer Risikogruppe der Covid-19-gefährdeten Personen gehören würde.

Eine durch die Eltern der Beschwerdeführer im Umfang der Abweisung der Anträge im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobene Beschwerde wurde mit in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.10.2020, Zahlen: W192 2166250-2/3E und W192 2166249-2/3E, als unbegründet abgewiesen.

Mit (im zweiten Rechtsgang ergangenen) Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2020, Zahlen W162 2166253-1/49E ua., wurde dem ältesten Bruder der Beschwerdeführer, dessen Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und es wurde diesen eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt.

Begründend wurde im Wesentlichen auf die besondere Vulnerabilität des Neffen und der Nichte der Beschwerdeführer als Kinder im Alter von zehn und drei Jahren verwiesen.

Der volljährigen Schwester der Beschwerdeführer wurde zwischenzeitlich mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.12.2020 aufgrund der Annahme eines sogenannten westlich orientierten Lebensstils der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Es wird auf die entsprechenden Feststellungen der angefochtenen Bescheide verwiesen, die auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation gegründet wurden.

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (in seiner aktualisierten Fassung) ergibt sich auszugsweise insbesondere Folgendes:

COVID-19

Letzte Änderung: 31.03.2021

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).

Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021)

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern". Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5 % geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

[…]

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 18.3.2021). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 25.03.2021

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2020

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, so dass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020).

Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden von den Taliban durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020).

In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021, vgl. AIHRC 28.1.2021).

Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat, scheint es eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020).

Zivile Opfer

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021; vgl. AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (UNAMA 2.2021).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021).

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.1.2021). […]

Während des gesamten Jahres 2020 dokumentierte UNAMA Schwankungen in der Zahl der zivilen Opfer parallel zu den sich entwickelnden politischen Ereignissen. Die "Woche der Gewaltreduzierung" vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban in Doha am 29.2.2020 zeigte, dass die Konfliktparteien die Macht haben, Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern und zu begrenzen, wenn sie sich dazu entschließen, die

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten