Entscheidungsdatum
07.06.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W233 2193396-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1119619901 – 160866601, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.05.2021 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, stellte am 21.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid vom 16.08.2016, Zl. 1119619901 – 160866601, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und gemäß Art. 18 (1) (b) iVm 25 (2) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Ungarn als für das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zuständiger Staat erkannt. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG wurde die Außerlandesbringung angeordnet und gemäß § 61 Abs. 2 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Ungarn zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Vertretung Beschwerde. Dieser wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.01.2017 zu GZ 105 2134233-1/6E stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
In weiterer Folge wurde ein Ermittlungsverfahren durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchgeführt. Nach der Durchführung dieses Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 20.03.2016, Zl. 1119619901 – 160866601, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf sein Herkunftsland Pakistan (Spruchpunkt II.) ab, ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer eine zweiwöchige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).
Der Beschwerdeführer erhob im Wege seiner Vertretung gegen den oben angeführten Bescheid fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde.
Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts fand am 26.05.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft, seinen persönlichen Lebensumständen sowie zu seinem Leben in Österreich, seinen familiären Beziehungen im Herkunftsstaat und seinen Flucht- und Verfolgungsgründen befragt wurde. Ferner wurde im Rahmen dieser Verhandlung ein Zeuge gehört und mit dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Pakistan mit Stand vom 01.02.2021 erörtert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er stammt aus der pakistanischen Provinz Punjab, genauer aus der Stadt XXXX . Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Volksgruppe der Rajbut und gehört der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya (auch Ahmadi) an. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Urdu.
Im Herkunftsstaat hat der Beschwerdeführer acht Jahre die Schule besucht, aber keinen Schulabschluss erreicht.
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Söhne sowie eine Tochter. Einer der beiden Söhne kam mit dem Beschwerdeführer nach Österreich, lebt mittlerweile jedoch im Vereinigten Königreich. Sein Verfahren wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.03.2021 zu GZ W242 2193393-1/38E eingestellt. Der zweite Sohn sowie die Tochter und die Ehefrau des Beschwerdeführers leben in Pakistan, mit ihnen hat der Beschwerdeführer täglich Kontakt. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer noch über drei Schwestern sowie zwei Brüder in Pakistan.
Der Beschwerdeführer ist gesund und nimmt keine Medikamente.
In Österreich geht der Beschwerdeführer keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer ist kaum der deutschen Sprache mächtig und hat noch keinen Deutschkurs besucht.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer war bereits in seinem Herkunftsstaat Pakistan praktizierender Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya. Der Beschwerdeführer wohnte in seinem Herkunftsort direkt neben einer Moschee der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und war deren Vereinspräsident. Der Beschwerdeführer war somit in Pakistan für andere als Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya erkennbar. Der Beschwerdeführer hat bereits in seinem Herkunftsstaat Pakistan seinen Glauben nach außen praktiziert, sodass dies auch für andere Menschen erkennbar war und war deshalb von Bedrohungen und Verfolgung im asylrelevanten Ausmaß ausgesetzt.
In Österreich ist der Beschwerdeführer seit 2019 lokaler Präsident der Ahmadiyya-Muslim-Jamaat in XXXX und auch in einer Moschee der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya tätig. Zu seinen Aufgaben zählen die Organisation von Veranstaltungen, sonstige Arbeiten in der Moschee, das Sammeln von Spenden, Verteilen von Broschüren, die Teilnahme an Kundgebungen und an Buchmessen.
Somit bildet der Glaube der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya ein zentrales Element seiner religiösen Identität.
Im Falle einer Rückkehr nach Pakistan würde der Beschwerdeführer seine religiöse Überzeugung weder aufgeben noch verheimlichen, sondern weiterhin den Glauben der Ahmadiyya praktizieren.
Im Entscheidungszeitpunkt kann im Hinblick auf die aktuelle Lage in Pakistan für Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan aufgrund seiner religiösen Überzeugung einer asylrelevanten Verfolgung unterliegt.
Dem Beschwerdeführer steht als Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Pakistan:
1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Pakistan vom 29.01.2021, mit Stichtag vom 28.05.2021:
Zur Religionsfreiheit:
Laut provisorischer Volkszählung von 2017 sind 96 % der ca. 210 Millionen Einwohner Pakistans Sunniten oder Schiiten. Laut Regierungsangaben setzen sich die restlichen 4 % aus Ahmadi Muslimen, Christen, Hindus, Zoroastriern, Bahai, Sikhs, Buddhisten, Kalasha, Kihal und Jainisten zusammen. Ca. 80-85 % der muslimischen Einwohner Pakistans sind Sunniten und 15-20 % Schiiten (USDOS 10.6.2020; vgl. CIA 19.8.2020). Laut Verfassung sind Angehörige der Qadiani oder der Lahori-Gruppe (Ahmadis) keine Muslime (USDOS 10.6.2020).
Artikel 2 der pakistanischen Verfassung erklärt den (sunnitischen) Islam zur Staatsreligion. Artikel 227 der pakistanischen Verfassung bindet das Rechtssystem an das islamische Recht. Der Shari’ah Act 1991 hat die Scharia zum höchsten Gesetz in Pakistan gemacht. Somit sind alle Gesetze in Pakistan im Einklang mit der Scharia auszulegen (BAMF 5.2020; vgl. USDOS 10.6.2020). Grundsätzlich hat jede Person die Freiheit, ihre Religion selbst zu bestimmen und diese auch zu wechseln. Artikel 20 der Verfassung von 1973 garantiert die freie Religionsausübung (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 10.6.2020) und auch das Recht, seine eigene Religion zu propagieren (USDOS 10.6.2020).
Nach wie vor bestehen aber jene Bestimmungen im Blasphemiegesetz, welche einen Vorwand für Gewalt gegen religiöse Minderheiten sowie für willkürliche Verhaftungen und Strafverfolgung bieten (HRW 14.1.2020; vgl. AI 30.1.2020; USDOS 10.6.2020). Auch die Bestimmungen des pakistanischen Strafgesetzbuches, welche die Diskriminierung der Ahmadis festschreiben, bestehen weiterhin (HRW 14.1.2020). Für Apostasie – Abfall vom Islam – gibt es in Pakistan keine strafrechtliche Bestimmung. Allerdings wird Apostasie von vielen Klerikern als Form der Blasphemie erachtet und kann daher die Todesstrafe nach sich ziehen. Die Gesellschaft akzeptiert Apostasie in keiner Weise (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 10.6.2020; BAMF 5.2020). Die systematische Durchsetzung von Blasphemie- und Anti-Ahmadiyya-Gesetzen und das Versäumnis der Behörden, auf Zwangskonversionen religiöser Minderheiten - einschließlich Hindus, Christen und Sikhs - zum Islam einzugehen, schränkt die Religions- und Glaubensfreiheit stark ein (USCIRF 4.2020). Hunderte wurden wegen Blasphemie-Vorwürfen verhaftet, die meisten von ihnen Angehörige religiöser Minderheiten (HRW 14.1.2020). Verurteilungen (inkl. Todesstrafe) wegen Blasphemie kommen immer wieder vor, wobei unteren Instanzen Gerichten vorgeworfen wird, Bestimmungen nicht rechtmäßig anzuwenden (USDOS 10.6.2020). Zu den Blasphemiegesetzen siehe Unterkapitel Blasphemie.
