TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/26 L525 2167636-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.05.2021
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Entscheidungsdatum

26.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L525 2167636-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Johannes ZÖCHLING als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA: Iran, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 4. Stock, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.05.2021, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer – ein iranischer Staatsangehöriger – stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 5.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er das Land wegen sozialer, politischer und wirtschaftlicher Probleme verlassen habe. Im Falle einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er, dass sie ihn ins Gefängnis stecken. Es gebe keine konkreten Hinweise auf etwaige Bestrafungen. Er wolle nicht zurück.

2. Am 27.6.2017 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "BFA") einvernommen. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei durch einen Freund und Arbeitskollegen namens XXXX auf das Christentum aufmerksam geworden, weil dieser in seinem Benehmen und zwischenmenschlichen Kontakten anders gewesen sei und mit seiner Familie und Verwandten gute Beziehungen gehabt hätte. XXXX habe ihn erstmalig in eine Hauskirche mitgenommen, er sei aus Neugier mitgekommen. Dort seien außer ihm und XXXX noch sieben oder acht weitere Personen gewesen. Sie hätten sich etwa eineinhalb Stunden dort aufgehalten und gebetet. Sie hätten kleine Bücher oder Hefte über Jesus Christus bekommen. In weiterer Folge sei der Beschwerdeführer dreimal in so ähnlichen Hauskirchen, aber an verschiedenen Örtlichkeiten gewesen. Das letzte Mal sei am 12.11.2015 gewesen. Als sie die Hauskirche verlassen hätten, habe XXXX zu ihm gesagt, er solle laufen, weil die Hauskirche aufgeflogen und die Polizei da sei. Der Beschwerdeführer sei geflüchtet und habe bei seinem Freund XXXX übernachtet. Er habe dann auch sein Handy abgedreht. Am nächsten Tag habe er von einer Telefonzelle aus seine Frau angerufen. Sie habe gesagt, dass Beamte bei ihnen zuhause gewesen seien und nach dem Beschwerdeführer gesucht hätten. Sie hätten seinen Kasten aufgebrochen und christliche Bücher und zwei CDs über Jesus und seinen Laptop mitgenommen. Der Beschwerdeführer habe Angst bekommen und das Gespräch unterbrochen. Er habe die Hilfe seines Bruders XXXX in Anspruch genommen, ihm alles erzählt und habe dieser ihn mit seinem Auto zu seinem Freund nach XXXX gebracht. Sein Bruder habe für ihn einen Schlepper gefunden. Mit Hilfe des Schleppers und eines gefälschten Reisepasses sei der Beschwerdeführer vom Flughafen XXXX legal ausgereist und dann nach Istanbul geflogen.

