TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/26 L516 2186605-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.05.2021
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Entscheidungsdatum

26.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L516 2186605-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.01.2018, Zahl IFA 1171609701 – VZ 141202083 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs 1, § 8 Abs 1, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9 sowie § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 22.10.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 26.01.2018 (I.) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG sowie (II.) des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Paschtunen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS EB 23.10.2017 S 1)

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX (andere Schreibeweise auch: XXXX ) im District Peshawar in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Er besuchte in Pakistan fünf Jahre unregelmäßig die Schule. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Seine Mutter, seine Schwester sowie seine beiden Brüder wohnen bei einem seiner Onkel mütterlichseits in XXXX . Sein Vater ist bereits verstorben. Mit seiner Mutter stand der Beschwerdeführer auch nach seiner Einreise in Österreich in telefonischem Kontakt. (NS EB 23.10.2017 S 3; NS EV 27.10.2017 S 2; NS EV22.11.2017 S 3)

Der Beschwerdeführer verließ seinen Heimatort und Pakistan im August bzw Mai oder Juni 2017 und reiste über verschiedene Länder nach Österreich. (NS EB 23.10.2017 S 3; NS EV 22.11.2017 S 4)

1.2 Zu seiner Lebenssituation in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste im Oktober 2017 in Österreich ein und stellte hier den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Von Oktober 2017 bis September 2019 bezog der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde. Sein aktueller Aufenthalt ist unbekannt, er verfügt über keine aufrechte Wohnsitzmeldung im Zentralen Melderegister (ZMR) und er bezieht aktuell keine Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist gesund. Er ist strafrechtlich unbescholten. (ZMR (17.05.2021); IZR; GVS Auszug; Strafregister der Republik Österreich (17.05.2021)

1.3 Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz zusammengefasst im Wesentlichen vor:

Bei der Erstbefragung am 23.10.2017 begründete er seinen Antrag damit, dass er Probleme mit Freunden seines Vaters gehabt habe. Da sein Vater die Mutter des Beschwerdeführers immer wieder geschlagen habe und sehr gewalttätig gewesen sei, habe sich die Mutter scheiden lassen. Deswegen habe sein Vater einen Onkel des Beschwerdeführers getötet und auch sein Vater sei durch – dem Beschwerdeführer unbekannte – Männer umgebracht worden. Der Vater habe sehr viele mächtige Freunde, von denen der Beschwerdeführer und seine Familie immer wieder bedroht worden seien und man habe sie (=die Familie des Beschwerdeführers) töten wollen. Es sei auch deren Absicht gewesen, seine Schwester zu entführen und unter Zwang zu verheiraten. Sie hätten deshalb umziehen und versteckt leben müssen. Weil sein Leben in Gefahr gewesen sei, habe seine Mutter beschlossen, ihn nach Europa zu schicken. Er fürchte um sein Leben. Die Leute, die seinen Vater umgebracht hätten, würden auch ihn töten. (NS EB 23.10.2017 S 5)

Bei der Einvernahme am 27.10.2017 vor dem BFA führte der Beschwerdeführer aus, er persönlich sei einmal von einem Freund seines Vaters angegriffen und beschossen worden. Er habe auch eine Anzeige über die Tötung seines Onkels. Sein Vater habe jenen, den Bruder seiner Mutter, getötet. Es gebe auch eine Anzeige gegen die Personen, von denen dann sein Vater getötet worden sei. Der Beschwerdeführer werde von einem Freund seines Vaters verfolgt, dessen Namen er nicht kenne. Sein Leben sei in ganz Pakistan in Gefahr. Die Leute, die hinter ihm her seien, seien einflussreich und in der Lage, ihn in ganz Pakistan zu finden. Jener Mann, der ihn verfolge, sei ein Mitglied der Lashkar-e-Islam, einer talibanischen Untergruppe. (NS EV 27.10.2017 S 2, 3)

Bei der weiteren Einvernahme am 22.11.20217 vor dem BFA gab er an, seine Mutter lebe mit seinen beiden Brüdern und seiner Schwester bei einem Onkel mütterlicherseits in XXXX . Sein Vater habe bei der Lashkar-e-Islam gearbeitet und von dessen Gehalt habe die Familie bis zum Tod des Vaters gelebt. Der Vater sei 2013 ermordet worden. Sein Vater sei Mitglied der Lashkar-e-Islam gewesen. Auch ein Onkel väterlicherseits sei dort Mitglied gewesen. Die Mutter des Beschwerdeführers und ein Onkel väterlicherseits seien gegen den Vater des Beschwerdeführers und auch gegen den anderen Onkel väterlicherseits, die beide für die Lashkar-e-Islam gearbeitet hätten, gewesen. Zwischen seiner Mutter und seinem Vater sei es zur Scheidung gekommen. Jener Onkel väterlicherseits, welcher der Mutter des Beschwerdeführers beigestanden sei, sei von unbekannten Leuten ermordet worden. Dann seien der Beschwerdeführer und seine Familie zu einem Onkel mütterlicherseits umgezogen. Sein Vater habe die zwei Brüder des Beschwerdeführers schlecht behandelt und diese damit beauftragt, Waffen zu transportieren. Sein Vater und zwei Brüder des Vaters hätten dann den Onkel mütterlicherseits aufgefordert, die Mutter, den Beschwerdeführer und seine Geschwister zu übergeben und nachdem sich jener Onkel mütterlicherseits geweigert habe, sei jener Onkel vom Vater im Jahr 2006 ermordet worden. Danach habe ein weiterer Onkel mütterlicherseits den Schutz der Mutter, des Beschwerdeführers und seiner Geschwister übernommen. Sie seien dann von dort in ein anderes Dorf gegangen. Der Vater sei 2011 bei einer Auseinandersetzung zwischen der Lashkar-e-Islam und der pakistanischen Armee gestorben, der Beschwerdeführer sei noch sehr jung gewesen. Im Jahr 2015 sei der Beschwerdeführer persönlich einmal in XXXX von drei Freunden des Vaters angegriffen worden. Sie hätten ihn angegriffen und auf ihn geschossen. Die Polizei sei gekommen, um ihm zu helfen. Die Lage sei danach immer schlechter geworden und 2017 habe er auf Anraten seiner Mutter Pakistan verlassen. (NS EV 22.11.2017 S 2, 3, 5 ff)