Neben dieser minderheitenfeindlichen Gesetzgebung gegen andere Religionsgruppen (insbesondere gegen Ahmadis) kommen auch Vorfälle gesellschaftlicher Gewalt (Überfälle bewaffneter sektiererischer Gruppen, Tötungen) und Diskriminierung immer wieder vor. Diese werden kaum oder gar nicht verfolgt (USDOS 10.6.2020). Bewaffnete Gruppen führen Angriffe auf religiöse Gemeinschaften durch, und sektiererische Organisationen schüren ungestraft Hass gegen religiöse Minderheiten (AI 30.1.2020). Mitglieder von religiösen Minderheiten werden regelmäßig Opfer von religiös motivierten Übergriffen, die vor allem von sunnitisch-extremistischen Gruppierungen verübt oder veranlasst werden. Laut dem aktuellen Sicherheitsbericht des Centre for Research & Security Studies (CRSS) bot im Jahr 2019 keine Region in Pakistan vor religiös motivierter Gewalt Sicherheit. Die Provinzen Belutschistan und Sindh verzeichneten die meisten Vorfälle (BAMF 5.2020).
Diesbezüglich setzt die Regierung ihren 2014 begonnenen National Action Plan (NAP) gegen Terrorismus und sektiererischen Extremismus und Hassreden fort. Organisationen der Zivilgesellschaft und Religionsführer erklären, dass sich die Sicherheit an religiösen Orten durch verstärkte Schutzmaßnahmen der Sicherheitskräfte wesentlich gebessert hat. Die US-Regierung setzt die Ausbildung für Polizeibeamte bezüglich Menschenrechte und dem Umgang mit religiösen Minderheiten fort (USDOS 10.6.2020).
Per Gesetz ist es Madrassen verboten, interkonfessionellen oder interreligiösen Hass oder Gewalt zu propagieren. Es wurde gesetzlich vorgeschrieben, dass sich Madrassen in einem von fünf Verbänden oder direkt bei der Regierung registrieren lassen müssen. Es gibt Berichte, dass einzelne Madrassen Gewalt oder extremistische Inhalte lehren. Der NAP sieht eine vermehrte Überwachung von Madrassen vor (USDOS 10.6.2020).
Laut Vertretern der Minderheitsreligionsgemeinschaften hindert die Regierung organisierte religiöse Gruppen prinzipiell nicht daran, Gebetsstätten zu errichten und ihre Geistlichen auszubilden, jedoch verweigern lokale Behörden Ahmadis regelmäßig notwendige Baubewilligungen. Die Religionszugehörigkeit wird in Reisepässen angegeben und das religiöse Bekenntnis muss am Antragsformular für Identitätskarten angegeben werden (USDOS 10.6.2020).
Gemäß Verfassung dürfen Personen bei der Anstellung im öffentlichen Dienst nicht wegen ihrer Religion diskriminiert werden. Im Bundesdienst gilt eine 5-Prozent-Quote für Minderheiten. Diese Quote wird laut Minderheitenvertretern nicht durchgesetzt. Die meisten Minderheitengruppen berichten dementsprechend von Diskriminierungen bei Anstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst sowie bei der Aufnahme an Hochschulen. Auch im Militärdienst gibt es zwar keine offiziellen Hinderungsgründe, allerdigs steigen Angehörige von religiösen Minderheiten nur selten in einen höheren Dienstgrad als Oberst auf (USDOS 10.6.2020; vgl. HRCP 30.4.2020). Minderheitenvertreter berichten, dass die Regierung bei der Sicherung von Minderheitenrechten auf Bundes- und Provinzebene inkonsequent ist und Minderheiten vor gesellschaftlicher und staatlicher Diskriminierung nicht ausreichend geschützt werden (USDOS 10.6.2020). Insgesamt kommen religiöse Minderheiten auch weiterhin nicht in den Genuss der ihnen in der Verfassung garantierten Religions- und Glaubensfreiheit (HRCP 30.4.2020).
Die Regierung zeigte bei der Umsetzung einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs einige Fortschritte bezüglich Gewährung von Rechten für Minderheiten, Förderung religiöser und sozialer Toleranz, Einrichtung eines Mechanismus des Obersten Gerichtshofs zur Anhörung von Beschwerden und Errichtung einer Task Force zum Schutz von Kultstätten religiöser Minderheiten und einer nationalen Kommission für Minderheitenrechte (USDOS 10.6.2020).
Der Oberste Gerichtshof richtete einen Sondergerichtsausschuss zwecks Anhörung von Petitionen im Zusammenhang mit Rechten von Minderheiten ein und ernannte einen Kommissar, der die Umsetzung von Urteilen durch den Gerichtshof selbst überwachen soll. Während das Ministerium für Recht und Justiz offiziell für die Gewährleistung der gesetzlichen Rechte aller Bürger verantwortlich ist, übernimmt das Ministerium für Menschenrechte in der Praxis weiterhin die Hauptverantwortung für den Schutz der Rechte religiöser Minderheiten. Die Nation Commission on Human Rights (NCHR) ist ebenfalls mit der Untersuchung von Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen beauftragt. Sie hat aber zu wenig Macht, um Forderungen durchzusetzen. Zudem blieb die NCHR blieb für eine zweite Amtszeit von vier Jahren ohne neues Mandat und am Jahresende 2019 ohne neue Kommissare (USDOS 10.6.2020).
Die Verfassung weist dem Staat die Aufgabe zu, "die legitimen Rechte und Interessen von Minderheiten zu schützen", das Wohlergehen des Volkes unabhängig von seinem Glaubensbekenntnis zu sichern und sektiererischen Vorurteilen entgegenzuwirken. Die Nationale Menschenrechtskommission (NCHR), eine unabhängige, von der Regierung finanzierte Behörde, die dem Parlament Bericht erstattet, ist verpflichtet, Petitionen entgegenzunehmen, Untersuchungen durchzuführen und die Behebung von Menschenrechtsverletzungen zu verlangen. Die NCHR hat auch das Mandat, die Umsetzung der Menschenrechte durch die Regierung zu überwachen und Gesetze zu überprüfen und vorzuschlagen. Sie verfügt über quasi-richterliche Befugnisse und kann Fälle zur Strafverfolgung weiterleiten, hat jedoch keine Verhaftungsbefugnis. Eine Verfassungsänderung von 2010 übertrug die Verantwortung für Minderheiten, einschließlich religiöser Minderheiten, an die Provinzen (USDOS 10.6.2020).
