Entscheidungsdatum
09.06.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W142 2241779-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb XXXX , StA. Indien, vertreten XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2021, Zl. 1270278209/201044017, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das Bundesgebiet am 23.10.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag, gab der BF zu Protokoll, er sei ledig und spreche muttersprachlich Punjabi. Er spreche auch Hindi. Er gehöre der Religion des Hinduismus und der Volksgruppe der Bhagat an. Er habe 10 Jahre die Grundschule und 3 Jahre ein College für „Mechanik“ besucht. Zuletzt habe er keinen Beruf ausgeübt. Seine Eltern würden in Indien leben. Er stamme aus XXXX . Den Entschluss zur Ausreise habe er am 25.06.2017 gefasst. Am 13.10.2020 sei er legal mit dem Flugzeug nach Moskau gereist und dann über unbekannte Länder nach Österreich gekommen. Sein Reisepass sei ihm vom Schlepper abgenommen worden.
Zu seinem Fluchtgrund gab der BF wie folgt an:
„Ich bin im Jahre 2015 oft mit meinem Freund in meiner Heimat unterwegs gewesen und scherzte, weil er Christ ist. Ich begleitete ihn oft in die Kirche. Ich scherzte oft mit den Worten Halleluja. Er war mein bester Freund. Ich habe ihn sonntags immer in die Kirche begleitet und dann hatte ich sogar eine Partnerin, die ebenfalls Christin ist. Im Jahre 2016 begann ich, sehr viel Interesse an das Christentum zu bekommen und bin mit meinem besten Freund ein – bis eineinhalb Monate lang in die Kirche mitgegangen. Meine Familienangehörigen bekamen dies mit und unsere Bekannte warf meiner Familie vor, warum ich in die Kirche gehe und ich solle damit sofort aufhören. Die meisten Menschen in XXXX gehen in den Hindu Tempel oder in den Sikh Tempel. Danach ist ein Jahr vergangen. Am 25.06.2017, ist XXXX , ein radikaler Hindu, zu uns nachhause gekommen und hat meinen Vater gefragt, wo ich bin. Denn er will mich umbringen lassen, weil ich in die Kirche gehe. Die Leute dort wollten nicht, dass ich in die Kirche gehe oder dass ich zu einem Christen werde. Nachdem es zu gefährlich für mich wurde, hat mein Vater mich zu meiner Tante väterlicherseits geschickt. Zu dieser Zeit hat mein Vater überhaupt nicht mehr geredet, bloß meine Mutter hat mit mir geredet. Mein Vater bat bei XXXX um Verzeihung und versprach ihm, dass ich nicht mehr in die Kirche gehen werde. Ich bin dann ein bis eineinhalb Jahre nicht in die Kirche gegangen. Meine Freundin hat mich verlassen und ist nun mit einem Christen zusammen. Mein bester Freund, der Christ ist, ist nach Singapur gezogen. Da ich verzweifelt war und alles verloren hatte, habe ich wieder begonnen, in die Kirche zu gehen. Mein Vater hat mich daraufhin geschlagen. Ich gestand meiner Mutter, dass ich zum Christentum konvertieren möchte. Da meine Mutter Angst um mein Leben hatte, forderte sie meinen Vater auf, mich ins Ausland zu schicken, um nicht getötet zu werden.
Ich möchte meine Religion ändern.
Ich habe all meine Fluchtgründe genannt.“
Bezüglich Rückkehrbefürchtungen im Herkunftsstaat befragt, führte der BF aus:
„Ich werde dort bestimmt umgebracht. Wenn mich 10-15 Menschen lynchen, wird die Polizei nichts machen können.“
2. Anlässlich einer niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am 04.03.2021 gab der BF zu seinen persönlichen Verhältnissen zu Protokoll, er stamme aus der Provinz Punjab, Distrikt XXXX , Ort XXXX in Indien. Er sei gesund und leide an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Seine Eltern würden sich nach wie vor in XXXX aufhalten, er habe aber derzeit keinen Kontakt zu ihnen. Mit der Mutter habe er ein gutes Verhältnis. Mit dem Vater habe er – wegen seiner Absichten zum Christentum zu konvertieren – ein schlechtes Verhältnis. Sein Vater habe ihm gesagt, dass ihn diese Leute umbringen würden, nur deswegen habe er ein schlechtes Verhältnis zu ihm. Seine Eltern würden in einem Eigentumshaus leben. Der BF habe Ingenieurswissenschaften am XXXX studiert. Er habe einen Bachelorabschluss. In Indien habe er nicht gearbeitet, sondern nur studiert. Seine Eltern hätten ihn finanziert. Er habe bisher keine richtige Arbeit gehabt, nur Reklame verteilt. Seinen Aufenthalt im Herkunftsstaat habe er durch Unterstützung seiner Eltern finanziert. Er habe auch bei seinen Eltern gelebt. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. Er gehöre der Volksgruppe der Bhagat und der Religion des Hinduismus an. Seine Muttersprache sei Punjabi, er spreche auch Hindi und Englisch.
Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, er verteile Reklame und bekomme 15 € am Tag. Er sei seit 22.10.2020 durchgehend in Österreich. Eine Deutschprüfung habe er nicht absolviert und gehöre er auch keinem Verein oder Organisation an. Mit dem Geld aus der Reklameverteilung zahle er sein Essen und seine Miete. Er habe hier keine Familienangehörigen, führe in Österreich kein Familienleben und keine familienähnliche Beziehung. Eine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit zu in Österreich lebenden Personen bestehe nicht.
Zur Reise nach Österreich gab er an, er habe Indien mittels Visum und Reisepass legal nach Russland verlassen und sei schlepperunterstützt und unrechtmäßig am 22.10.2020 nach Österreich gereist. Den Reisepass habe ihm der Schlepper abgenommen. Befragt, wie er die Ausreise finanzieren habe können, gab der BF an, seine Eltern hätten ihm geholfen, er gehöre einer wohlhabenden Familie an. Auf die Frage, ob er von heimatlichen Behörden, Polizei, Gerichten oder der Staatsanwaltschaft gesucht werde, führte der BF aus, dass ihn die Polizei nicht suche, er aber 2017 eine Beschwerde eingebracht habe und die Polizei nicht tätig geworden sei, obwohl diese Leute hinter ihm her seien.
Zu seinem Fluchtgrund brachte der BF vor (F: Frage des Leiters der Amtshandlung, A: Antwort des BF):
„(…)
F: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie mir bitte Ihre Fluchtgründe!
A: Ich bin ein menschliches Wesen. Ich möchte Christ werden und nur weil ich drei oder viermal in die Kirche ging, haben mich diese Leute angegriffen. Ich möchte so leben können wie ich will und das geht in Österreich. Zweimal haben diese Leute mein zuhause angegriffen, einmal habe ich mich entschuldigt und gesagt, dass ich dort in die Kirche nicht mehr hingehe. Ich bin nach diesen zwei Angriffen geflohen. Ich bin auch 2017 einmal geflohen war aber noch innerhalb von Indien, das war am 25.06.2017. Meine Eltern haben sich bei der Polizei beschwert und diese aufgefordert mich zu suchen. Die Polizei fand mich und brachte mich nach Hause, ich habe mich bei den Eltern und diesen Leuten entschuldigt und gesagt, dass ich nicht mehr in die Kirche gehen werde. Meine Freunde sind Christen, und die Freundin die ich hatte, war auch Christin. Ich mochte es. Ich bin dann ein bis eineinhalb Jahre nicht in die Kirche gegangen und meine Freundin hat mich auch verlassen. Dann habe ich damit 2019 wieder begonnen. Dann sind diese Leute wieder zu uns nach Hause gekommen und drohten mir mit dem Tod. Mein Vater war wütend auf mich, dann hat meine Mutter gesagt, hör auf damit, ich habe es versucht aber mein Herz möchte dorthin. Nachdem diese Leute 2020 meiner Familie aufforderten, dass sie mich wegschicken soll und sie mich ansonsten umbringen werden, hat mein Vater das Geld gesammelt und mich weggeschickt. 2017 drohten diese Leute nur mit Taten und 2020 mit meinem Tod. Ich bin dann hierhergekommen.
F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
A: Nein.
F: Seit wann interessieren Sie sich für das Christentum?
A: 2016.