Der Beschwerdeführer legte in der Einvernahme am 22.11.2017 in Kopie vier Schriftstücke vor, die von ihm wie folgt bezeichnet wurden: (1) Bestätigung über die Mitgliedschaft des Vaters bei der Lashkar-e-Islam (2) polizeiliche Anzeige über die Tötung des Onkels durch den Vater (3) Zeitungsartikel mit Foto des Leichnams des Onkels (4) Bestätigung der Polizei, wonach der Vater bei der Lashkar-e-Islam gewesen sei, sowie über die Ermordung des Vaters (AS 69 ff inkl Übersetzungen)

1.4 Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach sein Onkel 2006 sowie sein Vater 2011 oder 2013 gestorben seien, ist glaubhaft. Der Beschwerdeführer hat jedoch darüber hinaus nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

1.5. Zur Lage in Pakistan

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 25.9.2020). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite Kaschmirs (AA 25.9.2020).

Pakistan ist gemäß seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seit der Unabhängigkeit wurde die demokratische Entwicklung jedoch mehrfach von längeren Phasen der Militärherrschaft unterbrochen. Zuletzt kehrte Pakistan 2008 zur Demokratie zurück. Bei den Parlamentswahlen am 25.7.2018 gewann die bisherige Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Seit August 2018 führt PTI-Chef Imran Khan als Premierminister eine Koalitionsregierung an (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Sicherheitslage allgemein

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).

Sicherheitslage - Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d; vgl. EASO 10.2020). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Beim einzigen 2019 aus Islamabad gemeldeten Terroranschlag wurden zwei Polizisten getötet und ein weiterer bei einem Angriff auf einen Sicherheitsposten verletzt (PIPS 2020).

Im südlichen Punjab sind militante Netzwerke und Extremisten präsent, Lashkar-e Taiba (LeT) und JeM haben dort ihre Hauptquartiere und unterhalten religiösen Einrichtungen. Die Abteilung für Terrorismusbekämpfung im Punjab (CTD) hat 2019 und im ersten Halbjahr 2020 ihre Operationen gegen Militante fortgesetzt. Es kam dabei zu Festnahmen und zur Tötung von (mutmaßlichen) Kämpfern der TTP, HuA, LeJ und ISKP. Vom 1. Jänner bis 31. Juli 2020 zählte PIPS neun Vorfälle im Punjab, fünf davon wurden als Terroranschläge erfasst (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2020).

Sicherheitslage Khyber-Pakhtunkhwa

Die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) ist in 25 Bezirke (PBS 2017d) und sieben Tribal Districts unterteilt (Dawn 31.5.2018). Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) wurden Ende Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (EASO 10.2020; vgl. AA 29.9.2020). Laut Zensus 2017 hat die Provinz [im Gebietsstand ab 1.6.2018] ca. 35,5 Millionen Einwohner, wovon ca. fünf Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen FATA leben. Die Hauptstadt Peschawar hat 4,3 Millionen Einwohner (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in den Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts (KPTDs) hat sich im Jahr 2019 erheblich verbessert. Mit Ausnahme der Bezirke in Süd-Waziristan war in den übrigen sechs Bezirken der ehemaligen FATA ein erheblicher Rückgang an terroristischen Vorfällen und der daraus resultierenden Zahl an Opfern zu beobachten. Insgesamt wurde 2019 im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang der terroristischen Vorfälle um 16 Prozent und der Anzahl der Opfer um rund ein Viertel verzeichnet. Um andererseits die operative Kapazität terroristischer Gruppen in den ehemaligen FATA zu verringern, führten die pakistanischen Sicherheitskräfte im Rahmen der laufenden Militäroperationen im Jahr 2019 unter dem Code-Namen Radd-ul-Fasad nachrichtendienstlich gestützte Operationen (IBOs) durch. 2019 wurden insgesamt 54 solcher IBOs gemeldet, gegenüber 137 im Jahr 2018. Obwohl IBOs in allen Stammesbezirken von KP durchgeführt wurden, blieben Nord-Waziristan, Süd-Waziristan und Bajaur der Hauptschwerpunkt der Operationen. Am anfälligsten für terroristische Anschläge blieb, trotz eines Rückgangs derselben um 22 Prozent, die Provinz Nord-Waziristan (FRC 13.1.2020).

