Entscheidungsdatum
26.05.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W139 2162080-1/50E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, XXXX vom 31.05.2017, Zl. XXXX in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung von zwei mündlichen Verhandlungen am 04.11.2020 und am 30.11.2020 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.
III. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides aufgehoben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
IV. XXXX wird der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX , geb. XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer), ein afghanischer Staatsangehöriger und sunnitischer Moslem, stellte am 14.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung am 14.04.2106 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren zu sein, vier Jahre lang eine Grundschule besucht zu haben und zuletzt als Reinigungskraft tätig gewesen zu sein.
Befragt zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, dass er 13 Monate bei XXXX gearbeitet habe. Aufgrund seiner Tätigkeit sei er mehrmals von den Taliban bedroht worden. Die Taliban hätten den linken Arm des Beschwerdeführers mit einem Messer geschnitten, seine rechte Hand mit einem Hammer gebrochen und ihm mit der Ermordung bedroht. Der Bruder habe daraufhin die Flucht des Beschwerdeführers beschlossen, organisiert und bezahlt.
3. Gemäß der Vorfallsmeldung vom 06.07.2016 verhielt sich der Beschwerdeführer einer Betreuerin seiner Unterkunft gegenüber respektlos.
4. Gemäß der Vorfallsmeldung vom 09.07.2016 ereignete sich ein Vorfall in der Unterkunft des Beschwerdeführers, XXXX .
5. Im Zuge einer Altersfeststellung wurde mit Gutachten XXXX vom 30.06.2016, das wahrscheinliche Lebensalter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Untersuchung am XXXX auf ca. XXXX Jahren geschätzt. Das fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers wurde anschließend auf XXXX geändert.
6. Mit Verfahrensordnung vom 12.07.2016 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) festgestellt, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine volljährige Person handle.
7. Mit Verständigung vom 09.05.2017 wurde von der Landespolizeidirektion XXXX mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer am 31.03.2017 aufgrund einer ungebührlichen Lärmerregung eine Ordnungsstörung begangen habe.
8. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 30.05.2017 legte der Beschwerdeführer einen Ausweis und ein Zertifikat vom XXXX sowie medizinische Überweisungen vor. Der Beschwerdeführer führte aus, den Namen XXXX zu führen. Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, dass er auf dem XXXX als XXXX gearbeitet habe. Die Taliban hätten eines Tages diesen XXXX . Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer mit anderen XXXX , welche von den Taliban zerstört worden sei, um diese zu reparieren. Bei der XXXX hätten die Taliban begonnen, XXXX zu schießen und es habe ein Gefecht gegeben. Der Beschwerdeführer sei in den Fluss gesprungen, um den Kämpfen zu entkommen und habe sich versteckt und gewartet, bis XXXX geholt hätten. Im XXXX seien seine Verletzungen medizinisch versorgt worden. Am Weg von XXXX sei der Beschwerdeführer zwei oder drei Mal von Taliban kontrolliert worden. Weiters hätten die Taliban zwei oder drei Mal Drohbriefe gesendet und gefordert, dass der Beschwerdeführer die Arbeit für die Amerikaner einstelle. Aus Angst, von den Taliban doch erwischt zu werden, habe er seine Arbeit bei den Amerikanern aufgegeben. Mit Hilfe eines XXXX habe der Beschwerdeführer einen Job am XXXX erhalten.
9. Am 26.05.2017 wurde der Beschwerdeführer von der Polizei mit XXXX betreten.
10. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 31.05.2017, der dem Beschwerdeführer am 02.06.2017 zugestellt wurde, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Hinsichtlich Spruchpunkt I wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer als Person unglaubwürdig sei, weil er sich in der Einvernahme an viele Dinge nicht habe erinnern wollen, die er vor knapp einem Jahr bei der Erstbefragung angegeben habe. Er habe weiters angegeben enorme Erinnerungslücken zu haben, da er oft am Kopf verletzt worden wäre. Trotzdem habe sich der Beschwerdeführer an viele Details hinsichtlich seiner Fluchtgründe und das Leben in Afghanistan erinnern können. Betreffend sein Fluchtvorbringen habe er sich in klare Widersprüche verstrickt. Die vorlegten Beweismittel seien zweifelhaft, da nicht eindeutig zu erkennen sei, dass es sich auf dem Foto des Ausweises um den Beschwerdeführer handle. Seine Angaben zu seinen Verletzungen seien ebenfalls widersprüchlich gewesen. Eine persönliche Bedrohung mit der Ermordung habe der Beschwerdeführer entgegen seinen Angaben in der Erstbefragung nicht erwähnt. Das gesamte Fluchtvorbringen sei nicht schlüssig, vage und voller Widersprüche. Zu Spruchpunkt II wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nach Afghanistan, allerdings nicht in seine Herkunftsprovinz, zurückkehren könne und ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehe. Mit Verfahrensanordnung vom 31.05.2017 wurde dem Beschwerdeführer der XXXX als Rechtsberatung für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
11. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer, mit Schreiben vom 12.06.2016, fristgerecht Beschwerde gegen alle Spruchpunkte.
