Entscheidungsdatum
07.06.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W105 2115446-2/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Äthiopien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG stattgegeben und XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger von Äthiopien, stellte am 14.08.2015 im österreichischen Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen seiner Erstbefragung am 14.08.2015 gab der BF im Wesentlichen an, der Volksgruppe der Amharan anzugehören, sich zum Christentum zu bekennen, ledig zu sein, zwölf Jahre eine Schule besucht und sechs Jahre an einer Universität Biologie sowie Biochemie studiert zu haben. Er habe sein Heimatland Äthiopien 1981 verlassen und die folgenden sechs Jahre in der UdSSR gelebt, danach sei er nach Österreich gekommen. Im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien fürchte der BF, politisch verfolgt und deswegen umgebracht zu werden.
3. Die Teilnahme an einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) angesetzten Einvernahme wurde vom BF mit Vorlage eines psychiatrischen Befundes abgesagt.
4. Mit Datum 06.12.2017 regte das BFA beim Bezirksgericht Hernals die Bestellung eines Sachwalters für den BF an.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 26.02.2018 wurde Dr. Günter Klodner vom Verein Zeige, der den BF schon zuvor rechtlich vertreten hatte, zum Verfahrens- und einstweiligem Sachwalter des BF bestellt.
Das Verfahren betreffend die Notwendigkeit der Bestellung einer Erwachsenenvertretung wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 10.10.2018 eingestellt und der einstweilige Erwachsenenvertreter (vormals Sachwalter) seines Amtes enthoben, da nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zwar feststehe, dass der BF Teile seiner Angelegenheiten nicht ohne Nachteil für sich selbst erledigen könne, er aber im Verfahren vor dem BFA vertreten werde und auch sonst keine Gefährdung in existenzieller Hinsicht vorliege.
5. Zu einer weiteren vom BFA angesetzten Einvernahme erschien der BF wiederum nicht. Mit Aufforderung zur Stellungnahme vom 12.03.2019 wurde dem BF eine Frist von zwei Wochen eingeräumt, um zu den vom BFA übermittelten Fragen Stellung zu beziehen.
Am 22.03.2019 übergab der BF der belangten Behörde persönlich seine eigens verfasste Stellungnahme.
6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.04.2019 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Des Weiteren wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Äthiopien gemäß § 8 Abs. 3a AsylG iVm § 9 Abs. 2 AsylG unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde ausgeführt, dass für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung besteht (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde unter Darlegung näherer Details im Wesentlichen ausgeführt, dass beim BF manifeste Hinweise auf ein schizoaffektives Störungsgeschehen, ein gegenwärtig dysphorisch psychotisches Zustandsbild, Verkennung, herabgesetzte Kritikfähigkeit und Realitätsbezug bestehen würden. Es liege ein Selbstfürsorgedefizit vor und er benötige eine Behandlung sowie Medikation. Mangels eines Unterstützungsnetzwerks und wegen fehlender adäquater Behandlungsmöglichkeiten in Äthiopien würde der BF mit seinem Krankheitsbild in eine schwere Notsituation geraten, dies stehe einer Rückkehr des BF nach Äthiopien entgegen. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten könne dem BF aber nicht zuerkannt werden, da der BF ein schweres Verbrechen begangen habe und dies gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG einen Ausschlussgrund darstelle.
9. Mit Schriftsatz seiner Rechtsberatung vom 10.05.2019 erhob der BF gegen die Spruchpunkte I. bis IV. des oben genannten Bescheides fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Festgestellt wird der oben dargelegte Verfahrensgang.
1.1. Der BF trägt den Namen XXXX und ist am XXXX in Äthiopien geboren. Er bekennt sich zum christlichen Glauben und gehört der Volksgruppe der Amharen an. Er ist ledig und hat keine Kinder. Es kann nicht festgestellt werden, ob der BF Angehörige in Äthiopien hat, die ihn auch noch im Falle einer Rückkehr unterstützen könnten.
Der BF besuchte zwölf Jahre eine Schule und studierte in der damaligen UdSSR allgemeine Biologie und Biochemie. Im Jahr 1987 reiste der BF erstmals - unter Umgehung der Grenzkontrollen - nach Österreich ein und hält sich seit 1994 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er studierte Philosophie und Naturwissenschaften an der Universität Wien und verfügte über ein Stipendium zur Durchführung einer Dissertation.
Der BF ist psychisch erkrankt. Bei ihm liegen manifeste Hinweise auf ein schizoaffektives Störungsgeschehen, ein gegenwärtig dysphorisch psychotisches Zustandsbild, Verkennungen, eine herabgesetzte Kritikfähigkeit und einen deutlich herabgesetzten Realitätsbezug vor. Es ist bei ihm ein psychisch krankheitswertiges Geschehen mit fassbaren Hinweise auf eine akute Exacerbation zu erkennen und er ist nicht fähig, Teile seiner zu erledigenden Angelegenheiten ohne Nachteil für sich selbst zu erledigen. Er benötigt eine fachspezifische Behandlung und Medikation, um einer tiefgreifenderen Exacerbation entgegenwirken zu können. Der BF ist nicht arbeitsfähig.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29.05.2002, Zahl XXXX rechtskräftig seit 12.12.2002, wurde der BF wegen der Begehung des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung gemäß § 87 Abs. 1 StGB, sowie wegen der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB, der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB und des Betrugs gemäß § 146 StGB zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt, wobei der BF gemäß § 21 Abs. 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde.
Der BF wurde schuldig gesprochen, in Wien am 30.08.2001 seinem Vermieter durch mehrere Stiche mit einem Küchenmesser absichtlich eine schwere Körperverletzung - nämlich am linken Oberarm, am Hodensack, an der Magenvorderwand mit arterieller Blutung und Austritt von Mageninhalt, am rechten Oberschenkel, im Bereich des mittleren Oberbauches, der linken Brustkorbhälfte verbunden mit einem Hämatothorax sowie am Leberrand - zugefügt zu haben und am 07.01.2000, am 04.02.2000, 16.02.2000, 30.05.2001 sowie 25.07.2001 drei verschiedene Opfer mit Schlägen am Körper verletzt zu haben. Durch sein Auftreten als zahlungsfähiger und zahlungswilliger Vertragspartner hat der BF eine andere Person dazu verleitet, mit ihm einen Untermietvertrag einzugehen, wobei er diese Person am Vermögen schädigte und einen Betrug im Sinne des § 146 StGB beging. Auch drohte er einem weiteren Opfer mit Tod und Körperverletzung, weshalb er auch wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung verurteilt wurde.
Zum Zeitpunkt der Taten war der BF zurechnungsfähig, aber er leidet an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, die auch zu diesen Zeitpunkten vorlag. Aufgrund seiner misstrauischen und zu paranoiden Reaktionsbildungen neigenden Persönlichkeit, wobei diese durch ein mangelndes Selbstwertgefühl begünstigt werden, neigt der BF zu einem streitsüchtigen und aggressiven Verhalten. Er fühlt sich von allen Personen beeinträchtigt und jegliche Äußerung findet er als gegen sich gerichtet. Neutrale oder gar freundliche Haltungen anderer werden von ihm als feindlich oder verächtlich missgedeutet. Sein problematisches Sozialverhalten ist auf diese schwere Persönlichkeitsdestruktion zurückzuführen. Es liegt bei ihm sohin eine geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades vor und ist auch die weitere Prognose als ungünstig zu bezeichnen. Die Tathandlungen stehen durchaus in Zusammenhang mit der abnormen Persönlichkeitsstruktur.
