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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
BAO §109;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des F in F (Deutschland), vertreten durch B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 13. Dezember 1995, Zl GA 13-7/V-167/1/8/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung (in einer Zollangelegenheit), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Das Zollamt Wien stellte mit Bescheid vom 22. Oktober 1992, Zl 100/AU/FS-290/9695/1/91/NÖ, gegenüber dem Beschwerdeführer fest, daß eine im Grunde des § 177 Abs 1 ZollG 1988 bedingte Zollschuld nach Abs 3 lit d der zitierten Gesetzesstelle unbedingt und gemäß § 175 Abs 2 leg cit in Höhe von S 275.081,-- fällig geworden sei. Unter einem wurde ein Säumniszuschlag vorgeschrieben.
Dieser Bescheid wurde per Post an die Adresse des Beschwerdeführers in F, A-Straße, abgefertigt. Dazu findet sich in den Verwaltungsakten ein Rückschein mit der unter der Rubrik "Datum und Unterschrift des Empfängers" abgegebenen Unterschrift des Beschwerdeführers. Weiters trägt der Rückschein einen Poststempel des Bestimmungsamtes mit Datum "14.11.1992" und unter der Rubrik "Unterschrift des Beamten" neben einer Paraphe den Vermerk "14/11".
Am 15. Dezember 1992 wurde eine Berufung des Beschwerdeführers gegen den genannten Bescheid zur Post gegeben, die vom Zollamt Wien, mit Bescheid vom 18. November 1993, als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen wurde.
Dagegen berief der Beschwerdeführer mit folgenden Behauptungen: Es träfe zwar zu, daß der im Akt erliegende Rückschein eine Stampiglie des Zustellpostamtes vom 14. November 1992 und im Feld "Unterschrift des Beamten" einen Hinweis "14/11" trage. Der Rückschein sei auch vom Beschwerdeführer selbst unterschrieben, jedoch sei der Unterschrift des Beschwerdeführers kein Datum beigesetzt.
Der 14. November 1992 sei ein Samstag gewesen. Bei der Abgabeadresse in F, A-Straße 27, handle es sich um ein samstags (insbesondere auch am 14. November 1992) unbesetztes Büro.
Der Beschwerdeführer sei am Samstag, 14. November 1992, gar nicht in F, sondern in M gewesen und erst am Montag, dem 16. November 1992, nach F zurückgekehrt. Eine wirksame Zustellung am 14. November 1992 habe daher nicht erfolgen können. Es sei jedoch üblich gewesen, daß der Postbote eingeschriebene Briefsendungen und Rückscheinbriefe samstags in das Hausbrieffach eingelegt habe. Die Zustellnachweise seien dann erst am nächsten Werktag unterschrieben und dem Postboten zurückgestellt worden. Dies sei auch am 16. November 1992 so geschehen. Tatsächlich sei die Zustellung des Bescheides erst am 16. November 1992 erfolgt, weshalb die Berufung rechtzeitig erhoben worden sei.
Dazu legte der Beschwerdeführer in Fotokopie eine Reisekostenabrechnung vor, in der sich für die Daten Freitag 13., Samstag 14. und Sonntag 15. November 1992 unter der Rubrik "Reisezweck - besuchte Orte" jeweils die Eintragung M befindet; betreffend Montag, 16. November 1992, findet sich der Vermerk "M-F". Hinsichtlich der angegebenen Stunden findet sich betreffend Freitag, 13. November, die Zahl "24", betreffend Samstag und Sonntag, 14. bzw. 15. November, jeweils die Angabe "0" und betreffend Montag, den 16. November, die Ziffer 19. Außerdem berief sich der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung auf die Zeugin I und die Vernehmung des Postboten, dessen Unterschrift auf dem Rückschein angebracht sei.
Gegen die abweisliche Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Wien vom 21. März 1994, begehrte der Beschwerdeführer die Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Diese wies die Berufung als unbegründet ab, wobei sie von folgenden Sachverhaltsfeststellungen ausging:
Die vom Beschwerdeführer mit seiner Berufung vorgelegte Reisekostenabrechnung enthalte zwar in den Stundenspalten für Freitag (13. November 1992) und Montag (16. November 1992) entsprechende Eintragungen, aus denen sich ergäbe, daß sich der Beschwerdeführer am erstgenannten Tag 24 Stunden und am zweitgenannten Tag 19 Stunden in M aufgehalten habe. Für Samstag (14. November 1992) und dem folgenden Sonntag (15. November 1992) seien hingegen jeweils "0 Stunden" eingetragen. Auch in der Spalte "Pauschalbeträge - Übernächtigungen Inland" finde sich im Gegensatz zu anderen Dienstreisen keine diesbezügliche Eintragung.