Im Verfahren vor dem BFA wurden iranische Dokumente (Geburtsurkunde, Führerschein, Unterlagen betreffend Schule und Militär), eine Teilnahmebestätigung vom 21.11.2016 über den Kurs "Deutsch als Fremdsprache", eine Teilnahmebestätigung vom 20.4.2017 über den Bewerb "Internationales Tischfußballturnier", eine Bestätigung vom 21.6.2017 über die Teilnahme an einem Deutschkurs, ein Schreiben der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. XXXX vom 23.6.2017 sowie einen Taufschein vom 9.7.2017 vorgelegt. Ein Schreiben des Landes XXXX hinsichtlich "Verwarnung betreffend diverser Verstöße" wurde dem BFA übermittelt und erliegt im Verwaltungsakt.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 27.7.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass es zur Ansicht gelangt sei, der Beschwerdeführer habe ein für ihn im Iran vorliegendes Verfolgungsszenario konstruiert, ohne tatsächlich von dem Vorgebrachten persönlich betroffen gewesen zu sein und sein behauptetes/vorgegebenes Interesse am christlichen Glauben einzig und allein dem Ziel diene, in Österreich eine Asylgewährung, aber zumindest ein vorläufiges Aufenthaltsrecht quasi zu erzwingen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers enthalte Unplausibilitäten, zu denen es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeiten nicht gekommen wäre, wenn er über einen tatsächlich selbst erlebten Sachverhalt berichtet hätte. Seine Angaben zu den angeblichen Fluchtgründen seien vage und unkonkret. In seiner Erstbefragung habe er kein Wort von dem, was er in seiner Befragung vor dem BFA vorgebracht habe, erwähnt. Aufgrund von Widersprüchen und Ungereimtheiten stehe für das BFA fest, dass die vom Beschwerdeführer geschilderte Geschichte nicht der Wahrheit entsprechen könne. Es sei dem Beschwerdeführer auch nicht gelungen, durch Darlegung von seriösen Motiven plausibel bzw. glaubhaft zu machen, dass bei ihm eine ernsthafte, aufrichtige und innere Überzeugung vorliege, sich dem christlichen Glauben ernsthaft zuzuwenden, geschweige denn, dass eine solche schon im Iran vorgelegen sei. Nicht glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer sich dem Christentum aus tiefster, innerster Überzeugung zugewandt habe bzw. sich nunmehr zuwende. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer sich deshalb zum christlichen Glauben hingezogen bzw. zugehörig/angehörig fühle, da es sein innigster Wunsch bzw. seine innigste Einstellung/Überzeugung sei, in weiterer Folge diesem Glauben anzugehören bzw. diesen zu praktizieren, geschweige denn, dass er sich schon im Iran für den christlichen Glauben interessiert habe. Aus seinem Vorbringen hätten sich keine glaubhaften Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er im Falle einer Rückkehr im Iran missionierend bzw. in einer herausgehobenen Position tätig sein werde, zumal auch schon davon auszugehen sei bzw. ausgegangen werden müsse, dass sein gegenwärtig zutage gelegtes Interesse am christlichen Glauben einzig und allein darin begründet bzw. darauf ausgerichtet sei, Asyl in Österreich zu erhalten (Scheinkonversion).