Bei der Strafzumessung war das Zusammentreffen eines Verbrechens mit mehreren Vergehen sowie die Tatwiederholung als erschwerend zu werten, als mildernd wurde in die Strafzumessung der bisher ordentliche Lebenswandel des BF sowie der Umstand, dass die Tat unter Umständen begangen wurde, die einem Schuldausschließungsgrund nahekommen, miteinbezogen. Die verhängte Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren liegt im mittleren Bereich des Strafrahmens und ist schuld- und unrechtsangemessen.
An 13.01.2012 wurde der BF unter Anordnung der Bewährungshilfe und Setzung einer Probezeit von fünf Jahren aus der Anstaltsunterbringung entlassen.
Mit weiterem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29.04.2003, Zahl XXXX rechtskräftig seit 07.08.2003, wurde der BF wegen der Begehung des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
1.2. Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Äthiopien konkret bedroht oder verfolgt werden würde und im Falle einer Rückkehr einer landesweiten Verfolgungsgefährdung ausgesetzt wäre. Auch die Gefahr einer asylrelevanten Gruppenverfolgung kann nicht festgestellt werden.
1.3. Es wird festgestellt, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde und von einer Rückführung des BF folglich Abstand zu nehmen ist. Der BF leidet an einer schweren psychischen Krankheit, die es ihm schwierig bzw. unmöglich macht, adäquat für sich selbst zu sorgen. Eine notwendige Betreuung steht in Äthiopien ebenso nicht zur Verfügung wie ein Unterstützungsnetzwerk. Ohne Arbeit, die der BF aufgrund seines Gesundheitszustands nicht ausführen kann, und ohne familiäre Anknüpfungspunkte wird der BF bei einer Rückkehr in eine existenzielle Notlage geraten und nicht für sich selbst sorgen können.
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat Äthiopien wird festgestellt:
Politische Lage
Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen. Seit Mai 1991 regiert in Äthiopien die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die sich aus vier regionalen Parteien zusammensetzt: Tigray People's Liberation Front (TPLF), Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People’s Democratic Organisation (OPDO) und Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement (SEPDM). Traditionellen Führungsanspruch in der EPRDF hat die TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hat (AA 17.10.2018).
Auf allen administrativen Ebenen werden regelmäßig Wahlen durchgeführt, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 gewannen die regierende EPRDF und ihr nahestehende Parteien nach Mehrheitswahlrecht alle 547 Parlamentssitze. Auf allen administrativen Ebenen dominiert die EPRDF. Auch in den Regionalstaaten liegt das Übergewicht der Politikgestaltung weiter bei der Exekutive. Staat und Regierung bzw. Regierungspartei sind in der Praxis nicht eindeutig getrennt (AA 17.10.2018).
Äthiopien ist politisch sehr fragil (GIZ 9.2018). Zudem befindet sich das Land derzeit unter Premierminister Abiy Ahmed in einem politischen Wandel (GIZ 9.2018a). Abiy Ahmed kam im April 2018 nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn an die Macht. Seitdem hat er den Ausnahmezustand des Landes beendet, politische Gefangene freigelassen, umstrittene Kabinettsmitglieder und Beamte entlassen, Verbote für Websites und sozialen Medien aufgehoben und ein Friedensabkommen mit dem benachbarten Eritrea geschlossen (RI 14.11.2018; vgl. EI 12.12.2018, JA 23.12.2018). Bereits seit Anfang des Jahres waren noch unter der Vorgängerregierung erste Schritte einer politischen Öffnung unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen. Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren, und wurden entkriminalisiert. Abiy Ahmed hat eine Kehrtwende weg von der repressiven Politik seiner Vorgänger vorgenommen. Er bemüht sich seit seinem Amtsantritt mit Erfolg für stärkeren zivilgesellschaftlichen Freiraum und hat die Praxis der Kriminalisierung von Oppositionellen und kritischen Medien de facto beendet. Im Mai 2018 gab es mehrere Dialogformate in Addis Abeba und der benachbarten Region Oromia, unter Beteiligung von Vertretern der Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Abiy hat zudem angekündigt, dass die für 2020 angesetzten Wahlen frei und fair und ohne weitere Verzögerungen stattfinden sollen (AA 17.10.2018).
Unter der neuen Führung begann Äthiopien mit dem benachbarten Eritrea einen Friedensprozess hinsichtlich des seit 1998 andauernden Konfliktes (JA 23.12.2018). Im Juni 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, den Friedensvertrag mit Eritrea von 2002 vollständig zu akzeptieren (GIZ 9.2018a). Mithilfe der USA, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate begann Abiy Ahmed Gespräche und begrüßte den eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki im Juli 2018 in Addis Abeba (JA 23.12.2018). Nach gegenseitigen Staatsbesuchen sowie der Grenzöffnung erfolgte Mitte September 2018 die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern (GIZ 9.2018a). Die Handels- und Flugverbindungen wurden wieder aufgenommen, und die UN-Sanktionen gegen Eritrea wurden aufgehoben (JA 23.12.2018).
Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Asmara ein Versöhnungsabkommen und verkündeten am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018). Am 15.9.2018 kehrten frühere Oromo-Rebellen aus dem Exil in die Hauptstadt Addis Abeba zurück. Die Führung der OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Neben OLF-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurde, kam es zu Ausschreitungen (BAMF 17.9.2018). Nach offiziellen Angaben wurden nach den Ausschreitungen rund 1.200 Personen inhaftiert (BAMF 1.10.2018).
Abiy Ahmeds Entscheidung Frauen in Führungspositionen zu befördern, wurde weitgehend begrüßt. Die Hälfte der 20 Ministerposten der Regierung wurden an Frauen vergeben, darunter Schlüsselressorts wie das Ministerium für Handel und Industrie und das Verteidigungsministerium. Abiy hat u. a. die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt, die ehemalige UNO-Beamtin Sahle-Work Zewde wurde einstimmig vom Parlament zur Präsidentin gewählt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018, EZ 25.10.2018, GIZ 9.2018a). Die Präsidentin hat vor allem eine repräsentative Funktion, da die politische Macht beim Ministerpräsidenten liegt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018). Aisha Mohammed ist nun Verteidigungsministerin, Muferiat Kamil Friedensministerin. Letzterer sind Polizei und Geheimdienste unterstellt. Die Ernennung der beiden Frauen ist auch deshalb historisch, weil es sich um Muslime aus ethnischen Minderheiten (Oromo) handelt, die noch nie zuvor so mächtige Ämter bekleideten. Ihre Anwesenheit im Kabinett hilft Abiy Ahmed nicht nur, Geschlechterparität zu erreichen, sondern auch, seine Unterstützungsbasis unter ethnischen Minderheiten und Muslimen zu erweitern, die sich manchmal über politische Ausgrenzung beklagen (BBC 18.11.2018).
