TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 W102 2211847-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8

Spruch


W102 2211847-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Georg BÜRSTMAYR, Rechtsanwalt in 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 29.11.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.05.2021 zu Recht erkannt:

A)       I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

III. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist.

IV. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 08.05.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 09.05.2021 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass er wegen des Krieges und der unsicheren Lage in seiner Heimat geflohen sei. In Afghanistan gäbe es die Taliban und die Daesh, die jeden Tag Bombenanschläge verüben würden. Es gäbe auch keine Bildungsmöglichkeiten.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.05.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass seine Familie nach dem Tod seines Vaters beim Großvater des Beschwerdeführers gelebt habe. Der Beschwerdeführer habe arbeiten gehen müssen und sei nicht zur Schule gegangen. Die Hälfte seines Gehaltes habe er dem Großvater geben müssen, der sehr grob zum Beschwerdeführer und seiner Mutter gewesen sei. Er habe sie grundlos geschlagen. Der Beschwerdeführer habe seinem Arbeitgeber von seinen Problemen erzählt. Dieser habe ihm geholfen einen Schlepper zu finden und die Ausreise zu organisieren.

Mit Schreiben vom 07.06.2018 nahm der Beschwerdeführer Stellung zur Niederschrift seiner Einvernahme vom 28.05.2018.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29.11.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass keine asylrelevante staatliche Verfolgung vorliege und nicht geltend gemacht worden sei. Die befürchteten Übergriffe durch Dritte könnten eine Flüchtlingseigenschaft nicht begründen, selbst wenn diese den Tatsachen entsprechen würden. Eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz, Kabul, sei dem Beschwerdeführer zumutbar. Als innerstaatliche Fluchtalternativen würden weiters die Städte Herat und Mazar-e Sharif in Frage kommen. Diese seien sicher, erreichbar und der Aufenthalt zumutbar. Da der Beschwerdeführer die Erteilungskriterien nicht erfülle, sei ihm kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG zu erteilen. Der Beschwerdeführer habe weiters keinen Familienbezug in Österreich und verfüge über kein schützenswertes Privatleben in Österreich. Da ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, sei eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die am 09.12.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde.

Mit Urkundenvorlage vom 18.08.2020 legte der Beschwerdeführer medizinische Unterlagen sowie Unterlagen bezüglich seiner Integration und einen Tatausgleich vor.

Mit Schreiben vom 18.08.2020 legte der Beschwerdeführer die Geburtsurkunde seines Sohnes sowie die Anerkennung der Vaterschaft vor.

Mit Schreiben vom 28.04.2021 nahm der Beschwerdeführer zu seiner aktuellen gesundheitlichen Situation und der Lage in Afghanistan Stellung und legte medizinische Unterlagen vor.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 04.05.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine Vertrauensperson und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und seinem Leben in Österreich befragt.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Teilnahmebestätigung XXXX vom 16.01.2017

?        Teilnahmebestätigung Verein XXXX

?        Teilnahmebestätigung „Deutsch-Basiskenntnisse“ Verein XXXX vom 22.11.2016

?        Schulbesuchsbestätigung XXXX vom 24.02.2017

?        Teilnahmebestätigung Neophyten-Aktion vom 17.06.2017 und 23.06.2017

?        Teilnahmebestätigung Deutschkurs A1 vom 12.07.2017

?        Teilnahmebestätigung Schwimmschule 25.04.2017-23.05.2017

?        Teilnahmebestätigung Kurs Basisbildung für Jugendliche vom 19.03.2018

?        Teilnahmebestätigung Berufsorientierung vom 19.03.2018

?        Teilnahmebestätigung Basisbildungskurs vom 15.05.2018 und vom 02.08.2018