4. Mit Schriftsatz vom 10.8.2017 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 27.7.2017. Darin brachte er nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges und des vorgebrachten Sachverhalts im Wesentlichen vor, dass die Behörde ihre Feststellungen zur Situation im Iran, vor allem zur Situation von Christen sowie zur Konversion zum Christentum, auf stark veraltete Länderberichte stütze und ihre eigenen Berichte nur unvollständig auswerte. Die Länderfeststellungen würden war allgemeine Aussagen über den Iran beinhalten, befassten sich jedoch nur unzureichend mit dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers und seien dadurch als Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Doch selbst die veralteten Berichte im angefochtenen Bescheid würden ein schwarzes Bild für Christen malen. Auf im Beschwerdeschriftsatz zitierte Länderberichte sowie gerichtliche Entscheidungen wurde verwiesen. Die Feststellung der belangten Behörde, dass sie den Beschwerdeführer als unglaubwürdig erachte, basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung. Die ganze Beweiswürdigung setze sich nur aus einer Zusammenfassung des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers zusammen. Der Beschwerdeführer habe ein detailliertes und schlüssiges Vorbringen erstattet und den Auflauf seiner Konversion zum Christentum genau geschildert. Auch auf Nachfrage habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen ohne Widersprüche schlüssig schildern können. Sofern die belangte Behörde vermeine, der Beschwerdeführer hätte aufgrund seines Interesses am Christentum niemals Probleme gehabt, werde dazu ausgeführt, dass ein muslimischer Bürger laut iranischer Verfassung nicht das Recht habe, seinen Glauben auszusuchen, zu wechseln oder aufzugeben. Apostasie sei im Iran verboten und mit langen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe bedroht. Offensichtlich habe der Beschwerdeführer bereits durch die Teilnahme an den geheimen Treffen sowie durch den Kontakt zu seinen christlichen Freunden seine religiöse Einstellung stark geändert und sich dem Christentum hingegeben. Die Konvertierung habe somit bereits im Iran stattgefunden und diese in Österreich durch die Taufe nur formal vollendet bzw. vertieft worden. Im vorliegenden Fall sei bereits im Fluchtzeitpunkt von der ernsthaften und von einer nachhaltigen, inneren Überzeugung getragenen Hinwendung des Beschwerdeführers zum Christentum auszugehen, weshalb dem Beschwerdeführer jedenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hätte werden müssen. Von einer Scheinkonversion sei nicht auszugehen, da der Beschwerdeführer nach wie vor mit tiefster Überzeugung das Christentum auslebe. Insoweit die Behörde die vermeintliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auf Widersprüche bzw. fehlende Einzelheiten des Fluchtvorbringens zwischen Erstbefragung und den weiteren Einvernahmen vor der belangten Behörde anlaste, werde auf die Judikatur des VwGH verwiesen, wonach Asylwerber im Zuge der Erstbefragung gar nicht näher zu ihren Fluchtgründen befragt werden dürften. Zudem sei es sehr wohl nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung aufgrund seiner Erlebnisse im Iran eingeschüchtert sowie psychisch als auch physisch angeschlagen gewesen sei. Der Beschwerdeführer hätte deshalb Angst gehabt, aufgrund seiner Religion wieder mit dem Staat in Konflikt zu geraten. In der Einvernahme vor der belangten Behörde sowie im Rechtsberatungsgespräch habe der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte detailliert wiedergeben können. Ein Widerspruch im Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend den Vorfall, als dieser und sein Freund vor den Polizeibeamten flüchten habe müssen, habe zu keiner Zeit bestanden. Der Beschwerdeführer habe seine Angaben wahrheitsgemäß gemacht und seien diese falsch ins Protokoll aufgenommen worden. Nach Rückübersetzung des Protokolls habe der Beschwerdeführer diesen Fehler lediglich korrigiert, indem er angegeben habe, dass diese Tatsache nicht korrekt protokolliert worden sei. In rechtlicher Hinsicht wurde gefolgert, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner religiösen Gesinnung Verfolgung durch den iranischen Staat bzw. die ihm nahestehende religiöse Ordnungspolizei sowie anderen Akteuren der iranischen Gesellschaft befürchte. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Somit wäre dem Beschwerdeführer internationaler Schutz gemäß § 3 AsylG zu gewähren gewesen. Eine Verletzung des Art. 2 und Art. 3 EMRK würde im gegeben Fall der Abschiebung in den Iran auf jeden Fall vorliegen und hätte die Behörde dem Beschwerdeführer zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen. Die Rückkehrentscheidung hätte für dauerhaft unzulässig erklärt werden müssen und hätte die Behörde dem Beschwerdeführer daher gemäß § 58 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung plus von Amts wegen zu erteilen gehabt.

5. Am 16.8.2017 wurde der Akt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

6. Im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden (soweit im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht vorgelegt) Teilnahmebestätigungen vom 18.4.2018, 9.11.2017, 22.11.2017 und 1.9.2017 betreffend die Vorträge/Gesprächsrunden "Kompetenzen, Fähigkeiten, VHS Vortrag, Lebensberatung", "Frieden und Konfliktlösung", "DIALOG 'Arbeiterkammer'", "DIALOG 'Gemeinsam Sicher'", eine Teilnahmebestätigung vom 13.6.2018 betreffend den Workshop "Künstlerische Fotografie", eine Kursbestätigung vom 31.7.2017 betreffend "Initiative Deutsch in der Grundversorgung A1 Vertiefung – 120 UE", eine Teilnahmebestätigung vom 21.11.2016 betreffend den Kurs "Deutsch als Fremdsprache", ein Schreiben vom 25.9.2017 betreffend Krankenversicherung als Asylwerber, eine Bestätigung vom 17.1.2019 über den Besuch eines Pflichtschulabschlusslehrgangs, eine farsisprachige Urkunde ("Trauschein, Scheidungsdokument"), eine Bestätigung über die Präsenz in der Pfarrgemeinde und Teilnahme am Taufunterricht vom 25.9.2020, eine Bestätigung über ehrenamtliches Engagement vom 15.3.2021, ein österreichischer Führschein (Klassen AM, B), eine Trainingsanmeldung eines Fitnessstudios, ein Zeugnis über die Abschlussprüfung aus Kreativität und Gestaltung vom 8.1.2020, eine Teilnahmebestätigung betreffend einen Werte- und Orientierungskurs vom 17.8.2017, ein ÖSD-Zertifikat A1 vom 4.8.2017 ("nicht bestanden"), ein Absonderungsbescheid vom 9.3.2021, eine Bestätigung über die Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche A.B. vom 15.3.2021, sowie diverse Empfehlungsschreiben und Lichtbilder vorgelegt.

