Entscheidungsdatum
09.06.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W186 2175637-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörige von Äthiopien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2021, Zl. 1144981100 – 201200315, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Vorverfahren
1.1 Die Beschwerdeführerin (in der Folge: BF) stellte am 12.04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am folgenden Tag wurde sie vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt:
Zu ihren Fluchtgründen gab die BF an, sie sei mittels eines Visums zum Besuch einer Wirtschaftskonferenz nach Österreich gekommen. Aufgrund „der unsicheren Lage wegen des Bürgerkriegs in Äthiopien“ habe sie sich zur Antragstellung entschlossen. Ihr Vater sei im Jahr 2006, ihr Bruder im Jahr 2009 „im Bürgerkrieg getötet“ worden. Sie habe nunmehr Angst um ihr Leben.
1.2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) vom 10.10.2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf der Herkunftsstaat Äthiopien abgewiesen. Weiters wurde der BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Äthiopien zulässig ist sowie die Frist für eine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
1.3. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.05.2020 als unbegründet abgewiesen, jedoch die Frist für eine freiwillige Ausreise bis zum 30.06.2020 festgesetzt.
2. Gegenständliches Verfahren
2.1. Die BF verblieb allerdings im Bundesgebiet und stellte am 30.11.2020 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde sie vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu ihren Fluchtgründen gab die BF an, dass sich diese seit ihrem letzten Asylantrag nicht geändert hätten und weiterhin aufrecht bleiben würden.
2.2. Am 14.12.2020 wurde der BF eine Meldeverpflichtung gem. § 15a AsylG 2005 auferlegt.
2.3. Am 19.01.2021 wurde die BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei sie angab, dass es ihr zwar gesundheitlich gut gehe, sie jedoch „verrückt“ sei, sich nicht konzentrieren und nicht schlafen könne, weshalb sie Schlaftabletten nehme. Sie habe diese Beschwerden seit der abweisenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in ihrem Erstverfahren. Die BF legte einen Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie vom 14.12.2020 sowie einen klinisch-psychologischen Befund vom 14.10.2020 vor, wonach bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung bzw. eine schwere depressive Störung diagnostiziert worden sei und eine Medikation mit Mirtazapin sowie Psychotherapie bzw. eine psychologische/psychiatrische Betreuung empfohlen werde. Die BF wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, mit einer ausreichend qualifizierten Ärztin sprechen zu können, um ihren physischen und psychischen Zustand untersuchen zu lassen, woraufhin sie angab, dass sie diese Möglichkeit wahrnehmen werde. Zudem hielt sie ihre im Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründe weiterhin explizit aufrecht.
2.4. In einer gutachterlichen Stellungahme im Zulassungsverfahren vom 06.03.2021 wurde bei der BF eine belastungsabhängige, krankheitswertige, psychische Störung in Form einer PTSD/Anpassungsstörung F43.1/F43.21 diagnostiziert. Es wurden zudem schlafanstoßende Medikamente empfohlen. Aufgrund von Sprachbarrieren wurde eine nochmalige Ladung mit einem Dolmetscher, der die Muttersprache der BF spricht, bzw. die erneute Einvernahme mit einem Dolmetscher für die Sprache Arabisch zu einer Zweitsicht empfohlen.
2.5. Am 12.03.2021 wurde die BF erneut vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei ihr die Möglichkeit eingeräumt wurde, zu den Untersuchungsergebnissen eine Stellungnahme abgeben zu können, was die BF jedoch ablehnte. Sie gab weiters an, dass sie den Dolmetscher, der Arabisch gesprochen hat, bei der Untersuchung gut verstanden habe und der Untersuchung gut folgen habe können.
2.6. Mit Schriftsatz vom 25.03.2021 ersuchte die Rechtsvertretung der BF aufgrund der Ergebnisse des ärztlichen Gutachtens um die Zulassung der inhaltlichen Führung des Asylverfahrens.
2.7. Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes vom 28.04.2021 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz vom 30.11.2020 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 wurde der BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gem. § 46 FPG nach Äthiopien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und gem. § 53 Abs. 1 iVm § Abs. 2 Z 6 gegen die BF ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).
Das Bundesamt stellte u.a. fest, dass bei der BF eine PTSD/Anpassungsstörung F43.1/F43.21 diagnostiziert worden sei, sie derzeit in medizinsicher Behandlung stehe und medikamentös behandelt werde. Weiters wurde festgestellt, dass die erforderliche medizinische Versorgung in Äthiopien in ausreichendem Maße gewährleistet sei. Die BF habe im gegenständlichen Verfahren keinen Sachverhalt vorgebracht, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei.