?        Teilnahmebestätigung Workshop zu sexueller Gesundheit vom 20.11.2017

?        Teilnahmebestätigung ÖIF Werte- und Orientierungskurs vom 12.09.2018

?        Betreuungskonzept Verein XXXX vom 19.12.2017

?        Diverse medizinische Unterlagen

?        Tatausgleich vom 26.04.2018

?        Geburtsurkunde Sohn vom 07.07.2020

?        Vaterschaftsanerkennung

?        Unterstützungserklärung XXXX vom 30.12.2020

?        Bestätigung gemeinnützige Tätigkeit vom 27.04.2021

?        Ärztlicher Befundbericht FA f. Psychiatrie vom 03.03.2021

?        Psychotherapeutische Stellungnahme vom 26.04.2021

?        Amtstagsprotokoll Kontaktrecht vom 09.03.2021

?        Bestätigung Männerberatung vom 24.02.2021

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren am XXXX , und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer zeigt Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung, generalisierter Angststörung mit Panikattacken und schweren depressiven Episoden, sowie akute Belastungsreaktion mit Stimmungsschwankungen. Er ist in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt Kabul, Afghanistan, geboren. Er verfügt über keine Schulbildung. Von 2010 bis 2016 arbeitete er als Bauarbeiter auf verschiedenen Baustellen.

Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Die Mutter und die drei jüngeren Geschwister des Beschwerdeführers leben beim Großvater väterlicherseits in Kabul. Eine Schwester des Beschwerdeführers ist verheiratet und lebt in Russland. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Mai 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hat mit Unterbrechungen zahlreiche Deutsch- und Basisbildungskurse besucht und besuchte ein Semester lang eine Bundesfachschule für wirtschaftliche Berufe. Weiters nahm er an einen Kurs zur Berufsorientierung teil. Weiters besuchte er zahlreiche Workshops, wie den Workshop „ XXXX “ der Männerberatung XXXX oder einen Schwimmkurs. Der Beschwerdeführer leistet gemeinnützige Arbeit und war beispielsweise im Bereich Küche / Abwasch im Wohnheim XXXX tätig. Der Beschwerdeführer hat in Österreich zahlreiche soziale Kontakte geknüpft. In seiner Freizeit unternimmt der Beschwerdeführer Ausflüge mit der Familie seiner Lebensgefährtin.

Der Beschwerdeführer ist Vater eines minderjährigen Sohnes, geboren am XXXX .

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Großvater des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführer sind nicht verfeindet. Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in die Herkunftsprovinz keine Übergriffe von Seiten seines Großvaters aufgrund von Ehrverletzungen oder anderen Gründen.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul und alle Distrikte gelten als unter Regierungskontrolle, dennoch finden weiterhin High-Profile-Angriffe - auch in der Hauptstadt - statt, wie Angriffe auf schiitische Feiernde und einen Sikhtempel in März sowie auf Bildungseinrichtungen wie die Universität in Kabul oder ein Selbstmordattentat auf eine Schule in Kabul im Oktober 2020 für die alle der Islamische Staat die Verantwortung übernahm. Den Angriff auf eine Geburtenklinik im Mai 2020 reklamierte bislang keine Gruppierung für sich, wobei die Taliban eine Verantwortung abstritten. Bei Angriffen in Kabul kommt es oft vor, dass keine Gruppierung die Verantwortung übernimmt oder es werden diese von nicht identifizierten bewaffneten Gruppen durchgeführt. Das USDOD beschreibt die Ziele militanter Gruppen, die in Kabul Selbstmordattentate verüben, als den Versuch internationale Medienaufmerksamkeit zu erregen, den Eindruck einer weit verbreiteten Unsicherheit zu erzeugen und die Legitimität der afghanischen Regierung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanischen Sicherheitskräfte zu untergraben. Afghanische Regierungsgebäude und -beamte, die afghanischen Sicherheitskräfte und hochrangige internationale Institutionen, sowohl militärische als auch zivile, gelten als die Hauptziele in Kabul-Stadt. Aufgrund öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Straßen-Kriminalität in Kabul ein Problem. Im vergangenen Jahr wurden in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Tausende von Fällen von Straßenraub und Hausüberfällen gemeldet. Nach einem Anstieg der Kriminalität und der Sicherheitsvorfälle in Kabul kündigte der Vizepräsident Amrullah Saleh im Oktober 2020 an, dass er auf Anordnung von Präsident Ashraf Ghani für einige Wochen die Verantwortung für die Sicherheit in Kabul übernehmen und hart gegen Kriminalität in Kabul vorgehen werde. Die Regierung kündigte einen Sicherheitsplan mit der Bezeichnung „Security Charter“ an, um das Sicherheitspersonal in die Gewährleistung der Sicherheit Kabuls und anderer Großstädte des Landes zu integrieren. Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division. Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei geschaffen, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren. Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet. Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung. Er gilt als unter Regierungskontrolle, wenn auch unsicher. Die Taliban fokussieren ihre Angriffe auf die Straße zwischen Surubi und Jagdalak und konnten diesen Straßenabschnitt auch kurzzeitig unter ihre Kontrolle bringen. Im Juli 2020 wurde über eine steigende Talibanpräsenz im Distrikt Paghman berichtet. Es wird berichtet, dass der Islamische Staat in der Provinz aktiv und in der Lage ist, Angriffe durchzuführen. Aufgrund des anhaltenden Drucks der ANDSF (Afghan National Security Forces), die Aktivitäten des Islamischen Staates zu stören, zeigte sich die militante Gruppe jedoch nur eingeschränkt in der Lage, 2019 in Kabul öffentlichkeitswirksame Anschläge zu verüben.