Begründend wurde ausgeführt, dass die Behörde den Sachverhalt mangelhaft ermittelt habe. Der Beschwerdeführer habe konsistent auf die Bedrohung durch Taliban im gesamten Verfahren hingewiesen und ausführlich und detailreich die Geschehnisse geschildert. Sämtliche Widersprüche seien auf die Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher aus der Erstbefragung zurückzuführen. Weiters seien die Länderfeststellungen unvollständig. Der Beschwerdeführer würde im Falle einer Rückkehr aufgrund seiner Tätigkeit bei XXXX von den Taliban verfolgt werden. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage, dem Beschwerdeführer Schutz zu bieten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm nicht zur Verfügung.
12. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 21.06.2017, mit Schreiben vom 19.06.2017, beim Bundesverwaltungsgericht ein.
13. Mit Urteil vom 28.08.2017 des Landesgerichtes XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 und zweiter Fall SMG und nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG sowie dem Vergehen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB in Anwendung des § 28 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 8 Monaten, mit einer dreijährigen Probezeit, verurteilt.
Der bislang ordentliche Lebenswandel sowie das Alter unter 21 Jahren wurden mildernd gewertet. Erschwerend wurde das Zusammentreffen mehrerer Vergehen gewertet.
14. Mit Beschluss vom 15.09.2017 des Landesgerichtes XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer die Untersuchungshaft verhängt.
15. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 13 AsylG vom 05.10.2017 wurde dem Beschwerdeführer der Verlust des Aufenthaltsrechtes im Bundesgebiet wegen Straffälligkeit mitgeteilt.
16. Mit Urteil vom 07.11.2017 des Landesgerichtes XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 StGB sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG und nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG in Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 8 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Vom Widerruf der zu XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit auf 5 Jahre verlängert.
Erschwerend wurde das Zusammentreffen mehrfacher Vergehen, der rasche Rückfall, eine einschlägige Vorstrafe und die Tatbegehung während offener Probezeit gewertet. Mildernd waren das teilweise Geständnis und das Alter unter 21 Jahren.
17. Am 30.07.2019 wurde der Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 25.07.2019 übermittelt. Der Beschwerdeführer werde verdächtigt am 25.07.2019 XXXX begangen zu haben.
18. Am 13.11.2019 informierte das BFA, dass der Beschwerdeführer im September 2019 in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Beschwerdeführers von Deutschland wurde abgelehnt, da sich der Beschwerdeführer im Oktober 2019 selbst wieder nach Österreich überstellte.
19. Am 29.11.2019 wurde der Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 28.11.2019 übermittelt. Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG ausgesprochen. Er werde verdächtigt XXXX zu haben.
20. Am 10.12.2019 wurde der Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 10.12.2019 übermittelt. Darin wurde ausgeführt, dass die Freundin des Beschwerdeführers am 02.12.2019 der Landespolizeidirektion mitteilte, dass sie hinsichtlich der Anzeige gegen den Beschwerdeführer eine Falschaussage getätigt habe.
21. Am 12.12.2019 übermittelte die Staatsanwaltschaft XXXX die Einstellung des Verfahrens zu XXXX .
22. Mit Urteil vom 30.08.2019, rechtskräftig seit 16.01.2020, des Landesgerichtes XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB sowie der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB in Anwendung des § 28 StGB nach § 107 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 9 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Vom Widerruf der zu XXXX und zu XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen.
23. Mit Bescheid vom 04.03.2020, zu XXXX wurde dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde mitgeteilt, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs 2 Z. 1 AsylG ab dem 16.01.2020 verloren hat. Mit Verfahrensordnung gemäß § 13 Abs 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet wegen Straffälligkeit (§ 2 Abs. 3 AsylG) mitgeteilt.
24. Am 06.03.2020 heiratete der Beschwerdeführer XXXX , geboren am XXXX . Am 12.03.2020 übermittelte der Beschwerdeführer seine Heiratsurkunde, eine Vollmacht für XXXX sowie die Auflösung der Vollmacht für XXXX .