Die Operationen der Armee zur Aufstandsbekämpfung in KP (einschließlich der ehemaligen FATA) trugen langfristig zu einem höheren Sicherheitsniveau in der Provinz bei, und führten zu einer Verringerung des Einflusses der Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP - Pakistan Movement of Taliban) auf den größten Teil des Stammesgürtels. Diese Militäraktionen bewirkten jedoch auch die Vertreibung von Millionen von Bewohnern aus diesem Gebiet. Insgesamt hat sich die Sicherheit in diesen Gebieten verbessert, ist aber weiterhin fragil. Die Netzwerke der TTP bleiben sowohl auf afghanischer Seite als auch in einigen pakistanischen Bezirken entlang der Grenze aktiv (EASO 10.2020; vgl. FRC 13.1.2020). Die Bedrohung durch Gewalttaten der TTP bleibt aufrecht. Zahlreiche Taliban-Fraktionen konnten ihre Netzwerke auf afghanischer Seite der Grenze wieder herstellen und sind in der Lage, terroristische Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten in den KPTDs Nord- und Süd-Waziristan durchzuführen (FRC 13.1.2020; vgl. EASO 10.2020). Die militanten Gruppen haben ihre Taktiken, Strategien und Aussichten geändert, um sich an das veränderte Umfeld anzupassen. Anstelle von Selbstmordattentaten, die früher die bevorzugte und wirksamste Taktik waren, wenden die Militanten jetzt hauptsächlich gezielte Tötungsaktionen gegen Mitarbeiter von Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, politische Vertreter, Stammesälteste und Mitglieder von Anti-Taliban-Stammesmilizen der KPTD an (FRC 13.1.2020).

Die Pak Institute for Peace Studies (PIPS) dokumentierte im Jahr 2019 insgesamt 170 Gewaltvorfälle in der Provinz. Dies ist ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2018 (183). PIPS zählte 125 Terroranschläge im Jahr 2019. Gemäß der Beobachtung von PIPS, setzten Militante im Jahr 2019 Taktiken wie Selbstmordattentate, Schusswaffen, Sprengsätze sowie Handgranaten und Raketen ein. Der Trend, dass Militante Zivilisten, Regierungsbeamte und -institutionen, Stammesälteste und Sicherheitspersonal angreifen, setzte sich im Jahr 2019 fort. Zu den Bezirken in KP, in denen 2019 die meisten Terroranschläge stattfanden, gehören Nord-Waziristan (53 Anschläge), Dera Ismael Khan (14 Anschläge) und Bajaur (11 Anschläge) (PIPS 2020; vgl. EASO 10.2020). In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 beobachtete PIPS insgesamt 100 Vorfälle, von denen 49 als terroristische Anschläge in der Provinz genannt wurden. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 fanden in folgenden Bezirken von KP die meisten terroristischen Angriffe statt: Nord-Waziristan, Bajaur und Peshawar (EASO 10.2020).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Paschtunen

Gemäß Volkszählung 2017 stellen paschtunische Muttersprachler mit 15,4 % der Bevölkerung (ca. 32 Millionen Menschen) die zweitgrößte Sprachgruppe Pakistans. Von ihnen leben ca. 22,6 Millionen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa [inkl. ehem. FATA], wo sie ca. 77,7 % der Bevölkerung ausmachen; sowie ca. 3,7 Millionen in der Provinz Belutschistan, wo sie ca. 29,6 % der Bevölkerung ausmachen. Etwa zwei Millionen Paschtunen leben im Sindh, 1,3 Millionen im Punjab und 0,2 Millionen im Hauptstadtterritorium Islamabad (aggregiert aus PBS 2017a und PBS 2017c).

Viele Pakistanis assoziieren die Aktivitäten von Aufständischen im Land mit Paschtunen, die auf beiden Seiten der pakistanisch-afghanischen Grenze leben (DW 20.3.2017). Weil die pakistanische Taliban-Bewegung vornehmlich eine paschtunische Bewegung ist, sind viele Paschtunen durch eine Art Sippenhaft als "Islamisten" oder "militante Kämpfer" gebrandmarkt worden (EASO 10.2018). Zudem hegen Teile der pakistanischen Elite Ressentiments gegen die Paschtunen, weil diese zur Gründungszeit Pakistans separatistischen Bestrebungen anhingen. Dabei hat die Idee einer Vereinigung der paschtunisch besiedelten Gebiete zu einem "Groß-Paschtunistan" unter den pakistanischen Paschtunen aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan kaum noch Anhänger (DW 20.3.2017).

Im Zuge des Kampfes gegen islamistische Aufständische kam es seitens der Sicherheitskräfte zu einem ethnischen Profiling von Paschtunen, insbesondere von Angehörigen einkommensschwacher Gruppen (DW 20.3.2017). Im Rahmen des "Kriegs gegen den Terrorismus" kam es zu Übergriffen an sowie zu Verschleppungen und außergerichtlichen Tötungen von Paschtunen (EASO 10.2018).