Darüber hinaus ging die Regierung gegen Offizielle vor, die der Korruption und Rechtsverletzungen verdächtigt wurden. 60 Personen wurden verhaftet, darunter der ehemalige Leiter eines militärisch geführten Geschäftskonzerns und ehemalige stellvertretende Leiter des Geheimdienstes, Getachew Assefa. Dieser wurde wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen verhaftet (BBC 18.11.2018; vgl. EI 12.12.2018). Assefa war ein führendes Mitglied des Tigray-Flügels der regierenden EPRDF. Vertreter der EPRDF - darunter die Führung der TPLF - haben erklärt, dass es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, dass Kriminelle vor Gericht gestellt werden sollten. Ältere Vertreter der TPLF fordern, dass derartige Verhaftungen nicht politisch motiviert und nur auf Tigray abzielen dürfen. Aktivisten von Tigray erachten die Verhaftungen allerdings als politisch motiviert – mit dem Ziel, die Tigray zu schwächen. Auf einen Protest in neun Großstädten in Tigray folgte am 8.12. und 9.12.2018 eine große Kundgebung in Mekele, bei der Zehntausende teilnahmen. Die Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Region Tigray haben sich verschärft (EI 12.12.2018). Es bleibt abzuwarten, ob diese Säuberungen den Staat nicht zu destabilisieren drohen. Zudem sind die Gewaltkonflikte in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle, und Abiy weigert sich, Gewalt anzuwenden. Sein Ruf nach Ruhe und Einheit bleibt jedoch ungehört. Die Zahl der IDPs ist gestiegen, und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (JA 23.12.2018).
Seit seinem Amtsantritt im April 2018 als äthiopischer Premierminister, hat Abiy Ahmed tiefgreifende Reformen angeschoben. Trotzdem bleiben die Herausforderungen zahlreich. Die Restriktionen gegen Bürgerrechtsorganisationen sind noch nicht aufgehoben und das Antiterrorismusgesetz muss noch reformiert werden. Für seinen Umgang mit diesen fundamentalen Problemen steht der neue Premierminister in Kritik. Das Versprechen von freien Wahlen stößt auf die Realität eines Landes, das von einer Koalition von Rebellen kontrolliert wird – der EPRDF. Diese ist seit 1991 an der Macht und behält sämtliche Institutionen im Griff (SFH 5.12.2018).
Sicherheitslage
Nach der Wahl eines neuen Premierministers hat sich die Sicherheitslage derzeit wieder beruhigt. Der im Februar 2018 ausgerufene Notstand wurde am 5.6.2018 vorzeitig beendet (AA 4.1.2019). Derzeit gibt es in keiner äthiopischen Region bürgerkriegsähnliche Zustände; die Konflikte zwischen Ethnien (z.B. Gambella, SNNPR, Oromo/Somali) haben keine derartige Intensität erreicht (AA 17.10.2018). Laut österreichischem Außenministerium gilt in Addis Abeba und den übrigen Landesteilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Ein Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018).
Im ganzen Land kann es bei Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen und Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 12.12.2018). Die politischen und sozialen Spannungen können jederzeit zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen, Straßenblockaden und Streiks führen. Auch in Addis Abeba können gewalttätige Demonstrationen jederzeit vorkommen. Zum Beispiel haben Mitte September 2018 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräfte zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018). Ende September 2018, sollen bei Protesten in Addis Abeba, 58 Menschen getötet worden sein, staatliche Stellen berichteten von 23 Toten. Die meisten Todesopfer habe es gegeben, als jugendliche Banden der Volksgruppe der Oromo am 16.9.2018 andere Ethnien angriffen. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (BAMF 1.10.2018; vgl. BAMF 24.9.2018).
Zusammenstöße zwischen den Gemeinschaften in den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray haben sich fortgesetzt. Dort werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (FEWS 29.11.2018).
Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und der Kampf um Wasser und Weideland können in den Migrationsgebieten der nomadisierenden Viehbesitzer im Tiefland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, die oft erst durch den Einsatz der Sicherheitskräfte beendet werden (EDA 10.12.2018).
Somali Regional State (SRS / Ogaden) und Oromia
Für den SRS gilt laut österreichischem Außenministerium eine partielle Reisewarnung (BMEIA 6.12.2018). Das deutsche Außenministerium warnt vor Reisen südlich und östlich von Harar und Jijiga (AA 4.1.2019). Die Sicherheitslage ist in diesem Landesteil volatil. Lokale Gefechte zwischen der äthiopischen Armee und verschiedenen Rebellengruppen kommen vor. Zum Beispiel forderten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Armee und einer lokalen Miliz im August 2018 in Jijiga zahlreiche Todesopfer und Verletzte (AA 4.1.2019; vgl. EDA 6.12.2018, DW 8.8.2018). Es kam damals zu interkommunaler Gewalt zwischen ethnischen Somalis und in der Stadt lebenden Hochländern (UNOCHA 25.11.2018) und zur Plünderung von Besitztümern ethnischer Minderheiten (DW 8.8.2018). Angriffe richteten sich gezielt gegen ethnische Nicht-Somalis und gegen orthodoxe Kirchen, darunter auch Priester (AA 17.10.2018). Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie zwischen verfeindeten Ethnien können auch weiterhin vorkommen. Auch besteht das Risiko von Anschlägen. Zudem besteht Minengefahr und das Risiko von Entführungen (EDA 6.12.2018; vgl. BMEIA 6.12.2018).
Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren (AA 4.1.2019). Auch am 12.11.2018 führte Gewalt zwischen den Gemeinschaften Gebra und Garre dazu, dass etwa 15.000 Menschen in der Stadt Moyale, einer Stadt, die sowohl zu Oromia als auch zu Somalia gehört, vertrieben wurden (UNOCHA 25.11.2018).
Im Süden Äthiopiens hatte es in jüngster Vergangenheit mehrfach blutige Zusammenstöße zwischen Angehörigen der Ethnien der Oromo und der Somali gegeben. Hintergrund ist der Streit um Weideland und andere Ressourcen (WZ 16.12.2018). Im Grenzgebiet der Oromo- und Somali-Regionen kommt es schon seit Anfang 2017 verstärkt zu gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen beider Volksgruppen. Betroffen sind vor allem die Gebiete Moyale, Guji, Bale, Borena, Hararghe und West Guji (AA 4.1.2019). Der Grenzkonflikt zwischen den Regionen Oromia und dem SRS hat sich verschärft (AA 17.10.2018).
Für die Region Oromia wurde ein hohes Sicherheitsrisiko ausgerufen. In den Regionen Oromia und Amhara kann es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei kommen. Zudem kommt es häufiger zu Entführungen an der somalisch-kenianischen Grenze, sowie grenzüberschreitender Stammesauseinandersetzungen (BMEIA 6.12.2018). In den Oromo-und Amhara-Regionen kommt es des Öfteren zu teils gewalttätigen Demonstrationen und Protestaktionen (AA 4.1.2019). Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten im SRS geflohen. Damit steigt die Gesamtzahl auf über 700.000, die in den letzten Jahren vor interkommunaler Gewalt geflohen sind, so die neueste Displacement Tracking Matrix für Äthiopien. Die meisten kamen aus der Region Oromia. Insgesamt wurden im SRS fast 1,1 Millionen Menschen vertrieben, wenn auch andere Ursachen wie Dürre und Überschwemmungen berücksichtigt werden (NRC 20.11.2018).
Gambella / Benishangul-Gumuz
In diesen Gebieten sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien (EDA 10.12.2018), welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen (BMEIA 6.12.2018; vgl. AA 4.1.2019). Im April 2016 sind Konflikte im Nordwesten von Gambella aufgeflammt und haben über 200 Todesopfer gefordert (EDA 10.12.2018). In der Gambella-Region kommt es regelmäßig zu Stammeskonflikten (BMEIA 6.12.2018). Mittlerweile hat sich durch die hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften die Lage beruhigt. Von nicht notwendigen Reisen in die Region Gambella wie auch in die Region Benishangul-Gumuz rät das deutsche Außenministerium weiter ab (AA 4.1.2019). In jüngerer Vergangenheit wurden schätzungsweise 240.000 Menschen aufgrund interkommunalen Gewalt in der Zone Kamashi und aus der Region Benishangul-Gumuz vertrieben (FEWS 29.11.2018; vgl. UNOCHA 25.11.2018). Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt gibt es weiterhin Berichte über Konflikte (UNOCHA 25.11.2018).