F: Waren Sie in Indien ein religiöser bzw. spiritueller Mensch?
A: Um ehrlich zu sein, wollte jeder Mensch nur seinen Spaß, mir sagte man ich soll meine eigene Religion ausleben aber nachdem meine Freunde und meine Ex Freundin mit mir sprachen, habe ich begonnen es zu mögen. Vor 2016 habe ich nur das mitbekommen was mir meine Eltern über die Religion sagten und danach habe ich erfahren, dass auch diese Religion gut ist. Ja, ich war in Indien ein religiöser Hindu aber danach habe ich mit dem Christentum beschäftigt.
F: Haben Sie sich mit den theologischen Grundlagen des Hinduismus näher beschäftigt?
A: Ich weiß nur die Geschichte der Hinduismus, aber ich weiß über Rumain Bescheid und was passiert ist.
F: Weshalb haben Sie sich dazu entschlossen Christ zu werden?
A: Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich mit meiner Ex Freundin zusammen war und ich sonntags mit ihnen in die Kirche gegangen bin und es mir gefiel. Als Kind ging ich mit meinen Eltern nur in den Tempel.
F: Was ist Ihrer Meinung nach der ausschlaggebende Grund, dass Sie sich als Christ fühlen bzw. beabsichtigen zum Christentum zu konvertieren?
A: Weil meine Freunde und meine Ex Freundin Christen waren und ich es mag in die Kirche zu gehen.
F: Beschreiben Sie mir bitte Ihren gesamten Gedankenprozess hinsichtlich Ihrer Konversion – führen Sie mir Ihre gesamten Überlegungen bis hin zu Ihrer innerlichen Überzeugung an!
A: Ich habe es bei der Polizeistation gesagt und sage es auch hier, ich habe oft mit meinem Freunden und meiner Ex Freundin Spaß machte und sagte, komm doch mal mit mir in den Tempel mit, weil ich Hindu bin. Nachher haben meine Freunde gesagt, komm doch du einmal in die Kirche mit und als ich dort war, hat es mir gefallen. Mit hat es gefallen, dass man die Schuhe oder die Sandalen nicht ausziehen hat müssen und dort kommt es nur darauf an, was man sich wünscht und das man betet, nicht ob man Schuhe anhat oder nicht. Als ich in den Tempel ging, gefiel es mir, aber nun gefällt es mir in die Kirche zu gehen.
F: Leben Sie den christlichen Glauben in Österreich schon aus?
A: Jetzt wegen des Lockdowns ist alles geschlossen aber ich war mit einem Freund im 14. Bezirk bei einer Kirche, sie war wegen des Lockdowns geschlossen.
F: Welche Konfessionen innerhalb des Christentums kennen Sie?
A: Keine. Das weiß ich nicht.
F: Was können Sie über diese Kirche erzählen, die Sie mit Ihrem Freund in Österreich besucht haben?
A: Es war schon geschlossen. Mir gefällt einfach nur das man hineingeht, sich etwas von Herzen wünscht und betet und das wars.
F: Haben Sie sich mit der Bibel beschäftigt, haben Sie aus der Bibel gelesen, kennen Sie bestimmte Kapitel?
A: Nein, dazu weiß ich gar nichts.
F: Welche Botschaft vermittelt denn das Christentum?
A: Ich habe Ihnen schon gesagt, mir gefällt es in die Kirche zu gehen, ich hätte von Google alles auswendig lernen können, aber ich wollte das nicht.
F: Welche Konfession innerhalb des Christentums interessiert Sie denn? Wohin möchten Sie denn konkret konvertieren?
A: Ich werde mich erst über die Konfessionen im Christentum erkundigen und dann werde ich es Ihnen sagen.
F: Was können Sie mir über diese Leute erzählen, welche Sie mit dem Tod bedroht haben, weil Sie eine Kirche besucht haben?
A: Das waren Hindus.
F: Mehr können Sie mir dazu nicht sagen?
A: Nein.
F: Haben Sie eine Anzeige bei der Polizei gelebt?
A: Das habe ich Ihnen bereits gesagt, auch wenn 10 oder 15 Personen mich schlagen was soll ich dann noch tun. Ich habe keine Anzeige gestellt, meine Eltern haben aber eine Vermisstenanzeige gelegt.
