Entscheidungsdatum
25.06.2021Norm
BEinstG §14Spruch
W216 2242311-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 12.04.2021, OB: XXXX , betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung und Aberkennung der Begünstigteneigenschaft, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 31.01.2020 stellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice, in der Folge: belangte Behörde) fest, dass die nunmehrige Beschwerdeführerin ab dem 18.11.2019 dem Kreis der begünstigten Behinderten mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. angehört. Im dem dem Bescheid zugrunde gelegten Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin wurde eine Nachuntersuchung mit 01/2021 vorgesehen, da hinsichtlich des Leidens 1 "chronische Lumbalgie, Sensibilitätsstörungen, muskuläre Dysbalance und Ausstrahlungsschmerz bei Bandscheibenschäden L3/4, L4/5, L5/S1, akute Episode 08/2019" möglichweise ein operatives Vorgehen erforderlich sein werde.
2. Mit Schreiben vom 30.11.2020 ersuchte die belangten Behörde unter dem Betreff: "Nachuntersuchung von Amts wegen" die Beschwerdeführerin um Vorlage aktueller Befunde., welche seitens der Beschwerdeführerin in der Folge übermittelt wurden.
3. Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 03.03.2021 erstatteten Gutachten vom 09.03.2021 stellte der Sachverständige bei der Beschwerdeführerin die Funktionseinschränkungen "1. Abnützungen der Wirbelsäule", "2. Depression, Somatisierungsstörung" und "3. Entfernung der Gebärmutter" mit einem Gesamtrad der Behinderung in Höhe von 20 v.H. fest.
3.1. Die belangte Behörde übermittelte der Beschwerdeführerin dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 09.03.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte ihr eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
3.2. Im Rahmen dieses Parteiengehörs erhob die Beschwerdeführerin Einwendungen und führte aus, dass ihre gesundheitliche Situation gleichgeblieben sei. Sie befinde sich nach wie vor in regelmäßiger ärztlicher Behandlung und aus heutiger Sicht gebe es keine anderen bzw. angezeigten Behandlungsmöglichkeiten um ihr Leiden zu lindern. Das "Leiden 1" habe nicht durch eine Operation gelindert werden können. Vom behandelnden Facharzt werde eine Operation nach wie vor nicht empfohlen. Das Leiden sei somit unverändert und eine Herabsetzung des Grades der Behinderung bei gleichbleibenden Leiden scheine daher nicht gerechtfertigt. Das "Leiden 2" habe sich ebenfalls nicht geändert und die Symptome seien nach wie vor die gleichen Im Bescheid aus dem Jahr 2020 stehe ausdrücklich, dass eine Verlaufskontrolle erforderlich sei, um zu evaluieren, ob möglicherweise ein operatives Vorgehen zu einer Besserung führen könne. Da weder ein operatives Vorgehen noch eine diagnostizierte / befundete Verbesserung ihrer Leiden vorliege, beantrage sie eine Richtigstellung der Einstufung.
3.3. Aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin holte die belangte Behörde eine ergänzende Stellungnahme des bereits befassten Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dessen Stellungnahme vom 12.04.2021 führte der Sachverständige im Ergebnis aus, dass die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente nicht geeignet seien, das aktuelle Begutachtungsergebnis zu entkräften, sodass dieses auch weiterhin aufrechterhalten werden.
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12.04.2021 stellte die belangte Behörde fest, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin nur noch 20 v.H. betrage und die Beschwerdeführerin daher nicht mehr die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten erfülle. Daher werde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin mit Ablauf des Monats, welcher auf die Zustellung des Bescheides folge, nicht mehr zum Kreis der begünstigten Behinderten gehöre.
Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die ärztliche Untersuchung im Rahmen des amtswegig eingeleiteten Ermittlungsverfahrens ergeben habe, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin nur noch 20 v.H. betrage. Somit sei eine maßgebende Änderung in den Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten eingetreten und ein Ausschließungsgrund gemäß § 2 BEinstG liege vor. Die im Rahmen des Parteiengehörs erhobenen Einwände der Beschwerdeführerin seien nicht geeignet gewesen, eine anderslautende Entscheidung herbeizuführen. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, welche einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen.