25. Am 19.10.2020 übermittelte der Beschwerdeführer erneut seine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde seiner Tochter XXXX , welche am XXXX geboren wurde sowie diverse Integrationsunterlagen und führte aus, dass er mit seiner Ehefrau und seiner Tochter in gemeinsamen Haushalt lebe. Seine Ehefrau sei XXXX Staatsangehörige und lebe seit ihrer Kindheit, als Asylberechtigte, in Österreich. Der Beschwerdeführer beantragte die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Ehefrau.
26. Am 04.11.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, bei welcher der Beschwerdeführer, im Beisein seiner Rechtsvertreterin einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.
Der Beschwerdeführer führte aus, nicht Paschtune, sondern Tadschike zu sein, sowie, dass seine Muttersprache nicht Paschtu, sondern Dari sei. Der Beschwerdeführer konnte beinahe sämtliche Fragen auf Deutsch verstehen und überwiegend auf Deutsch beantworten.
Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer u.a. ausführlich zu seiner Identität und Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen persönlichen Verhältnissen und seinem Leben in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seiner Schulbildung sowie zu seiner beruflichen Tätigkeit befragt. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wurde die Verhandlung vertagt.
27. Am 13.11.2020 übermittelte der Beschwerdeführer das ÖIF-Zeugnis zur Integrationsprüfung A2 vom 05.11.2020.
28. Am 17.11.2020 übermittelte der Beschwerdeführer die Anmeldung zur Integrationsprüfung B1 für den 10.12.2020.
29. Mit Schreiben vom 24.11.2020 brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein und führte aus, dass in seinem Fall kein Staat erkennbar sei, in dem das Familienleben zu seiner Ehefrau und seiner Tochter fortgeführt werden könnte, sodass eine Rückkehrentscheidung das Familienleben beenden würde. In der ersatzlosen Beendigung des Familienlebens des Elternteils zu einem minderjährigen Kind, welches in den Staat der Abschiebung des Elternteils nicht folgen könne, liege jedenfalls eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Der im gemeinsamen Haushalt lebende Vater sei für seine Tochter eine tragende Stütze in ihrer kindlichen Entwicklung. Eine verpflichtende Ausreise des Beschwerdeführers würde für die Tochter eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres Kindeswohls bedeuten.
30. Am 30.11.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine ergänzende öffentliche mündliche Verhandlung, allerdings ohne Dolmetscherin statt, da sie trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschien. Der Beschwerdeführer gab nach Beratung mit seiner Rechtsvertretung zu Protokoll, dass er auf die Einvernahme mit Hilfe einer Dolmetscherin ausdrücklich verzichte. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner Rechtsvertreterin ergänzend befragt und die beantragte Zeugin wurde zeugenschaftlich einvernommen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.
Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer u.a. ausführlich zu seinen Fluchtgründen und zu seinem Leben in Österreich befragt.
31. Mit Schreiben vom 21.12.2020 wurde dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 16.12.2020 übermittelt und ihm die Möglichkeit gegeben, bis zum 18.01.2021 Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme langte nicht ein.
32. Am 04.01.2020 übermittelte der Beschwerdeführer eine Vollmacht für die XXXX .
33. Mit Schreiben vom 05.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 01.04.2021 übermittelt und ihm die Möglichkeit gegeben, binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme langte nicht ein.
34. Mit Schriftsatz vom 06.05.2021 übermittelte der Beschwerdeführer das Zeugnis der Integrationsprüfung mit dem Sprachniveau B1 vom 23.04.2021 sowie seinen Führerschein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Aufgrund des Asylantrags vom 14.04.2016, der Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.04.2016, der Einvernahme durch die belangte Behörde am 30.05.2017, der Beschwerde vom 12.06.2016 gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 31.05.2017, der Stellungnahme vom 24.11.2020, der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente sowie auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlungen am 04.11.2020 und am 30.11.2020, wurden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, sunnitischer Moslem und spricht Dari und Paschtu auf muttersprachlichem Niveau.
Es konnte weder festgestellt werden, welcher Volksgruppe der Beschwerdeführer angehört, noch welche Muttersprache er spricht.
1.1.2. Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt XXXX , in der afghanischen Provinz Nangarhar, geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise, gemeinsam mit seinen Eltern und seinen vier Brüdern. Seine ältere Schwester ist seit längerem verheiratet und lebt ebenfalls in der Provinz Nangarhar. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer weitere lebende Verwandte in Afghanistan hat.
Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Die Brüder XXXX und XXXX befinden sich noch im Haus des Großvaters in XXXX . Es kann nicht festgestellt werden, wo sich seine jüngeren Brüder XXXX und XXXX befinden. Im Eigentum der Familie stehen ein Wohnhaus und ein Grundstück.
1.1.3. Der Beschwerdeführer besuchte vier Jahre lang eine Schule in Afghanistan und kann sowohl in seiner Muttersprache als auch das lateinische Alphabet lesen und schreiben.
Der Beschwerdeführer hat für die XXXX gearbeitet und wurde für diverse Tätigkeit an XXXX eingesetzt. Am XXXX war der Beschwerdeführer als XXXX tätig und hat diverse XXXX und XXXX , wie etwa das XXXX , das XXXX sowie die XXXX , verrichtet. Am XXXX hat der Beschwerdeführer in der XXXX gearbeitet. Der Beschwerdeführer begann seine Arbeit XXXX frühestens im Jahr 2014 und beendete seine Tätigkeit XXXX Ende 2014/Anfang 2015.
Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
1.1.4. Am 16.09.2015 stellte der Beschwerdeführer als Volljähriger einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Reise nach Österreich dauerte etwa einen Monat.
1.1.5. Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er hat keine Vorerkrankungen und gehört nicht zur Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer COVID-19 Erkrankung.
1.1.6. Der Beschwerdeführer führt in Österreich seit XXXX eine Beziehung mit XXXX Am XXXX fand die standesamtliche Eheschließung statt. XXXX ist russische Staatsbürgerin und lebt seit ihrer Kindheit in Österreich. Ihr wurde der Status einer Asylberechtigten zuerkannt, wodurch sie zum dauerhaften Aufenthalt in Österreich berechtigt ist. Am XXXX wurde die gemeinsame Tochter, XXXX geboren. Die Familie lebt zumindest seit 04.06.2020 in einem gemeinsamen Haushalt.
Der Beschwerdeführer führt ein intensives Familienleben mit seiner Ehefrau und seiner Tochter. Hinsichtlich seiner Tochter erledigt der Beschwerdeführer die mit der Obsorge verbundenen Verpflichtungen, wie insbesondere die tägliche Betreuung, gemeinsam mit seiner Ehefrau und beteiligt sich ebenfalls bei der Führung des Haushaltes. Der Beschwerdeführer bietet seiner Tochter verlässliche Kontakte und spielt und verbringt regelmäßig Zeit mit ihr.
Die Aufrechterhaltung des Familienlebens in Afghanistan ist nicht möglich, da die Ehefrau des Beschwerdeführers aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan nicht bereit wäre, mit ihrer Tochter gemeinsam mit dem Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückzukehren. Ein Umzug nach Afghanistan ist der Ehefrau und der gemeinsamen Tochter auch nicht zumutbar, sodass eine Rückführung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zu einer dauerhaften Trennung von seiner Ehefrau und Tochter führen würde.
Das Kindeswohl seiner Tochter steht einer Rückführung des Beschwerdeführers entgegen.
Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erweist sich daher zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt – bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles - als unverhältnismäßig und als eine Verletzung des schützenswerten Familienlebens iSd Art 8 Abs 2 EMRK.
Der Beschwerdeführer hat keine sonstigen Familienangehörige oder Verwandte im Bundesgebiet.
1.1.7. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig und lebt von der Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer ist Mitglied in einem Fitnessclub.
Abgesehen von zwei Deutschkursen besuchte der Beschwerdeführer in Österreich keine Ausbildungen oder sonstige Kurse. Der Beschwerdeführer absolvierte am 23.04.2021 erfolgreich die Integrationsprüfung mit dem Sprachniveau B1. Er verfügt über ausgezeichnete Deutschkenntnisse, die über dem bescheinigten Niveau B1 liegen.
1.1.8. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich bescholten:
1. Mit Urteil vom 28.08.2017 des Landesgerichtes XXXX , XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 und zweiter Fall SMG und nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG sowie dem Vergehen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB in Anwendung des § 28 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 8 Monaten, mit einer dreijährigen Probezeit, verurteilt.