F: Wann wurden Sie zuletzt bedroht und wann haben Sie Indien verlassen?
A: Am 13.10.2020 bin ich von Indien mit dem Flugzeug ausgereist.
F: Wann wurden Sie zuletzt bedroht und wie?
A: 15 bis 20 Tage vor meiner Ausreise in Oktober. Befragt gebe ich an, dass meine Eltern mich angerufen haben und gesagt haben, ich solle nicht nach Hause kommen, weil Leute gekommen sind und gedroht haben.
F: Wie wurden Sie denn bisher in Indien bedroht oder verfolgt. Machen Sie bitte konkrete Angaben.
A: Sie kamen zu uns nach Hause.
F: Können Sie dazu noch etwas berichten?
A: Nein.
F: Haben Sie weitere Fluchtgründe?
A: Nein.
F: Laut den aktuellen Länderberichten des BFA Staatendokumentation zu Indien leben Christen im gesamten Land. Es besteht keine staatliche Verfolgung der Christen in Indien und können Sie demnach auch innerhalb des Landes eine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen oder um staatlichen Schutz im Falle einer tatsächlichen Konversion zum Christentum ansuchen. Nehmen Sie bitte dazu Stellung!
A: Ja, ich stimme dem zu, dass Christen keiner Gefahr ausgesetzt sind, aber wenn jemand von Hinduismus zum Christentum wechselt, die Hindus das nicht gutheißen werden.
F: Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020). Nehmen Sie bitte dazu Stellung.
A: Das verstehe ich nicht.
F: Sie werden hiermit auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Möchten Sie Ihre Fluchtgründe ergänzen?
F: Alles was ich vorgebracht habe ich bereits protokolliert, es gibt nichts mehr.
F: Können Sie an einem anderen Ort in Ihrem Herkunftsstaat Unterkunft beziehen?
A: Nein. Ich bin 2017 geflohen und die Polizei hat mich ausfindig gemacht.
F: Was befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Indien?
A: Wegen der zuletzt getätigten Drohung habe ich Angst, dass sie mich umbringen werden.
(…)“
3. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Das BFA stellte im Wesentlichen fest, dass der BF indischer Staatsangehöriger sei, sich zum Hinduismus bekenne und der Volksgruppe der Bhagat angehöre. Seine Identität stehe nicht fest. Er habe Ingenieurswissenschaften studiert und einen Bachelorabschluss. Der BF stamme aus dem Bundesstaat Punjab, Bezirk XXXX , Dorf XXXX , seine Eltern würden nach wie vor dort leben. Sein Fluchtvorbringen, wonach er aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertieren wolle, sei nicht glaubhaft. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private ausgesetzt gewesen sei oder in Zukunft zu befürchten habe. Er verfüge in Indien über ein familiäres Netzwerk und sei arbeitsfähig. Der BF führe in Österreich kein Familienleben, verfüge nur über elementare Deutschkenntnisse und sei nicht Mitglied eines Vereines oder einer Organisation.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde, worin geltend gemacht wurde, dass der BF als Angehöriger der religiösen Gruppe der Hindus in Indien aufgewachsen sei und aufgrund seines Interesses am Christentum und seinen Absichten seine Religion zu wechseln sowie seiner Freundschaft zu Christen verfolgt werde. Er werde von Angehörigen der hindunationalistischen, rechtsextremen Partei „ XXXX “ bedroht, sei 2 Mal zu Hause aufgesucht worden, wobei es ihm beim ersten Besuch gelungen sei, den Mob zu beschwichtigen, beim zweiten Besuch sei er nicht zu Hause gewesen. Von Seiten des hinduextremistischen Mobs seien Todesdrohungen gegen den BF ausgestoßen worden. Der BF sei aus Angst um sein Leben aus seinem Herkunftsland geflüchtet, da die XXXX in ganz Indien aktiv und vernetzt sei und ihm daher keine IFA offenstehe. Die Behörde habe mangelhaft ermittelt und unvollständige, allgemeine bzw. veraltete Länderberichte verwendet, welche nicht auf die konkrete Situation des BF eingehen würden. Die Situation der Christen werde in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung gänzlich außen vorgelassen, obwohl sie die zunehmende Verfolgung von Christen und speziell von Konvertiten sowie das Bestehen von Gesetzen, die Konversion verbieten, bestätigen würden. Es wurde auf diverse Berichte (von Mai 2020 und aus den Jahren 2018 und 2019) betreffend die Konversion zum Christentum und gewaltsame Vorfälle gegen Christen in Indien verwiesen. Der BF habe in der Erstbefragung angegeben, von der XXXX verfolgt zu werden, die Behörde habe zu dieser Partei aber keine Ermittlungen angestellt und die Gefahr, welche durch diese Partei ausgehe, nicht in ihre Beweiswürdigung aufgenommen. Wikipedia