Es sei daher nicht auszuschließen, daß sich der Beschwerdeführer zwar am 13. November 1992 in M aufgehalten habe, danach jedoch die relativ kurze Strecke von M nach F zurückgelegt habe, um den Samstag (14. November 1992) in seinem Haus in F zu verbringen. An der Adresse A-Straße in F habe der Beschwerdeführer (wie sich aus seiner telefonischen Befragung ergeben habe) damals nicht nur Büroräumlichkeiten (der Firma I-GmbH), sondern auch seine Wohnung gehabt. Aus einer Meldebestätigung vom 6. November 1995 gehe hervor, daß der Beschwerdeführer damals von seiner bisherigen Hauptwohnung (A-Straße, F) an die Adresse F, L-Straße, zugezogen sei. Der Beschwerdeführer habe dazu selbst angegeben, im Jahr 1992 Eigentümer des Hauses A-Straße gewesen zu sein und daß sich in diesem Haus neben den Büroräumlichkeiten der Fima I-GmbH auch seine Wohnung befunden habe.
Aus diesem Grund sei die schriftliche Zeugenaussage der I unmaßgeblich, die bekundet hätte, daß das Büro der Firma I-GmbH am 14. November 1992 nicht besetzt gewesen sei, und sich die Zeugin zu dieser Zeit dort nicht aufgehalten habe. Gerade deshalb könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Beschwerdeführer seinen berufsbedingten Aufenthalts in M unterbrochen und sich am Wochendende in seinen Wohnräumlichkeiten in F aufgehalten habe.
Zu der in der schriftlichen Zeugenaussage aufgestellten Behauptung, es sei insbesondere im November 1992 üblich gewesen, daß der Postbote Samstag-Zustellungen, bei denen er im Büro niemanden angetroffen hätte, in das Hausbrieffach eingelegt habe, die Zustellnachweise seien dann erst am darauffolgenden Montag unterschrieben und dem Postboten ausgefolgt worden, verwies die belangte Behörde auf Erhebungen beim Postamt F. Die diesbezügliche Anfrage hätte ergeben, daß zwar in Deutschland Zustellungen regelmäßig auch an Samstagen vorgenommen würden, die von der Zeugin I beschriebene Vorgangsweise müsse jedoch als den deutschen gesetzlichen Bestimmungen widersprechend gewertet werden. Nach Mitteilung des Postamtes sei nicht zu erklären, warum der Zusteller, der ja zum Zeitpunkt der Zustellung nicht wissen habe können, wann der abwesende Empfänger tatsächlich wieder anwesend sein werde, das für ihn sehr große Risiko auf sich nehmen sollte, daß der Rückscheinabschnitt zwischenzeitlich in Verlust geraten könne. Das Postamt in F habe mit Schreiben vom 16. Februar 1994 bestätigt, daß das gegenständliche Schriftstück dem Beschwerdeführer am 14. November 1992 ausgehändigt worden sei; auf dem Original des Auslieferungsscheines sei der Auslieferungsvermerk mit 14. November 1992 bescheinigt worden.
Die belangte Behörde erachtete es daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung als erwiesen, daß der Bescheid vom 22. Oktober 1992 dem Beschwerdeführer am 14. November 1992 zugestellt worden sei. Dem Beschwerdeführer sei der Nachweis dafür, daß er sich am genannten Tag nicht in F aufgehalten habe, nicht gelungen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf materielle Behandlung seiner Berufung verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 245 Abs 1, Satz 1 BAO beträgt die Berufungsfrist
einen Monat.
Für ihren Beginn ist gemäß § 109 BAO der Tag maßgebend, an dem die Erledigung bekanntgegeben worden ist (§ 97 Abs 1).
Gemäß Art 10a des Vertrages zur Änderung des Vertrages vom 11. September 1970 zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchssteuer- und Monopolangelegenheiten BGBl 430/1971 idF BGBl 126/1981, können Bescheide, Entscheidungen und andere Schriftstücke der Finanz(Zoll)-Behörden in Verfahren nach Art. 2, Abs. 1, lit a oder b an Personen im anderen Vertragsstaat auch ohne Einschaltung der zuständigen Finanz(Zoll)-Behörde des anderen Vertragsstaates unmittelbar durch die Post zugestellt/bekanntgegeben werden, wenn dies nach Art und Inhalt des Schriftstückes zweckmäßig ist. Die Zustellung/Bekanntgabe durch Einschaltung der zuständigen Finanz(Zoll)-Behörde des anderen Vertragsstaates wird dadurch nicht ausgeschlossen.