2. Mit Urteil vom 07.11.2017 des Landesgerichtes XXXX , XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 StGB sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG und nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG in Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 8 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Vom Widerruf der zu XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
3. Mit Urteil vom 30.08.2019, rechtskräftig seit 16.01.2020, des Landesgerichtes XXXX , XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB sowie der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB in Anwendung des § 28 StGB nach § 107 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 9 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Vom Widerruf der zu XXXX und zu XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Die Taliban oder andere radikale Gruppierungen haben in den Jahren 2013 und 2014 die XXXX mehrmals angegriffen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einen dieser Angriff selbst miterlebte.
Am Weg zwischen XXXX kam es zu Anhaltungen durch Taliban oder durch sonstige radikale Gruppierungen. Bei einer dieser Anhaltungen wurde dem Beschwerdeführer von Mitgliedern der Taliban oder sonstiger radikaler Gruppierungen die Hand gebrochen. Dieser Vorfall bzw. die Bedrohungen, die im Zuge der Straßenanhaltungen erfolgten, standen nicht in Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit. Die Taliban oder sonstigen Gruppierungen kannten den Beschwerdeführer nicht persönlich und wussten nicht über dessen Tätigkeiten XXXX Bescheid.
Der Beschwerdeführer wurde nicht aufgrund seiner Tätigkeit auf XXXX von den Taliban oder sonstigen Mitgliedern radikaler Gruppierungen bedroht oder verfolgt.
Der Beschwerdeführer erhielt weder während seiner Tätigkeit in XXXX , noch in XXXX , Drohbriefe von den Taliban oder sonstigen radikalen Gruppierungen.
Der Beschwerdeführer hätte im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete und persönliche Verfolgung oder Bedrohung durch Private, speziell durch die Taliban, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
1.3.1. Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Volksgruppenzugehörigkeit, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von anderen Personen oder Gruppen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht.
Der Beschwerdeführer wäre auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung des Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Taliban oder durch sonstige Akteure ausgesetzt.
1.3.2. Der Beschwerdeführer kann daher grundsätzlich nach Afghanistan zurückkehren.
Die allgemeine Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz Nangarhar ist volatil und die sichere Erreichbarkeit der Herkunftsprovinz kann nicht gewährleistet werden. Es kann daher nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht, sodass eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz nicht möglich ist.
1.3.3. Dem Beschwerdeführer steht die Stadt Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung.
Die Sicherheitslage sowohl in Herat als auch in Mazar-e Sharif kann nicht gänzlich isoliert von den anderen Distrikten der Provinzen Herat und Balkh betrachtet werden. Die Sicherheitslage hat sich sowohl in der Provinz Herat als auch insbesondere in der Provinz Balkh in den letzten Jahren stetig verschlechtert. Auch in den Städten Herat und in Mazar-e Sharif wurde eine Verschlechterung der Sicherheitslage in den letzten Jahren dokumentiert. Trotz des Anstiegs der Kriminalität und der sicherheitsrelevanten Vorfälle gelten diese Städte noch als vergleichsweise sicher. Beide Städte verfügen über internationale Flughäfen. Die Anreise nach Mazar-e Sharif kann weitgehend gefahrfrei erfolgen. Bezüglich Herat kann aufgrund divergierender Berichte nicht festgestellt werden, ob die Anreise vom Flughafen in die Stadt ausreichend sicher erfolgen kann.
Die Wohnraum-, Arbeitsmarkt- und Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif waren bereits vor der Covid-19 Pandemie angespannt. Die sozioökonomischen Auswirkungen von Covid-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit. Die Auswirkungen von Covid-19 und der damit einhergehende Lockdown hatten katastrophale Auswirkungen auf die Lebensgrundlage der afghanischen Bürger. Aufgrund des Lockdowns verloren viele Menschen Arbeit und Einkommen. Die Inflation der Preise bei Grundnahrungsmitteln wie Öl und Kartoffeln verschärfte die wirtschaftliche Notlage eines erheblichen Teils der afghanischen Bevölkerung. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es durch die COVID-19 Pandemie zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen. Die Preisanstiege für Lebensmittel scheinen seit April 2020 zwar nachgelassen zu haben, wobei die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) zwischen März und November 2020 deutlich (um 18-31%) gestiegen sind. Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert. Laut Prognose des FEWS befindet sich die Versorgungslage in Mazar-e Sharif im Zeitraum Februar 2021 bis Mai 2021 in der zweitniedrigsten Stufe 2 „stressed“ (Stufe 1 „Minimal“ – 5 „Hungersnot“) des Klassifizierungssystems für Nahrungsmittelversorgung und wurde daher von Stufe 3 „Krise“ zurückgestuft. Für den Zeitraum Juni 2021 bis September 2021 wird Mazar-e Sharif weiterhin in der zweitniedrigsten Stufe (Stufe 2) des Klassifizierungssystems für Nahrungsmittelversorgung eingestuft.