Zur Situation der Muslime allgemein:
Die beiden Hauptzweige des Islams, das Schiitentum und das Sunnitentum, teilen sich in Pakistan in mehrere Untergruppen auf. Bei den Sunniten sind dies die Barelvis [auch Ahle Sunnat wal Jama'at] mit ungefähr 60 % Anteil; die Deobandis mit ungefähr 35 % und mit ca. 5 % die Ahl-e Hadith (Salafi). Religiöse Intoleranz und Gewalt findet auch zwischen den muslimischen Denominationen und innerhalb der sunnitischen Konfession statt, z. B. zwischen der Barelvi-Sekte, die erheblichen Sufi-Einfluss aufweist und der Deobandi-Sekte, die islamistisch geprägt ist (BFA 10.2014).
Die schiitische Bevölkerung Pakistans wird auf 20 bis 50 Millionen Menschen geschätzt. Die Mehrheit der Schiiten in Pakistan gehört den Zwölfer-Schiiten an, andere Subsekten sind Nizari-Ismailiten, Daudi Bohras und Sulemani Bohras. Die Schiiten sind im ganzen Land verteilt und stellen in der semi-autonomen Region Gilgit-Baltistan die Bevölkerungsmehrheit. Viele urbane Zentren in Pakistan beheimaten große Schia-Gemeinden. Manche Schiiten leben in Enklaven in den Großstädten, sind aber ansonsten gut integriert (UKHO 1.2019). Mitglieder der schiitischen Bevölkerungsgruppen, insbesondere der ethnischen Hazara, werden durch die mit den Sicherheitsmaßnahmen einhergehenden Einschränkungen, die wegen der auf sie verübten Übergriffe getroffen worden sind, erheblich in ihrem Alltagsleben eingeschränkt. In Quetta, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan, leben Hazara in „Hazara Town“ genannten Enklaven. Aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen und der damit einhergehenden faktischen Abgeschiedenheit herrschen dort prekäre Verhältnisse, die zusätzlich von ökonomischer Ausbeutung gekennzeichnet sind (BAMF 5.2020). Abgesehen von den Hazara unterscheiden sich Schiiten weder körperlich noch sprachlich von den Sunniten. Schiitische Muslime dürfen ihren Glauben frei ausüben. Es gibt keine Berichte über systematische staatliche Diskriminierung gegen Schiiten. Schiiten sind in der Regierung und im öffentlichen Dienst gut vertreten (UKHO 1.2019). Die öffentliche Wahrnehmung von Schiiten in Pakistan ist tendenziell besser als in manchen Ländern des Mittleren Ostens und des Maghreb mit mehrheitlich sunnitischer Bevölkerung. Allerdings werden Schiiten von einem nicht unerheblichen Bevölkerungsanteil - tendenziell Deobandis - und radikal-islamistischen sunnitischen Gruppierungen als Glaubensabtrünnige bzw. Ungläubige angesehen (BAMF 5.2020).
Obwohl der Terrorismus in den letzten Jahren zurückgegangen ist, bleibt Pakistan eine Basis für extremistische Gruppen wie die pakistanischen Taliban und Lashkar-e-Jhangvi. Diese Gruppen haben neben Nicht-Muslimen oft auch schiitische und sufische Muslime im Visier (USCIRF 4.2020). Religiös/konfessionell motivierte bzw. intrakonfessionelle Gewalt führen weiterhin zu zahlreichen Todesfällen. Die meisten Opfer finden sich unter schiitischen und sunnitischen Muslimen, die von radikalen sunnitischen oder anderen islamistischen Terrororganisationen attackiert werden. Zu vielen Anschlägen auf Schiiten bekennt sich die radikal-sunnitische, anti-schiitische Terrororganisation Lashkar-e-Jhangvi (AA 29.9.2020; vgl. UKHO 1.2019; NCHR 2.2018).
Es gibt zwar keine Berichte über eine systematische Diskriminierung schiitischer Muslime durch den Staat, aber es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen während der Muharram (islamische religiöse Feier) im Zusammenhang mit Verstößen gegen die öffentliche Ordnung (UKHO 1.2019). Einige Bundes- und Provinzbehörden schränken rund um das schiitische Muharram-Fest die Bewegungsfreiheit von Klerikern, die dafür bekannt sind, konfessionelle Gewalt zu propagieren, ein (USDOS 10.6.2020; vgl. HRCP 3.2019). Rund um schiitische Prozessionen in größeren Städten in den Provinzen Punjab, Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan kommen zusätzliche Sicherheitskräfte zum Einsatz - darunter etwa auch für schiitische Hazara-Gemeinschaften in Quetta (USDOS 10.6.2020; vgl. Dawn 10.9.2019).
Zur Situation der Anhänger der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya (auch Ahmadi):
Die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiya teilt sich in die Qadiani-Gruppe (Ahmadiya Muslim Jamaat) und die wesentlich kleinere Lahore-Gruppe (Ahmadiya Anjuman Ischa?at-i-Islam Lahore) (BFA 10.2014). Es gibt keine zuverlässigen Statistiken zur Anzahl der in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiya-Gemeinschaft. Der größeren Qadiani-Gruppe gehören in Pakistan schätzungsweise 600.000 bis 5 Millionen Mitglieder an; viele Ahmadis lassen sich nicht registrieren. Die Mitgliederzahl der kleineren Lahore-Gruppe wird auf rund 30.000 Anhänger weltweit geschätzt, von ihnen sollen 5.000 bis 10.000 Mitglieder in Pakistan leben. Das Hauptquartier der Ahmadi in Pakistan befindet sich in Rabwah (offizieller Name Chenab Nagar). 90-95 % der Einwohner der Stadt, ca. 60.000-70.000 Menschen, sind Ahmadis. Weitere wichtige Ansiedlungen der Ahmadis befinden sich in Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, sowie weiters auch Khewra, Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala (UKHO 3.2019).
