TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/29 W169 2242980-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2021
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Entscheidungsdatum

29.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W169 2242980-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2021, Zl. 1277413000-210560740, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 27.04.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.04.2021 gab der Beschwerdeführer an, aus dem Bundesstaat Haryana zu stammen, die Sprachen Hindi und Punjabi zu sprechen und in Indien zwölf Jahre die Grundschule besucht zu haben. Sein Vater sei bereits verstorben, seine Mutter würde in Indien leben. Er habe Indien im März 2019 mit dem Flugzeug Richtung Russland verlassen. Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, dass er im Jahr 2019 eine Auseinandersetzung mit Leuten aus dem Nachbarsdorf gehabt habe. Aufgrund dieser Streitigkeiten sei sein Leben in Gefahr gewesen und er habe flüchten müssen. Sie seien vier Leute gewesen, zwei davon seien inhaftiert worden. Die Polizei suche nach ihm. Bei einer Rückkehr in seine Heimat sei alles möglich.

2. Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.04.2021 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er gesund sei und im Rahmen der Erstbefragung die Wahrheit angegeben habe. Er stamme aus dem Bundesstaat Haryana, wo er bis zur Ausreise im Jahr 2019 gelebt habe. Er sei ledig, habe in Indien zwölf Jahre die Grundschule besucht und danach auf Baustellen gearbeitet. In Indien würden seine Mutter sowie Onkeln und Tanten leben. Seine Mutter und er hätten im Heimatland gearbeitet und so den Lebensunterhalt finanziert.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiterin der Amtshandlung):

„(…)

LA: Sie werden erneut aufgefordert, die Wahrheit anzugeben. Bitte führen Sie alle Gründe

für Ihren Antrag auf internationalen Schutz an.

VP: Anfang 2019 kamen meine Freunde zu mir und sagten mir ich soll sie begleiten. Ich bin

mit denen mitgegangen und dort hatten wir einen Streit. Nach diesem Streit kehrten wir

nach Hause. Am nächsten Tag sind meine Freunde wieder zu mir gekommen und ich bin

wieder mit ihnen mitgegangen. Diesmal kam es zu einer Schlägerei wobei 2 Personen

ernsthaft verletzt wurden und später im Spital verstorben. Die Polizei hat ermittelt, 2

meiner Freunde wurden bereits festgenommen. Die Polizei hat auch nach mir gesucht und

war auch bei mir zuhause. Danach bin ich nach Kalkuta gereist, habe dort bei jemandem

gearbeitet und diese Person hat dann einen Schlepper für mich organisiert. Ich habe 6-7

Monate lang dort gratis gearbeitet, dafür hat er für mich einen Reisepass und meine

Ausreise organisiert. Befragt das war alles.

LA: Gibt es sonst noch weitere Gründe?

VP: Nein.

LA: Wo sind Sie mit Ihren Freunden diese 2-mal hingegangen? Wann war das genau?

VP: In die Stadt Sonipat. 2019 ich glaube im Jänner.

LA: Warum sind Sie nach Sonipat gegangen?

VP: Wir waren auf der Bushaltestelle.

LA: Was war der fluchtauslösende Grund?

VP: Weil 2 Menschen ums Leben gekommen sind und zwei meiner Freunde festgenommen

worden sind. Ich hatte Angst um mein Leben.

LA: Warum hat es diese Schlägerei gegeben?

VP: Meine Freunde haben mit denen gestritten. Ich war auch an der Schlägerei beteiligt

und habe auch jemanden geschlagen.

LA: Warum hat es die Streiterei gegeben?

VP: Es war eine persönliche Angelegenheit meiner Freunde, ich weiß es nicht.

LA: Wo haben Sie in Kalkuta gewohnt und was haben Sie dort gearbeitet?

VP: Ich habe das Wort Kalkuta gar nicht gesagt.

Vermerk: VP gibt an jetzt doch in Kalkuta gewesen zu sein.

LA: Frage wiederholt.

VP: Ich habe zufällig einen Bangladeschi an der Bushaltestelle in Kalkuta getroffen, er

nahm mich mit zu sich nach Hause, die Adresse kenne ich nicht. Ich habe auf der Baustelle

und in der Reinigung gearbeitet.

LA: Haben Sie regelmäßig gearbeitet? Was haben Sie verdient?