Das schweizerische Außenministerium rät, die Grenzgebiete zum Sudan, zum Südsudan und zu Kenia großräumig zu meiden (EDA 10.12.2018). Das österreichische Außenministerium spricht für diese Gebiete von einem hohen Sicherheitsrisiko (BMEIA 6.12.2018).
Andere Regionen
An der Grenze zwischen der Region Oromia und der Southern Nations Nationalities and Peoples Region (SNNPR) gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an IDPs in Äthiopien deswegen zwischen Jänner und Juli 2018 um etwa 1,4 Millionen Menschen (GIZ 9.2018a). Seit Juni 2018 sind bei Zusammenstößen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ethnien zahlreiche Personen getötet worden (EDA 10.12.2018). Es kam bereits in der Vergangenheit zu Zusammenstößen und zu Kämpfen zwischen zwei ethnischen Gruppen: den Gedeo, einer ethnischen Minderheit mit Sitz hauptsächlich in der SNNPR, und den Guji, einer Untergruppe der Oromo, der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens. Die Gedeo sind in erster Linie Landwirte, und die Guji sind traditionell Pastoralisten. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppen konzentrieren sich auf Land, Grenzziehung und Rechte ethnischer Minderheiten (RI 11.2018). Die interkommunale Gewalt, die am 13.4.2018 begann und bis Juni 2018 an den Grenzen der Zonen Gedeo (SNNPR) und West Guji (Region Oromia) anhielt, hat fast eine Million Menschen vertrieben. Etwa 142.000 Menschen wurden unmittelbar nach dem 4.8.2018 in der somalischen Region vertrieben (UNOCHA 25.11.2018). Nach zwei Jahrzehnten relativer Ruhe brachen im April 2018 Kämpfe über die benachbarten Verwaltungszonen Gedeo und West Guji aus. Bewaffnete Banden und Jugendgruppen griffen Dörfer an und zwangen rund 300.000 Menschen, ihre Häuser zu verlassen. Während der genaue Auslöser noch unklar ist, haben die Regierungsbehörden nach einer kurzen Untersuchung einige Verhaftungen vorgenommen und die Situation für gelöst erklärt, so dass die Menschen mit der Rückkehr nach Hause beginnen konnten. Wenige Monate später, im Juni 2018, brach die Gewalt erneut aus, in noch stärkerem Ausmaß. Über 800.000 Menschen wurden zur Flucht gezwungen. Viele Menschen erlebten Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und Mord. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt (RI 11.2018).
Der Konflikt, der am stärksten von interkommunaler Gewalt betroffen ist, hat sich in den letzten Monaten verschärft (BAMF 17.12.2018; vgl. RI 11.2018). Das österreichische Außenministerium nennt für die Region Amhara sowie für das Gebiet Konso in der SNNPR ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Zuletzt kam es am 13. und 14.12.2018 zu gewalttätigen Zusammenstößen. Bei Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen sind im Süden Äthiopiens nach Angaben staatlicher Stellen mindestens 21 Menschen getötet und mehr als 60 verletzt worden. Viele Menschen sind über die Grenze nach Kenia geflohen (WZ 16.12.2018; vgl. BAMF 17.12.2018).
Allgemeine Menschenrechtslage
Menschenrechte und Freiheiten sind als unverletzbar und unveräußerlich in der äthiopischen Verfassung von 1995 genannt. Explizit werden Grundrechte wie Religionsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Verbot von unmenschlicher Behandlung und Recht auf Privatheit aufgeführt (AA 17.10.2018). Die Verfassung garantiert also die Menschenrechte, dies deckt sich jedoch nicht mit der Realität (AA 4.2018a).
Trotzdem ist die Menschenrechtssituation in Äthiopien unbefriedigend. Dies gilt vor allem für die Rechtsstaatlichkeit (Vorführung vor Gericht, Verfahrensdauer) und die Behinderung und Verfolgung von Journalisten. Es erfolgen Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne fristgerechte gerichtliche Überprüfung. Lange Gerichtsverfahren sind verbreitet. Hierfür ist auch eine überlastete Justiz verantwortlich (GIZ 9.2018a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: willkürliche Tötung, Verschwindenlassen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Sicherheitskräfte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftung und Inhaftierung durch Sicherheitskräfte; Verweigerung eines fairen öffentlichen Prozesses; Verletzung der Persönlichkeitsrechte; Beschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen; Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Orientierung. Die Regierung hat im Allgemeinen keine Schritte unternommen, um Beamte, die andere Menschenrechtsverletzungen als Korruption begangen haben, zu verfolgen oder anderweitig zu bestrafen. Straffreiheit ist ein Problem; es kommt nur zu einer begrenzten Anzahl von Anklagen von Mitgliedern der Sicherheitskräfte oder von Beamten wegen Menschenrechtsverletzungen (USDOS 20.4.2018).
Legale Voraussetzungen zur Verbesserung der Menschenrechte sind erfolgt. Die Menschenrechtskommission des Parlaments ist ebenso wie das Amt des Ombudsmanns eingerichtet. Frauenrechte sind in der Verfassung verankert. Von einer Umsetzung dieser rechtlich festgeschriebenen Menschenrechte ist Äthiopien jedoch weit entfernt: Weibliche Genitalverstümmelung und sehr frühe Verheiratung sind zwar offiziell verboten, jedoch weiterhin Realität für viele Mädchen und junge Frauen (GIZ 9.2018a).
Bei Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen in Addis Abeba im September 2018 wurden rund 1.200 Menschen verhaftet. Diese Verhaftungen erfolgten teils willkürlich, was die Fortschritte in Menschenrechtsfragen unter Premierminister Abiy Ahmed ernsthaft gefährden könnte (BAMF 1.10.2018).
Der im vergangenen Jahr mehrmals ausgerufene Ausnahmezustand schränkte die Meinungs- und Versammlungsfreiheiten weitestgehend ein und verlieh den Sicherheitskräften weitreichende neue Befugnisse: u.a. Durchsuchungen und Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss, Unterbindung von Kommunikationswegen und von Versammlungen. Allerdings wurde der Ausnahmezustand im Juni 2018 aufgehoben (AA 17.10.2018).
Die Medienlandschaft Äthiopiens wird dominiert von staatlichen oder regierungsfreundlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Die staatlichen Medien werden von der Ethiopian Radio and Television Agency (ERTA) und der Ethiopian Press Agency betrieben. Es gibt private Radiosender, aber nur staatliche Fernsehsender (GIZ 9.2018a). Die Zukunft im Mediensektor ist seit dem Amtsantritt Abiys unklar. Es lassen sich erste Anzeichen einer liberaleren Politik und freieren Berichterstattung beobachten (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a). Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Regierung ihr Anti-Terrorismus-Gesetz dazu nutzt, die Meinungs- und Pressefreiheit auszuhebeln und Oppositionelle mundtot zu machen. Darüber hinaus gibt es Berichte über die politische Instrumentalisierung von Hilfsgütern seitens der Regierung und Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer zugunsten ausländischer Investoren (GIZ 9.2018a).
