Entscheidungsdatum
09.06.2021Norm
AsylG 2005 §56Spruch
W159 1434709-3/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.04.2021 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und die Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 56 AsylG wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX auf Dauer unzulässig ist. XXXX wird gemäß § 56 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchteile II. bis IV. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Sayed, stellte nach irregulärer Einreise am 18.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.04.2013 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 12.04.2014 erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde ausgeführt, dass dem zum damaligen Zeitpunkt 16-jährigem Beschwerdeführer „wegen fehlender substantieller familiärer Anknüpfungspunkte als Jugendlicher“ subsidiärer Schutz gewährt werde.
Eine gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 12.04.2013 erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht vom 25.08.2016, XXXX , als unbegründet abgewiesen.
Über Antrag des Beschwerdeführers wurde die Gewährung des subsidiären Schutzes mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2014 bis zum 12.04.2016 und mit Bescheid vom 28.12.2016 bis zum 12.04.2018 verlängert. Der Beschwerdeführer stellte am 03.04.2018 einen weiteren Verlängerungsantrag.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 14.12.2018 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des BAA vom 12.04.2013 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und der Antrag vom 03.04.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ferner sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen wird (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wird, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters legte sie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht eine Beschwerde.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.06.2019, Zl. XXXX wurde die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.04.2019 als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
Mit Eingabe vom 25.07.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 Abs. 1 AsylG. Der Beschwerdeführer legte weiters ein Deutschzertifikat A2 sowie ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung und einen Mietvertrag vor.
Am 10.09.2019 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich. Der Beschwerdeführer gab an, dass er in Afghanistan in der Provinz Parwan geboren sei, aber schon im Alter von einem Jahr mit der Mutter nach Teheran in den Iran übersiedelt sei. Dort habe er keine Schule besucht und sei er mit ca. 15 Jahren nach Österreich gekommen. Ca. eineinhalb Jahre sei er auch in Griechenland gewesen. Seine Eltern würden im Iran leben, ebenso seine vier Geschwister, mit denen er Kontakt habe. Er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. Er spreche Dari, Farsi und etwas Deutsch. Die A2-Prüfung habe er geschafft, B1 nicht, aber er habe den Pflichtschulabschluss. Er habe in Österreich gearbeitet, derzeit sei er jedoch arbeitslos und bekomme auch kein Arbeitslosengeld. Er könne sich auch nicht zur Arbeitssuche anmelden, weil er keinen Aufenthaltstitel habe. Er lebe von seinen Ersparnissen und werde von afghanischen Freunden unterstützt. In seiner Freizeit mache er zuhause Fitness, früher sei er auch in einem FitnessClub gewesen. Er spiele Fußball und gehe mit Freunden spazieren. Weiters lerne er zuhause. In Vereinen oder ehrenamtlich sei er nicht tätig. Er sei gesund.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 18.11.2019, Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen abgewiesen, unter Spruchpunkt II. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt III. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und unter Spruchpunkt IV. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.