Im Jahr 2018 erlebte Pakistan den Aufstieg des Pashtun Tahafuz Movement (Pashtun Protection Movement / PTM). Diese Bürgerrechtsbewegung fordert Schutz und Rechte für die paschtunische Minderheit im Land. Hierzu gehören etwa die Aufklärung von außergerichtlichen Tötungen, ein Ende willkürlicher Angriffe und Misshandlungen, die Rückkehr verschwundener Personen und die Räumung von Landminen in den ehemaligen Stammesgebieten (EASO 10.2019; vgl. HRCP 3.2019).

Die Behörden versuchen, Sympathisanten durch Verhaftungen, Einschüchterungen und Schikanen an der Teilnahme friedlicher Veranstaltungen zu hindern (HRCP 3.2019). Seit Bestehen der PTM wurden hunderte ihrer Aktivisten verhaftet (Euronews 7.2.2019). Ab Frühjahr 2019 haben die pakistanischen Behörden ihr Vorgehen gegen die PTM intensiviert (AI 27.5.2019). Die Behörden setzen ihre Maßnahmen gegen Mitglieder der PTM fort. Es kam mitunter zur Folterung und zur Tötung von Führungsmitgliedern der PTM. In einem Fall, namentlich am 26.5.2019 in Nord-Waziristan, kam es bei einer Demonstration auch zur Tötung von 13 PTM-Demonstranten. Nach diesem Ereignis ging die Regierung hart gegen die PTM vor und verhaftete viele Führungskräfte der Gruppe sowie Unterstützer der Basis. PTM-Aktivisten konnten zwar viele dieser Verhaftungen vor Gericht erfolgreich anfechten; allerdings werden einige der danach Freigelassenen seither vermisst (USDOS 11.3.2020).

Grundsätzlich anerkennt die Regierung, dass einige der von der PTM gemachten Vorwürfe legitim sind. Gleichzeitig behauptet sie aber, dass externe Kräfte die PTM als Instrument zur Schürung ethnischer Spaltungen im Land einsetzen (USDOS 11.3.2020). [Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Geschätzt 15,4 % der Bevölkerung Pakistans sind Paschtunen, womit sie nach den Punjabis die zweitgrößte ethnische Gruppe des Landes bilden. Paschtunen leben traditionell unter sich in ihren eigenen Stämmen und Unterstämmen in Khyber Pakhtunkhwa und der ehemaligen FATA, auch wenn viele Paschtunen in städtische Gebiete migriert sind. Die größten Paschtunen-Gemeinschaften leben in Karatschi, wo sich die größte Paschtunenpopulation in der Welt befindet, gefolgt von Peschawar. Paschtunen leben auch in Belutschistan, Islamabad, Lahore und anderen städtischen Gebieten.

Paschtunen sind in allen Gesellschaftsschichten in Pakistan vertreten. Historisch gesehen haben Paschtunen die Beschäftigung im Verkehrssektor in Pakistan und Afghanistan bestimmt. Paschtunen sind gut in den pakistanischen Sicherheitskräften vertreten. Die PTI hat eine starke Unterstützungsbasis in der von den Paschtunen bestimmten Provinz Khyber Pakhtunkhwa.

Die Sicherheitslage hat sich in ganz Pakistan, für alle Pakistani, die Pashtunen eingeschlossen, verbessert. Paschtunen, die innerhalb Pakistans umziehen, vor allem nach Karachi und Lahore, berichten über „ethnic profiling“ und Belästigungen durch Sicherheitsbeamte, auch Bestechung sei ein Thema. Paschtunen wird auch oft ihre National Identity Card (CNIC) gesperrt, wenn sie umziehen, was den Zugriff auf Vermögenswerte und Eigentum behindert. Als Ergebnis der Schwierigkeiten bevorzugen es Paschtunen sich dort wiederanzusiedeln, wo sie familiäre Verbindungen habe, also in Khyber Pakhtunkhwa oder im Sindh (ausgenommen Karachi), und vermeiden, sich im Punjab niederzulassen.

Nach der Bewertung von DFAT sind Paschtunen einem mittleren Risiko ausgesetzt, Diskriminierungen durch offizielle Stellen in Form von terror-bezogenem und „racial profiling“ durch Sicherheitskräfte in Gebieten, in denen sie die Minderheit darstellen, insbesondere im Punjab, zu erleiden. Paschtunen in Gebieten, in denen die Paschtunen die Mehrheit bilden oder wo familiäre oder andere soziale Verbindungen bestehen, sind einem niedrigen Risiko ausgesetzt, durch offizielle Stellen diskriminiert zu werden.

[Beweisquelle: Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan 20.02.2019].

Rechtsschutz, Justizwesen

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).

Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).

Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).

Polizei

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 11.3.2020). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).

Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).

Grundversorgung und Wirtschaft

Derzeit macht der landwirtschaftliche Sektor ca. ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, der industrielle Sektor trägt zu einem Viertel des BIP bei und der größte Sektor für Handel und Dienstleistung trägt bis zu über 50 % des BIP bei. Trotz des geringsten Anteils am BIP ist der landwirtschaftliche Sektor immer noch sehr wichtig, weil mehr als 40 % der Bevölkerung in diesem Sektor direkt beschäftigt sind und die Existenz von mehr als 60 % der ländlichen Bevölkerung direkt oder indirekt von diesem Sektor abhängt. Neben den verheerenden Wettereinflüssen, wie Flut auf der einen und Dürre auf der anderen Seite, führt u.a. der Mangel an modern-technologischem Feldmanagement und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten zu einer verhältnismäßig niedrigen Produktivität in diesem Sektor. Gepaart mit anderen soziopolitischen Faktoren führt dies zudem zu einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung im Land (GIZ 9.2020).