Die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiya wird von muslimischen Geistlichen in Pakistan nicht als muslimisch anerkannt. Durch Änderung der Verfassung 1974 wurde diese Lehrmeinung Verfassungsgrundsatz. Durch diese speziell gegen sie gerichtete, diskriminierende Gesetzgebung haben Ahmadis zwar den Status einer religiösen Minderheit, gleichzeitig ist es ihnen aber ausdrücklich verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder auszugeben. Dieses Verbot ist im Pakistanischen Strafgesetzbuch (§ 298c PPC) niedergelegt und mit einer Strafandrohung von maximal drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert (AA 29.9.2020). Sämtliche Publikationen der Ahmadiya-Gemeinschaft sind in Pakistan verboten. Ahmadis können grundsätzlich keine nach außen wirksamen, öffentlichen Versammlungen abhalten (BAMF 5.2020).
Eine objektiv meinungsbildende Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft kommt im öffentlichen Diskurs nicht vor. Vielmehr wird eine gegen Ahmadis gerichtete Rhetorik in sozialen und Printmedien, bei Versammlungen oder Freitagsgebeten sowie im Alltag auf Plakaten verbreitet (BAMF 5.2020). Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebt friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen, berichtet wird aber weiterhin über Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis (AA 29.9.2020). Gesellschaftliche Diskriminierung und Anti-Ahmadi-Propaganda sind weit verbreitet. Der Einsatz von Hassreden gegen Ahmadis wird von den Medien oftmals unkritisch behandelt. Gegen Ahmadi-Geschäftsleute aller gesellschaftlichen Klassen erfolgen auch Kampagnen zum wirtschaftlichen Ausschluss bis hin zu Morddrohungen (UKHO 3.2019).
Die Diskriminierung der religiösen Minderheit der Ahmadis durch das Verhalten der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung hält an. Vereinzelt kommen auch Maßnahmen staatlicher Stellen vor (AA 29.9.2020). Die Ahmadis werden wegen der rechtlichen Diskriminierung und wachsenden religiösen Intoleranz als vulnerabelste Gruppe in Pakistan erachtet. Sie sind einem hohen Risiko staatlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dadurch werden ihre Möglichkeiten zur freien Religionsausübung und zur politischen und sozialen Partizipation einschränkt. Auch das Risiko sozialer Diskriminierung und Gewalt gegen Ahmadis ist aufgrund großer Protestveranstaltungen der Khatm-e-Nabuwat-Bewegung in den Jahren 2017 und 2018 gestiegen (DFAT 20.2.2019). Mitglieder der Ahmadi erfahren wegen ihres Glaubens also sowohl staatliche als auch gesellschaftliche Diskriminierung und Verfolgung in Form von Übergriffen auf Einzelpersonen, deren Eigentum sowie auf Gemeindeeinrichtungen. In den vergangenen Jahren kam es wiederholt zu Angriffen auf Gebetsstätten der Gemeinschaft (BAMF 5.2020). Der inkonsequente Schutz und die offizielle Diskriminierung von Ahmadis besteht weiterhin. Die Polizei ist beim Schutz vor bzw. beim Ermitteln in Fällen von Gewalt gegen Ahmadis ineffektiv. Aus Angst vor einer Verfolgung aufgrund der Anti-Ahmadi- oder Blasphemiegesetze zögern Ahamdis oft, Vorfälle der Polizei zu melden. Der Staat scheint weder willig noch fähig, wirksamen Schutz zu bieten (UKHO 3.2019).
Die Blasphemie-Gesetzgebung wird dazu benutzt, die Angehörigen dieser Minderheit aus den verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben. Oft geht es auch um Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Geschäftsleuten und vor allem um Auseinandersetzungen um Grundbesitz (AA 29.9.2020). Während die Behörden Schritte unternommen haben, um einige Personen vor unbegründeten Anschuldigungen der Blasphemie zu schützen, halten sich die erstinstanzlichen Gerichte weiterhin nicht an zu grundlegenden Beweisstandards in Blasphemiefällen (UKHO 3.2019).
Der Personalausweis (Computerized National Identity Card / CNIC) identifiziert dessen Besitzer nicht als Ahmadi, da diese Information nicht auf der Karte angegeben ist. Bei Beantragung der CNIC muss die eigene Religion angegeben werden. Personen, die sich als Muslime verzeichnen lassen wollen, müssen eine Deklaration unterschreiben, in der sie den Propheten der Ahmadis verurteilen (UKHO 3.2019). Im Reisepass wird als Religionszugehörigkeit „Ahmadi“ angegeben, wenn der Antragsteller sich als solcher deklariert (USDOS 10.6.2020).
Ahmadis sind derzeit nicht im Parlament vertreten, weil sie sich selbst als Muslime verstehen und deshalb nicht für die Listenplätze der Parteien für nichtmuslimische Minderheiten kandidieren (AA 29.9.2020). Viele Ahmadis boykottieren den politischen Prozess und nahmen an den Parlamentswahlen 2018 nicht teil (USDOS 10.6.2020).
Das Ministerium für Menschenrechte hat bekannt gegeben, dass die Regierung die PEMRA (Regulierungsbehörde für elektronische Medien) beauftragte, Fernsehsendungen zu beobachten und Sanktionen gegen Fernsehsender zu ergreifen, die Hassreden gegen Ahmadis verbreiten (USDOS 10.6.2020).
Es ist möglich, dass ein Nicht-Ahmadi-Muslim Ahmadi-Muslim wird. Es kommt zwar gelegentlich vor, aber nicht mehr so regelmäßig und so häufig wie in der Vergangenheit. Es gibt keine besondere Zeremonie, die mit dem Übertritt in die Ahmadi-Gemeinschaft verbunden ist, aber es gibt definitiv ein Verfahren. Dieses Verfahren war in der Vergangenheit präzise und offen, aber da die pakistanischen Gesetze Konvertierungen behindern, ist es nicht mehr möglich, das Verfahren in Pakistan akribisch zu befolgen. In einer sicheren Bekehrungssituation erhält die Person ein Baiat-Formular (Initiationsformular), das ausgefüllt und unterschrieben werden muss. Dieses Formular wird danach vom Präsidenten des Ortsverbandes der Gemeinschaft (je nach Struktur des Ortsverbandes als lokaler Sadr oder Amir bezeichnet) beglaubigt und vom Distriktpräsidenten (Amir) gegengezeichnet. Letzterer leitet es an den Hauptsitz der Gemeinschaft in Rabwah weiter. Anschließend wird das Formular an Hazrat Khalifa tul Masih (Oberster Leiter der weltweiten Ahmadiya-Muslimischen Jamaat) in Großbritannien zur Genehmigung geschickt. Die Genehmigung wird anderweitig an alle Betroffenen übermittelt. Unter den gegenwärtigen Umständen ist es in Pakistan nicht mehr möglich, die einzuführende Person schriftlich zu informieren, wie es in der Vergangenheit in der Gemeinschaft üblich war. In problematischen Situationen wird ein Teil des Verfahrens beiseite gelegt und der Person mitgeteilt, dass ihre Initiation akzeptiert wurde und er oder sie sich als Ahmadi-Muslim betrachten sollte. Schließlich ist der Glaube eine Sache des Glaubens und des Herzens. Der Beitritt zur Ahmadiya-Gemeinschaft durch Unterzeichnung eines Einweihungsformulars ist nur ein Verwaltungsverfahren, das unter Umständen geändert werden kann (VB 3.10.2020).