In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang sowie die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebene Einvernahme dargestellt und die Beweismittel aufgelistet. Festgehalten wurde insbesondere, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig gewesen sei, davon mehr als drei Jahre rechtmäßig. Er lebe derzeit von der Grundversorgung und sei über diese auch versichert. Er sei strafrechtlich unbescholten, es würden sich allerdings Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex wiederfinden. In der Folge wurden Feststellungen zu Afghanistan getroffen. Nach beweiswürdigenden Überlegungen wurde zu Spruchteil I. rechtlich ausgeführt, dass von einem besonders hohen Integrationsgrad nicht die Rede sein könne, der Beschwerdeführers insgesamt nur sechs Monate geringfügig und sechs Monate Vollzeit gearbeitet habe und auch sonst keine besondere Integration feststellbar sei. Zu Spruchpunkt II. wurde zunächst festgehalten, dass der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen oder besonders enge Beziehungen im Bundesgebiet habe. Der Pflichtschulabschluss könne zwar als gewisses Maß an Integration gewertet werden, insgesamt sei jedoch keine besonders starke Integration festzustellen. Er sei auch in einer aus Afghanistan stammenden Familie aufgewachsen und entsprechend sozialisiert worden und sei er mit den kulturellen Gepflogenheiten und Besonderheiten seines Heimatlandes bestens vertraut. Es sei daher kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen und eine Rückkehrentscheidung zulässig. Zu Spruchpunkt III. wurde zunächst hervorgehoben, dass auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis vom 04.06.2011 dargelegt habe, dass sich im vorliegenden Fall keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG ergebe und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegen stehe, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei. Auch Gründe für eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise wären nicht hervorgekommen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch die XXXX , fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in welcher zunächst der Sachverhalt und der bisherige Verfahrensgang gerafft wiedergegeben wurde. Hervorgehoben wurde, dass bei der kurzen Beschäftigung vom BFA hervorgehobenen Beschäftigungsdauer die Behörde verkenne, dass der Beschwerdeführer umfassende Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen in Angriff genommen habe und, obwohl er als Analphabet eingereist sei, mittlerweile den Pflichtschulabschluss erfolgreich nachgeholt habe, wobei er auch bis zur Zustellung des BVwG-Erkenntnisses unselbständig erwerbstätig gewesen sei. Anschließend sei es ihm nicht mehr möglich gewesen, legal in Österreich zu arbeiten. Der Beschwerdeführer habe afghanische und österreichische Freunde, mit denen er auch seine Freizeit verbringe und habe während seiner Pflichtschulzeit selbstredend viele soziale Kontakte geknüpft und sei hier in Österreich sozial verankert. Der Beschwerdeführer sei jedenfalls im Falle des Zugangs zum Arbeitsmarkt in vollem Umfang selbsterhaltungsfähig, daher erfülle er insgesamt die Voraussetzungen des § 56 AsylG und sei auch die inhaltliche Erlassung einer Rückkehrentscheidung unrichtig. Schließlich wurde auch die nochmalige Einvernahme des Beschwerdeführers in einer Beschwerdeverhandlung beantragt.
Die Beschwerdeführervertretung übermittelte mit Datum 02.03.2021 einen ergänzenden Schriftsatz, in dem nach Wiederholung des bisherigen Vorbringens ein aufschiebend bedingter Dienstvertrag der XXXX vorlegte, wodurch seine Selbsterhaltungsfähigkeit gesichert wäre.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 15.04.2021 an, zu der sich die Behörde erster Instanz entschuldigen ließ. Der Beschwerdeführer legte eine Vollmacht der XXXX vor, welche auch eine Vertreterin zur Beschwerdeverhandlung entsandte. Diese legte nochmals einen Arbeitsvorvertrag mit dem XXXX , eine Nutzungsvereinbarung über die Wohnung XXXX , sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs vor.
Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und wollte dieses weder ergänzen noch korrigieren. Er sei afghanischer Staatsbürger, besitze aber darüber keine Dokumente. Er sei schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Sayed an. Nach der Vermutung seiner Mutter sei er am XXXX im Dorf XXXX in der Provinz Parwan in Afghanistan geboren. Sein leiblicher Vater sei schon verstorben, seine Mutter und sein Stiefvater würden im Iran in XXXX leben. Als er ein Jahr alt gewesen sei, habe er Afghanistan mit seiner Mutter verlassen, habe 15 Jahre im Iran gewohnt und zwei Jahre in Griechenland. Anschließend sei er nach Österreich gekommen. Seit er Afghanistan als Baby verlassen habe, sei er nicht mehr in Afghanistan gewesen. Er habe dort auch weder Familienangehörige noch Verwandte. Diese würden alle im Iran leben. In Österreich habe er auch keine Verwandte. Er sei auch mit niemandem mehr in Afghanistan in Kontakt. Im Iran habe er keine Schule besuchen können. Seine Mutter habe mit ihm zuhause gelernt. Seine Geschwister würden auch alle im Iran leben. Er habe vier Schwestern, eine sei verheiratet und drei würden nach wie vor bei seiner Mutter leben. Er selbst sei auch nicht verheiratet. Er habe im Iran als Schuhverkäufer, Straßenhändler und als Hilfsarbeiter gearbeitet. Schon im Alter von zehn Jahren habe er begonnen, zu arbeiten. Bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan könnten ihn seine Familienangehörigen aus dem Iran nicht unterstützen. Hingegen habe er seiner Mutter, als er in Österreich gearbeitet habe, Geld geschickt.