Hinsichtlich der medizinischen Versorgung wurden folgende Feststellungen anhand des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation über Äthiopien vom 08.01.2019 getroffen:
„Die medizinische Versorgung ist in Addis Abeba nur beschränkt gewährleistet (EDA 10.12.2018) und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch hoch problematisch (AA 12.12.2018). Die Gesundheitsversorgung ist trotz erheblicher Anstrengungen und bereits erzielter Fortschritte noch mangelhaft (GIZ 9.2018c). Medizinische Versorgungsmöglichkeiten sind begrenzt, die Qualität ist unvorhersehbar, eine staatliche notfallmedizinische Versorgung auf europäischem Niveau ist landesweit nicht vorhanden (BMEIA 12.12.2018; vgl. AA 12.12.2018) Vor allem im medizinischen Bereich stellt die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte (brain drain) ein Problem dar (BMEIA 12.12.2018).
Generell ist die medizinische Versorgung auf dem Land wegen fehlender Infrastruktur erheblich schlechter als in den städtischen Ballungszentren (AA 17.10.2018). Ernsthafte Krankheiten und Verletzungen werden im Ausland behandelt (EDA 10.12.2018).
Es gibt in Äthiopien weder eine kostenlose medizinische Grundversorgung noch beitragsabhängige Leistungen (AA 17.10.2018). Krankenhäuser verlangen eine finanzielle Garantie, bevor sie Patienten behandeln (Vorschusszahlung) (EDA 10.12.2018). Die medizinische Behandlung erfolgt entweder in staatlichen Gesundheitszentren bzw. Krankenhäusern oder in privaten Kliniken. Die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen ist durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Komplizierte Behandlungen können wegen fehlender Ausstattung mit hochtechnologischen Geräten nicht durchgeführt werden (AA 17.10.2018).
Viele Menschen sind von häufigen Durchfällen betroffen. Diese stellen bei Kindern die häufigste Todesursache dar (GIZ 9.2018c). Chronische Krankheiten, die auch in Äthiopien weit verbreitet sind, wie Diabetes, Schwäche des Immunsystems etc. können mit der Einschränkung behandelt werden, dass bestimmte Medikamente ggf. nicht verfügbar sind (AA 17.10.2018). Andere Herausforderungen bleiben Malaria, Hepatitis, Meningitis, Bilharziose sowie HIV/AIDS. HIV/AIDS ist in Äthiopien stark verbreitet. Äthiopiens Regierung unternimmt in Zusammenarbeit mit internationalen Gebern große Anstrengungen im Kampf gegen HIV/AIDS (GIZ 9.2018c). Durch die Entwicklung der Devisenreserven in Äthiopien sind Einfuhren von im Ausland hergestellten Medikamenten von Devisenzuteilungen durch die Nationalbank zur Bezahlung von Handelspartnern im Ausland abhängig. Deswegen kommt es bei bestimmten Medikamenten immer wieder einmal zu Versorgungsengpässen (AA 17.10.2018). Der Zugang zu den wesentlichen Medikamenten ist nur einem Teil der Bevölkerung möglich. Fast die Hälfte der Bevölkerung muss mehr als 15 Kilometer zurücklegen, um zum nächstgelegenen Gesundheitsposten zu gelangen (GIZ 9.2018c).“
In der Beweiswürdigung wurde angeführt, dass im Falle einer Überstellung der BF nach Äthiopien ihr Gesundheitszustand bzw. ihre Transportfähigkeit beurteilt werde und gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen entsprechende Maßnahmen gesetzt würden. Nur in außergewöhnlichen Umständen, wie etwa bei Gefahr eines qualvollen Todes, käme es zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Zudem wurde auf den Generalerlass betreffend Rückkehr des Bundesministeriums für Inneres, GZ: BMI-BA1210/0030-BFA-B/1/2/2016, verwiesen, wonach bei Verdacht auf medizinische Probleme bzw. Selbstmordankündigung die Überstellung durch besonders geschulte Organe und im Bedarfsfall auch durch ärztliche Begleitung erfolge. Unter diesen Umständen sei gewährleistet, dass eine Überstellung der BF in ihr Heimatland nicht vorgenommen werde, wenn ihr physischer oder psychischer Zustand zum Überstellungszeitpunkt dies nicht zulassen würde.
Das gegen die BF verhängte Einreiseverbot stützte das Bundesamt auf ihre Mittellosigkeit (§ 53 Abs. 2 Z 6 FPG) in Verbindung mit dem Umstand, dass sie in ihrem Erstverfahren die Frist für eine freiwillige Ausreise nicht genützt habe und unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben sei.
2.8. Gegen diesen Bescheid erhob die BF am 14.05.2021 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde, in welcher im Wesentlichen unrichtige Feststellungen, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden. Es liege sehr wohl eine entscheidungsrelevante Änderung der Sachlage vor, weshalb eine inhaltliche Prüfung nicht unterlassen werden könne. Die BF würde im Falle eine Rückkehr nach Äthiopien in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Zudem hätten ihre Befürchtungen im Hinblick auf eine geschlechtsspezifische Verfolgung überprüft werden müssen. Schließlich sei das gegen die BF verhängte Einreiseverbot nicht nachvollziehbar.