Dem Beschwerdeführer wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in seine Heimatstadt Kabul kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Die Stadt Kabul ist sicher erreichbar.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, die Wirtschaft stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig und stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Lebensgrundlage von 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft. Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt - mit rund 47% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren. Jedes Jahr treten sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können.

Die afghanische Wirtschaft wurde hart von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie getroffen. Als Folge sind die Preise von Grundnahrungsmitteln stark gestiegen. Aufgrund der Maßnahmen gibt es weniger Gelegenheitsarbeit. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, was etwa zu einer Verschärfung von Armut, einem Rückgang der Staatseinnahmen und einer geringeren Nachfrage nach Arbeitskräften führt. Besonders von weiterer Verarmung betroffen sind von Tagelöhner-Einkommen abhängige Familien.

Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung im Sinne von Ausgangsbeschränkungen, Beschränkungen des wirtschaftlichen Lebens oder der Bewegungsfreiheit sind aktuell nicht in Kraft.

Afghanistan ist von der COVID-19-Pandemie betroffen, dies gilt auch für Balkh. Das afghanische Gesundheitssystem ist mangelhaft, der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat jedoch Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Die medizinische Versorgung ist in großen Städten und auf Provinzebene sichergestellt. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildetem Personal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In Distrikten mit guter Sicherheitslage werden in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten. Die Behandlungskosten sind hoch. Mazar-e Sharif verfügt über mehrere Krankenhäuser und sonstige Behandlungseinrichtungen. Bedingt durch die begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und die begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan unzureichend erfasst. Krankenhäuser und Kliniken haben Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19.

In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Wie auch in anderen Krankenhäusern Afghanistans ist eine Unterbringung im Kabuler Krankenhaus von Patienten grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden. Die Internationale Psycho-Soziale Organisation (IPSO) bietet Menschen in Kabul Beratungsdienste zu psychosozialen und psychischen Gesundheitsfragen an, und Peace of Mind Afghanistan ist eine nationale Kampagne zur Sensibilisierung für psychische Gesundheit, die Botschaften und Instrumente zum psychischen Wohlbefinden verbreitet. In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten: Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae Mental Hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäuser in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim Private Hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern. In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus.

Mazar-e Sharif steht unter Regierungskontrolle, Kampfhandlungen finden im Wesentlichen nicht statt, es kommt jedoch zu Sicherheitsvorfällen. Die Kriminalität ist zuletzt gestiegen. Die Stadt verfügt über einen internationalen Flughafen, über den sie Stadt sicher erreicht werden kann.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Herkunftsort, Staatsangehörigkeit, Lebenswandel und Lebensverhältnissen im Herkunftsstaat, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen auf seinen gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, die auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seiner Entscheidung zugrunde legte. Hinweise darauf, dass diese nicht zutreffen würden, sind auch im gegenständlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen (insbesondere Urkundenvorlage vom 18.08.2020, Stellungnahme vom 28.04.2021). Zum Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung weiters an, dass er aufgrund seines psychischen Zustands Medikamente einnehme und in Behandlung ist (Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 04.05.2021 (in Folge: OZ 28), S. 3).