Die Arbeitslosigkeit lag mit Stand 2017 offiziell bei etwa 7,8 % (CIA 24.9.2020). Kritisch ist vor allem die Situation von jungen erwerbslosen/arbeitslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren. Eine hohe Arbeitslosigkeit gepaart mit einer Verknappung natürlicher Ressourcen - vor allem auf dem Land - führte zur verstärkten Arbeitsmigration in große Städte und traditionell auch in die Golfstaaten. Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten und Gastarbeitern nach Pakistan belaufen sich gegenwärtig auf ca. 5 % des BIP (GIZ 9.2020).

Das Tameer-e-Pakistan-Programm ist eine Armutsbekämpfungsmaßnahme, um Einkommensquellen für Arme zu verbessern und Arbeitsplätze im Land zu schaffen (IOM 2019). Das Kamyab Jawan Programm, eine Kooperation des Jugendprogramms des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Chancen am Arbeitsmarkt verbessern (Dawn 11.2.2019).

Sozialbeihilfen

Es gibt keine Arbeitslosenunterstützung (ILO 2017). Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern bezahlen das Gehalt der letzten 30 Tage des Dienstverhältnisses multipliziert mit der Dauer des Dienstverhältnisses in Jahren als Abfindung (USSSA 3.2019; vgl. ILO 2017).

Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft anhand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2019).

Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2019). Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die finanzielle Unterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Dabei liegt der Fokus auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, berufliche Weiterbildung sowie finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).

Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch gestärkt werden (ILO 2017).

Die Edhi Foundation ist - nach eigenen Angaben - die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edhi o.D.).

Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Bezirken der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen fällt vorwiegend in die Zuständigkeit der Provinzen. In der Organisation wird zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärversorgung unterschieden. Die Primärversorgung erfolgt in Basic Health Units (BHU) und Rural Health Centers mit einem Einzugsbereich von 25.000 bis 100.000 Menschen. Die Sekundärversorgung erfolgt in Tehsil Head Quarters und District Head Quarters mit einem Einzugsbereich von 500.000 bis 3 Millionen Menschen. Diese Einrichtungen bieten eine große Zahl ambulanter und stationärer Behandlungen an. Der tertiäre Sektor bietet eine hoch spezialisierte stationäre Versorgung (IJARP 10.2017). Im Verhältnis gibt es einen Arzt für 957 Personen, ein Krankenhausbett für 1.500-1.600 Personen und einen Zahnarzt für 9.730 Personen. Das relative Verhältnis des medizinischen Personals zur Bevölkerungszahl hat sich in den vergangenen Jahren leicht verbessert (HRCP 3.2019; vgl. HRCP 18.4.2018).

In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt (AA 29.9.2020). In Punjab erklärte der Gesundheitsminister im Februar 2019, dass die Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Distrikten der Provinz gestartet wurde und bis Ende des Jahres 2019 abgeschlossen sein wird. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR (ca. 3.800 EUR; Anm.). Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Es gibt staatliche Sozialleistungen für Angestellte in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern und bis zu einem Gehalt von 18.000 PKR (ca. 96 EURO) pro Monat (22.000 PKR in Punjab) sowie für von ihnen abhängige Personen. Ausgenommen von den Sozialleistungen sind Mitarbeiter in Familienbetrieben und Selbständige. Für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der Eisenbahn sowie Mitglieder der Armee, der Polizei und der örtlichen Verwaltung gibt es eigene Systeme. Begünstigte erhalten allgemeinmedizinische Leistungen, Medikamente, Krankenhausbehandlungen und Krankentransporte. Während der Krankheit wird 75 % des Gehalts weiterbezahlt (100 % bei Tuberkulose und Krebs; in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa generell 50 % Gehaltsfortzahlung). Die Begünstigung setzt sich bei Beendigung des Dienstverhältnisses für sechs Monate oder für die Dauer der Krankheit (je nachdem, welcher Zeitpunkt früher eintritt) fort (USSSA 3.2019). Das staatliche Wohlfahrts-Programm Bait-ul-Mal vergibt Unterstützungsleistungen und fördert die Beschaffung von Heilbehelfen (PBM o.D.). Die nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisation Aga Khan Development Network betreibt landesweit 450 Kliniken, fünf Krankenhäuser sowie ein Universitätskrankenhaus in Karatschi und fördert zahlreiche Projekte auf lokaler Ebene, um den Zugang zur Grundversorgung zu verbessern (AKDN o.D.).

Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt, wobei diese für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich sind. In den modernen Krankenhäusern in den Großstädten kann - unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit - eine Behandlungsmöglichkeit für die meisten in Rede stehenden Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z.B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden (AA 29.9.2020).