VP: Ich habe regelmäßig gearbeitet, Geld habe ich keines bekommen aber ich wurde mit

Essen versorgt. Nachgefragt, ich habe bei dem Mann von der Bushaltestelle geschlafen

und bei ihm gelebt.

LA: Wie haben Sie sich in Kalkuta mit den Leuten verständigt?

VP: Ich habe auf der Arbeit nicht geredet, ich habe nur mit ihm gesprochen, auf Hindi.

LA: Sie führten ins Treffen, dass die Polizei nach Ihnen gesucht hätte. Wo und wann wäre

das gewesen?

VP: Meine Mutter hat mir davon erzählt, dass die Polizei täglich bei mir zuhause ist.

LA: Woher wissen Sie das?

VP: Meine Mutter hat es mir erzählt, nachgefragt nach diesem Streit bin ich die nächsten

5-7 Tage nicht nach Hause gegangen, danach habe ich meine Mutter besucht und da hat

sie mir erzählt, dass die Polizei nach mir sucht.

LA: Sie wurden nur in Ihrer Heimatstadt Sonipat von der Polizei gesucht?

VP: Ja das stimmt.

LA: Während Ihres Aufenthaltes in Kalkuta bis zur Ausreise, gab es da Probleme?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie jemals von Behörden in Ihrem Herkunftsstaat erkennungsdienstlich

behandelt?

VP: Nein.

LA: Besteht ein Haftbefehl gegen Sie?

VP: Ja, deswegen war die Polizei auch bei mir zuhause.

LA: Woher wissen Sie, dass es einen Haftbefehl gegen Sie gibt?

VP: Ich vermute es, weil meine Mutter es mir gesagt hat, dass die Polizei bei uns zuhause

war.

LA: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat jemals aus eigenem Antrieb, das heißt von sich aus

eine Sicherheitsdienststelle, Polizeidienststelle oder Staatsanwaltschaft oder Gericht

aufgesucht? Haben Sie jemals eine solche Einrichtung aufgesucht, weil Sie von diesen

Behörden etwas benötigt haben?

VP: Nein.

LA: Gehörten Sie jemals einer bewaffneten Gruppierung an?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie in Indien jemals aus religiösen oder ethnischen Gründen verfolgt?

VP: Nein.

LA: Waren Sie in Indien Mitglied einer politischen Partei?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie in Indien jemals wegen Ihrer politischen Überzeugung verfolgt?

VP: Nein.

LA: Was befürchten Sie, im Falle der Rückkehr nach Indien erleiden zu müssen?

VP: Ich habe Angst von der Familie der getöteten Personen.

LA: Wollen Sie weitere Gründe vorbringen? Beachten Sie das Neuerungsverbot im

Beschwerdeverfahren. Haben Sie noch Fragen?

VP: Nein.

LA: Das Bundesamt beabsichtigt, Ihren Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen,

zumal die Begründung Ihres Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention

(GFK) findet. Möchten Sie dazu etwas angeben?

VP: Ich habe die ganze Wahrheit gesagt und würde Sie bitten mir Asyl zu geben.

LA: Konnten Sie den Dolmetscher die gesamte Einvernahme über einwandfrei verstehen

und haben Sie das Gefühl, dass dieser Ihre Angaben richtig und vollständig wiedergibt?

VP: Ja.

LA: Ich beende jetzt die Einvernahme, haben Sie alle Gründe vorgebracht, die Sie veranlasst

haben Ihr Heimatland zu verlassen?

VP: Ja.
(…)“

Zu den Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer an, dass er hier keine Verwandten oder sonstige privaten Bindungen habe.

Am Ende der Einvernahme wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zu Indien übergeben und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu bis zum nächsten Einvernahmetermin schriftlich Stellung zu nehmen.

3. Am 29.04.2021 wurde der Beschwerdeführer abermals vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er bis dato die Wahrheit gesagt und keine Ergänzungen habe. Im Rahmen der Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer nochmals die Möglichkeit gegeben, den Ablauf der Schlägerei zu schildern. In diesem Zusammenhang führte der Beschwerdeführer auf Nachfrage auch an, dass der Vorfall vom 15.01.2019 bis 20.01.2019 gewesen sei und er im März nach Kalkutta gegangen sei, wo er bis Dezember 2019 gelebt habe. Im Falle einer Rückkehr nach Indien drohe ihm keine Strafe, „aber die Menschen, die hinter mir her sind, können mich ermorden; außerdem werde ich von der Polizei gesucht.“