beschreibe diese Partei als extremistisch-hindunationalistisch und historisch verantwortlich für massive politische Gewalt. Hätte sich die Behörde mit der XXXX auseinandergesetzt, hätte sie erkannt, dass alleine durch die Radikalität und den Organisationsgrad der Partei dem BF in seiner Heimatprovinz sowie im restlichen Indien asylrelevante Verfolgung drohe. Das BFA hätte zum Schluss kommen müssen, dass das Vorbringen des BF mit den Länderberichten im Einklang stehe und ihm im Falle einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung drohe. Zudem hätte festgestellt werden müssen, dass dem BF aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage eine Verletzung in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK drohe. Das BFA habe auch keine Feststellungen zu einer IFA getroffen. Es sei nicht festgestellt worden, wo der BF Schutz finden könne. Die Behörde treffe auch keine eindeutigen Feststellungen bezüglich der vorgebrachten Verfolgung und werde keine ganzheitliche Würdigung des Vorbringens vorgenommen. Soweit das BFA ausführe, dass der BF nur über wenig konkretes Wissen über christliche Inhalte verfüge und sein Beweggrund für eine Konversion nicht nachvollziehbar sei, sei zu bemerken, dass der BF sich lediglich stark vom Christentum angezogen fühle und er sich erst am Beginn seines Konversionsprozesses befinde. Bereits der Anschein einer Konversion genüge um eine Verfolgung durch hindunationalistische Fanatiker auszulösen, welche ihn mit dem Tode bedroht hätten. Das BFA habe den BF auch nicht hinreichend zur Regelmäßigkeit der Drohungen und deren Intensivierung befragt. Er sei auch nicht dazu befragt worden, ob er vor dem Entschluss das Land zu verlassen, über eine IFA nachgedacht habe. Hierbei hätte der BF angeben können, dass er dies mehrmals überlegt habe, dann jedoch verworfen habe, da ihn Anhänger der XXXX überall finden könnten. Ein Abgleich der einschlägigen Länderberichte zum konkreten Fluchtvorbringen des BF sei der Beweiswürdigung nicht zu entnehmen. Hätte die Behörde dies gemacht, hätte sie festgestellt, dass das Vorbringen des BF in den Länderberichten Deckung finde und somit objektiv glaubwürdig sei. Auch die IFA sei nicht begründet worden. Es seien keine Überlegungen zum konkreten Ort, einem bestimmten Gebiet und der dortigen Sicherheitslage und wirtschaftlichen Lage sowie zur Erreichbarkeit des Ortes/Gebietes angestellt worden. Die Zumutbarkeit der IFA sei nicht entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur geprüft worden. Dem BF drohe in erster Linie Verfolgung durch Hindunationalisten in Zusammenspiel mit deren Kontakten zur XXXX aufgrund seiner angestrebten bzw. angenommenen Konversion zum Christentum. Er würde – wie aus den Länderberichten ersichtlich sei – keinen effektiven staatlichen Schutz vor der ihm drohenden Verfolgung in Indien erhalten. Er werde in Indien daher auf religiösen und politischen Gründen verfolgt. Dem BF stehe keine IFA offen, da er im gesamten Staatsgebiet eine Verfolgung befürchten müsse. Zudem bestehe die Gefahr, dass er als Konvertit zum Christentum im Falle einer Rückkehr, vor allem in von Hindus dominierten Gebieten in eine existenzielle Notlage geraten würde. Der BF sei als einer in Konversion befindlicher Mensch bzw. als Person, der eine bereits abgeschlossene Konversion unterstellt werde, besonders gefährdet. Dem BF hätte daher zumindest der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen. Weiters sei die Interessensabwägung der Behörde mangelhaft und sei das BFA zu Unrecht zum Schluss gelangt, dass die Verhängung einer Rückkehrentscheidung zulässig sei. Abschließend wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des BF und zum Verfahrensgang:
Der BF ist Staatsangehöriger von Indien, der Volksgruppe der Bhagat sowie der Glaubensrichtung des Hinduismus zugehörig. Er führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX ; seine Identität steht nicht fest. Die Muttersprache des BF ist Punjabi, er spricht auch Hindi und Englisch. Der BF ist ledig und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Er ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF hat mit seinen Eltern im Dorf XXXX , im Bundesstaat Punjab gelebt. Er hat in Indien eine umfassende Schulbildung genossen und einen Bachelorabschluss in Ingenieurswissenschaften erlangt. In Indien hat der BF Familienangehörige in Form seiner Eltern, welche nach wie vor im Heimatdorf XXXX leben.