In Punjab erklärte der Gesundheitsminister im Februar 2019, dass die Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Distrikten der Provinz gestartet wurde und bis Ende des Jahres 2019 abgeschlossen sein wird. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B. Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR. Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Mehr als 15 Millionen Menschen in Pakistan leiden an einer psychischen Erkrankung (BBC 29.9.2016; vgl. Dawn 13.5.2019), jedoch gibt es nur etwa 500 qualifizierte Psychiater, vorwiegend in den Großstädten. In konservativen Regionen ist eine psychische Erkrankung mit einem sozialen Stigma verbunden (Dawn 13.5.2019; vgl. BBC 29.9.2016). Der Mangel an Psychiatern in peripheren Regionen sowie die Kosten der Behandlung sind für durchschnittliche Menschen unleistbar (Dawn 13.5.2019; vgl. Dawn 15.7.2019). Die Telefonseelsorge Talk2Me ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar und führt 75-90 psychologische Beratungen pro Woche durch (Dawn 13.5.2019).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung. Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 11.3.2020). Die starke Militärpräsenz in den Gebieten Azad Jammu and Kashmir (AJK) sowie Gilgit-Baltistan (GB) und die Gefahr von Beschuss und anderer Gewalt entlang der Grenzkontrolllinie schränken die Bewegungsfreiheit der Zivilbevölkerung im Land ein (FH 4.3.2020a). Es gibt einige rechtliche Beschränkungen für Reisen und die Möglichkeit, den Wohnsitz, die Beschäftigung oder die Hochschuleinrichtung zu wechseln. In einigen Teilen des Landes behindern die Behörden aus Sicherheitsgründen routinemäßig die interne Mobilität (FH 4.3.2020b).

Meldewesen

Pakistan verfügt über eine der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung der Bewohner. In den Provinzen Azad-Jammu und Kaschmir, Gilgit-Baltistan und den ehemaligen FATA konnten laut IRBC keine Infos über solche Registrierungssyteme gefunden werden. In allen vier Provinzen besteht jedoch eine Meldepflicht. Die Gesetze werden allerdings nur lückenhaft umgesetzt, aber Vergehen werden in allen Provinzen streng geahndet. Die zuständige Behörde zur Erhebung der Meldedaten ist die Polizei. Die Bezirksleiter der Polizei sind für die lückenlose Erfassung der Bewohner in ihren Bezirken verantwortlich (IRBC 23.1.2018).

Bei gemieteten Räumlichkeiten ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters oder auch des Immobilienhändlers, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. In den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa müssen zusätzlich noch zwei Referenzpersonen genannt werden, die den Bewohner identifizieren können. Hotels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste zu übermitteln sowie diese Informationen zu archivieren und für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten (IRBC 23.1.2018).

Um als Wähler in einem Wahlkreis registriert zu werden, muss man mittels Digitaler Nationaler Identitätskarte (NIC) nachweisen, Bewohner dieses Wahlkreises zu sein (ECP o.D.). Auf der NIC ist neben der permanenten Adresse auch die derzeitige Wohnadresse der Person angeführt (VB 4.11.2018).

Dokumente

Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). NADRA ist für die Ausstellung unterschiedlicher Ausweisdokumente zuständig (NADRA o.D.). Über 96 % der Bürger Pakistans verfügen über biometrische Personalausweise (PI 1.2019). Die National Identity Card (NIC) wird für Staatsbürger über 18 Jahre ausgestellt und ist mit einer einzigartigen 13-stelligen Personennummer versehen (NADRA o.D.). Die 2012 eingeführte Smart National Identity Card (SNIC) hat auf einem Chip zahlreiche biometrische Merkmale gespeichert und soll bis 2020 die älteren Versionen der NIC vollständig ersetzen (PI 1.2019). Eine SNIC wird benötigt, um beispielsweise Führerschein oder Reisepass zu beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine SIM-Karte oder Breitbandinternet zu erhalten (PI 1.2019; vgl. NADRA o.D.).

Weitere durch NADRA ausgestellte Dokumente sind die Pakistan Origin Card (POC) für ausländische Staatsbürger, die früher pakistanische Staatsangehörige waren bzw. deren Eltern oder Großeltern pakistanische Staatsbürger sind oder waren; National Identity Card for Overseas Pakistanis (NICOP) für Pakistani im Ausland, Emigranten oder Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft; Child Registration Certificates (CRC) für alle Personen unter 18 Jahren (NADRA o.D.).

Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weit verbreitetes Phänomen, v.a. von manuell angefertigten Dokumenten. Um gefälschte Dokumente zu erlangen, werden meist Bestechungsgelder bezahlt und/oder politischer Einfluss bzw. Kontakte von Familie und Freunden genutzt. Manche Dokumente sind sogar online oder in Märkten erhältlich. Folgende Dokumente werden regelmäßig gefälscht: Zeugnisse, akademische Titel, Empfehlungsschreiben, Geburts-, Todes-, Heirats- und Scheidungsurkunden, finanzielle Belege/Bestätigungen bzw. Kontoauszüge, Besitzurkunden, polizeiliche Dokumente (u.a. First Information Reports / FIRs), Einreise- und Ausreisestempel in Reisepässen sowie ausländische Visa (ÖB 5.2020).

Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, fiktive oder verfälschte Standesfälle (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung formal echte Urkunden ausgestellt zu bekommen. Merkmale auf modernen Personenstandsurkunden und Reisepässen zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte mühelos unterlaufen werden. Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z.B. „First Information Report“, FIR) dann formal echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen (AA 29.9.2020).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA und auf den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan (1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten konnte seine Identität nicht abschließend festgestellt werden.

Seine Ausführungen zu seiner Schulbildung, zu seinen Familienangehörigen in Pakistan sowie zu seinem Aufenthalt in seinem Heimatort waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.

Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus Pakistan, seiner Reiseroute und seiner Einreise nach Österreich beruhen auf seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte.

2.2 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (1.2)

Die Feststellungen zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich und zu seinem aktuell unbekannten Aufenthalt beruhen auf den Auszügen aus von österreichischen Behörden geführten Datenregistern. Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem unverdächtigen Strafregisterauszug. (Zentrales Melderegister (ZMR), Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) und Strafregister der Republik Österreich (SA); OZ 12).

2.3 Zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit (oben 1.3 und 1.4)

2.3.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Einvernahmen vor dem BFA.

2.3.2 Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, dass sein Vater bei der Lashkar-e-Islam gewesen sei; dass sich die Mutter vom Vaters habe scheiden lassen, weshalb ein Onkel mütterlicherseits vom Vater und dessen Brüdern im Jahr 2006 umgebracht worden sei; das der Vater im Jahr 2013 bzw 2011 bei einer Auseinandersetzung mit der pakistanischen Armee gestorben sei; dass der Beschwerdeführer 2015 von Freunden des Vaters angegriffen worden sei und es danach immer schlimmer geworden sei, weshalb er ausgereist sei (näher siehe oben 1.3)

Das Vorbringen zum Tod eines Onkels sowie zum Tod seines Vaters ist glaubhaft. Dies deshalb, da es von Beginn seines Verfahrens an widerspruchsfrei, schlüssig und gleichbleibend, aber nicht gleichlautend war, sodass ein einstudierter Vortrag auszuschließen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher keine Zweifel an seinen diesbezüglichen Angaben.

Das Vorbringen des Asylwerbers muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009) Diese Voraussetzung ist im vorliegend Fall aus den folgenden Gründen nicht gegeben:

Unglaubhaft ist jedoch das Vorbringen, wonach der Beschwerdeführer von Angehörigen der Lashkar-e-Islam verfolgt worden sei und er von diesen bedroht sei, da sich dieses als unschlüssig und inkonsistent erweist. So hatte er bei der Erstbefragung angegeben, dass er von den Leuten umgebracht werde, die auch seinen Vater umgebracht hätten (NS EB 23.10.2017 S 5), gab aber dazu im Widerspruch bei der Einvernahme vor dem BFA am 22.11.2017 an, dass er von Freunden seines Vaters im Jahr 2015 angegriffen worden sei und noch immer verfolgt werde (NS EV 22.11.2017 S 6), was nach den Angaben bei der Erstbefragung bedeuten müsste, dass der Vater von seinen eigenen Freuden umgebracht worden wäre. Das steht jedoch wiederum nicht in Einklang mit seinen Angaben bei der Einvernahme vor dem BFA am 22.11.2017, wonach sein Vater bei einer Auseinandersetzung mit der pakistanischen Armee gestorben sei. (NS EV 22.11.2017 S 6) Es ist auch kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb jene Leute der Lashksar-e-Islam gegen den Beschwerdeführer nach dem Tod des Vaters vorgehen hätten sollen; der Beschwerdeführer war damals erst 12 bzw 14 Jahre alt. Der Beschwerdeführer hat auch nicht behauptet, dass der Vater selbst nach dem Tod eines Onkels mütterlicherseits im Jahr 2006 noch einmal versucht hätte, gegen die Mutter des Beschwerdeführers, gegen seine Geschwister oder gegen den Beschwerdeführer selbst vorzugehen, was wohl zu erwarten gewesen wäre, wäre dies der Fall gewesen. Die Kopie eines Briefes (Übersetzung AS 77), den der Beschwerdeführer trotz Aufforderung durch das BFA nicht im Original vorgelegt hat, ist dafür kein tauglicher Beweis, zumal aus diesem ebenso wenig hervorgeht, weshalb die Lashkar-e-Islam gegen den Beschwerdeführer sein sollte. Schließlich war der Beschwerdeführer auch nicht in der Lage, den Hergang der Ereignisse bei jenem Vorfall im Jahr 2015, bei dem er angegriffen worden sein soll, detailliert und umfangreich zu schildern, obwohl er dazu vom BFA dezidiert aufgefordert worden war. (NS EV 22.11.2017 S 6: Frage: „Schildern Sie den Vorfall möglichst genau? Wer war beteiligt?“ Beschwerdeführer: „Die Leute, die mich angegriffen haben und auf mich geschossen haben waren die Freunde meines Vaters, die mit ihm zusammengearbeitet hatten. Sie waren drei Leute, Sie haben mich angegriffen und auf mich geschossen. Es wurde nur auf mich geschossen.“)