Zur Sicherheitslage allgemein:
Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).
Pakistan dient weiterhin als sicherer Hafen für bestimmte regional ausgerichtete terroristische Gruppen. Es erlaubt Gruppen, die gegen Afghanistan gerichtet sind, einschließlich der afghanischen Taliban und der mit ihnen verbundenen HQN [Anm.: the Haqqani Network], sowie Gruppen, die gegen Indien gerichtet sind, einschließlich LeT [Anm.: Lashkar-e Taiba] und der mit ihr verbundenen Frontorganisationen und JeM [Anm.: Jaish-e Muhammad], von seinem Territorium aus zu operieren (USDOS 24.6.2020). Andererseits führen Armee und Polizei auch weiterhin Kampagnen gegen militante und terroristische Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 29.9.2020). Die Operation Radd-ul-Fasaad des Militärs, die 2017 begonnen wurde, wurde das ganze Jahr 2019 über fortgesetzt. Radd-ul-Fasaad ist eine landesweite Antiterrorismuskampagne mit dem Ziel, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb (2014-2017) zu konsolidieren, mit der ausländische und einheimische Terroristen in den ehemaligen FATA bekämpft wurden. Die Sicherheitsbehörden schwächen terroristische Gruppen auch, indem sie mutmaßliche Terroristen und Bandenmitglieder festnehmen, welche den Militanten angeblich logistische Unterstützung leisten (USDOS 11.3.2020).
Terroristische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen durch (nicht)-staatliche Akteure tragen zu Menschenrechtsproblemen bei. Angriffe von militanten und terroristischen Gruppen, darunter die pakistanischen Taliban (TTP; Tehrik-e-Taliban Pakistan), Lashkar-e-Jhangvi und die Provinz Chorasan im islamischen Staat (ISIS-K), richten sich gegen Zivilisten, Journalisten, Gemeindeführer, Sicherheitskräfte, Vollzugsbeamte und Schulen. Hunderte von Menschen wurden 2019 durch Sprengsätze, Selbstmordattentate und andere Formen der Gewalt getötet oder verletzt. Angriffe der genannten Gruppen richten sich häufig gegen religiöse Minderheiten (USDOS 11.3.2020).
Tatsächlich ist seit 2009 ein allmählicher Rückgang der Terroranschläge und der Zahl der Opfer zu verzeichnen. Kontinuierliche Einsatz- und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte gegen militante Gruppen und polizeiliche Antiterrorabteilungen sowie einige Antiextremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans, haben dazu beigetragen, diesen rückläufigen Trend ab 2013 aufrechtzuerhalten (USDOS 24.6.2020). Auch 2019 war das Maß an Gewalt geringer, als in den vergangenen Jahren. Dies steht mit einem allgemeinen Rückgang der terroristischen Aktivitäten in Zusammenhang (USDOS 11.3.2020). Die Zahl sicherheitsrelevanter Zwischenfälle ist also weiter rückläufig, bei gleichzeitiger Stagnation in einigen Landesteilen. Laut dem Think Tank Pakistan Institute for Peace Studies (PIPS) gab es im Jahr 2019 insgesamt 229 Terroranschläge in Pakistan (13% weniger verglichen mit 2018), bei denen 357 Personen ums Leben gekommen sind (40% weniger als 2018). Größte Unruheherde bleiben die ehemaligen Stammesgebiete (besonders Nordwaziristan) und Belutschistan. Die aktivsten gegen den pakistanischen Staat gerichteten Terrorgruppen sind die TTP sowie belutschische Separatisten (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 24.6.2020). Beide verübten in den vergangenen Monaten eine Serie von tödlichen Anschlägen auf Sicherheitskräfte (AA 29.9.2020). Auch ISIS-K ist aktiv. Separatistische militante Gruppen führen Terroranschläge gegen verschiedene Ziele in den Provinzen Belutschistan und Sindh durch (USDOS 24.6.2020). Gewisse Teile von Belutschistan und dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet sind weiter nicht gänzlich unter staatlicher Kontrolle. Dies begünstigt neben dem Terrorismus auch den Schmuggel sowie Menschen- und Drogenhandel (AA 29.9.2020).
Insgesamt dokumentierte PIPS im Jahr 2019 433 Vorfälle von Gewalt. Die Gesamtzahl der Gewaltvorfälle führte zu 588 Todesopfer und 1.030 Verletzte. Mehr als die Hälfte der Gewaltvorfälle (229 Vorfälle) wurden laut PIPS als terroristische Angriffe bezeichnet. Im Vergleich zu 2018 ist die Zahl der gewalttätigen Vorfälle um etwa 15 % zurückgegangen (EASO 10.2020).
Es besteht jedoch weiterhin landesweit – auch in den Großstädten Islamabad, Rawalpindi, Lahore, Karachi – eine Gefahr für terroristische Anschläge seitens der TTP sowie religiös motivierter oder separatistischer Gruppen, insbesondere durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate. Die Terroranschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste, Polizei, Märkte, Einrichtungen der Infrastruktur sowie gegen religiöse Stätten (Moscheen, Schreine, Kirchen) (AA 27.10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Die Regierung betreibt fünf De-Radikalisierungslager, wo religiöse Erziehung, Berufsausbildung, Beratung und Therapie angeboten wird. Eine pakistanische NGO verwaltet das auf Jugendliche ausgerichtete Sabaoon Rehabilitation Center im Swat-Tal, das sie in Zusammenarbeit mit dem pakistanischen Militär gegründet hatte (USDOS 24.6.2020).
Zum Rechtsschutz und dem Justizwesen allgemein:
Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).
Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).
Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).
Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).
Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018).
De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).
Zu den Sicherheitsbehörden:
Die Sicherheitsbehörden Pakistans bestehen aus der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, Geheimdiensten (AA 29.9.2020), dem Heer, das dem Verteidigungsministerium untersteht (MoD o.D.) sowie militärischen Hilfstruppen, die dem Innenministerium unterstehen (EASO 10.2020).