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen kein Glauben geschenkt werde. Unabhängig davon stehe dem Beschwerdeführer aber eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der sehr kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien. Die Lage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde dabei vom Bundesamt berücksichtigt.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Nach Wiederholung der Fluchtgründe wurde ausgeführt, dass der Vorwurf, dass der Beschwerdeführer keine Details zu seinen Fluchtgründen angegeben habe, nicht richtig sei, zumal er genaue Zeit- und Ortsangaben gemacht habe und die Ereignisse chronologisch konsistent, inklusive Erklärungen über sämtliche relevante Personen, sowie auch scheinbar nebensächliche Detailangaben, geschildert habe. Zudem seien die indischen Behörden dem Beschwerdeführer gegenüber schutzunwillig und schutzunfähig. Zur innerstaatlichen Fluchtalternative sei festzuhalten, dass die pauschale Behauptung des Bundesamtes, in Indien gebe es immer und für jeden eine innerstaatliche Fluchtalternative, nicht zutreffend sei. Auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers sei eine nur unzureichende Behandlung mit seinem Vorbringen erfolgt. Der Beschwerdeführer habe sich schon intensiv um eine Anpassung an das Leben in Österreich bemüht, weshalb jedenfalls eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt hätte werden müssen. Es werde der Antrag gestellt, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Indien befasse und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Haryana und gehört der Religionsgemeinschaft der Hindus an. Seine Identität steht nicht fest. Er spricht die Sprachen Hindi und Punjabi, besuchte im Herkunftsstaat zwölf Jahre die Grundschule und arbeitete auf Baustellen. Er lebte mit seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt, wobei beide einer Arbeit nachgegangen sind. Sechs bis sieben Monate vor seiner Ausreise aus Indien lebte und arbeitete der Beschwerdeführer in Kalkutta. Er ist ledig, kinderlos und gesund.

Die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Dem Beschwerdeführer steht in Indien eine inländische Schutz- bzw. Fluchtalternative offen.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandtschaft in Österreich. Er spricht nicht Deutsch, geht keinem Erwerb nach und lebt von der Grundversorgung. Er ist strafgerichtlich unbescholten und steht im erwerbsfähigen Alter. In Indien leben die Mutter sowie Onkeln und Tanten des Beschwerdeführers.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

COVID-19

Letzte Änderung: 22.10.2020

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten. Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen in Kleinstädten und ländlichen Gebieten, wo der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden ist (WKO 10.2020). Durch die COVID-Krise können Schätzungen zu Folge bis zu 200 Mio. in die absolute Armut gedrängt werden. Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten, wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Pandemie und dem damit verbundenen

Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Quellen:

? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

(12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszent

rum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-

2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicat

ionFile&v=4, Zugriff 12.10.2020

? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

? WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien,

WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–

Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indienwirtschaftsbericht.

pdfhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indienwirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.10.2020
(…)

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 06.11.2020

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die

nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen,

Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 11.3.2020).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich:

Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden

bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 7.2020). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in Regionen, in denen es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen.

Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu

Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020, ÖB 9.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020),

Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht _zur_asyl_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%

2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

? BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit,

Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte:

Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 20.10.2020

? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 –

India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 18.3.2020

? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020: Asylländerbericht Indien

? USDOS – US Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious

Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 22.7.2020

? USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

(…)


Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 22.10.2020

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 23.9.2020). Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Myanmar. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen (USDOS 11.3.2020).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020). In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten („high profile“ persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen („low profile“ people) (ÖB 9.2020).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht

_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%

2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

? USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights

Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 17.3.2020

MELDEWESEN

Letzte Änderung: 05.11.2020

Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 9.2020;

vgl. AA 23.9.2020). Allerdings besteht für alle EinwohnerInnen (auch ausländische StaatsbürgerInnen) die freiwillige Möglichkeit, sich umfassend mittels Aadhaar (12-stellige, individuelle Nummer) registrieren zu lassen. Als Sicherheitsmaßnahme für die Registrierung dienen ein digitales Foto, Fingerabdrücke aller 10 Finger sowie ein Irisscan. Mittels Aadhaar ist es dann möglich, Sozialleistungen von der öffentlichen Hand zu erhalten. Auf Grund der umfangreichen Sicherheitsmaßnahen (Irisscan, Fingerabrücke) ist das System relativ fälschungssicher. Mittlerweile wurden über 1,2 Mrd. Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 9.2020).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und

abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

(…)

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 23.10.2020

Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden.

Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Mio. Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).

Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und 2017/18 bei 6,75

Prozent (BICC 12.2019). 2019 betrug das Wirtschaftswachstum 4,9 Prozent. Für 2020 wurde ein

Wachstum der Gesamtwirtschaft um 6,1 Prozentpunkte erwartet (WKO 1.2020). Doch schrumpfte

im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2020/2021 (1. April 2020 bis 30. Juni 2021) aufgrund der COVID-19-Pandemie das Wirtschaftswachstum um beispiellose 23,9 Prozent. Der private Konsum und die Investitionen gingen stark zurück. Gleichzeitig verringerte sich in derselben Periode der Output der Industrie (Minus 38 Prozent) und des Dienstleistungssektors (Minus 21 Prozent) dramatisch. Für das am 1.4.2020 begonnene Geschäftsjahr erwarten Experten, dass die indische Wirtschaft um 9,6 Prozent schrumpfen und danach nur sehr langsam eine Erholung einsetzen wird. Die schwächelnde Nachfrage im In- und Ausland dürfte auch die Handelsbilanz in beide Richtungen belasten (WKO 10.2020).

2017 lag die Erwerbsquote bei 53,8 Prozent (StBA 26.8.2019). Frauen sind weniger häufig als Männer berufstätig (FES 9.2019). Indien besitzt mit ca. 520 Millionen Menschen die zweitgrößte Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Im Jahr 2019 lag die Arbeitslosenquote bei 7,6 Prozent, 2020

bei 10,8 Prozent. Für 2021 wird eine Arbeitslosenrate von 9,5 Prozent erwartet (WKO 10.2020).

Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und

Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates.

Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal

geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen

Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben

sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019). Die überwiegende

Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,1 Prozent (2017/18) der

Gesamtwirtschaft, obgleich fast 50 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind

(Shah-Paulini 2017).

Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2019; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben

Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2019). Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastruktur-entwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 1.852 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 131 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (BICC 7.2020).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 2019).

Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche

Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018). 55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multidimensionaler Armut (HDI 2016). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar- ID ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte

Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und

abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni

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_zur_asyl-

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2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2019): Länderinformationsblatt

Indien, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_India_DE.pdf, Zugriff

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? BBC - British Broadcasting Corporation (26.9.2018): Aadhaar: India top court upholds

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Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte:

Länderinformation

Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.p

df, Zugriff 20.10.2020

? FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (9.2019): Feminist perspectives on the future of work in

India, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/indien/15719.pdf, (Zugriff 18.3.2020

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India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 17.1.2020

? HRW - Human Rights Watch (13.1.2018): India: Identification Project Threatens

Rights, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422175.html, Zugriff 17.1.2019

? ORF - Österreichischer Rundfunk (27.9.2018): Indiens Form der digitalen

Überwachung, https://orf.at/stories/3035121/, Zugriff 17.1.2019

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? PIB - Press Information Bureau Government of India Ministry of Labour & Employment

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? Shah-Paulini, Purvi (2017): Chefsache Integrales Business mit Indien. Den Subkontinent aus

verschiedenen Perspektiven verstehen. Springer Gabler Verlag. Seite 40

? StBA – Statistisches Bundesamt (26.8.2019): Indien: Statistisches Länderprofil, https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender- Regionen/Internationales/Laenderprofile/indien.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 15.3.2020

? Wiemann, Kristina N. (2019): Qualifizierungspraxis deutscher Produktionsunternehmen in

China, Indien und Mexiko: Eine Analyse der Übertragbarkeit dualer Ausbildungsansätze. Springer Verlag. Seite 201

? WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien,

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Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.10.2020

? WKO - Aussenwirtschaft Austria (1.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich

Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 11.2.2020

(…)

Rückkehr

Letzte Änderung: 23.10.2020

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 23.9.2020). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheits-behörden rechnen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 9.2020).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB

9.2020).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und

abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht

_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%

2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

Dokumente

Letzte Änderung: 23.10.2020

Der Zugang zu gefälschten Dokumenten oder echten Dokumenten falschen Inhalts ist leicht. Gegen entsprechende Zahlungen sind viele Dokumente zu erhalten. Erleichtert wird der Zugang überdies durch die Möglichkeit, Namen ohne größeren Aufwand zu ändern. Hinzu kommt, dass die indischen Gerichte keine einheitlichen Formulare verwenden. Eine Überprüfung ist zusätzlich dadurch erschwert, dass die indischen Behörden sowie die weiteren Beteiligten nur zögerlich oder überhaupt nicht kooperieren. Hinweise auf Fälschungen sind insbesondere unvollständige Siegelstempel, fehlende Unterschriften sowie bei Rechtsanwälten fehlende Adressenangabe und Aktenzeichen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).