Der BF reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.10.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Seitdem hält er sich im Bundegebiet auf. Er verfügt im Bundesgebiet über keinerlei Familienangehörige oder intensive soziale Kontakte und weist keine nennenswerten Deutschkenntnisse auf. Er geht keiner legalen Arbeit nach und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.
Im Strafregister des BF scheint keine Verurteilung auf.
1.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:
Die seitens des BF im Zuge des Verfahrens vorgebrachten Fluchtgründe sind nicht glaubhaft. Es ist nicht glaubwürdig, dass der BF aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertieren möchte. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.
1.3. Zur Situation in Indien sowie einer möglichen Rückkehr des BF dorthin:
Der BF läuft nicht konkret Gefahr, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.
1.4. Zum Herkunftsstaat wird auf folgende Feststellungen des BFA verwiesen:
COVID-19
Letzte Änderung: 22.10.2020
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten. Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen in Kleinstädten und ländlichen Gebieten, wo der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden ist (WKO 10.2020). Durch die COVID-Krise können Schätzungen zu Folge bis zu 200 Mio. in die absolute Armut gedrängt werden. Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten, wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Pandemie und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).
Quellen:
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien
? WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdfhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.10.2020
Politische Lage
Letzte Änderung: 23.10.2020
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 5.10.2020; vgl. AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 11.3.2020). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 2.2020a).
Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 2.2020a; vgl. AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 8.2020a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9.2020a). Indien hat eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2020a).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 11.3.2020). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 8.2020a).
Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).
Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic Alliance (NDA)“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS, fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 8.2020a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).
Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion Neu Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).
Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Großmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (BICC 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 8.2020a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (BICC 7.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 06.11.2020
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 8.2020a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 7.2020). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 7.2020).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020) und der und im von separatistischen Gruppen bedrohten Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (SATP 8.10.2020). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).
Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 4.3.2020). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. 2020 wurden bis zum 1.11. insgesamt 511 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 1.11.2020).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).
Indien und Pakistan
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 12.2019; vgl. BBC 23.1.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).
Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 12.2019). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 12.2019). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14.2.2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).
Indien und China
Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Zusammenstöße entlang der „Line of Actual Control (LAC)“, der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin forderten am 15.6.2020 in den ersten Vorfällen seit 45 Jahren mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in den letzten Monaten gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr als 3.400 Kilometer langen Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 7.2020).
Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020). Bestimmender Faktor des indischen Verhältnisses zu China ist das immer wieder auch in Rivalität mündende Neben- und Miteinander zweier alter Kulturen, die heute die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt sind. Das bilaterale Verhältnis ist von einem signifikanten Ungleichgewicht zu Gunsten Chinas gekennzeichnet (BICC 7.2020).
Indien und Bangladesch
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 8.2020a). Darüber hinaus bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 7.2020).
Indien und Sri Lanka
Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis, das durch den mittlerweile beendeten Bürgerkrieg auf Sri Lanka zwischen der tamilischen Minderheit und singhalesischen Mehrheit stark beeinflusst wurde. Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 8.2020a).