Gemäß § 166 BAO kommt als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.
Abgesehen von offenkundigen und gesetzlich vermuteten Tatsachen (die keines Beweises bedürfen) ist die Abgabenbehörde gemäß § 167 Abs 2 leg cit verpflichtet, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist, oder nicht.
Gemäß § 41 Abs 1 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof einen angefochtenen Bescheid aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu überprüfen. Dabei kommt dem Verwaltungsgerichtshof betreffend die Beweiswürdigung der belangten Behörde eine Überprüfung dahin zu, ob die Beweiswürdigung schlüssig ist, bzw ob die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen in einen einwandfreien Verfahren zustandgekommen sind. Unschlüssig ist eine Beweiswürdigung dann, wenn sie den Denkgesetzen oder dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widerstreitet (vgl Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 52, Anm 2).
Genau in diese Richtung erhebt die Beschwerde auch den Vorwurf, die belangte Behörde hätte den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, vorliegende Beweisergebnisse nicht berücksichtigt und ihre Beweiswürdigung mit Widersprüchen belastet.
Dem kann sich der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall nicht verschließen, weil insbesondere folgende Umstände zu beachten sind:
In der schriftlichen Aussage der I vom 1. Juli 1994 findet sich - vom angefochtenen Bescheid nicht erwähnt - die dezidierte Behauptung der Zeugin: "Am 14. November 1992 war Herr F nicht in F."
Dazu kommt, daß die Reisekostenabrechnung betreffend Samstag (14. November 1992) und Sonntag (15. November 1992) zwar keine verrechneten Stunden enthält, jedoch - vom angefochtenen Bescheid ebenfalls unerwähnt - unter der Rubrik "Reisezweck - besuchte Orte" jeweils den Ortsnamen M nennt.
Schließlich ist aber zu beachten, daß die im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskünfte des Postamtes F nur eine bloße Vermutung enthalten und darauf hinauslaufen, die von der Zeugin I behauptete Vorgangsweise könne deshalb nicht stattgefunden haben, weil sie den deutschen Zustellvorschriften widerspräche. Mit Rücksicht darauf, daß nicht erhoben und festgestellt wurde, welcher Zusteller Datum und Paraphe auf dem vorliegenden Zustellschein gesetzt hat und daß demzufolge auch eine Befragung dieses Zustellers zu dem konkreten Zustellvorgang unterblieben ist, muß davon ausgegangen werden, daß im vorliegenden Fall entgegen dem Gebot des § 115 Abs 1 BAO der Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß es auch dem Verwaltungsgerichtshof durchaus nicht unbekannt ist, daß im täglichen Leben Zustellvorgänge der Art vorkommen, wie sie in der schriftlichen Aussage der I (siehe dort den letzten Absatz) beschrieben sind. Eine solche Tatsachenbehauptung darf keineswegs allein im Wege der Argumentation der belangten Behörde, der Vorgang würde den deutschen Zustellvorschriften widersprechen, abgetan werden.
Dazu kommt, daß auch die vorgenommene Beweiswürdigung keinesfalls als schlüssig angesehen werden kann, weil allein die Tatsache, daß in der Reisekostenabrechnung für den 14. November 1992 keine Stunden eingetragen sind, noch keinesfalls davon überzeugen kann, daß der Beschwerdeführer an diesem Tag nicht in M war. In diesem Zusammenhang hätte allein der Umstand, daß für den vorangegangenen Tag (Freitag, 13. November 1992) bezogen auf den Aufenthalt in M 24 STUNDEN eingetragen sind, unter Berücksichtigung der Behauptung der Zeugin I, der Beschwerdeführer sei am 14. November 1992 nicht in Frankfurt gewesen, die belangte Behörde zu weiteren Erhebungen veranlassen müssen. Insbesondere wäre die Frage zu klären gewesen, ob der Beschwerdeführer allenfalls für Tage über das Wochenende, selbst wenn er auswärts auf Dienstreise war, der Firma I-GmbH überhaupt Stunden bzw sonstige Auslagen verrechnen durfte bzw verrechnet hat, jedenfalls wenn es sich um Aufenthalte innerhalb Deutschlands handelte.
Da die belangte Behörde sohin ihr Verfahren mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, war der Beschwerde Folge zu geben und der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 3, lit b und c VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs 2 Z 3 VwGG Abstand genommen werden.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl 416/1994. Die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft die Position Eingabengebühr, die vom Beschwerdeführer nicht im gesetzlichen Ausmaß von S 360,-- (= 3 x S 120,--), sondern im doppelten Ausmaß angesprochen wurde.
Schlagworte
Sachverhalt BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996160050.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
06.08.2018