Dem Bescheid war das allgemeinmedizinische Gutachten vom 09.03.2021 und die im Rahmen des Parteiengehörs eingeholte Stellungnahme vom 12.04.2021 angeschlossen.
5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 06.05.2021 – fristgerecht – das Rechtsmittel der Beschwerde und sie führte darin erneut aus, warum sich – ihrer Ansicht nach – ihre gesundheitliche Situation nicht verbessert habe.
6. Die belangte Behörde legte die Beschwerde und den dazugehörigen Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 10.05.2021 zur Entscheidung vor, wo diese am selben Tag einlangten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten (§ 3 BEinstG).
Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)
Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)
Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH
a) eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. I Nr. 150/2002, oder des Bundesverwaltungsgerichtes;
b) eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. eines nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, zuständigen Gerichtes;
c) eines Landeshauptmannes (des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) oder des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Verbindung mit der Amtsbescheinigung gemäß § 4 des Opferfürsorgegesetzes;
d) in Vollziehung der landesgesetzlichen Unfallfürsorge (§ 3 Z 2 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 200/1967).
Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ( § 2 ) auf Grund der in lit. a bis d genannten Nachweise erlischt mit Ablauf des dritten Monates, der dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung folgt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erklärt, weiterhin dem Personenkreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Personen angehören zu wollen. (§ 14 Abs. 1 BEinstG)
Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Menschen mit Behinderung das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung der Entscheidung folgt, mit der der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird. (§ 14 Abs. 2 BEinstG)
Maßgebend für die Entscheidung ob die Beschwerdeführerin weiterhin dem Personenkreis der begünstigten Behinderten angehört, ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie ob eine maßgebende Verbesserung im Leidenszustand eingetreten ist.
Eine allenfalls unterlaufene Fehleinschätzung kann nämlich ohne entsprechende Sachverhaltsänderung (Besserung des Leidenszustandes) nur unter den Voraussetzungen für die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 und 3 AVG bzw. § 32 VwGVG nicht aber im Wege einer Neubeurteilung korrigiert werden.
Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.
Die belangte Behörde hat im amtswegig eingeleiteten Verfahren zwar die Beschwerdeführerin vorschriftsmäßig zunächst um Vorlage aktueller Befunde aufgefordert und danach ein allgemeinmedizinisches ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt, welches einen Gesamtgrad der Behinderung von 20 v.H. feststellte, sowie, nach Gewährung von Parteiengehör, aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin, eine Stellungnahme des bereits befassten Arztes für Allgemeinmedizin, in welcher auf die Einwendungen der Beschwerdeführerin aber nur oberflächlich eingegangen wurde.
Die Beschwerdeführerin leidet unter anderem an einer "Abnützung der Wirbelsäule". Der von der belangten Behörde beigezogene Allgemeinmediziner beurteilte dieses Leiden als führendes Leiden Nummer 1 und kam zum Ergebnis, dass dieses Leiden mit einem oberen Rahmensatz und einem Grad der Behinderung von 20 v.H. nach Positionsnummer 02.01.01 einzustufen sei, da mäßige radiologische Veränderungen, jedoch nur geringfügige Funktionseinschränkungen ohne radikuläre Symptomatik feststellbar seien. Die Beschwerdeführerin leide darüber hinaus an einer "Depression und Somatisierungsstörung" (Leiden 2) und der "Entfernung der Gebärmutter" (Leiden 3).