Internetzensur und -überwachung sind nach wie vor Thema, es ist seit dem Amtsantritt des Premiers Abiy Ahmed aber eine leichte Entspannung zu beobachten. Die Abschaltung des Internets im Zusammenhang mit lokalen gewaltsamen Auseinandersetzungen ist auch unter dem neuen Regierungschef gängige Praxis (GIZ 9.2018a). Im August 2018 wurde als Reaktion auf die Unruhen in der Region Somali das Internet zeitweise abgeschaltet. Im Anschluss wurde Mitte September 2018 im Stadtgebiet das mobile Internet für zwei Tage abgeschaltet (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a, DW 8.8.2018). Auch das Anti-Terror-Gesetz schränkt die Meinungsfreiheit im Internet ein. Hierfür wird auch der Telefon- und Internetverkehr überwacht. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche nicht satellitengestützte Kommunikation abgefangen werden kann (AA 17.10.2018). Die äthiopische Regierung nutzt ihr Monopol in der Telekommunikation und verschiedene modernste Technologien um nicht nur die Bespitzelung bekannter Oppositioneller oder Kritiker im eigenen Land voranzutreiben, sondern ebenso zur Überwachung der äthiopischen Normalbevölkerung und Äthiopiern im Ausland (GIZ 9.2018a).
Stärker als das Medien- und Informationsgesetz wirkt sich das Antiterrorgesetz („Anti-Terror-Proklamation“) auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Äthiopien aus, denn es umfasst nicht nur direkte und indirekte Unterstützung von Terrorismus als Tatbestand, sondern auch Berichterstattung über terroristische Gruppen oder Aktivitäten, die von der Öffentlichkeit als Anstiftung bzw. Propaganda aufgefasst werden könnten (AA 17.10.2018). Die Pressegesetzgebung ist restriktiv. Jahrelang hatte die Pressefreiheit in Äthiopien stetig abgenommen. Aus Angst vor Repressalien und Verhaftungen zensierten sich nicht wenige äthiopische Journalisten selbst, veröffentlichten nicht zu sensiblen Themen. Im Worldwide Press Freedom Index der Reporter ohne Grenzen belegt Äthiopien in 2018 Rang 150 von 180 untersuchten Ländern. Erste Maßnahmen des Premiers Abiy Ahmed lassen jedoch auf eine Verbesserung der Situation hoffen: Mehrere hundert bislang gesperrte - überwiegend regierungskritische - Internetseiten sind inzwischen freigegeben worden, mehrere namhafte Journalisten wurden aus Gefängnissen entlassen (GIZ 9.2018a).
Die von der Verfassung garantierte Vereinigungsfreiheit wird behindert. Unabhängige Tätigkeit von nicht partei- bzw. regimetreue Gewerkschaften werden auf unterschiedlichste Art und Weise schikaniert und untergraben (AA 17.10.2018).
Demonstrationen werden häufig gewaltsam beendet und Teilnehmer willkürlich verhaftet. Die Sicherheitskräfte setzten dabei teilweise auch scharfe Munition ein (AA 17.10.2018).
Es gibt Berichte aus der Region Somali über außergerichtliche Hinrichtungen inhaftierter Personen und über außergerichtliche Hinrichtungen von 34 Angehörigen der Wolkait in der Region Tigray. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird in der Praxis offenbar unterlaufen. Von verschiedenen Seiten wurden immer wieder Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizei und Militär erhoben. Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).
Das äthiopische Parlament hat am Montag, den 24.12.2018, ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet, deren Hauptaufgabe es sein wird, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren. Laut Angaben des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) sind derzeit in Äthiopien mindestens 2,4 Millionen Menschen wegen interkommunaler Gewalt vertrieben worden (JA 25.12.2018).
Trotz der überraschenden Massenfreilassung von Häftlingen ist davon auszugehen, dass weiterhin eine unbekannte Zahl von Menschen, zum großen Teil ohne Anklage, inhaftiert bleibt – Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehreren tausend Personen. Verifizieren lassen sich diese Zahlen nicht. Schwerpunktmäßig betroffen sind junge Männer, auch Schüler und Studenten in den Regionen Oromia und Amhara (AA 17.10.2018).
Das 2009 erlassene äthiopische NGO-Gesetz und die damit einhergehenden Verwaltungsvorschriften aus dem Jahr 2011 haben die Aktivitäten von NGOs, die aufgrund des niedrigen wirtschaftlichen Entwicklungsstands Äthiopiens auf ausländische Finanzierung angewiesen sind, fast zum Erliegen gebracht (AA 17.10.2018). Angesichts Antiregierungsproteste im Laufe des Jahres 2016, hatte die äthiopische Regierung die Überwachung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen intensiviert und deren Arbeit z.T. erheblich erschwert. Neben Verhaftungswellen im Rahmen des Ausnahmezustandes, gab es auch Gesetzesverschärfungen (z.B. ein neues Gesetz zu Internetkriminalität) (GIZ 9.2018a). Ein Prozess zur Überarbeitung des NGO-Gesetzes wurde eingeleitet (AA 17.10.2018). Unter Premierminister Dr. Abiy Ahmed scheint sich die Lage für zivilgesellschaftliche Organisationen zu verbessern. Im Rahmen seiner dialog- und versöhnungsorientierten Politik hat er auch NGOs zu Gesprächen und Beteiligung an Reformprozessen eingeladen (GIZ 9.2018a).
Opposition
Mit der Amtseinführung von Abiy Ahmed Ali als Premierminister wuchsen zunächst die Hoffnungen auf eine nationale Aussöhnung zwischen den ethnischen Gruppen. Abiy, selbst ethnischer Oromo, erteilte im Rahmen seiner Dialog- und Aussöhnungsstrategie einer OLF-zugehörigen Oppositionsgruppe Amnestie (GIZ 9.2018a). Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF) und die Oromo Liberation Front (OLF) wurden entkriminalisiert (AA 17.10.2018). In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen (AA 17.10.2018; vgl. AA 4.2018a). Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 größtenteils offensichtlich aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen worden, darunter der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba sowie andere, teilweise seit mehreren Jahren inhaftierte Regierungskritiker, die v.a. auf Grundlage der drakonischen Anti-Terror-Gesetzgebung verurteilt worden waren. Premierminister Abiy hat diese Politik fortgesetzt: Am 26.5.2018 ist der britische Staatsbürger Andargachew Tsige, Führungsmitglied der von Äthiopien als Terrorgruppe angesehenen Organisation „Ginbot 7“, überraschend begnadigt worden. Am 30.5.2018 hat er sich, direkt nach seiner Freilassung, öffentlichkeitswirksam mit Premierminister Abiy getroffen. Gleichzeitig sind die bestehenden Anklagen gegen Ginbot 7-Chef Berhanu Nega sowie gegen den Leiter des aus Minnesota operierenden Oromia Media Network (OMN), Jawar Mohamed, fallengelassen worden. Alle drei Personen galten bislang als prominente Staatsfeinde. Schon eine öffentliche Sympathiebekundung für einen von ihnen hätte bis zum Amtsantritt von Abiy zu einer sofortigen Verhaftung geführt (AA 17.10.2018).
Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF ein Versöhnungsabkommen. Die ONLF, die für eine Autonomie des in der Region Somali gelegenen Ogaden kämpft, verkündete am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018).
Die Führung OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Mehr als 20 Jahre hatte die OLF im Untergrund gewirkt und regelmäßig Anschläge begangen. Sie war deshalb auch als terroristische Vereinigung verboten. Am 15.9.2018 haben Zehntausende Menschen in der Hauptstadt Addis Abeba, die Rückkehr früherer Oromo-Rebellen aus dem Exil gefeiert. Neben Oromo-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurden, soll es vereinzelt zu Ausschreitungen zwischen der größten Volksgruppe in Äthiopien, den Oromo und Minderheiten gekommen sein (BAMF 17.9.2018; vgl. BAMF 1.10.2018); rund 1.200 Personen wurden verhaftet (BAMF 1.10.2018).