Die polizeilichen Zuständigkeiten sind zwischen nationalen und regionalen Behörden aufgeteilt. Die Bundespolizei (Federal Investigation Agency, FIA) ist zuständig für die Bereiche Einwanderung, organisierte Kriminalität, Interpol und verfügt über eine Abteilung zur Terrorismusbekämpfung (Counter Terrorism Wing – CTWI). Pakistan verfügt über einen Auslands-/Inlandsnachrichtendienst (Directorate for Inter-Service Intelligence, ISI), einen Inlandsnachrichtendienst (Intelligence Bureau, IB) sowie einen militärischen Nachrichtendienst (Military Intelligence, MI). Das IB ist für Diplomatenschutz, Abwehr terroristischer Bedrohungen im Inland sowie Ermittlungen bei Kapitalverbrechen zuständig. Der ISI wird vom Militär dominiert. Seine Aufgabe, die nationalen Interessen Pakistans zu schützen, ermöglicht ihm ein Tätigwerden in den unterschiedlichsten Bereichen. De jure untersteht der ISI dem Verteidigungsministerium, de facto jedoch dem jeweiligen Armeechef (Chief of Army Staff). Eine effektive zivile Kontrolle über die militärischen Geheimdienste gibt es nicht (AA 29.9.2020).
Frontier Corps (FC) und Rangers sind paramilitärische Hilfstruppen, die dem Innenministerium unterstehen. FC sind in Khyber Pakhtunkwa und Belutschistan und die Rangers in Punjab und Sindh stationiert. Sie unterstützen die örtlichen Strafverfolgungsbehörden u.a. bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie bei der Grenzsicherung (EASO 10.2020).
Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verletzungen. Ein nach wie vor ungelöstes, tabuisiertes Problem sind in diesem Zusammenhang die sog. enforced disappearances, das „Verschwindenlassen“ von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen (AA 29.9.2020).
Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 11.3.2020). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).
Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).
Nach der Integration der FATA in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Mai 2018 wurde die Provinzpolizei auch in den ehem. FATA tätig, jedoch muss erst neues Personal aufgenommen und ausgebildet werden, um die ehem. FATA komplett abzudecken (USDOS 11.3.2020).
Insgesamt sind die Polizeikapazitäten in Pakistan begrenzt, was auf fehlende Ressourcen, schlechte Ausbildung, unzureichende und veraltete Ausrüstung und konkurrierenden Druck von Vorgesetzten, politischen Akteuren, Sicherheitskräften und der Justiz zurückzuführen ist. In der öffentlichen Wahrnehmung ist ein hohes Maß an Korruption bei der Polizei weit verbreitet [siehe Kapitel Korruption], insgesamt ist das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit gering. Inländische und internationale Beobachter sehen das Militär als eine der fähigsten Organisationen in Pakistan. Es verfügt über erhebliche Macht und dominiert die Außen- und Sicherheitspolitik. Militärangehörige werden gut bezahlt, und eine Karriere beim Militär ist hoch angesehen, nicht nur wegen der Vorteile, sondern auch wegen des hohen gesellschaftlichen Ansehens und der Verbindungen, die Militärangehörige genießen (DAFT 20.2.2019).
Zu Korruption:
Korruption bleibt in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und bei den Sicherheitsorganen weit verbreitet (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Von der international tätigen Compliance-Plattform GAN wird das Risiko, mit Korruption konfrontiert zu werden, für folgende Bereiche als hoch eingestuft: Justizsystem, Polizei, öffentlicher Dienst, Steuer-, Grund- und Zollverwaltung sowie öffentliche Beschaffung (GAN 10.2020). Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für Korruption von Amtsträgern vor, aber die Regierung setzt das Gesetz im Allgemeinen nicht wirksam um (USDOS 11.3.20200; vgl. GAN 10.2020). Korruption ist in Politik und Regierung allgegenwärtig, und verschiedene Politiker und Inhaber öffentlicher Ämter sind mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, darunter Bestechung, Erpressung, Nepotismus, Klientelismus und Veruntreuung. Auch innerhalb des Justizsystems ist Korruption verbreitet. Es gibt Berichte, wonach Gerichtsbedienstete Zahlungen zur Erleichterung von Verwaltungsverfahren verlangen. Die unteren Instanzen des Justizsystems sind korrupt, ineffizient und dem Druck von höherrangigen Richtern sowie prominenten, wohlhabenden, religiösen und politischen Persönlichkeiten ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Auch die Polizei ist sehr korruptionsanfällig (AA 29.9.2020; vgl. GAN 10.2020) - innerhalb der unteren Ebenen der Polizei ist Korruption üblich. Einige Polizisten erheben Gebühren für die Registrierung echter Anzeigen und nehmen Bestechungsgelder für die Registrierung falscher Anzeigen an. Auch Bestechungsgelder zur Vermeidung von Anklagen (USDOS 11.3.2020) sowie Korruption im Zivilstandswesen sind weit verbreitet (AA 29.9.2020).
Die neue Regierung unter Imran Khan hat zwar weitreichende Reformen in der Korruptionsbekämpfung versprochen. Dennoch nimmt Pakistan im Corruption Perceptions Index von Transparency International 2019 Platz 120 von 180 Ländern ein (TI 1.2020) – im Jahr zuvor war es Platz 117 gewesen (TI 1.2019). Das National Accountability Bureau (NAB) dient als höchste Antikorruptionsbehörde mit dem Auftrag, Korruption durch Sensibilisierung, Prävention und Durchsetzung zu beseitigen. Das NAB und andere Ermittlungsbehörden, darunter das Federal Board of Revenue, die State Bank of Pakistan, die Antinarcotics Force und die Federal Investigation Agency, führen Untersuchungen zu Korruption, Steuerhinterziehung und Geldwäsche durch (USDOS 11.3.2020).
Zur allgemeinen Menschenrechtslage:
Generell ist der Schutz der Menschenrechte in der pakistanischen Verfassung verankert und die pakistanische Regierung bekennt sich zu den Menschenrechten. Darunter fallen Grundrechte, Schutz der körperlichen Unversehrtheit und Selbstbestimmung, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, des persönlichen Ansehens sowie das Recht auf Freiheit und Eigentum, Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Verbot willkürlicher Verhaftungen und Tötungen ohne gesetzliche Grundlage (AA 29.9.2020).
Die Regierung von Premierminister Imran Khan hat jedoch seit dem Amtsantritt im Juli 2018 die Beschränkungen für Medien, die politische Opposition und NGOs sowie das harte Vorgehen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verschärft (HRW 14.1.2020; vgl. AI 30.1.2020). Das Militär verschärfte seine Kontrolle über die Wirtschaft, die Außenpolitik und die nationale Sicherheit und mehrere Mitglieder der politischen Opposition wurden wegen angeblich politisch motivierter Anschuldigungen inhaftiert (AI 30.1.2020).
Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und in Gefängnissen gilt als weit verbreitet [siehe Kapitel Folter und unmenschliche Behandlung], bei 27 verschiedenen Straftatbeständen kann die Todesstrafe verhängt werden [siehe Kapitel Todesstrafe]. Verschwindenlassen zählt zu den drängendsten und eklatantesten Menschenrechtsverletzungen in Pakistan – auch weil der Staat (v. a. Militär/Nachrichtendienste, insb. ISI) oftmals als Täter auftritt und seiner Schutzverantwortung nicht gerecht wird. Extralegale Tötungen kommen vor allem in Form von polizeilichen Auseinandersetzungen vor, d. h. bei Zusammenstößen zwischen mutmaßlichen Straftätern, Militanten oder Terroristen und der Polizei oder paramilitärischen Sicherheitskräften, die mit dem Tod des mutmaßlich Straffälligen enden. Willkürliche Festnahmen kommen insbesondere aufgrund der weit verbreiteten Korruption innerhalb der Polizei vor. Selbst bei offensichtlich unbegründeten Beschuldigungen kann eine lange Inhaftierung erfolgen, ohne dass es dabei zu einer Haftprüfung kommt. Als Beispiel hierfür dienen die Blasphemie-Fälle [siehe Kapitel Blasphemiegesetze] (AA 29.9.2020). Terroristische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen durch nichtstaatliche Akteure tragen ebenfalls zu den Menschenrechtsproblemen bei. Einige Mitarbeiter von Geheimdiensten, Polizei und anderen Sicherheitskräften halten Gefangene in Isolationshaft und weigern sich, deren Aufenthaltsort preiszugeben. Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen berichten über Fälle von Personen, die im Polizeigewahrsam starben, angeblich aufgrund von Folter (USDOS 11.3.2020).
Das Verschwindenlassen von Personen wird in Pakistan häufig als Instrument benutzt, um abweichende Meinungen und Kritik an militärischen Maßnahmen zu unterdrücken. Zu den Einzelpersonen und Gruppen, die Opfer des Verschwindenlassens werden, gehören Sindhis, Belutschen, Paschtunen, Schiiten, politische Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Mitglieder und Unterstützer religiöser und nationalistischer Gruppen, mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen und Angehörige von in Pakistan verbotenen religiösen und politischen Organisationen (AI 21.5.2020; vgl. HRCP 4.2020). Der vom Innenministerium eingesetzten Kommission zur Ermittlung erzwungenen Verschwindens (COIOED) wurden bis 31.12.2019 6.506 Fälle zur Kenntnis gebracht, wovon 4.365 Fälle abgeschlossen werden konnten (COIOED 1.1.2020).
Der Senat und die ständigen Komitees der Nationalversammlung zu Recht, Justiz, Minderheiten und Menschenrechten halten Anhörungen zu einer breiten Reihe von Problemen mit Bezug auf die Menschenrechte ab. Per Gesetz von 2012 wurde 2015 die Nationale Kommission für Menschenrechte als unabhängiges Komitee eingerichtet. Im November 2015 wurde wieder ein unabhängiges Ministerium für Menschenrechte eingerichtet. Doch nur selten bestrafen Behörden Regierungsbeamte für Menschenrechtsverletzungen (USDOS 11.3.2020).
Die derzeitige Regierung setzt das von ihrem Vorgänger im Jahr 2015 begonnene harte Vorgehen gegen in- und ausländische NGOs fort. Im Jänner 2019 waren nur 74 von 141 internationalen NGOs, die seit 2015 einen Antrag auf Registrierung gestellt hatten, zugelassen worden (FH 4.3.2020).
Zur Todesstrafe:
Die Todesstrafe wird in Pakistan vollstreckt. Der Staat veröffentlicht keine offizielle Statistik zur Todesstrafe (AA 29.9.2020). Im Jahr 2019 wurde die Todesstrafe in mindestens 584 Fällen (HRCP 30.4.2020), nach anderen Angaben in 632 Fällen verhängt. 14 Personen wurden hingerichtet (AI 21.4.2020). 2019 betrug die Gesamtzahl der Insassen im Todestrakt pakistanischer Gefängnisse 4.225 Personen (JPP o.D.). Im Dezember 2019 saßen u.a. noch mindestens 17 Personen, die wegen Blasphemie verurteilt worden waren, in der Todeszelle (HRCP 30.4.2020).
Die Todesstrafe kann bei 27 verschiedenen Straftatbeständen verhängt werden, darunter Blasphemie, Mord, Hochverrat, Spionage, Besitz von und Handel mit mehr als einem Kilogramm Rauschgift, Vergewaltigung und terroristischer Anschlag mit Todesfolge (HRCP o.D.; vgl. AA 29.9.2020). Nach anderen Angaben sind es bis zu 32 Straftatbestände (HRCP/FIDH 10.2019). Der unter Todesstrafe gestellte Tatbestandskatalog geht weit über den gesetzten Rahmen des - von Pakistan ratifizierten - internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte hinaus (AA 29.9.2020).
Sowohl das Gesetz als auch die frühere Verordnung über das Jugendgerichtssystem aus dem Jahr 2000 verbieten die Anwendung der Todesstrafe auf Minderjährige. Trotzdem verurteilen Gerichte für schuldig befundene Kinder nach dem Antiterrorismusgesetz zum Tode. Das fehlen von Personaldokumenten erschwert die Bestimmung des Alters möglicher Minderjähriger (USDOS 11.3.2020).
Außerdem gehört Pakistan zu den Ländern mit den schärfsten Blasphemiegesetzen (§§ 295a-c des Pakistan Penal Code, PPC). Seit 1990 verbietet § 295a PPC das absichtliche Verletzen religiöser Objekte oder Gebetshäuser, § 295b PPC die Entweihung des Korans und § 295c PPC die Beleidigung des Propheten Mohammed. Die letztgenannte Norm sieht selbst bei unbeabsichtigter Erfüllung des Tatbestands der Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Oftmals wird erstinstanzlich auf Druck von Extremisten die Todesstrafe verhängt, diese wurde bislang jedoch noch nie vollstreckt und häufig durch ein höheres Gericht wieder aufgehoben (AA 29.9.2020). Überhaupt wurde zwischen 2010 und 2018 alleine durch den Obersten Gerichtshof bei 78 % von 310 Urteilen die Todesstrafe aufgehoben - entweder durch Freispruch des Angeklagten, Strafumwandlung oder Anordnung einer Überprüfung (HRCP 30.4.2020).