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellungen zu den aktuellen Aufenthaltsorten seiner Familienangehörigen ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (OZ 28, S. 4).

Das Antragsdatum des Beschwerdeführers ist aktenkundig.

Die Feststellungen zu den Aktivitäten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet beruhen auf den hierzu vorgelegten Unterlagen sowie auf den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers (BFA-Akt, AS 185-205, AS 557-565; Dokumentenvorlagen vom 18.08.2020 sowie vom 28.04.2021).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer einen minderjährigen Sohn im Bundesgebiet hat, ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde und dem Vaterschaftsanerkenntnis (Dokumentenvorlage vom 18.08.2020).

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer behaupteten Bedrohung durch seinen Großvater väterlicherseits kommt das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu dem Schluss, dass die geschilderte Bedrohung nicht glaubhaft ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Verlassens seines Heimatlandes minderjährig war. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und die Dichte dieses Vorbringens kann nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ist entsprechend diesen höchstgerichtlichen Vorgaben eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung erforderlich (Ra 2018/18/0150).

Vor diesem Hintergrund ist zunächst auf das Alter des Beschwerdeführers in den verschiedenen Abschnitten seiner Flucht und des Verfahrens einzugehen: Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung an, im Jahr XXXX geboren worden zu sein (BFA-Akt, AS 11). Die vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignisse haben sich in den Jahren vor seiner Ausreise, die er bei seinem Großvater verbracht hat, ereignet. Für die Zwecke der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen ist daher vom Erinnerungs- und Erlebnismaßstab eines normal entwickelten XXXX -Jährigen auszugehen.

Zunächst ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung als Fluchtgrund lediglich angab, dass er Afghanistan wegen des Krieges und der Anwesenheit der Taliban und des IS verlassen habe. Es gäbe Bombenanschläge und keine Bildungsmöglichkeiten (BFA-Akt, AS 19). In der Einvernahme vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer hingegen an, dass er lediglich wegen seiner Probleme mit seinem Großvater ausgereist sei (BFA-Akt, AS 179). Das Gericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG jedoch nicht. Im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen können Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben - unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind – einbezogen werden (VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0271, mwN). Es ist davon auszugehen, dass jemand, der aufgrund familiärer Streitigkeiten seine Herkunftsstadt verlässt, dies auch bei der Frage nach seinen Fluchtgründen zumindest kurz erwähnt. Der Beschwerdeführer machte in diesem Zusammenhang folglich widersprüchliche Angaben, weshalb sein Vorbringen nicht glaubhaft erscheint.