Die Beschwerde verweist im Wesentlichen auf das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers und wiederholt dieses in der Beschwerde in wenigen Sätzen (AS 205-216). Die bloße Wiederholung eines bestimmten Tatsachenvorbringens in der Beschwerde stellt jedoch weder ein substantiiertes Bestreiten der behördlichen Beweiswürdigung noch eine relevante Neuerung dar. (VwGH 20.10.2015, Ra 2015/18/0056) Die Beschwerde unterließ es vielmehr, zum bisherigen Vorbringen des Beschwerdeführers individuelle, nähere und präzisere Angaben zu machen oder die Beweiswürdigung konkret zu bekämpfen. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich tatsächlich kein verfahrensrelevantes Vorbringen mehr zu erstatten hat, andernfalls dies wohl in der Beschwerde erstattet worden wäre, sowie dass sowohl das Ermittlungsverfahren vom BFA im vorliegenden Fall insofern ausreichend korrekt durchgeführt als auch der entscheidungsrelevante Sachverhalt vollständig erhoben wurde.

Aus den soeben dargestellten Gründen gelangt das Bundesverwaltungsgericht in einer Gesamtbetrachtung aller Argumente daher insgesamt zu der Überzeugung, dass die vom Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrages behauptete vergangene und aktuelle Verfolgungsgefährdung in Bezug auf seine Person in Pakistan nicht glaubhaft ist.

2.4. Zur Lage in Pakistan (oben 1.5)

Die Feststellungen zur Lage in Pakistan ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Pakistan vom Februar 2021 und dem Bericht des australischen DFAT vom Februar 2019. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch der Beschwerdeführer ist diesen Länderinformationen nicht entgegengetreten. Die Feststellungen betreffend die Lage zur Pandemie aufgrund des Coronavirus basieren auf den Informationen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, des Sozialministeriums und der Weltgesundheitsorganisation.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist, dass der Asylwerber im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274).

Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428).

Zum gegenständlichen Verfahren

3.2 Fallbezogen gehört der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Er kommt aus der Region Peshawar in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und er verließ Pakistan im Jahr 2017.

3.2.1 Ausgehend von der festgestellten Ländersituation in Pakistan sind geschätzt 15,4 % der Bevölkerung Pakistans Paschtunen, womit sie nach den Punjabis die zweitgrößte ethnische Gruppe des Landes bilden. Paschtunen leben traditionell unter sich in ihren eigenen Stämmen und Unterstämmen in Khyber Pakhtunkhwa und der ehemaligen FATA, auch wenn viele Paschtunen in städtische Gebiete migriert sind. Die größten Paschtunen-Gemeinschaften leben in Karatschi, wo sich die größte Paschtunenpopulation in der Welt befindet, gefolgt von Peschawar. Paschtunen leben auch in Belutschistan, Islamabad, Lahore und anderen städtischen Gebieten. Paschtunen sind in allen Gesellschaftsschichten in Pakistan vertreten. Historisch gesehen haben Paschtunen die Beschäftigung im Verkehrssektor in Pakistan und Afghanistan bestimmt. Paschtunen sind gut in den pakistanischen Sicherheitskräften vertreten. Die PTI hat eine starke Unterstützungsbasis in der von den Paschtunen bestimmten Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Die Sicherheitslage hat sich in ganz Pakistan, für alle Pakistani, die Pashtunen eingeschlossen, verbessert. Paschtunen, die innerhalb Pakistans umziehen, vor allem nach Karachi und Lahore, berichten über „ethnic profiling“ und Belästigungen durch Sicherheitsbeamte, auch Bestechung sei ein Thema. Paschtunen wird auch oft ihre National Identity Card (CNIC) gesperrt, wenn sie umziehen, was den Zugriff auf Vermögenswerte und Eigentum behindert. Als Ergebnis der Schwierigkeiten bevorzugen es Paschtunen sich dort wiederanzusiedeln, wo sie familiäre Verbindungen habe, also in Khyber Pakhtunkhwa oder im Sindh (ausgenommen Karachi), und vermeiden, sich im Punjab niederzulassen. Paschtunen in Gebieten, in denen die Paschtunen die Mehrheit bilden oder wo familiäre oder andere soziale Verbindungen bestehen, sind einem niedrigen Risiko ausgesetzt, durch offizielle Stellen diskriminiert zu werden.

3.2.2 Vor dem länderspezifischen Hintergrund ergibt sich daher auch zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Pakistan allein schon aufgrund seiner bloßen Zugehörigkeit zur Volkgruppe der Paschtunen mit der für die Asylgewährung erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste.

Etwaige aktuelle persönliche Gefährdungsmerkmale ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht: seine Furcht, bei einer Rückkehr individuell bedroht und verfolgt zu sein, wurde im Rahmen der Beweiswürdigung als nicht glaubhaft erachtet. Er hat damit nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat, zu seinen Familienangehörigen, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

3.3 Es liegt somit im Falle des Beschwerdeführers keine Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sind damit nicht gegeben.

3.4 Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA wird daher als unbegründet abgewiesen.

Zum Status eines subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1 AsylG 2005)

3.5 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH - zum Vorliegen eines reales Risikos iSd Art 3 MRK ausgesprochen, dass diese Voraussetzung nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") erfüllt ist. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0068).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert sich der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs 1 Z 2 Asyl 2005 an Art 15 lit c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) und umfasst - wie der EuGH erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu bea

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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