Laut Prognose des FEWS befindet sich Herat im Zeitraum Februar 2021 bis Mai 2021 in der Stufe 3 des Klassifizierungssystems für Nahrungsmittelversorgung. In Stufe 3, auch „Crisis“ genannt, weisen Haushalte Lücken im Nahrungsmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Unterernährung auf oder sind nur geringfügig in der Lage, ihren Mindestnahrungsmittelbedarf zu decken – und dies nur indem Güter, die als Lebensgrundlage dienen, vorzeitig aufgebraucht werden bzw. durch Krisenbewältigungsstrategien. Die Nahrungsmittelversorgung hat sich daher verschlechtert, da sie von Stufe 2 „stressed“ wieder auf Stufe 3 hinaufgestuft wurde. Für den Zeitraum Juni 2021 bis September 2021 befindet sich Herat-Stadt teils in der zweiten („Stressed“) und teils in der dritten Stufe (Stufe 3, „Crisis“) des Klassifizierungssystems, sodass eine leichte Verbesserung der Situation erkannt werden kann. Diesbezüglich ist jedoch anzumerken, dass sich, bis auf Teile der Stadt Herat, sämtliche Distrikte in der Provinz Herat in der dritten Stufe (Stufe 3, „Crisis“) befinden.
Die Arbeitsmarktsituation ist auch in Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Es gebe nur sehr begrenzt offizielle Arbeitsplätze. Da die Aufnahmegemeinden hier mit den gleichen Problemen konfrontiert seien und für sich beanspruchen würden, vorrangig behandelt zu werden, sei es für IDPs und manche Rückkehrende noch schwieriger, Zugang zu Arbeitsplätzen zu erhalten. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden. Die Stadt Herat gilt als Hotspot für Tagelöhner, da etwa die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind. Diverse Bevölkerungsbewegungen, insbesondere von Binnenflüchtlingen, haben die Provinz Herat, vor allem ihre Hauptstadt Herat-Stadt, zu einem zunehmend schwierigen Lebens- und Arbeitsraum gemacht. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne verfügbare Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig.
Es gibt weder in Kabul und Mazar-e Sharif, noch in Herat Ausgangssperren.
UNHCR und IOM leisten für Rückkehrer in der ersten Zeit nach der Rückkehr nach Afghanistan Unterstützung.
1.3.4. Der Beschwerdeführer verfügt über eine vierjährige Schulbildung und über Arbeitserfahrung als Fahrer und Hilfsarbeiter in Afghanistan. Er ist jung, gesund, volljährig, arbeitsfähig und arbeitswillig und verfügt zudem über ein nutzbares familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan. Zwei Brüder des Beschwerdeführers befinden sich noch an seinem Herkunftsort in Afghanistan und die Familie besitzt ein Wohnhaus und ein Grundstück. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinen Brüdern und kann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Unterstützung seiner Familienmitglieder rechnen. Der Beschwerdeführer verfügt zwar über keine Ortskenntnisse in Mazar-e Sharif, jedoch ist er mit dem Leben in einer Stadt vertraut.
Nach Ansicht des Gerichtes wäre der Beschwerdeführer, aufgrund seiner individuellen Verhältnisse, trotz der aktuell angespannten Wirtschaftslage im Stande, sich grundsätzlich und insbesondere in der derzeitigen Situation selbstständig eine Existenz in Afghanistan aufzubauen. Wie von UNHCR gefordert, wäre der notwendige Zugang zu Nahrungsmitteln, einer Arbeit, einer Unterkunft und zu medizinsicher Versorgung, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für den Beschwerdeführer gewährleistet. Das erkennende Gericht geht davon aus, dass er in den genannten Städten ein Leben ohne unbillige Härte führen können wird und nicht in eine ausweglose Situation geraten würde.
Ausgehend von aktuellen Länderberichten zu Afghanistan und unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 und der Berichte des EASO sowie die aktuelle Berichterstattung zur Covid-19 Pandemie in Afghanistan berücksichtigend, ist dem Beschwerdeführer aufgrund seiner individuellen Verhältnisse eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in die Stadt Mazar-e Sharif zumutbar.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:
a. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 01.04.2021 (LIB) mit den dort zitierten Quellen,
b. die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018,
c. die EASO Country Guidance Afghanistan - Guidance note and common analysis (Juni 2019 und Dezember 2020),
d. EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (EASO Netzwerke),
e. ACCORD Anfragebeantwortung Afghanistan: Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstoß gegen islamischen Verhaltensregeln, gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa vom 15.06.2020,
f. ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 06.05.2021,
g. ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan vom 06.05.2021,
h. ecoi.net – Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 27.01.2021,
i. ecoi.net – Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 16.10.2020,
j. ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif vom 30.04.2020,
k. ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Herat vom 23.04.2020
1.2.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, Kapitel 5).
Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (LIB, Kapitel 8).
Am 30. September endete die Finanzierung der afghanischen Lokalpolizei (Afghan Local Police - ALP), der größten und am längsten bestehenden afghanischen lokalen Verteidigungseinheit. Die Truppe hat eine gemischte Bilanz vorzuweisen: Einige Einheiten haben ihre Gemeinden effektiv und entschlossen verteidigt, während andere sich so schlecht verhielten, dass sie Unterstützung für die Taliban hervorriefen. Doch wie auch immer die Bilanz der einzelnen Einheiten ausfällt, die Auflösung der Truppe wird zwangsläufig Auswirkungen auf die Sicherheit haben Der Plan sieht vor, dass ein Drittel der ALP entwaffnet und in den Ruhestand versetzt wird, ein Drittel in die Afghanische Nationalpolizei (ANP) und ein Drittel in die Afghanische Nationale Armee (Afghan National Army Territorial Force - ANA-TF) überführt wird. Die Innen- und Verteidigungsministerien haben nun drei Monate Zeit, um die rund 18.000 bewaffneten Männer zu sortieren, zu versetzen und umzuschulen oder zu entwaffnen und in den Ruhestand zu versetzen, die sich in 31 der 34 Provinzen Afghanistans aufhalten - inmitten eines Krieges und einer immer noch andauernden Pandemie (ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan vom 06.05.2021).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 6).
1.2.1.1. Aktuelle Entwicklungen:
Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden. Die Kämpfe zwischen den afghanischen Regierungstruppen, den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen hielten jedoch an und forderten in den ersten neun Monaten des Jahres fast 6.000 zivile Opfer, ein deutlicher Rückgang gegenüber den Vorjahren (LIB, Kapitel 4).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt, was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (LIB, Kapitel 5).
Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4).
Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt. Für den Berichtszeitraum 01.01.2020-31.12.2020 verzeichnete UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte). Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013. Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu. Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden von den Taliban durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu. In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten. Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (LIB, Kapitel 4 und 5).
Die Vereinten Nationen verzeichneten zwischen dem 13.11.2020 und dem 11.02.2021 7.138 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Anstieg um 46,7 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2020 und im Gegensatz zu den traditionell niedrigeren Zahlen während der Wintersaison. Die etablierten Trends der Art der Vorfälle blieben unverändert, wobei bewaffnete Zusammenstöße 63,6 Prozent aller Vorfälle ausmachten. Regierungsfeindliche Elemente waren für 85,7 Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle verantwortlich, einschließlich 92,1 Prozent der bewaffneten Zusammenstöße. Die südlichen, gefolgt von den östlichen und nördlichen Regionen, verzeichneten die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle. Auf diese Regionen entfielen zusammen 68,9 Prozent aller registrierten Vorfälle, wobei die meisten Vorfälle in den Provinzen Helmand, Kandahar, Nangarhar und Balkh verzeichnet wurden. Keine Konfliktpartei konnte nennenswerte Gebietsgewinne erzielen. Die Taliban hielten den Druck auf wichtige Verkehrsachsen und städtische Zentren aufrecht, darunter auch gefährdete Provinzhauptstädte wie in den Provinzen Farah, Kunduz, Helmand und Kandahar. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen durch, um wichtige Fernstraßen zu sichern und Taliban-Gewinne wieder zurückzubringen, insbesondere im Süden nach den jüngsten Offensiven der Taliban auf die Städte Lashkar Gah und Kandahar. Zwischen dem 01.01.2021 und dem 31.03.2021 verzeichnete die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) 1.783 zivile Opfer (573 Tote und 1.210 Verletzte), was die dringende Notwendigkeit von Maßnahmen zur Verringerung der Gewalt und die ultimative, übergeordnete Notwendigkeit, ein dauerhaftes Friedensabkommen zu erreichen, unterstreicht. Die Zahl der getöteten und verletzten ZivilistInnen stieg im Vergleich zum ersten Quartal 2020 um 29 Prozent; dies umfasste auch einen Anstieg in den Opferzahlen sowohl bei Frauen (plus 37 Prozent) als auch bei Kindern (plus 23 Prozent). Mindestens 301 regierungsnahe Kräfte und 89 ZivilistInnen wurden im April in Afghanistan getötet (ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan vom 06.05.2021).
Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum Extremistennetzwerk Al-Qaida zu kappen. Ein Pentagon-Sprecher gab an, dass sich der neue Präsident Joe Biden dennoch an dem Abkommen mit den Taliban festhält, betonte aber auch, solange die Taliban ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, sei es für deren Verhandlungspartner „schwierig“, sich an ihre eigenen Zusagen zu halten. Jedoch noch vor der Vereidigung des US-Präsidenten Joe Biden am 19.01.2021 hatte der designierte amerikanische Außenminister signalisiert, dass er das mit den Taliban unterzeichnete Abkommen neu evaluieren möchte. Nach einer mehr als einmonatigen Verzögerung inmitten eskalierender Gewalt sind die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung am 22.2.2021 in Katar wieder aufgenommen worden (LIB, Kapitel 4).
1.2.1.2. COVID-19:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht, ohne Krankenhausaufenthalt, bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich, allerdings benötigen diese Personen Sauerstoffzufuhr. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf, einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19 abgerufen am 01.04.2021).
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt. Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis Dezember 2020 50.536 bestätigte COVID-19 Erkrankungen. Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.03.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet, wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.03.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht. Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19- Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (LIB, Kapitel 3).
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind. Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden. Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19. Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (LIB, Kapitel 3).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen. Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (LIB, Kapitel 3).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden. Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.02.2021 begonnen (LIB, Kapitel 3).
Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“. Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (LIB, Kapitel 3).
1.2.2. Allgemeine Wirtschaftslage:
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. UNOCHA erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio. Menschen; 2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u. a. Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung) angewiesen sein werden. Laut einer IPC-Analyse [Anm.: Integrated Food Security Phase Classification] vom April wurde geschätzt, dass die Zahl der Menschen, die in Afghanistan unter akuter Ernährungsunsicherheit der Stufe 4 des Emergency-IPC-Index leiden, im Zeitraum August 2020 - März 2021 3,6 Millionen betragen würde (LIB, Kapitel 23.1).
In humanitären Geberkreisen wird von einer Armutsrate von 80% in Afghanistan ausgegangen. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze. Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5 % geschrumpft sein wird. Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (LIB, Kapitel 3. und 23.1).
Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 23).
Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Diese hatte primär Auswirkungen auf den Agrarsektor mit Verlusten bei Viehbeständen und verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter. Auch folgten schwerwiegende Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken. Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen. Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben worden waren. Günstige Wetterbedingungen während der Aussaat 2020 lassen eine weitere Erholung der Weizenproduktion von der Dürre 2018 erwarten. COVID-19-bedingte Sperrmaßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, da sie in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt werden konnten (LIB, Kapitel 23).
Die Auswirkungen von Covid-19 und der damit einhergehende Lockdown hatten katastrophale Auswirkungen auf die Lebensgrundlage der afghanischen Bürger. Aufgrund des Lockdowns verloren viele Menschen Arbeit und Einkommen. Die Inflation der Preise bei Grundnahrungsmitteln wie Öl und Kartoffeln verschärfte die wirtschaftliche Notlage eines erheblichen Teils der afghanischen Bevölkerung. Nach Angaben des Biruni-Instituts haben sechs Millionen Menschen aufgrund der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren (ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 16.10.2020).
Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die sich in ganz Afghanistan weiter verschlechtert und voraussichtlich einen ähnlichen Schweregrad erreichen wird, wie während der Dürre 2018/2019 beobachtet wurde. Nach Angaben der Vereinten Nationen lag die Zahl der Menschen, die von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind, im Zeitraum von August bis Oktober 2020 bei etwa 36% der untersuchten Bevölkerung, und die Zahl für den Zeitraum von November 2020 bis März 2021 wurde ein Anstieg auf 42% - zwischen 11,15 (ICP) und 13,9 (USAID) Millionen Menschen – prognostiziert. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es durch die COVID-19 Pandemie zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein, wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind. Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht lagen die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 weiterhin über dem Durchschnitt, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel auf den Quellmärkten zurückzuführen ist, insbesondere für Weizen in Kasachstan. Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert. Auf nationaler Ebene waren die Preise für Weizenmehl in Afghanistan von November bis Dezember 2020 stabil, allerdings auf einem Niveau, das 11% über dem des letzten Jahres und 27% über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was haup