Die Neuaufteilung von ministeriellen Ressorts und die Neubesetzung seines Kabinetts, sowie seine Bereitschaft zum Dialog mit der Opposition, können als Zeichen politischer Veränderung gedeutet werden. Inwieweit Abiy Ahmed und die gesamte Regierung den massiven Herausforderungen tatsächlich gewachsen sind, bleibt aber abzuwarten. Nicht zu unterschätzen sind jedoch die Kräfte, die weiterhin gegen nationale Einigung und die Regierung arbeiten (GIZ 9.2018a).
Darüber hinaus, wurde es am 22.11.2018 ein starkes politisches Symbol an die Opposition übermittelt. Premierminister Abiy Ahmed kündigte die Ernennung von Birtukan Mideksa, zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission [National Electoral Board of Ethiopia (NEBE)] an. Birtukan Mideksa kehrte Anfang November 2018 aus sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurück (JA 22.11.2018).
Religionsfreiheit
Fast alle Äthiopier sind tief gläubige Menschen, für die ihr Glaube fester Bestandteil ihres Alltags ist. Die zwei größten Glaubensgemeinschaften sind die äthiopisch-orthodoxen Christen (ca. 43%) und überwiegend sunnitische Muslime (ca. 34%) (GIZ 9.2018c; vgl. AA 4.2018, CIA 4.12.2018). Die übrigen 23% gehören überwiegend anderen christlichen Kirchen oder traditionellen Religionen an (GIZ 9.2018c). Die orthodoxe Kirche bildet in Äthiopien die größte einzelne Konfession im Land und herrscht besonders in den Regionen Tigray und Amhara sowie in einigen Teilen der Region Oromia vor. Die sunnitischen Muslime, die etwa ein Drittel der äthiopischen Bevölkerung ausmachen, sind in den Regionen Oromia, Somali und Afar vorherrschend. Evangelikale und pfingstkirchliche Christen stellen etwa 9% der Bevölkerung und leben hauptsächlich im Südwesten (ACN 2018).
Die Verfassung kodifiziert die Trennung von Religion und Staat, legt Religionsfreiheit fest, verbietet religiöse Diskriminierung und legt fest, dass die Regierung sich nicht in die Ausübung einer Religion einmischt und dass keine Religion in die Angelegenheiten des Staates eingreift (USDOS 29.5.2018; vgl. ACN 2018). Der Grundsatz der Trennung von Staat und Religion ist in Artikel 11 der äthiopischen Verfassung aus dem Jahr 1993 festgeschrieben. In Artikel 27 wird die Gewissens- und Religionsfreiheit aller äthiopischen Bürger anerkannt, einschließlich der Freiheit, die eigene Religion oder den eigenen Glauben, allein oder in Gemeinschaft, durch Gottesdienste, Einhaltung von Riten und Bräuchen und Lehre zu praktizieren und zu verbreiten. Die Verfassung untersagt die Erteilung von Religionsunterricht an Schulen, sowohl an öffentlichen als auch an privaten Schulen. In den meisten Kirchen und Moscheen ist der Religionsunterricht gestattet. Das Gesetz verbietet außerdem die Gründung politischer Parteien auf religiösen Grundlagen (ACN 2018).
Äthiopien ist für die friedliche Koexistenz der verschiedenen Glaubensgemeinschaften, vor allem für das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Christen, bekannt (GIZ 9.2018c). Generell sind bislang keine nennenswerten interreligiösen Spannungen in Äthiopien zu verzeichnen (AA 4.2018a; vgl. ACN 2018). Im Allgemeinen können Glaubensgemeinschaften ihre Religion ohne größere Einschränkungen ausüben, obwohl einige Minderheiten über eine als diskriminierend empfundene Behandlung geklagt haben. Die Festnahme militanter Muslime und die Überwachung muslimischer Gemeinden durch den Staat scheinen ausschließlich auf den berechtigten Sicherheitsinteressen des Staates zu beruhen, nicht auf dem Wunsch, religiöse Aktivität zu unterbinden (ACN 2018).
Allerdings werden Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen teils gewaltsam ausgetragen (AA 17.10.2018). In den Bundesstaaten Oromia und im Somali Regional State (SRS) schwelt ein international kaum wahrgenommener Konflikt (NZZ 16.8.2018). Die Gewalttätigkeiten sind religiös und ethnisch aufgeladen (AN 17.8.2018).
Am 4.8.2018 begannen interkommunale Auseinandersetzungen im SRS (UNOCHA 17.8.2018), als es in der somalischen Region Jijiga zu ethnischen Konflikten kam, bei denen rund 30 Menschen starben. Vor allem die äthiopisch-orthodoxe Kirche war von der Gewalt betroffen (Fides 8.8.2018). In der Region schwelt seit Jahrzehnten ein Konflikt um Landrechte und es kommt zu gewaltsamen, ethnischen Spannungen, welche Hunderte Tote gefordert hat. Vonseiten der um Einfluss fürchtenden (muslimischen) Somali, gab es Angriffe auf christliche Einrichtungen. Die Oromo (größtenteils Christen) fielen wiederum durch gewaltsame Übergriffe auf Somali auf, beide Seiten vermeldeten zahlreiche Tote (NZZ 16.8.2018). Nach Angaben der lokalen Medien wurden mindestens sieben orthodoxe Kirchen angegriffen und in Brand gesteckt. Lokale Quellen sprachen von mindestens sechs ermordeten Priestern und mehreren getöteten Gläubigen (Fides 8.8.2918). Alleine in der Regionalhauptstadt Jijiga suchten rund 35.000 Personen Schutz in und um Kirchen. Andere flüchteten in Nachbarregionen, es kam zu einem Exodus von Bewohnern des SRS, die nicht ethnische Somali sind (UNOCHA 17.8.2018).
Am 23.1.2018 kamen eine Reihe von Menschen ums Leben, als es bei einer orthodoxen Zeremonie in der Stadt Woldiya etwa 500 km nördlich der Hauptstadt Addis Abeba zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Gottesdienstteilnehmern kam. Berichten zufolge begann während einer Prozession eine große Zahl junger Menschen, Parolen gegen die Regierung auszurufen. Laut offizieller Berichterstattung eröffneten Soldaten das Feuer, woraufhin Gewalt ausbrach und sieben Menschen starben. Andere Quellen geben die Zahl der Toten viel höher an – mit bis zu 35. Quellen vor Ort deuteten jedoch an, dass der Vorfall nicht im Zusammenhang mit Religion stand (ACN 2018).
Ethnische Minderheiten
Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat mit einer großen Zahl von Ethnien und Sprachen. Die Anzahl ethnischer Gruppen wird mit mindestens 80, in einigen Quellen mit bis zu 120, angegeben. Die Sprachenvielfalt ist ebenso ausgeprägt. Diese sind entweder sehr klein, mit nur einigen tausend Menschen (z.B. Mursi) oder mit über 25 Millionen (z.B. Oromo) sehr groß (GIZ 9.2018c). Laut Volkszählung von 2007 sind Oromo mit 34,5% und Amharen mit 29,6% die zwei größten ethnischen Gruppen, gefolgt von Somali mit 6,2% und Tigray mit 6,1%. Die übrigen Ethnien machen zusammen gut 23% der Bevölkerung aus (GIZ 9.2018c; vgl. AA 4.2018, CIA 4.12.2018).
Auch wenn keine diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis feststellbar ist, gibt es jedoch nicht verifizierbare Berichte, dass kleinere indigene Gruppen in der Praxis diskriminiert werden (AA 17.10.2018).
Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Ethnien werden teils gewaltsam ausgetragen, und weder die Zentralregierung noch lokale Behörden sind in allen Regionen in der Lage, Menschenrechte und demokratische Rechte permanent zu gewährleisten. Es kam z.B. bereits mehrfach zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen umgesiedelten Äthiopiern aus dem Hochland und der einheimischen Bevölkerung in Gambella (AA 17.10.2018). Im Sommer 2018 ist die Bilanz bezüglich ethnischer Versöhnung auch in anderen Teilen des Landes ernüchternd: An der Grenze zwischen den Regionen Somali und Oromia kommt es immer wieder zu Gewaltexzessen, auch an der Grenze zwischen Oromia und der Southern Nations', Nationalities' and Peoples' Region (SNNPR) gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen (GIZ 9.2018a).
Seit Juni 2018 sind bei Zusammenstößen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ethnien zahlreiche Personen getötet worden (EDA 10.12.2018). Es kam bereits in der Vergangenheit zu Zusammenstößen und zu Kämpfen z.B. zwischen den Gedeo und den Guji. Die Gedeo sind Landwirte, und die Guji sind traditionell Pastoralisten. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppen konzentrierten sich auf Land, Grenzziehung und Rechte ethnischer Minderheiten (RI 11.2018), bzw. der Streit um Weideland und andere Ressourcen (WZ 16.12.2018).
In der Somali Region kam es auch zur Plünderung von Besitztümern ethnischer Minderheiten (DW 8.8.2018). Angriffe richteten sich gezielt gegen ethnische Nicht-Somalis und gegen orthodoxe Kirchen (AA 17.10.2018). Am 12.11.2018 führte Gewalt zwischen den Gemeinschaften Gebra und Garre dazu, dass etwa 15.000 Menschen in der Stadt Moyale, einer Stadt, die sowohl zu Oromia als auch zu Somalia gehört, vertrieben wurden (UNOCHA 25.11.2018).
Mitte Dezember 2018, kam es erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia Region (AA 4.1.2019; vgl. BAMF 17.12.2018; WZ 16.12.2018).
Die Polizei in Äthiopien berichtete, dass sie im Zuge von Untersuchungen angeblicher Gräueltaten des ehemaligen Regionalpräsidenten der Region Somali, Abdi Mohamed Omar, ein Massengrab mit 200 Leichen an der Grenze zwischen den Regionen Somali und Oromia gefunden hat (BBC 8.11.2018). Abdi Mohamed Omar wird beschuldigt, für Verhaftungen, Folter und Vergewaltigungen von Somali in der Region Somali verantwortlich gewesen zu sein. Zudem habe er den ethnischen Konflikt angeheizt, indem er Somali-Nomaden gegen Oromo-Bauern aufhetzte (BBC 8.11.2018; vgl. GfbV 9.11.2018).
Grundversorgung
Äthiopien ist bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927,4 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt (AA 3.2018; vgl. GIZ 9.2018), auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag. Ein signifikanter Teil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze, das rasche Bevölkerungswachstum trägt zum Verharren in Armut bei (AA 3.2018). Äthiopien ist strukturell von Nahrungsmittelknappheit betroffen, ebenso wie von häufigen Überschwemmungen (GIZ 9.2018; vgl. RI 14.11.2018) und die Regierung steht noch vor enormen humanitären Herausforderungen. Das Land leidet immer noch unter den Auswirkungen der Dürre 2015-16, welche durch unterdurchschnittliche Niederschläge im Jahr 2017 verstärkt wurden. Hunderttausende waren zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen - vor allem im Süden und Südosten des Landes. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe (RI 14.11.2018).
Viele Menschen können nicht lesen oder schreiben, sind nicht in die moderne Ökonomie eingebunden und haben nur unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung (GIZ 9.2018).
Staatliche soziale Sicherungssysteme sind auf die Agenda der Regierung getreten: Mit der Arbeit an einer National Social Protection Policy hat die Arbeit an Themen wie Kindergeld, Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten begonnen (GIZ 9.2018c).
Äthiopien ist traditionell ein Land der Landwirtschaft und Viehzucht, wandelt sich durch massive Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten aber immer mehr zu einem Land mit aufstrebenden Dienstleistungs- und Industriesektoren. Die weitreichenden Reformen unter Premierminister Abiy Ahmed beinhalten auch Pläne, staatliche Unternehmen wie Ethiopian Airlines, den bisher einzigen Telekommunikationsanbieter Ethio Telecom sowie weitere staatliche Unternehmen teilweise oder vollständig zu privatisieren. Im Index of Economic Freedom von 2017 steht Äthiopien an Stelle 142 von 169 in der Welt. Beim Ibrahim Index of African Governance, der sich u.a. mit nachhaltigen Wirtschaftschancen befasst, liegt Äthiopien aktuell auf Platz 36 von 54. Die äthiopische Wirtschaftslage entwickelt sich insgesamt gut. Im Jahr 2016 war ein Wirtschaftswachstum von etwa 8-10% (je nach Quelle) zu verzeichnen. Die Wirtschaft des Landes zählt damit zu den am schnellsten wachsenden der Welt (GIZ 9.2018b).
Die meisten Menschen in Äthiopien (ca. 80%) leben auf dem Land als sesshafte Bauern, Viehhirten oder (Halb-) Nomaden. Neben der Millionenstadt Addis Abeba gibt es 16 Großstädte mit mehr als 120.000 Einwohnern. Das Bevölkerungswachstum in den Städten ist mit fast 5% deutlich höher als das ländliche. Dieses Wachstum geht einher mit der Überforderung von Stadtverwaltungen, dem schlechten Umgang mit den kommunalen Finanzen sowie einer schwachen städtischen Infrastruktur. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (GIZ 9.2018).
Der wichtigste Erwerbszweig bleibt die Landwirtschaft mit 81% der Erwerbstätigen, die 2016 rund 40% des Bruttoinlandsprodukts erzeugten (GIZ 9.2018). Die saisonalen Niederschläge von Oktober bis Dezember 2018 waren unterdurchschnittlich und unregelmäßig, es ist zu langen Trockenperioden gekommen. Die Entwicklung nicht-saisonaler Niederschläge, insbesondere in Teilen von Tigray, Amhara, SNNPR sowie im westlichen und zentralen Oromia, hat die Ernte- und Lageraktivitäten behindert und die Ernteerträge in den betroffenen Gebieten beeinträchtigt (FEWS 31.12.2018). Von der Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Produktion hängt die Sicherheit der Lebensmittelversorgung ab. Viele Kleinbauern können sich und ihre Familien mit ihrer Ernte nicht ganzjährig ernähren. Jährlich erhalten daher rund 3 Millionen Äthiopier Nahrungsmittelhilfe zur Überbrückung ihrer Engpässe, weitere ca. 8 Millionen werden über das staatliche Productive Saftey Net Programme (PSNP, Landwirtschafts- und Sozialprogramm) 6 Monate im Jahr durch Cash-for-Work oder auch direkte Nahrungsmittelhilfe unterstützt (GIZ 9.2018). Zudem besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe mit einem Volumen von 948 Mio. USD. Darüber hinaus sind 7,9 Mio. Menschen auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen. Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o. ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht (AA 17.10.2018).
Teile der Regionalstaaten Somali, Oromia und Harar befinden sich in IPC-Phase 3 (IPC = Integrated Phase Classification der Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln; Stufe 1 – Minimal, Stufe 2 – Stressed, Stufe 3 Crisis, Stufe 4 – Emergency, Stufe 5 – Hungersnot). Daran wird sich auch im ersten Halbjahr 2019 nichts ändern (FEWS 31.12.2018).
Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung ist in Addis Abeba nur beschränkt gewährleistet (EDA 10.12.2018) und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch hoch problematisch (AA 12.12.2018). Die Gesundheitsversorgung ist trotz erheblicher Anstrengungen und bereits erzielter Fortschritte noch mangelhaft (GIZ 9.2018c). Medizinische Versorgungsmöglichkeiten sind begrenzt, die Qualität ist unvorhersehbar, eine staatliche notfallmedizinische Versorgung auf europäischem Niveau ist landesweit nicht vorhanden (BMEIA 12.12.2018; vgl. AA 12.12.2018) Vor allem im medizinischen Bereich stellt die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte (brain drain) ein Problem dar (BMEIA 12.12.2018).
Generell ist die medizinische Versorgung auf dem Land wegen fehlender Infrastruktur erheblich schlechter als in den städtischen Ballungszentren (AA 17.10.2018). Ernsthafte Krankheiten und Verletzungen werden im Ausland behandelt (EDA 10.12.2018).
Es gibt in Äthiopien weder eine kostenlose medizinische Grundversorgung noch beitragsabhängige Leistungen (AA 17.10.2018). Krankenhäuser verlangen eine finanzielle Garantie, bevor sie Patienten behandeln (Vorschusszahlung) (EDA 10.12.2018). Die medizinische Behandlung erfolgt entweder in staatlichen Gesundheitszentren bzw. Krankenhäusern oder in privaten Kliniken. Die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen ist durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Komplizierte Behandlungen können wegen fehlender Ausstattung mit hochtechnologischen Geräten nicht durchgeführt werden (AA 17.10.2018).
Viele Menschen sind von häufigen Durchfällen betroffen. Diese stellen bei Kindern die häufigste Todesursache dar (GIZ 9.2018c). Chronische Krankheiten, die auch in Äthiopien weit verbreitet sind, wie Diabetes, Schwäche des Immunsystems etc. können mit der Einschränkung behandelt werden, dass bestimmte Medikamente ggf. nicht verfügbar sind (AA 17.10.2018). Andere Herausforderungen bleiben Malaria, Hepatitis, Meningitis, Bilharziose sowie HIV/AIDS. HIV/AIDS ist in Äthiopien stark verbreitet. Äthiopiens Regierung unternimmt in Zusammenarbeit mit internationalen Gebern große Anstrengungen im Kampf gegen HIV/AIDS (GIZ 9.2018c). Durch die Entwicklung der Devisenreserven in Äthiopien sind Einfuhren von im Ausland hergestellten Medikamenten von Devisenzuteilungen durch die Nationalbank zur Bezahlung von Handelspartnern im Ausland abhängig. Deswegen kommt es bei bestimmten Medikamenten immer wieder einmal zu Versorgungsengpässen (AA 17.10.2018). Der Zugang zu den wesentlichen Medikamenten ist nur einem Teil der Bevölkerung möglich. Fast die Hälfte der Bevölkerung muss mehr als 15 Kilometer zurücklegen, um zum nächstgelegenen Gesundheitsposten zu gelangen (GIZ 9.2018c).
Rückkehr
Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt – soweit bekannt – ohne Konsequenzen. U.a. sind Fälle von Zwangsrückführungen aus Norwegen, Dänemark und den Niederlanden bekannt. Es sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen ausgesetzt waren oder diese gar festgenommen oder misshandelt worden wären. Im direkten persönlichen Umfeld wird eine Rückkehr jedoch häufig als Scheitern gewertet. Daher suchen einige der zwangsweise nach Äthiopien zurückgeführten Personen erneut den Weg nach Europa. Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Für schutzbedürftige Rückkehrer, insbesondere für unbegleitete Minderjährige, gibt es Erstaufnahmeeinrichtungen, die von IOM betrieben werden (AA 17.10.2018). Die Regierung arbeitet mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um die Bereitstellung von Schutz und Hilfe für IDPs, Flüchtlinge, rückkehrende Flüchtlinge, Asylbewerber, Staatenlose und andere betroffene Personen zu gewährleisten (USDOS 20.4.2018).
KI vom 7.7.2020: Ethnische Unruhen (betrifft: Abschnitt 3. Sicherheitslage und 13. Ethnische Minderheiten).
Nach der Ermordung des Musikers und Aktivisten Hachalu Hundessa am 29.6.2020 ist es in Äthiopien in mehreren Städten zu gewalttätigen Unruhen gekommen (BAMF 6.7.2020; vgl. Spiegel 3.7.2020, DW 5.7.2020, HRW 1.7.2020). Mindestens 166 Menschen wurden bei den Protesten getötet. Im Bundesstaat Oromia wurden 145 Zivilisten und 11 Sicherheitskräfte getötet, zehn weitere Menschen, darunter zwei Polizisten, starben in der Hauptstadt Addis Abeba. Die Zahl der Todesopfer könnte steigen, da viele Menschen ins Krankenhaus eingeliefert wurden (DW 5.7.2020; vgl. BAMF 6.7.2020, FAZ 5.7.2020, AN 6.7.2020). Zudem wurden rund 2.300 Personen festgenommen (BAMF 6.7.2020; vgl. FAZ 5.7.2020, AN 6.7.2020). In Addis Abeba wurde von mehreren Explosionen berichtet, Geschäfte wurden in Brand gesetzt (BAMF 6.7.2020; vgl. IPN 1.7.2020).
Der ermordete Sänger Hachalu wird von vielen als ein Verfechter der Rechte der Oromo angesehen, dessen Lieder die Kämpfe und Frustrationen der Oromo während der Protestbewegung 2014-2018 wiedergaben und vor allem von Jugendlichen gehört wurden (BAMF 6.7.2020; vgl. DW 5.7.2020, HRW 1.7.2020). Noch kurz vor seinem Tod hatte Hachalu die Politik Abiys stark kritisiert, weil er nicht die Interessen der Oromo vertrete. Gleichzeitig berichtete Hachalu von Morddrohungen gegen ihn. Obwohl sie die größte Bevölkerungsgruppe Äthiopiens bilden, fühlten sich die Oromo über Jahre von der Regierung diskriminiert (BAMF 6.7.2020).
Inzwischen habe sich die Lage – so die Polizei – wieder beruhigt. Drei Verdächtige des Mordes am Sänger seien in Untersuchungshaft, die Hintergründe des Anschlages sind jedoch bislang noch unklar (BAMF 6.7.2020). Premierminister Abiy Ahmed rief die Bewohner der Region zur Einheit auf und versicherte ihnen, dass strenge Maßnahmen gegen die Täter ergriffen würden (Regnum 3.7.2020). Abiy Ahmed machte „interne und externe Kräfte“ für die Ausschreitungen verantwortlich und bezog sich dabei auch auf die anhaltenden Spannungen mit Ägypten im Zusammenhang mit dem Bau des Staudamms am Nil (BAMF 6.7.2020; vgl. Regnum 3.7.2020).
Als Reaktion auf die Unruhen blockierte die äthiopische Regierung alle Internetverbindungen im Land. Auch die Telefonverbindungen wurden unterbrochen (BAMF 6.7.2020; vgl. AN 6.7.2020). Am Wochenende (4./5.7.2020) war die Lage in Oromia weiter angespannt. In der Hauptstadt hatte sich die Lage bis zum 5.7.2020 wieder entspannt, allerdings bleibt das Internet weiter ausgeschalten (FAZ 5.7.2020; vgl. BAMF 6.7.2020, AN 6.7.2020).Hu