Die vorgelegte farsisprachige Urkunde ("Trauschein, Scheidungsdokument") wurde im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes in die deutsche Sprache übersetzt.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 7.5.2021 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters eine mündliche Verhandlung durch. Ein Behördenvertreter ist entschuldigt nicht erschienen. In der Verhandlung wurden die Zeugen XXXX und XXXX einvernommen.

Im Zuge der Ladung zur Verhandlung wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte zum Iran übermittelt. Informationen zur COVID-19-Pandemie sowie aktuelle Zahlen der WHO zu COVID-19 im Iran und in Österreich wurden vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebracht sowie die zweisprachige Unterlage für den Taufunterricht in Deutsch und Farsi verwendet. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers verwies hinsichtlich der Länderinformationen zum Iran auf die Beschwerde und die dort vorgetragenen Gründe. Apostasie sei im Iran unverändert strafbar und könne mit dem Tod bestraft werden. Der Beschwerdeführer befürchte im Falle der Rückkehr in den Iran festgenommen und aufgrund seines Glaubenswechsels bestraft zu werden. Die Zahlen zur COVID-19-Situation wurden zur Kenntnis genommen.

In der mündlichen Verhandlung wurden ein Foto der Taufe, ein Empfehlungsschreiben und eine Prüfungsbestätigung über die Absolvierung eines Moduls für den Pflichtschulabschluss vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Iran und der Volksgruppe der Türken (Qashqai) zugehörig. Der Beschwerdeführer spricht Farsi als Muttersprache sowie Türkisch. Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers sind nur sehr gering ausgeprägt. Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der Beschwerdeführer wurde in XXXX geboren und lebte vor seiner Ausreise aus dem Iran in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX . Von 1993 bis 2001 besuchte er – bis zur ersten Klasse Gymnasium, welche er allerdings nicht erfolgreich abschloss – die Schule, die er in der Folge abbrach. Nach Absolvierung seines 24-monatigen Militärdienstes in den Jahren 2005 bis 2007 arbeitete er für ca. viereinhalb Jahre als Schweißer.

Der Beschwerdeführer heiratete am XXXX die iranische Staatsangehörige XXXX . Der Ehe entstammt ein minderjähriger Sohn. Die Ehe wurde am XXXX geschieden. Der Beschwerdeführer hat drei Schwestern und zwei Brüder. Sein Vater ist bereits verstorben. Die Familienangehörigen des Beschwerdeführers leben weiterhin im Iran. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer reiste im November 2015 via internationalem Flug ab XXXX aus dem Iran aus.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer befasste sich im Iran weder mit dem christlichen Glauben, noch ist er dort als Christ in Erscheinung getreten. Der Beschwerdeführer ist nicht ernstlich und aus innerem Entschluss zum Christentum konvertiert, sondern handelt es sich bei der im Verfahren vorgebrachten Konversion um eine Scheinkonversion. Der christliche Glaube ist nicht zu einem Teil seiner Identität geworden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Iran einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre. Es steht auch nicht fest, dass der Beschwerdeführer um sein Leben zu fürchten hat.

Weiters kann unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit mit sich bringen würde.

1.3. Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer reiste im Dezember 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 5.12.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Aufgrund eines Vorfalls in seinem Quartier im Juni 2016 wurde der Beschwerdeführer verwarnt und aus dem Quartier weggewiesen. In der Folge wohnte der Beschwerdeführer zunächst in XXXX , ab November 2016 in XXXX und seit März 2018 in XXXX .

Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich. Er hat eine in XXXX lebende österreichische Staatsangehörige, XXXX , zur Freundin. Der Beschwerdeführer hat diese im Oktober 2018 kennengelernt, eine Beziehung besteht seit dem Jahr 2020. Ein gemeinsamer Haushalt liegt nicht vor, der Kontakt wird durch gegenseitige Besuche aufrechterhalten. Seit August 2020 ist der Beschwerdeführer mit seiner Freundin verlobt.

Der Beschwerdeführer verfügt über soziale Anknüpfungspunkte in Österreich; intensivere freundschaftliche Kontakte zu Österreichern können nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer legte diverse Empfehlungsschreiben vor, in denen er im Wesentlichen als freundlich, hilfsbereit und integrationswillig beschrieben wird. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein.

Im November 2016 kam der Beschwerdeführer mit der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. XXXX in Kontakt. Dort nahm er an Gottesdiensten und Glaubenskursen teil und wurde nach ca. einmonatiger Taufvorbereitung am XXXX im evangelischen Glauben A.B. getauft. Seit seiner Übersiedlung nach XXXX im März 2018 besucht der Beschwerdeführer die dortige evangelische Kirche. Der Beschwerdeführer übernimmt in der Kirche auch Lesungen. Während der COVID-19-Pandemie nahm der Beschwerdeführer an einem Online-Glaubenskurs teil; seit einigen Tagen (von der mündlichen Verhandlung am 7.5.2021 gerechnet) nimmt er an einem Bibelkurs teil. Seit Juni 2018 ist der Beschwerdeführer ehrenamtlich bei "Essen auf Rädern" der Diakonie XXXX tätig und liefert seit Oktober 2019 als Fahrer selbständig (zuvor: als Beifahrer) Essen aus.

In den Jahren 2016 und 2017 nahm der Beschwerdeführer an mehreren Deutschkursen teil. Eine Deutschprüfung auf dem Sprachniveau A1 bestand er am 4.8.2017 nicht. Positive Deutschzertifikate legte der Beschwerdeführer nicht vor. Im Jahr 2017 nahm der Beschwerdeführer an einem Werte- und Orientierungskurs teil. In den Jahren 2017 und 2018 nahm der Beschwerdeführer am Bewerb "Internationales Tischfußballturnier", den Vorträgen/Gesprächsrunden "Kompetenzen, Fähigkeiten, VHS Vortrag, Lebensberatung", "Frieden und Konfliktlösung", "DIALOG 'Arbeiterkammer'", "DIALOG 'Gemeinsam Sicher'" und dem Workshop "Künstlerische Fotografie" teil. Von Oktober 2018 bis Jänner 2020 nahm der Beschwerdeführer an einem Pflichtschulabschlusslehrgang teil. Am 11.12.2019 legte der Beschwerdeführer die Prüfung in "Kreativität und Gestaltung" (Beurteilung/Bewertung: "Befriedigend") ab; sechs weitere Modulprüfungen sind noch ausständig.

Der Beschwerdeführer ist Mitglied in einem Fitnessstudio. Er besitzt österreichische Lenkberechtigungen der Klassen AM und B.

Der Beschwerdeführer ging während seines Aufenthalts in Österreich bisher keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nach und steht nach wie vor im Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage eines Gastronomiebetriebs für eine Vollzeitstelle als Reinigungskraft.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. Von ihm begangene Verwaltungsübertretungen sind nicht aktenkundig.

1.4. Länderfeststellungen:

COVID-19

Letzte Änderung: 28.01.2021

Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder (DW 18.11.2020) und ist nun auch von einer dritten COVID-19-InfektionsweNe stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind dabei kaum auszumachen, da das Ansteckungsrisiko flächendeckend sehr hoch ist. Städte und Provinzen sind je nach Infektionszahlen in unterschiedliche Risikogruppen eingeteilt (rot = kritische Situation, orange = hohes Risiko, gelb = geringes Risiko) (AA 1.12.2020). Die Zahl der Neuinfektionen bewegt sich den offiziellen Zahlen zufolge weiterhin auf einem hohen, und weiter steigenden Niveau, die Zahl der täglichen Todesopfer ist auch im Steigen begriffen (WKO 28.11.2020). Aktuelle Informationen und detaillierte Zahlen bieten das iranische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation WHO (AA 1.12.2020). Die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist sehr hoch, verschiedentlich gibt es Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten (WKO 28.11.2020). Die Spitäler kämpfen mit Überlastung (WKO 28.11.2020; vgl. ZDF.de 18.10.2020). Für alle der 31 Provinzen inklusive Teheran gilt die Situation als sehr besorgniserregend (WKO 28.11.2020).