In der Einvernahme vor dem Bundesamt führte der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Fluchtgrundes aus, dass seine Familie nach dem Tod seines Vaters zu seinem Großvater väterlicherseits gezogen sei. Der Beschwerdeführer habe keine Schule besuchen dürfen und sei arbeiten geschickt worden. Die Hälfte seines Gehalts habe er dem Großvater abgeben müssen. Der Großvater sei sehr grob gewesen und habe die Familie oft grundlos geschlagen. Schließlich hätten der Arbeitgeber des Beschwerdeführers sowie ein Onkel mütterlicherseits den Beschwerdeführer bei der Organisation und Finanzierung der Ausreise des Beschwerdeführers unterstützt. Das seien seine einzigen Fluchtgründe (BFA-Akt, AS 178). Zunächst ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer in diesem Kontext sehr oberflächliche und vage Angaben machte und einen konkreten Streit oder eine andere Bedrohung oder Verfolgung durch seinen Großvater nicht darlegte. Soweit in der Beschwerde (BFA-Akt, AS 531) diesbezüglich ausgeführt wird, dass sich der Beschwerdeführer eines Ehrenverbrechens schuldig gemacht habe und deshalb seitens des Großvaters die Gefahr einer Verfolgung oder Bedrohung gegeben sei, ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer selbst während des gesamten Verfahrens kein Vorbringen zu einer Ehrverletzung geltend machte und eine solche auch aus seinem Verhalten gemäß den Länderinformationen nicht abzuleiten ist. Der Beschwerdeführer fällt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes weder unter das Risikoprofil „Individuals perceived to have transgressed moral codes“ (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 2.12 Individuals perceived to have transgressed moral codes, S. 79f.) noch unter das Profil „Individuals involved in blood feuds and land disputes“ (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 2.18 Individuals involved in blood feuds and land disputes, S. 89f.): Das Kapitel „Individuals perceived to have transgressed moral codes“ enthält das Risikoprofil von Männern und Frauen, denen zina (Ehebruch) vorgeworfen wird. Dies ist im konkreten Fall nicht gegeben. Im Kapitel „Individuals involved in blood feuds and land disputes“ werden Blutfehden aus Rache dargestellt, die das Ergebnis persönlicher Gewalt oder eines Fehlverhaltens aufgrund von Streitigkeiten um Land oder im Zusammenhang mit familiären Konflikten und Beziehungen sein können. Den UNHCR-Richtlinien ist diesbezüglich zu entnehmen, dass Blutfehden durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel A Risikoprofile, 14. In Blutfehden verwickelte Personen, S. 110f.). Wie bereits erwähnt, brachte der Beschwerdeführer keine Bedrohung oder einen derartigen Auslöser einer Blutfehde vor. Die physische Gewalt ausgehend vom Großvater und die Ausreise des Beschwerdeführers nach Europa ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht als Auslöser für eine Blutfehde zu interpretieren. Eine solche wurde gegenüber dem Beschwerdeführer auch nie erklärt oder dem Beschwerdeführer über seine Mutter, zu der der Beschwerdeführer nach wie vor in Kontakt steht, zur Kenntnis gebracht (OZ 28, S. 4). Hinsichtlich der Angaben in der Beschwerde, dass der Großvater des Beschwerdeführers in ganz Afghanistan vernetzt und sehr einflussreich sei (BFA-Akt, AS 541) ist festzuhalten, dass sich eine solche Vernetzung oder einflussreiche Rolle des Großvaters während des gesamten Verfahrens nicht ergeben hat und auch vom Beschwerdeführer nie angegeben wurde. Der Beschwerde ist zudem nicht zu entnehmen, wie der Einfluss des Großvaters im gesamten Staatsgebiet entstanden sei bzw. worin er bestehe.

Im konkreten Fall lieferte der Beschwerdeführer in seinen Angaben keine konsistenten und näheren Anhaltspunkte im Hinblick auf eine aktuelle Involvierung seiner Person in eine Blutfehde (bzw. „Feindschaft“). Die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich des Verhältnisses zu seinem Großvater sind zudem aufgrund der äußerst vagen Angaben und oberflächlichen Darstellung nicht als glaubhaft zu erachten. Eine sich daraus ergebende Blutfehde zwischen den Familienangehörigen wurde weiters – abgesehen von der Beschwerde - während des gesamten Verfahrens nicht vorgebracht. Damit ist allerdings auch für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz eine daraus resultierende Bedrohung von Seiten seines Großvaters nicht glaubhaft gemacht.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance, und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Stadt Kabul beruhen auf dem Länderinformationsblatt vom 01.04.2021, Kapitel 5 Sicherheitslage, Unterkapitel Kabul, S. 31ff.).

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt vom 01.04.2021, Kapitel 6 Rechtsschutz/Justizwesen, 8 Folter und unmenschliche Behandlung und 12 Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage in Afghanistan beruhen auf dem Länderinformationsblatt vom 01.04.2021, Kapitel 22 Grundversorgung, und dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020.

Der negative Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die afghanische Wirtschaft geht aus dem Länderinformationsblatt vom 01.04.2021, Kapitel 3 COVID-19, hervor und wird auch vom EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 bestätigt. Dieser berichtet etwa, dass für das Jahr 2020 ein Rückgang des BIP von 5,5 bis 7,4 % erwartet wird (Kapitel 2.1.1 Economic growth, S. 23), von einem Anstieg der Arbeitslosenrate für das Jahr 2020 (Kapitel 2.2.1. Unemployment, S. 28), von insgesamt negativen Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auf Arbeitsmarkt, Geschäftsaktivitäten, Armutsrate, etc. (etwa Kapitel 2.2.2 Employment opportunities and working conditions, S. 29-30; Kapitel 2.3.1. General trends, S. 36), einem verringerten Zugang zu Einkommen für arme städtische Haushalte, insbesondere für Tagelöhner (Kapitel 2.3.2. Urban poverty, S. 37) und einem Anstieg der Lebensmittelpreise (Kapitel 2.4.1. General situation, S. 39).

Im Hinblick auf aktuelle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung geht aus dem Länderinformationsblatt vom 01.04.2021 hervor, dass es gegenwärtig in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren gibt (Kapitel 3 COVID-19). Die Feststellungen zur Gesundheitsversorgung beruhen ebenso auf dem Länderinformationsblatt vom 01.04.2021, Kapitel 3 COVID-19 und Kapitel 23 Medizinische Versorgung sowie Kapitel 23.1 Psychische Erkrankungen, sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020, Kapitel 2.6 Health care, S. 45 ff.).

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich § 3 AsylG 2005 (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.1.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen „Ehrverletzungen“ des Beschwerdeführers mit dessen Großvater väterlicherseits

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung den Familienverband als „soziale Gruppe“ gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anerkannt. Verfolgung kann daher schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Art. 1 Z 2 GFK, etwa jener der Familie liegt (Vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof bejaht in seiner ständigen Rechtsprechung grundsätzlich die Asylrelevanz einer Verfolgung wegen Blutrache unter dem GFK-Anknüpfungspunkt der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „von Blutrache bedrohten Angehörigen der Großfamilie“, sofern sich die Verfolgungshandlungen gegen Personen richten, die in die Rache gegen den unmittelbar Betroffenen bloß aufgrund ihrer familiären Verbindungen zu diesem einbezogen werden (Vgl. etwa Ra 2014/18/0011, 13.11.2014).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr Übergriffe durch seinen Großvater drohen. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr unter dem GFK-Anknüpfungspunt der „sozialen Gruppe“ im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung war daher zu verneinen.

Im Ergebnis war die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

3.2.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich § 8 AsylG 2005 (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Zwar widerspricht es nach der die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Statusrichtlinie, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Nachdem aber eine mit der Statusrichtlinie im Einklang stehende Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer Auslegung contra legem führen würde, hielt der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Um von einer solchen realen Gefahr ausgehen zu können, reicht es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (jüngst etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).

Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage ist nach der ständigen, auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH bezugnehmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die Voraussetzung des „real risk“ iSd Art. 3 EMRK nur in sehr extremen Fällen erfüllt. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt, als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243).

3.2.1.  Zu einer Rückkehr in die Heimatstadt des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Kabul. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass Kabul, das einst als relativ sicher erachtet wurde, derzeit von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im letzten Quartal des Jahres 2019 sowie in den ersten Monaten des Jahres 2020 wurden in der Hauptstadt weniger Anschläge verübt. Seit dem zweiten Quartal 2020 hat die Gewalt Berichten zufolge wieder zugenommen. Die Regierung setzt jedoch gezielt Maßnahmen, um die Sicherheitslage zu verbessern. Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Die Regierung ist – wie aus diesem Berichten abzuleiten ist – in der Lage die Sicherheit abseits dieser High-Profile Attentate zu gewährleisten.

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Kabul sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Heimatstadt Kabul kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Kabul wieder Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Zudem kann der Beschwerdeführer zumindest vorübergehend Unterstützung durch seine in Kabul lebenden Verwandten, insbesondere durch seinen Onkel mütterlicherseits sowie durch seine erwerbstätige Mutter erhalten. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seiner Mutter und seinen Geschwistern in Kabul. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer zumindest vorübergehend bei seinen Familienangehörigen in Kabul leben kann (beispielweise bei seinem Onkel mütterlicherseits). Zudem verfügt der Beschwerdeführer über Ortskenntnisse in Kabul. Er kann dort auch auf ein familiäres und soziales Netzwerk zurückgreifen.

Der Beschwerdeführer kann für seine – nicht schwerwiegenden und nicht lebensbedrohlichen – physischen und psychischen Erkrankungen medizinische Behandlung in öffentlichen und privaten Krankenhäusern in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfügt in Kabul über ein familiäres Netzwerk, das ihn bei einer Unterbringung sowie bei der Finanzierung von Medikamenten unterstützen kann.

Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie im Herkunftsstaat ist anzumerken, dass es konkrete Anhaltspunkte für zu eine erwartende Infektion des Beschwerdeführers mit einem in der Folge schweren Verlauf nicht gibt. Dies liegt zwar im Bereich des Möglichen, nach der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht die bloße Möglichkeit der Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte jedoch nicht aus, es muss viel mehr eine darüberhinausgehende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich eine solche Gefahr verwirklicht wird (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Dies wurde jedoch nicht konkret dargetan und ist auch nicht ersichtlich.

Kabul zählt zudem nicht zu den Städten, in welchen es große Schwierigkeiten bei der Lebensmittelsicherheit gibt, aber IDPS und Rückkehrer verschärfen zunehmend das Problem. Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung nur eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in der Stadt Kabul dennoch zumindest grundlegend gesichert. Die Situation in der Stadt Kabul ist daher nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Asylwerbers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde.

Der Beschwerdeführer kann seine Heimatstadt durch den internationalen Flughafen in Kabul sicher erreichen.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter. Der Beschwerdeführer verfügt über eine sechsjährige Berufserfahrung als Bauarbeiter (Metallverarbeitung auf Baustellen). Er hat den Großteil seines Lebens in Afghanistan verbracht und dort gearbeitet, wodurch er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist. Auch wurde der Beschwerdeführer in einer afghanischen Familie sozialisiert. Zudem spricht Dari, die Landessprache Afghanistans, als Muttersprache.

Darüber hinaus kann der Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von österreichischer Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in seiner Heimatstadt das Auslangen finden, weshalb auch nicht zu befürchten ist, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte.

Der Beschwerdeführer gehört auch keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen würde als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Es gibt somit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer ausweglosen bzw. existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer hat auch nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos dargelegt, dass gerade ihm im Falle einer Rückführungsmaßnahme eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.0.2017, Ra 2017/19/0095). Die Angaben des Beschwerdeführers legen eine Exzeptionalität der Umstände oder eine konkrete Betroffenheit nicht dar:

Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr nach Afghanistan sein kann, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Der Beschwerdeführer hat für seinen Einzelfall keine individuellen, konkret seine Person treffenden exzeptionellen Umstände aufgezeigt bzw. diese glaubhaft gemacht.

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Kabul in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würden, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Ansiedlung in der Stadt Kabul entgegenstehen würden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in der Stadt Kabul möglich und auch zumutbar ist.

3.2.2. Zur Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Für den Fall, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kabul – entgegen der Ansicht des Gerichts – nicht möglich und/oder nicht zumutbar sein sollte, ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs. 2 AsylG auf eine andere Region des Landes – nämlich die Stadt Mazar-e Sharif – verwiesen werden kann.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG 2005 zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu unterscheiden. Einerseits muss geprüft werden, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bildet nach der Judikatur des VwGH die Frage, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mwN). Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, wäre die innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthalts in diesem Gebiet zu verneinen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch mit den UNHCR-Richtlinien und den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 22.07.2020, Ra 2020/18/0090).

UNHCR stellt im Hinblick auf die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auf Relevanz und Zumutbarkeit ab (UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, S. 119), wobei hiermit im Wesentlichen die bereits in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 11 AsylG 2005 herausgearbeiteten Elemente angesprochen sind. UNHCR stellt dabei – abgesehen vom Schutz vor Verfolgung, der gegenständlich mangels glaubhaft gemachter Verfolgungsgefahr nicht zu prüfen ist – auf Sicherheitslage und sichere Erreichbarkeit ab (Unterkapitel 1. Analyse der Relevanz, S. 220 ff.).