2.9. Am 21.05.2021 wurde die Beschwerde inklusive der mit ihr in Bezug stehenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen und Beweiswürdigung
Die unter Punkt I. als Verfahrensgang dargelegten Ausführungen werden als Feststellungen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt. Diese ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt hinsichtlich des gegenständlichen Verfahrens sowie des Vorverfahrens.
2. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchteil A) Behebung des angefochtenen Bescheides
2.1. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 leg.cit. findet.
Da das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid den Folgeantrag der BF auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).
Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht entweder im Falle des Vorliegens entschiedener Sache das Rechtsmittel abzuweisen oder im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung den zurückweisenden Bescheid aufzuheben, wodurch eine neuerliche Zurückweisung des Antrages in Bindung an die Auffassung des Verwaltungsgerichtes wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG jedenfalls unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt.
Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung (z. B. VwGH 25.04.2007, 2004/20/0100; 30.6.2005, 2005/18/0197; 25.4.2002, 2000/07/0235) liegen verschiedene "Sachen" im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. In Bezug auf wiederholte Asylanträge muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann.
Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinanderzusetzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. Eine neue Sachentscheidung ist aber nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes, sondern, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben, ausgeschlossen.
Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 83 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur). Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben (nochmals) zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 9. 9. 1999, 97/21/0913; und die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 90 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).
Ein Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrags nach dem Asylgesetz 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).
Das Bundesamt ist im konkreten Fall zu Unrecht vom Vorliegen der „Identität der Sache“ ausgegangen. Die im Zuge des gegenständlichen Verfahrens vorgebrachten Fluchtgründe der BF sind zwar von der Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.05.2020 umfasst, jedoch gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation in Bezug auf die Gewährung von subsidiärem Schutz entscheidungsrelevant geändert hat, sodass eine andere rechtliche Beurteilung nicht von Anfang an ausgeschlossen erscheint, weshalb eine inhaltliche Prüfung stattfinden hätte müssen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bei der BF in einer gutachterlichen Stellungahme im Zulassungsverfahren vom 06.03.2021 eine belastungsabhängige, krankheitswertige, psychische Störung in Form einer PTSD/Anpassungsstörung F43.1/F43.21 diagnostiziert und schlafanstoßende Medikamente empfohlen wurden.
Das Bundesamt geht davon aus, dass die erforderliche medizinische Versorgung in Äthiopien in ausreichendem Maße gewährleistet sei. Jedoch ist anhand der dem Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen für das Bundesverwaltungsgericht keinesfalls erkennbar, wie das Bundesamt zu dieser Feststellung gelangt, weil das zitierte Länderinformationsblatt keine Ausführungen zu etwaigen Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Erkrankungen in Äthiopien beinhaltet.
Anhand der im Zuge des Verfahrens vorgelegten psychiatrischen Befunde kann nicht ausgeschlossen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien wegen des Fehlens angemessener Behandlungsmöglichkeiten in eine unmenschliche Behandlung gleichzusetzende Situation geraten würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 21.02.2017, Ro 2016/18/0005 klargestellt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).
Um zu beurteilen, ob die BF tatsächlich Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung in ihrem Heimatstaat hat, hätte jedenfalls eine inhaltliche Prüfung stattfinden müssen.
Der Verwies des Bundesamtes auf einen Erlass des Bundesministeriums für Inneres, wonach im Falle einer Überstellung der BF nach Äthiopien ihre psychische Verfassung nochmals ausführlich geprüft und dies gegebenenfalls zur Unzulässigkeit der Abschiebung führen würde, ist nicht überzeugend. Die verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten für psychisch Kranke in Äthiopien sollten bereits im Verfahren ausführlich geprüft und nicht erst als ultima ratio vor einer Abschiebung berücksichtigt werden.
Da bei einer zurückweisenden Entscheidung gem. § 68 Abs. 1 AVG dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz verwehrt ist und es lediglich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung überprüfen darf, war der Beschwerde gegen angefochtenen Bescheid im Ergebnis stattzugeben und dieser ersatzlos zu beheben.
Für das von der belangten Behörde in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag der BF wieder unerledigt ist und über diesen von der belangten Behörde neuerlich, nämlich meritorisch - in der Sache -, abzusprechen ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).
Das Bundesamt wird bei der inhaltlichen Prüfung des Antrags der BF auf internationalen Schutz Berichte über Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Erkrankungen in Äthiopien einzuholen und in das Verfahren einzubeziehen haben.
2.2. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte III., IV., V., VI. und VII. des angefochtenen Bescheides
Aufgrund der ersatzlosen Behebung der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides verlieren die übrigen Spruchpunkte ihre rechtliche Grundlage, weshalb diese ebenfalls ersatzlos aufzuheben sind.
2.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Beschwerdeverhandlung
Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen Anpassungsstörung Behandlungsmöglichkeiten Folgeantrag Identität der Sache medizinische Versorgung Prozesshindernis der entschiedenen SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W186.2175637.2.00Im RIS seit
17.08.2021Zuletzt aktualisiert am
17.08.2021