Gesundheitliche oder psychische Probleme habe er nicht. In Österreich dürfe er derzeit nicht arbeiten. Er habe sich aber für einen Boxverein angemeldet. Kämpfe habe er noch keine geboxt. Derzeit bekomme er Grundversorgung. Er habe den Pflichtschulabschluss und Deutschdiplome bis A2 bereits vorgelegt. Die Rechtsvertreterin führte aus, dass der Pflichtschulabschluss als B1-Diplom zähle. Weiterführende Schulen habe er nicht besuchen können, auch eine Lehre habe er nicht beginnen können. Er könnte aber jetzt bei dem XXXX im Büro zu arbeiten beginnen. Den österreichischen Führerschein habe er noch nicht. Er lebe derzeit mit einem Kollegen in einer Wohnung. Kinder habe er noch keine. In Österreich habe er in einem Lager gearbeitet, sowie als Reinigungskraft. Dann habe er auch in Wien bei der Firma XXXX als Regalbetreuer gearbeitet. Er verfüge über eine Krankenversicherung. Die Wohnung, in der er lebe, sei eine Mietwohnung. Er sei der Mitbewohner. Die Wohnung sei ca. 80 m2 groß. Außer ihm würden noch zwei Leute wohnen. Er sei Mitglied beim XXXX . Mit den Leuten vom Verein treffe er sich auch außerhalb. Sie würden auch Fußball spielen gehen und spazieren. Er habe viele österreichische Freunde, er habe sich bereits in die österreichische Gesellschaft, integriert, die Menschen seien hier gut. Gleichheit und Gerechtigkeit sei hier sehr wichtig.
In Afghanistan könnte er hingegen nicht leben. Afghanistan hätte Probleme mit Corona. Er könnte dort keine Arbeit finden. Er habe mit niemandem Kontakt. Es wäre wahnsinnig schwer für ihn. Über Vorhalt, dass er jung, gesund und arbeitsfähig sei und gewisse Schulbildung und Berufserfahrung habe, ob er sich nicht in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen könne, gab er an, dass er, seit er ein kleines Kind gewesen sei, nicht mehr in Afghanistan gewesen sei. Er wisse auch nicht, wie man dort lebe. Die Städte in Afghanistan wären auch nicht gleich.
Gefragt nach den Vornamen seiner Eltern gab er diese mit XXXX und XXXX an. Über Vorhalt des Strafregisterauszuges, der den Namen und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers trage, sei jedoch festzuhalten, dass jene Person, auf die sich der Strafregisterauszug beziehe in XXXX , Pakistan geboren sei und die Eltern XXXX und XXXX heißen würden und sich daher dieser Strafregisterauszug, in dem eine Verurteilung nach § 27 SMG aufscheine, offenbar nicht auf den Beschwerdeführer beziehe. Über Vorhalt, dass im Akt angeblich Anzeigen gegen den Beschwerdeführer vorlägen, gab er an, dass er davon nichts wisse. Er habe auch mit der Polizei keine Probleme und mit jenen Personen, mit denen er Probleme gehabt habe, hätte er sich wieder versöhnt. Er sei auch niemals in Österreich vor einem Strafgericht gestanden. Schließlich wurde festgehalten, dass die Durchführung der Verhandlung mit dem Beschwerdeführer ohne Dolmetscher möglich gewesen sei und der Beschwerdeführer zügig und in gutem Deutsch geantwortet hat. Aus der Verhandlung wurde den Verfahrensparteien noch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan (soweit verfahrensrelevant) unter Setzung einer Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme vorgehalten, wobei in der Stellungnahme auch Rechtsausführungen getätigt werden könnten.