Wie festgestellt steht Mazar-e Sharif unter der Kontrolle der afghanischen Regierung und finden Kampfhandlungen im Wesentlichen nicht statt. Weiter ist die Stadt auch über ihren internationalen Flughafen sicher erreichbar. Damit ist im Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif ein aus der Sicherheitslage resultierendes „reales Risiko“ im Sinne der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes VwGH 23.01.2019, Ra 2018/14/0196) nicht ableitbar. So geht auch EASO im Hinblick auf Mazar-e Sharif davon aus, dass das Gewaltniveau in Mazar-e Sharif so niedrig ist, dass ein „real risk“ für Zivilpersonen im Allgemeinen nicht besteht (EASO Country Guidance, Kapitel III. Subsidiary protection, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Balkh, S. 117f.). Individuelle Elemente, die ein Abgehen von dieser generellen Einschätzung erforderlich machen würden, sind dagegen nicht ersichtlich und wurden auch nicht konkret dargelegt.

Auch bedarf es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zuge der Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlichen Beurteilung einer Auseinandersetzung mit der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat (VwGH 27.04.2020, Ra 2019/19/0455). Im Hinblick auf die Menschenrechtslage in Afghanistan ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer kein Vorbringen erstattete, dass seine aktuelle, konkrete und individuelle Betroffenheit wahrscheinlich erscheinen ließe.

Nach österreichischer Rechtslage (vgl. nochmals VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006) ist zudem zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer im als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Teil des Herkunftsstaates unabhängig von Akteuren oder dem bewaffneten Konflikt eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK droht.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auf die Entscheidungen des EGMR Bezug nimmt, hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VfGH 06.03.2008, B2400/07 mwN).

Auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab des Art. 3 MRK anerkannt, dass es unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR Ausnahmefälle geben kann, in denen durch eine schwere Erkrankung bzw. einen fehlenden tatsächlichen Zugang zur erforderlichen Behandlung im Herkunftsstaat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie im Herkunftsstaat ist anzumerken, dass es konkrete Anhaltspunkte für zu eine erwartende Infektion des Beschwerdeführers mit einem in der Folge schweren Verlauf nicht gibt. Dies liegt zwar im Bereich des Möglichen, nach der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht die bloße Möglichkeit der Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte jedoch nicht aus, es muss viel mehr eine darüberhinausgehende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich eine solche Gefahr verwirklicht wird (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Dies wurde jedoch nicht konkret dargetan und ist auch nicht ersichtlich.

Nach der auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezugnehmenden ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mwN).

Derartige exzeptionelle Umstände hat der Beschwerdeführer allerdings nicht konkret dargetan und sie diese auch nicht ersichtlich. So haben sich Hinweise auf einen Zusammenbruch der Grundversorgung nicht ergeben, mögen wirtschaftliche und die Versorgungssituation auch angespannt sein.

Das Kriterium der Zumutbarkeit ist in unionsrechtskonformer Auslegung gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, nämlich, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss es dem Asylwerber im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten möglich sein, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (Zuletzt VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche, sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall einer Rückkehr vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 20.08.2020, Ra 2020/19/0239).

Maßgebliche Faktoren für die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative sind nach der Einschätzung von EASO und UNHCR im Hinblick auf die persönlichen Umstände Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, S. 166ff. und UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122).

EASO führt zudem konkrete Personenprofile samt Schlussfolgerungen an, wobei gegenständlich das Profil „Single able-bodied men“ (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, S. 166ff., Unterabschnitt Conclusions on reasonableness, S. 174) in Betracht kommt.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen jungen, arbeitsfähigen Mann mit im Herkunftsstaat erworbener Berufserfahrung als Bauarbeiter. Er ist zudem unverheiratet. Weiter ist der Beschwerdeführer in Afghanistan aufgewachsen und damit mit den Gepflogenheiten des Herkunftsstaates vertraut. Der Beschwerdeführer spricht mit Dari eine im Herkunftsstaat verbreitete Sprache, wobei der Einschätzung von EASO zufolge der sprachliche bzw. ethnische Hintergrund im Fall einer Niederlassung in Mazar-e Sharif keinen relevanten Faktor darstellt, solange der Betroffene Dari oder Pashtu spricht (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, Unterabschnitt Individual circumstances, S. 173). Exzeptionelle Umstände im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307) sind damit nicht ersichtlich und geht EASO im Hinblick auf das Profil des Beschwerdeführers („Single able-bodied men“) davon aus, dass eine innerstaatliche Fluchtalt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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