Quellen:
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? BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 20.10.2020
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https://www.fidh.org/en/region/asia/india/china-india-pakistan-de-escalate-tensions-along-border-lines-and-seek, Zugriff 22.7.2020
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? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien
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Jammu und Kaschmir
Letzte Änderung: 05.11.2020
Indien hat am 5.8.2019 den in der Verfassung festgelegten Sonderstatus (ZO 6.8.2019) der mehrheitlich muslimischen Region (FAZ 6.8.2019; vgl. GIZ 8.2020a) des indischen Teils von Kaschmir per Dekret beendet (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020, ZO 6.8.2019). Unmittelbar darauf hat das Parlament in Delhi die Aufhebung jenes Artikels 370 der indischen Verfassung beschlossen (FAZ 7.8.2019), welcher Jammu und Kaschmir einen Sonderstatus einräumt und vorgeschlagen, den Staat in zwei Unionsterritorien, nämlich Jammu und Kaschmir sowie Ladakh aufzuteilen (IT 6.8.2019). Der Artikel 370 gewährt der Region eine gewisse Autonomie, wie eine eigene Verfassung, eine eigene Flagge und die Freiheit, Gesetze (BBC 6.8.2019) mit Ausnahme zu Belangen der Außen- wie auch der Verteidigungspolitik (DS 7.8.2019) zu erlassen. Dies stellte einen Kompromiss zwischen der zu großen Teilen muslimischen Bevölkerung und der hinduistischen Führung in Neu-Delhi dar (ARTE 7.8.2019). Neben dem Artikel 370 wurde auch der Artikel 35A aufgehoben, welcher dem lokalen Parlament erlaubte festzulegen, wer Bürger des Teilstaats ist und wer dort Land besitzen und Regierungsämter ausüben kann (NZZ 5.8.2019).
Die auch in Indien umstrittene Aufhebung der Autonomierechte befeuert die Spannungen in der Region. Kritiker befürchten, dass der hindunationalistische Ministerpräsident Narendra Modi und seine Regierung eine 'Hinduisierung' des Gebiets anstreben (TNYT 6.8.2019). Zur Verhinderung von Unruhen haben die indischen Behörden sämtliche Kommunikationskanäle unterbrochen und zusätzlich 10.000 Soldaten (SO 4.8.2019) in die ohnehin hoch militarisierte Region entsendet (ARTE 7.8.2019) und führende Regionalpolitiker wurden unter Hausarrest gestellt (FAZ 7.8.2019). Die Rücknahme des verwaltungsrechtlichen Sonderstatus des Bundesstaates Jammu und Kaschmir ist mit zahlreichen Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen einhergegangen (RLS 1.2020).
Jammu und Kaschmir gehörten 2018 zu den am stärksten vom Terrorismus betroffen Bundesstaaten in Indien (USDOS 1.11.2019). Militante Gruppen in Jammu und Kaschmir kämpfen weiterhin gegen Sicherheitskräfte, kaschmirische Einrichtungen und lokale Politiker, die sie für "Statthalter" und "Kollaborateure" der indischen Zentralregierung halten. Überläufer zur Regierungsseite und deren Familien werden besonders grausam 'bestraft'. Die Zahl der als terroristisch eingestuften Vorfälle in Jammu und Kaschmir hat nach einem rückläufigen Trend im Jahr 2015 in den Jahren 2016 und 2017 zugenommen (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.4.2020).
Bei einem Selbstmordanschlag (TOI 15.2.2019) auf indische Sicherheitskräfte im Gebiet von Goripora bei Awantipora im Distrikt Pulwama in Kaschmir wurden am 14.2.2019 mindestens 44 Menschen getötet. Dutzende wurden verletzt (TOI 15.2.2019; vgl. IT 15.2.2019). Die in Pakistan ansässige Jaish-e-Mohammed Gruppe übernahm für den Angriff die Verantwortung. Als Vergeltungsschlag flog die indische Luftwaffe einen Luftangriff auf pakistanisches Hoheitsgebiet außerhalb des pakistanischen Teils Kaschmirs und somit auf unbestritten pakistanisches Gebiet. Über die Anzahl und Zugehörigkeit der Todesopfer gab es sehr divergierende Angaben (ÖB 9.2020).