Von dieser Möglichkeit machte die ausgewiesene Vertreterin des Beschwerdeführers Gebrauch und wies zunächst darauf hin, dass der Beschwerdeführer fast neun Jahre in Österreich aufhältig sei, jedenfalls mehr als drei Jahre rechtmäßig. Weiter wurde unter Hinweis auf diesbezügliche Judikatur des VwGH dargelegt, dass eine 80-m2-große Wohnung für einen Drei-Personen-Haushalt (wie im Fall des Beschwerdeführers) als ortsüblich anzusehen sei. Der Beschwerdeführer hat einen Arbeitsvorvertrag mit dem Verein MieterInneninitative vorgelegt und reiche nach der Judikatur eine derart konkrete Aussicht auf Erwerbstätigkeit zur Erfüllung der Voraussetzungen der Selbsterhaltungsfähigkeit. Bei Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses wäre er vollumfänglich im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Derzeit erfolge die Versicherung im Rahmen der Grundversorgung. Schließlich wurde auch auf das Länderinformationsblatt zu Afghanistan detailliert Bezug genommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, wurde am XXXX geboren und gehört der Volksgruppe der Sayed an und ist moslemisch-schiitischen Glaubens. Er reiste spätestens am 18.08.2012 ins Bundesgebiet ein und ist seither in Österreich aufhältig. Der zunächst gewährte subsidiäre Schutz wurde rechtskräftig, mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgericht vom 04.06.2019, Zahl XXXX aberkannt.
Daraufhin stellte der Beschwerdeführer mit Datum 25.07.2019 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 Abs. 1 AsylG. Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschdiplome A2, einen Pflichtschulabschluss sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs. Weiters hat er einen (hinreichend) konkreten Arbeitsvorvertrag mit dem XXXX vorgelegt, wo er als Bürokraft arbeiten könnte. Er verfügt über eine ortsübliche Wohnung in Wien, XXXX und ist derzeit im Rahmen der Grundversorgung pflichtversichert. Mit Aufnahme der Erwerbstätigkeit besteht eine gesetzliche Krankenversicherung. Der Beschwerdeführer führt kein Familienleben in Österreich. Er hat jedoch zahlreiche österreichische Freunde und betreibt vereinsmäßig den Boxsport. Er hat Afghanistan bereits als Kleinkind verlassen und war seither nicht mehr in Afghanistan. Seine nächsten Familienangehörigen leben alle im Iran. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer unbescholten ist und weiters, dass er gesund ist. Der Beschwerdeführer hat in Österreich mehrfach gearbeitet, als Lagerarbeiter, als Reinigungskraft und als Regalbetreuer in einem Supermarkt.
In Anbetracht der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG ist es nicht erforderlich länderspezifische Feststellungen aufzunehmen.
Beweis wurde erhoben (im vorliegenden Verfahren) durch Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich am 10.09.2019 sowie durch Befragung im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 15.04.2021, weiters durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der belangten Behörde zur Zahl XXXX , sowie insbesondere in das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.06.2019 zur Zahl XXXX , durch Vorlage eines Deutschzertifikates im Niveau A2, eines Zeugnisses über die Pflichtschulabschlussprüfung, eines Versicherungsdatenauszuges, eines Mietvertrages samt Einzahlungsbestätigungen der Miete sowie einer Nutzungsvereinbarung, einer Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs sowie eines Dienstvertrages mit dem XXXX durch den Beschwerdeführer und schließlich durch Einsichtnahme in den Strafregister.
2. Beweiswürdigung:
Vorausgeschickt wird, dass es nicht erforderlich ist, sich mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen.
Der Beschwerdeführer konnte insbesondere im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vom 15.04.2021 alle relevanten Fragen klar, eindeutig und konkret beantworten und fällt insbesondere auf, dass der Beschwerdeführer auch nicht dazu neigt, „sich in ein besseres Licht zu rücken“, sondern auch klar und eindeutig Dinge angibt, aus denen er keine Vorteile lukrieren kann.
Der Beschwerdeführer hat sowohl ein Deutschdiplom im Niveau A2 als auch ein Zeugnis über den Pflichtschulabschluss und eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs vorgelegt und dadurch von sich aus die diesbezüglichen Voraussetzungen glaubhaft gemacht. Weiters konnte er durch einen Mietvertrag, eine Nutzungsvereinbarung und eine Mieteinzahlungsbestätigung eine ortsübliche Unterkunft nachweisen. Auch hat er einen Dienstvertrag (aufschiebend bedingt) mit dem XXXX vorgelegt.
Ein Vorbringen über ein Familienleben in Österreich hat der Beschwerdeführer nicht erstattet. Auch hat er nicht vorgebracht, dass er irgendwelche gesundheitlichen Probleme hätte.
Die Verhandlung konnte mit dem Beschwerdeführer ohne Beiziehung eines Dolmetschers problemlos durchgeführt werden und war der Beschwerdeführer in der Lage auf die gestellten Fragen zügig und in gutem Deutsch zu antworten, sodass davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer Deutschkenntnisse über das Niveau B1 aufweist.
Zu dem Strafregisterauszug, der wohl den Namen des Beschwerdeführers trägt, aber auch die Namen eines ähnlichen klingenden afghanischen Staatsbürgers, der allerdings in XXXX / Pakistan geboren wurde und dessen Eltern anders heißen als jene des Beschwerdeführers, ist daher mit der erforderlichen Sicherheit anzunehmen, dass die Strafregisterauskunft, die eine Verurteilung nach § 27 SMG enthält, den Beschwerdeführer nicht betrifft und daher der Beschwerdeführer unbescholten ist.
Auch als Person machte der Beschwerdeführer einen durchaus ehrlichen und um seine Integration bemühten Eindruck.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Angaben und der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen zu den obigen personenbezogenen Feststellungen gelangen konnte.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A. I.
Gemäß § 56 Abs. 1 AsylG kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, auch wenn er sich in einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor dem Bundesamt befindet, eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls
1. zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist,
2. davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes rechtmäßig aufhältig gewesen ist und
3. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.
Gemäß Abs. 2 ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 und 2 vorliegen.
Gemäß Abs. 3 hat die Behörde den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 kann auch durch Vorlage einer einzigen Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 26) erbracht werden. Treten mehrere Personen als Verpflichtete in einer Erklärung auf, dann haftet jeder von ihnen für den vollen Haftungsbetrag zur ungeteilten Hand.
Gemäß § 60 Abs. 2 AsylG dürfen Aufenthaltstitel gemäß § 56 einen Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn
1. der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,
2. Der Drittstaatsangehörige über eine alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,
3. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte.
Gemäß § 9 Integrationsgesetz, der wiederum auf § 11 Integrationsgesetz verweist, wird die Erfüllung des Moduls 1 bundesweit nach einem einheitlichen Maßstab vom österreichischen Integrationsfonds durchgeführt.
Gemäß Abs. 2 umfasst die Prüfung Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit „bestanden“ oder „nicht bestanden“ zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- als auch über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.
Die Voraussetzung des mehr als fünf Jahre durchgängigen Aufenthaltes in Österreich, davon mehr als drei Jahre rechtmäßig, hat auch schon die belangte Behörde als erfüllt angenommen (siehe Seite 9 des angefochtenen Bescheides). Es ist nur noch hinzuzufügen, dass der Beschwerdeführer nunmehr schon fast neun Jahre in Österreich aufhältig ist und der Verwaltungsgerichtshof erst jüngst ausgeführt hat, dass die für den mehr als zehn Jahre dauernden Aufenthalt aufgestellten Regeln auch auf Personen übertragbar sind, die einen neunjährigen Aufenthalt in Österreich aufweisen (VwGH vom 30.04.2021, Ra 2020/21/0357).
Der Beschwerdeführer hat sowohl ein Deutschdiplom A2 als auch einen Pflichtschulabschluss, der einem Deutschdiplom B1 entspricht, vorgelegt, als auch eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs nachgereicht.
Wenn auch die Voraussetzungen (ausreichende Sprachkenntnisse plus Werte- und Orientierungskurs bzw. Erwerbstätigkeit) alternativ erfüllt sein müssen, um dem § 56 Abs. 1 Z 3 zu entsprechen, so hat der Beschwerdeführer auch einen (lediglich mit der Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung aufschiebend bedingten) Dienstvertrag mit einem weit über die Geringfügigkeitsgrenze hinausreichenden Mindestlohn vorgelegt und hat die Beschwerdeführervertreterin nachgewiesen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. VwGH vom 15.12.2011, 2008/21/0002) eine hinreichend konkrete Aussicht für eine näher konkretisierte Erwerbstätigkeit ausreicht. Damit wäre auch eine vollständige Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben.
Im vorliegenden Fall muss angemerkt werden, dass der Beschwerdeführer bereits selbsterhaltungsfähig war und durch die Aberkennung des subsidiären Schutzes aus einer Vollerwerbstätigkeit herausgerissen wurde, wodurch seine Integration nachträglich negativ beeinflusst wurde, was nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtshofs jedenfalls dafür spricht, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall handelt.
Dem Beschwerdeführer ist es jedenfalls gelungen, obwohl er als Analphabet nach Österreich gekommen ist, innerhalb von rund sechs Jahren den Pflichtschulabschluss nachzuholen, was in hohem Maße für die Lernwilligkeit, aber auch Lernfähigkeit des Beschwerdeführers spricht. Aufgrund der Aberkennung des subsidiären Schutzes konnte er weder eine weitere Schule besuchen noch eine Lehre beginnen. Er ist jedoch nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag offenbar in der Lage eine Bürotätigkeit auszuüben.
Der zuständige Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes konnte sich von den guten Deutschkenntnissen im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vom 15.04.2021 dadurch überzeugen, dass der Beschwerdeführer die Verhandlung gänzlich ohne Dolmetscher bewältigen konnte und die gestellten Fragen zügig und in gutem Deutsch beantwortet hat.
Der Beschwerdeführer hat weiters nachgewiesen, dass er einen Anspruch auf eine Unterkunft aufweist, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für einen Dreipersonenhaushalt als ortsüblich anzusehen ist.
Weiters ist der Beschwerdeführer derzeit im Rahmen der Grundversorgung krankenversichert und ist ab Aufnahme der Erwerbstätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung vollumfänglich krankenversichert.
Aufgrund des Bruttomonatslohnes von 1.381,58 Euro ist auch gewährleistet, dass der Aufenthalt des Fremden in Zukunft zu keiner finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft führt, zumal auch keine besonderen weiteren Belastungen des Beschwerdeführers außer dem Mietentgelt von 200,-- Euro monatlich bestehen.
Schließlich ist auch noch darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer als unbescholten anzusehen ist und auch keinerlei Hinweise darauf bestehen, dass der Beschwerdeführer irgendein Naheverhältnis zu extremistischen oder terroristischen Gruppierungen aufweist.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 56 AsylG sind daher im gegenwärtigen Zeitpunkt als erfüllt anzusehen.
Es war dem Beschwerdeführer somit gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.
Der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ berechtigt gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975. Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 leg.cit. für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den Beschwerdeführern die Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ auszufolgen (§ 58 Abs. 7 AsylG 2005).
Zu A. II.
Ersatzlose Behebung der Spruchteile II – IV.
Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Rückkehrentscheidung die Abschiebung und die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise somit nicht mehr vorliegen, waren die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben (vgl. dazu auch VfGH vom 13.09.2013, U 370/2012; VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).
Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Vielmehr handelt es sich um einen konkreten individuell begründeten Einzelfall, wobei auch die bezughabende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurde.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer besonders berücksichtigungswürdige Gründe Deutschkenntnisse ersatzlose Teilbehebung Integrationsvereinbarung Krankenversicherung rechtmäßiger Aufenthalt Selbsterhaltungsfähigkeit UnterkunftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W159.1434709.3.00Im RIS seit
17.08.2021Zuletzt aktualisiert am
17.08.2021