Echte Dokumente unwahren Inhalts

Echte Dokumente unwahren Inhalts sind problemlos (gegen entsprechende Zahlungen oder als Gefälligkeit) erhältlich. Bei Personenstandsurkunden handelt es sich dabei um echte Urkunden falschen Inhalts, bei Gerichtsentscheidungen (z.B. Scheidung, Sorge) um echte Urteile, die jedoch

aufgrund erfundener Sachverhalte und ohne Einhaltung grundlegender Verfahrenserfordernisse

(rechtliches Gehör, Interessenabwägung, Begründung) ergehen. (AA 23.9.2020). Die Überprüfung

der Echtheit von Dokumenten gestaltet sich als schwierig. So besteht etwa zwischen zahlreichen

Personen aus dem Punjab, Delhi und Haryana eine Namensidentität, sodass die Zuordnung eines

Haftbefehls häufig problematisch ist. Der Namenszusatz männlicher Sikhs ist „Singh“ (Löwe), der aller weiblicher Sikhs „Kaur“ (Löwin); Singh ist zudem ein verbreiteter Hindu-Nachname in Nord-indien. Die Mitteilung sämtlicher Vornamen sowie des Geburtsdatums und der Name der Eltern sind daher für die eindeutige Zuordnung unerlässlich (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).

Zugang zu gefälschten Dokumenten

In der Vergangenheit haben sich Dokumente im Zusammenhang mit Strafsachen und Fahndung

sowie dazugehörige Eidesstattliche Versicherungen (affidavits) auch als falsch oder gefälscht

herausgestellt. Die Überprüfung der Echtheit von Haftbefehlen gestaltet sich schwierig. Vorgelegte

Dokumente („Warrant of Arrest“, „First Investigation Report“, Bestätigungsschreiben von Rechtsanwälten, „Affidavits“ von Dorfvorstehern oder Angehörigen) stellen sich bei Überprüfung häufig als gefälscht heraus. Überprüfungen im Asylverfahren ergeben häufig, dass weder der Sach-vortrag noch die Identität des Betreffenden bestätigt werden kann (AA 19.7.2019).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrele-vanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl- _und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

2. Beweiswürdigung:

2.1. Mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments steht die Identität des Beschwerdeführers nicht fest. Seine Staatsangehörigkeit und seine Herkunft erscheinen auf Grund seiner Sprach- und Ortskenntnisse glaubhaft.

Die Feststellungen über die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Verwandten im Herkunftsstaat, sowie die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer in Österreich keine Verwandten hat, nicht Deutsch spricht, keinem Erwerb nachgeht, ledig, kinderlos und gesund ist, beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Einvernahmen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.04.2021 und am 29.04.2021.

Dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nimmt und strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme ins Grundversorgungssystem und ins österreichische Strafregister.

Die Beurteilung der belangten Behörde, wonach das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht glaubhaft ist, ist zutreffend. Der Beschwerdeführer hat zwar eine derartige Bedrohungssituation sowohl im Verlauf der sicherheitsbehördlichen Erstbefragung als auch bei den Einvernahmen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.04.2021 und am 29.04.2021 behauptet, seine diesbezüglichen Angaben sind jedoch, wie im angefochtenen Bescheid richtig festgehalten, als sehr vage und widersprüchlich zu qualifizieren.

Wie im angefochtenen Bescheid zu Recht festgehalten, war das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Auseinandersetzungen mit Leuten aus dem Nachbarsdorf sehr vage und detailarm. So war der Beschwerdeführer, trotz mehrmaliger Nachfrage, nicht in der Lage, den Grund der Schlägerei zu nennen. Er blieb auch bei seinen Angaben zur Suche der Polizei nach ihm nur äußerst unbestimmt und führte in diesem Zusammenhang lediglich aus, dass seine Mutter dem Beschwerdeführer erzählt habe, dass die Polizei täglich beim Beschwerdeführer zuhause gewesen sei. Weitere Details bzw. weitere ausführliche Angaben dazu blieb der Beschwerdeführer jedoch schuldig.