Im durch die belangte Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Gutachten wird ausgeführt, dass basierend auf der aktuellen Untersuchung im Vergleich zum Sachverständigengutachten, welches dem rechtskräftigen Bescheid vom 31.01.2020 zugrunde gelegt wurde, Leiden 1 um drei Stufen abgesenkt werde, da eine funktionelle Besserung objektivierbar sei. Leiden 2 des Vorgutachtens "Depressive Störung" werde um eine Stufe abgesenkt, da das Leiden mittels geringer Medikation stabilisiert sei. Es hat sich somit eine Herabsetzung des Grades der Behinderung auf 20 v.H. ergeben. Wie konkret sich diese funktionelle Besserung des Leidens 1 äußert und weshalb diese Besserung eine Herabsetzung des Grades der Behinderung um drei Stufen rechtfertigt, wird in diesem Gutachten aber nicht begründet. Aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin im Rahmen des ihr eingeräumten Parteiengehörs ersuchte die belangten Behörde den bereits beigezogenen Arzt für Allgemeinmedizin um Stellungnahme. In dieser wird jedoch lediglich ausgeführt, dass es zwar richtig sei, dass im gegenständlichen Fall keine Operation stattgefunden habe (nicht notwendig), trotzdem sei eine funktionelle Verbesserung feststellbar, da anlässlich der persönlichen Untersuchung nur geringe Funktionseinschränkungen im Wirbelsäulenbereich objektiviert werden hätten können.
Im angefochtenen Bescheid wurde dann auch lediglich das Gutachten sowie die ergänzende medizinische Stellungnahme des allgemeinmedizinischen Sachverständigen herangezogen und der Entscheidung zugrunde gelegt.
Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Gegenständlich ist die ausschließlich durch einen Arzt für Allgemeinmedizin vorgenommene Beurteilung angesichts des komplexen Krankheitsbildes der Beschwerdeführerin aufgrund der derzeit vorliegenden Aktenlage offensichtlich sachwidrig erfolgt. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel enthalten jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür, dass neben einem allgemeinmedizinischen Gutachten auch die Einholung von Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Orthopädie und Psychiatrie – basierend auf der persönlichen Begutachtung der Beschwerdeführerin – erforderlich sind, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten. Das eingeholte Sachverständigengutachten ist im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin insbesondere orthopädische und psychiatrische Leidenszustände durch Vorlage von medizinischen Beweismitteln vorgebracht hat, mangels Fachkenntnis nicht ausreichend zur qualifizierten Beurteilung des Gesamtleidenszustandes.
Das eingeholte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten hätte daher von der belangten Behörde nicht ohne Ergänzung seiner Entscheidung zugrundegelegt werden dürfen. (VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)
Weder in dem durch die belangte Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten noch in der ergänzenden Stellungnahme hat sich der beigezogene Sachverständige mit den Inhalten der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde umfassend auseinandergesetzt. So ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, in welcher Form bzw. welchem Ausmaß diese bei der Beurteilung des Grades der Behinderung berücksichtigt wurden.
Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).
Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, Gutachten der Fachrichtungen Orthopädie und Psychiatrie einzuholen, in welchen konkret auf die Frage der Verbesserung/Veränderung des Gesundheitszustandes gegenüber der Beurteilung vom 31.01.2020 eingegangen wird.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Die aufgezählten Mängel können gegenständlich auch nicht durch eine Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts saniert werden: Da Entscheidungen im Bereich des Behindertenrechts in höchstem Maße von ärztlichen Sachverständigengutachten abhängig sind, müsste das Bundesverwaltungsgericht dazu neue Sachverständigengutachten einholen, welche durch die dafür nötige Untersuchung der Beschwerdeführerin zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würden, welche jedenfalls nicht im Sinne einer raschen und kostengünstigen Verfahrensführung liegen würden. Aus diesem Grund erscheint nach Ansicht des erkennenden Senats gegenständlich die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde jedenfalls gerechtfertigt.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht abschließend feststeht und, wie erörtert, vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens, des im Rahmen des Parteiengehörs erhobenen Einwandes und der vorgelegten Beweismittel, unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Orthopädie und Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, mit der konkreten Fragestellung einzuholen, ob und in welcher Form der Gesundheitszustand sich gegenüber der letzten rechtskräftigen Beurteilung verändert hat und wie diese Veränderung sich konkret begründet, und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.
Die belangte Behörde hat sich auch mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob eine maßgebende Verbesserung des Leidenszustandes objektiviert werden kann.
Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Neufestsetzung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W216.2242311.1.00Im RIS seit
11.08.2021Zuletzt aktualisiert am
11.08.2021