Personen, die in den Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf bei der Einreise nicht älter als 96 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, wird ausländischen Staatsangehörigen die Einreise nach Iran verwehrt. Iranische Staatsangehörige (Doppelstaatsbürger reisen in der Regel mit ihrem iranischen Reisepass ein) werden unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums in ein Flughafenhotel eingewiesen, dessen Kosten selbst zu tragen sind. Mit eigenhändiger Unterschrift ist zu bestätigen, dass das Hotel nicht verlassen werden darf. Die 14-tägige Quarantäne kann durch einen negativen molekularbiologischen Test beendet werden (BMeiA 1.12.2020; vgl. AA 1.12.2020). Positiv auf COVID-19 getestete Passagiere werden in ein Krankenhaus in Teheran oder andere Isolationsstationen verbracht (AA 1.12.2020).

Seit 21. November 2020 gilt für alle Provinzhauptstädte und zahlreiche weitere Städte ein zunächst zweiwöchiger Lockdown mit weitreichenden Verkehrseinschränkungen (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020), obwohl sich die iranische Regierung - aus Angst vor Protesten - lang gegen einen Lockdown gewehrt hat (DW 18.11.2020). Der Reiseverkehr zwischen diesen rot eingestuften Städten ist grundsätzlich untersagt. In Teheran gilt von 21 Uhr bis 4 Uhr ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020). Ab 22 Uhr gilt dies auch für den öffentlichen Nahverkehr. Taxis verkehren auch nach 22 Uhr (AA 1.12.2020). Es kommt - abgesehen vom Lebensmittelhandel und systemrelevanten Einrichtungen - ebenfalls zu landesweiten Betriebsschließungen (BMeiA 1.12.2020). Im Alltag ist derzeit vor allem in orangen und roten Regionen wieder mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Vorübergehend werden weitergehende Beschränkungen eingeführt (z.B. Schließungen von Restaurants, Sporteinrichtungen, religiösen Einrichtungen usw.). Einrichtungen für den essentiellen Lebensbedarf wie Supermärkte und Apotheken bleiben geöffnet. Davon sind u.a. Teheran sowie der Großteil der Provinzhauptstädte und weitere Großstädte betroffen. In roten Regionen bleiben Touristenziele teilweise geschlossen. Camping in öffentlichen Parks ist grundsätzlich untersagt (AA 1.12.2020). Behörden bleiben geöffnet, werden aber nur mit einem Drittel der üblichen Mitarbeiter besetzt (DW 18.11.2020). In allen Schulen und Universitäten wird auf Fernunterricht umgestellt (WKO 28.11.2020; vgl. DW 18.11.2020).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und öffentliche Transportmittel zu meiden. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr (AA 1.12.2020; vgl. WKO 28.11.2020). Künftig soll die Polizei stärker gegen Verstöße vorgehen, Strafen für Verstöße gegen die Auflagen wurden angekündigt (AA 1.12.2020).

Die Regierung hat ein Hilfspaket für Haushalte und Arbeitgeberbetriebe in der Höhe von 24 Mrd. USD beschlossen. 4 Mio. Haushalte sollen einen zinsfreien Mikrokredit von umgerechnet 62 bzw. 124 USD erhalten (WKO 28.11.2020).

Quellen:

•        AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.12.2020, unverändert gültig seit 18.11.2020): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/ de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396 , Zugriff 1.12.2020

•        BMeiA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (1.12.2020, unverändert gültig seit 20.11.2020): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia. gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 1.12.2020

•        DW-Deutsche Welle (18.11.2020): Irans Regierung gibt Widerstand gegen Corona-Lockdown auf, https://www.dw.com/de/irans-regierung-gibt-widerstand-gegen-corona-lockdown-auf/a-55651492 , Zugriff 1.12.2020

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (28.11.2020): Coronavirus: Situation im Iran, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/iran-bulletin-aussenwirtschaftscenter-zum-coronavi rus--.html , Zugriff 1.12.2020

•        ZDF.de (18.10.2020): Wie die zweite Welle den Iran trifft, https://www.zdf.de/nachrichten/panoram a/coronavirus-iran-zweite-welle-100.html, Zugriff 1.12.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 28.01.2021

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih", der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 9.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdar- an oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Revolutionsführer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 4.3.2020). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2020). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 9.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2020). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 9.2020a). Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020). Nach dem die Erwartungen des Volks vom moderat-reformorientierten Parlament nicht erfüllt wurden und die Wirtschaftslage und die finanzielle Situation des Volks nach den US-Sanktionen immer schlechter wurde, kamen nach den Parlamentswahlen 2020 hauptsächlich die konservativen und erzkonservativen Kräfte ins Parlament. Die Mehrheit der Abgeordneten der neuen Legislaturperiode verfolgt sowohl gegenüber der Regierung von Rohani als auch gegenüber westlichen Werten eine sehr kritische Linie (ÖB Teheran 10.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. GIZ 9.2020a, FH 4.3.2020, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 9.2020a). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 9.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 9.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 9.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 9.2020a; vgl. AA4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

Quellen:

•        AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.3.2020a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswaert iges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450 , Zugriff 7.4.2020

•        AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.3.2020b): Steckbrief - Iran, https://www.auswaertiges-amt .de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 7.4.2020

•        AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland

         Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante

_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report - Iran, https://www.bti-project.org/co ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

•        DW - Deutsche Welle (23.2.2020): Konservative siegen bei Parlamentswahl im Iran, https://www.dw.com/de/konservative-siegen-bei-parlamentswahl-im-iran/a-52489961 , Zugriff 7.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2025928.html , Zugriff 7.4.2020

•        GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (9.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 3.12.2020

•        ÖB Teheran - Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 2.12.2020

•        USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.01.2021

Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 2.12.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Diese haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 2.12.2020; vgl. AA 2.12.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 2.12.2020b).

In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 2.12.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA2.12.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 2.12.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 2.12.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 2.12.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2020).

Quellen:

•        AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.5.2020b, unverändert gültig seit 18.11.2020): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/ira nsicherheit/202396 , Zugriff 2.12.2020

•        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (2.12.2020, unverändert gültig seit 3.11.2020): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertr etungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 2.12.2020

•        ÖB Teheran - Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 2.12.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 28.01.2021

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2020). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA26.2.2020; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (USDOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische

Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrerAuslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens" [divine knowledge] für schuldig befinden (USDOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die „Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

-        Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere „Feindschaft zu Gott" und „Korruption auf Erde";

-Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

-        Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

-        Spionage für fremde Mächte;

-        Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

-        Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Die Amputation z.B. eines Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen (Qisas), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann (ÖB Teheran 10.2020). Bei derartigen Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes (Diya) auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020). Durch Erhalt einer Kompensationszahlung (Diya) kann also der ursprünglich Verletzte auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten" gegen Diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2020). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten - wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit - dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

Quellen:

•        AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland

         Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante

_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

•        AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938 794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamisch en-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 7.4.2020

•        AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445 204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-d er-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 7.4.2020

•        AI - Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https: //www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html , Zugriff 14.5.2020

•        AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 7.4.2020

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report - Iran, https://www.bti-project.org/co ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/file admin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 7.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2025928.html , Zugriff 7.4.2020

•        HRC - UN Human Rights Council (28.1.2020): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/43/61], https://undocs.org/en/A/HRC/43/61, Zugriff 8.4.2020

•        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/do kument/2022677.html , Zugriff 7.4.2020

•        ÖB Teheran - Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 2.12.2020

•        USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 28.01.2021

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (USDOS

11.3.2020) . Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist.

Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2020).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 26.2.2020). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij Milizen unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).

Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Letztere nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Präsident Hassan Rohani versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben - nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Da

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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