Darüber hinaus war das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen, wie schon das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid zu Recht aufgeführt hat, widersprüchlich, zumal der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes angegeben hat, im März 2019 mit dem Flugzeug nach Russland geflogen zu sein. Dies kann aber zeitlich gar nicht möglich sein, zumal der Beschwerdeführer bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgeführt hat, dass er nach der Schlägerei im Jänner 2019 im März 2019 nach Kalkutta gegangen sei, wo er sechs bis sieben Monate gelebt und gearbeitet habe. Darüber hinaus ist es für das Bundesverwaltungsgericht auch nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer, nachdem die Schlägerei bereits im Jänner 2019 stattgefunden haben will, erst im März 2019 nach Kalkutta gegangen ist, obwohl die Polizei, nach den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, täglich zu ihm nachhause gekommen sei und nach ihm gesucht habe. Wäre die Polizei nach der Schlägerei tatsächlich täglich beim Beschwerdeführer zuhause gewesen, um ihn zu verhaften, so hätte der Beschwerdeführer seinen Heimatort wohl schon eher verlassen und wäre nicht erst im März 2019 nach Kalkutta gegangen.

Darüber hinaus würde sich – wie im Bescheid zu Recht angeführt – auch bei Wahrunterstellung der Bedrohungsbehauptungen des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen über die Lage in seinem Herkunftsstaat daraus keine ernsthafte Bedrohungssituation für den Beschwerdeführer ableiten lassen. Aus den Länderberichten ergibt sich deutlich, dass in Indien volle Bewegungsfreiheit gewährleistet ist. Es kann grundsätzlich örtlich begrenzten Konflikten bzw. Verfolgungshandlungen durch Übersiedelung in einen anderen Landesteil ausgewichen werden. Weiters gibt es kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem für indische Staatsangehörige und diese besitzen in der Mehrzahl keine Ausweise. Die indische Verfassung garantiert indischen Staatsangehörigen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Staatsgebiet sowie das Recht auf Niederlassung und Aufenthalt in jedem Teil des Landes. Auch bei strafrechtlicher Verfolgung ist in der Regel ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken in anderen Teilen Indiens möglich, ohne dass diese Person ihre Identität verbergen muss. Der Beschwerdeführer würde daher auch bei Zugrundelegung seiner Angaben über eine Bedrohungssituation die Möglichkeit haben, vor einer Verfolgung von dieser Seite durch Niederlassung außerhalb seiner Herkunftsregion Sicherheit zu finden. Diesbezüglich gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, dass er sechs bis sieben Monate in Kalkutta gelebt und gearbeitet habe und während dieser Zeit keine wie immer gearteten Probleme gehabt habe, weshalb das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid zu Recht davon ausging, dass dem Beschwerdeführer in Kalkutta eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehen würde. Unabhängig davon könnte sich der Beschwerdeführer aber auch in einem anderen Teil Indiens niederlassen, was für den Beschwerdeführer aufgrund seiner Sprachkenntnisse in Punjabi und Hindi zumutbar erscheint, zumal er seinen Lebensunterhalt auch durch Gelegenheitsarbeiten bzw. eventuell auch durch die finanzielle Unterstützung seiner in Indien lebenden Verwandten sichern könnte.

Dies gilt auch in Betrachtung einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten, allfälligen schwierigeren wirtschaftlichen Gesamtlage, da damit nicht derartige Einschränkungen einhergehen, dass einer Person in der Ausgangslage des Beschwerdeführers jegliche Existenzgrundlage entzogen wäre. Dies, zumal in Indien bereits Impfstoffe zur Verfügung stehen, sodass mittelfristig mit einem Wegfall derartiger Einschränkungen zu rechnen ist.

2.2. Die oben wiedergegebenen Feststellungen zur Situation in Indien ergeben sich aus den im angefochtenen Bescheid herangezogenen Länderberichten, die dieser Entscheidung zugrunde gelegt wurden. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben, weshalb dem Antrag des Beschwerdeführers im Beschwerdeschriftsatz, einen landeskundlichen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Indien befasse, nicht nachzukommen war.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zum Spruchteil A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht, oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK (i.d.F. des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern dies

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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