1.2.2. Zusätzlich werden folgende Quellen zur Lage von Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan herangezogen:
Auszug aus: BAMF, Länderreport 24 Pakistan, Lage der Ahmadis und Schiiten sowie Ehrverbrecher im Kontext der islamisch geprägten Strafgesetzgebung, 05/2020:
Die Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft wird von der Mehrheitsrichtung der in Pakistan lebenden Muslime und von der pakistanischen Verfassung nicht als muslimisch anerkannt, weil der Begründer Mirza Ghulam Ahmad den Anspruch erhebt, im Range eines Propheten zu stehen, während orthodoxe Muslime an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glauben. Von Verfassungs- und Gesetzes wegen gelten Ahmadis daher als „Nicht-Muslime“.
Ahmadis sind in der freien Ausübung ihres Glaubens durch die pakistanische Gesetzgebung erheblich eingeschränkt. Seit einer Verfassungsänderung im Jahr 1974 werden Ahmadis als „Nicht-Muslime“ angesehen. Die Sektionen im pakistanischen Strafgesetzbuch, die es Ahmadis praktisch unmöglich machen, ihren Glauben frei auszuüben, wurden in der Zeit der Militärdiktatur von General Zia-ul-Haq (1978-1988) nachträglich eingefügt. So verbieten Sektionen 298-B und 298-C des pakistanischen Strafgesetzbuchs (Pakistan Penal Code, PPC) Ahmadis nicht nur, sich selbst als Muslime zu bezeichnen, ihren Glauben zu lehren und zu verbreiten oder ihre Gebetsstätten als Moscheen zu bezeichnen, sondern es ist ihnen außerdem faktisch unmöglich, als Muslime zu wählen. In Regierungspositionen sind Ahmadis daher stark unterrepräsentiert.
Außerdem geraten Ahmadis in Ämtern von der Öffentlichkeit und islamischen Gelehrten unter Druck. So sah sich Premierminister Imran Khan, der mit dem Wahlversprechen für ein Neues Pakistan („Naya Pakistan“) mit der Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) ins Amt gewählt worden war, nach seinem Amtsantritt im Jahr 2018 auf Druck religiöser Fundamentalisten gezwungen, den international erfahrenen Ökonomen und Ahmadi Atif Mian aus einem Wirtschaftsberatergremium zu entlassen.
Seit einer Entscheidung eines Obergerichts in Islamabad (Islamabad High Court, IHC) im März 2018 müssen Bürger bei der Ausstellung von Ausweisen ihren religiösen Glauben angeben. Kritiker sehen in dieser allgemein diskriminierenden Entscheidung eine besonders gegen Ahmadis gerichtete Regelung. Als Muslim in diesem Sinn gilt, wer eine Erklärung des Inhalts unterschreibt, dass Mohammed als letzter Prophet anerkannt wird, und dass der Begründer der Ahmadiyya-Gemeinschaft ein falscher Prophet sei. Diese Erklärung ist bei der Registrierung als Wähler abzugeben. Wer diese Erklärung nicht abgibt muss sich als „Nicht-Muslim“ mit der Konsequenz nicht vollgültiger politischer Teilhabe bezeichnen lassen. Die Wahl und Wählbarkeit erfolgt in diesem Fall für und auf Minderheitenlisten. Dies führt für Ahmadis, die sich selbst als Muslime und nicht als Minderheit ansehen, zu einem Dilemma mit der Folge, dass viele politischen Wahlen verweigern.
Sämtliche Publikationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft sind in Pakistan verboten. Ahmadis können grundsätzlich keine nach außen wirksamen, öffentlichen Versammlungen abhalten. Auch wird die öffentliche Meinungsbildung hinsichtlich Ahmadis verzerrt. Eine objektiv meinungsbildende Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft kommt im öffentlichen Diskurs nicht vor. Vielmehr wird gegen Ahmadis gerichtete Rhetorik in sozialen und Printmedien, bei Versammlungen oder Freitagsgebeten sowie im Alltag auf Plakaten verbreitet.
Übergriffe und Vorfälle
Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinschaft erfahren wegen ihres Glaubens sowohl staatliche als auch gesellschaftliche Diskriminierung und Verfolgung in Form von Übergriffen auf Einzelpersonen, deren Eigentum sowie auf Gemeindeeinrichtungen. Personengruppen werden von fundamentalistischen Predigern gegen Ahmadis aufgebracht. In den vergangenen Jahren kam es wiederholt zu Angriffen auf Gebetsstätten der Gemeinschaft. Beschädigte Einrichtungen wurden von staatlicher Seite geschlossen und deren anschließende Wiederöffnung von Behörden nicht selten abgelehnt.
Im Jahr 2019 wurden nach Zählung der Ahmadiyya-Gemeinschaft drei Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet. Zahlreiche Fälle von Angriffen auf Ahmadis wurden im selben Jahr von der Gemeinschaft dokumentiert. Angesichts der im Land weit verbreiteten Hassreden gegen Ahmadis in sozialen und Printmedien, bei Versammlungen oder Freitagsgebeten mit der häufig zu vernehmenden Forderung, dass Ahmadis aus religiöser Pflicht getötet werden sollen (urdu: ‚wajib-ul-qatl‘), sind diese von der Justiz häufig stillschweigend geduldeten oder nicht ernsthaft verfolgten Übergriffe für kritische Beobachter nicht überraschend.
Im Jahr 2019 dokumentierte die Gemeinschaft elf Vorfälle hinsichtlich der Zerstörung und Schließung von oder Verweigerung des Zugangs zu Gebetsstätten. Am 25.11.19 wurde etwa im Distrikt Bahalwapur im Süden der Provinz Punjab ein Gemeindehaus mit Duldung der örtlichen Verwaltung zerstört. Außerdem wurden 2019 fünf Ahmadis wegen angeblicher Blasphemie-Vorwürfe festgenommen. Ende 2019 befanden sich drei wegen Blasphemie verurteilte Ahmadis im Todestrakt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers werden aufgrund seiner eigenen Angaben getroffen, welche durch die im Akt einliegende Kopie seines Personaldokuments gestützt werden (vgl. AS 393 ff). Die Feststellungen zu seiner Herkunft, Muttersprache, Volksgruppenzugehörigkeit und Religion stützen sich auf seine stringenten und glaubhaften Angaben im gesamten Verfahren und den dazu vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellungen zur Schulbildung des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen eigenen Angaben (siehe Verhandlungsprotokoll vom 26.05.2021 S 6).
Dass der Beschwerdeführer verheiratet ist und zwei Söhne sowie eine Tochter hat, ergibt sich aus seinen eigenen stringenten Angaben. Die Feststellungen zum Verfahren des Sohnes, welcher mit dem Beschwerdeführer nach Österreich kam, ergeben sich aus der Einsicht in den diesbezüglichen Akt zu GZ W242 2193393-1. Die Feststellungen zu den weiteren Familienmitgliedern und dem aufrechten Kontakt zu diesen ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers (siehe AS 310 und Verhandlungsprotokoll S 9).