In Indien bleibt das zentrale Ziel islamistischer Fundamentalisten die Abspaltung Kaschmirs. Im Einklang mit der Dschihad-Ideologie sehen sich viele islamistische Gruppierungen zudem im Krieg gegen alle Ungläubigen und streben die gewaltsame Islamisierung des gesamten Subkontinents an. Befördert wird der Konflikt durch die anhaltende wirtschaftliche Benachteiligung und Diskriminierung vieler Muslime (BPB 12.12.2017).
In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015). Das Gesetz über Sondervollmachten der Streitkräfte (AFSPA) räumt dem Militär weitreichende Befugnisse im Rahmen von Operationen zu Aufstandsbekämpfungen, tödlichen Schusswaffengebrauch, erweiterte Festnahmebestimmungen und Beschlagnahmungen, bei gleichzeitiger Immunität vor Strafverfolgung ein. Zwar wird von den Sicherheitsbehörden behauptet, dass die Truppen solche Befugnisse benötigen, doch erklärt der Oberste Gerichtshof dass solche Gewaltanwendungen selbst Gebieten die im Rahmen des AFSPA zu Unruheregionen erklärt wurden, nicht zulässig sind (HRW 14.8.2020). Nach Bekanntwerden des Todes eines im Polizeigewahrsam befindlichen Terrorverdächtigen brachen am 23.9.2020 Proteste aus. Zuvor war es am 17.9.2020 zu einem größeren Protest in Srinagar gekommen, als Reaktion auf einen Militäreinsatz, bei dem drei mutmaßliche Rebellen und eine Frau getötet worden waren (BAMF 28.9.2020). Um große Menschenansammlungen zu verhindern werden Begräbnisse mutmaßlicher Aufständischer staatlicherseits in entlegenen Waldgebieten auch unter Ausschluss der Familienangehörigen durchgeführt (BAMF 28.9.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 267 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in der Region Jammu und Kashmir. Im Jahr 2017 wurden 357 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 452 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 283 Todesopfer registriert. Im Jahr 2020 wurden bis zum 1.11. insgesamt 285 Todesfälle durch terroristische Gewaltanwendungen aufgezeichnet [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 1.11.2020).
Die 1997 eingesetzte staatliche Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir hat kaum Wirkungen entfaltet. Insbesondere hat sie keine Möglichkeit, Übergriffe von Armee und paramilitärischen Kräften zu untersuchen (ÖB 9.2020). Im Juli 2019 veröffentlichte das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) einen Bericht, der die Menschenrechtsverletzungen in der Kaschmir-Region im Zeitraum Mai 2018 bis Juni 2019 hervorhob und ein ähnliches Dokument aus dem Jahr 2018 aktualisierte. In dem Bericht werden die exzessive und außergerichtliche Gewalt, welche von indischen Sicherheitskräften ausgeübt wurde, verurteilt und die Weigerung der indischen Regierung, die gemeldeten Verletzungen zu untersuchen, kritisiert (OHRC 8.7.2019; vgl. AI 30.1.2020). Im September 2019 äußerte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte ihre Besorgnis über die Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir und forderte Indien auf, die andauernden Beschränkungen aufzuheben und die Rechte und Grundfreiheiten der betroffenen Bevölkerung zu wahren. In einer Sonderdebatte des Europäischen Parlaments wurde zudem eine Sonderdebatte über Kaschmir abgehalten, in der sowohl Indien als auch Pakistan nachdrücklich aufgefordert wurden, ihre internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten (HRW 14.1.2020).
Die angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan entlädt sich immer wieder in Grenzgefechten, welche oft zu eskalieren drohen (BICC 7.2020). Im östlichsten Teil der Kaschmir-Region zeichnet sich möglicherweise eine friedliche Einigung zwischen Indien und China ab, nachdem im Mai 2020 Truppenbewegungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee bis in das angrenzende, indisch kontrollierte Ladakh festgestellt worden sind. Zusammenstöße entlang der "Line of Actual Control (LAC)" forderten mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite. Laut einer offiziellen Stellungnahme vom 5.6.2020 wollen beide Länder die Situation friedlich deeskalieren und eine gemeinsame Grenzlösung finden (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebung