TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/1 W218 2234809-1

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Veröffentlicht am 01.07.2021
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Entscheidungsdatum

01.07.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W218 2234809-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Marion STEINER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich vom 30.06.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Bescheid vom 30.06.2020 stellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) fest, dass mit einem Grad der Behinderung von 30 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien.

2.       Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin aufgrund zweier Bandscheibenvorfälle und einem Knick in der Wirbelsäule ständig an Schmerzen an der Lendenwirbelsäule leide. Das Gehen in der Dauer von 30 Minuten sei der Beschwerdeführerin nicht möglich sowie auch der Finger-Bodenkontakt nicht. Durch einen Sturz sei zudem die Halswirbelsäule nur eingeschränkt beweglich und habe sie eine beidseitige Daumengelenksoperation gehabt. An den Augen hatte sie eine Operation aufgrund des grauen Stars. Sie leide zudem an tiefliegenden wiederkehrenden Venenentzündungen. Darüber hinaus könne sie seit der Entfernung der Eierstöcke und Gebärmutter nur mit starken Hilfsmitteln ihren Stuhl entleeren und sei dieser unvorhersehbar. Sie leide zudem an einer Harninkontinenz beim Husten und Niesen. Es sei nunmehr auch ein Tinnitus im linken Ohr diagnostiziert worden.

3.       Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 07.09.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

4.       Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurden ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt, die einen Gesamtgrad der Behinderung von 30 vH ergaben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 vH.

Die Beschwerdeführerin leidet an folgenden Funktionseinschränkungen:

1. Kniegelenksarthrose links, Knietotalendoprothese rechts, Pos.Nr.: 02.05.19, Grad der Behinderung 30%

2. Zustand nach Gebärmuttercarcinom mit Operation (Gebärmutter- und Eierstockentfernung beidseits) 2012 nach Abschluss der Heilungsbewährung, Pos.Nr.: 13.01.02, Grad der Behinderung 30%

3. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Pos.Nr.: 02.01.01, Grad der Behinderung 20%

4. Blande Narbe nach Quadrantenresektion linke Brust (2000) bei gutartigem Tumor, Pos.Nr.: 01.01.01, Grad der Behinderung 10%

5. Zustand nach Grauer Star OP mit Hinterkammerlinsenimplantation beidseits, normales Sehvermögen beidseits, Pos.Nr.: 11.02.01, Grad der Behinderung 10%

Da die Beschwerdeführerin keinen Gesamtgrad der Behinderung von 50% (fünfzig v.H.) erreicht, sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt.

2.       Beweiswürdigung:

Die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig und nachvollziehbar, sie weisen keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund, und aufgrund der Aktenlage entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Im medizinischen Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie, Arztes für Allgemeinmedizin, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.08.2020, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Das führende Leiden 1 „Kniegelenksarthrose links, Knietotalendoprothese rechts“ wurde vom chirurgischen Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 02.05.19 mit dem oberen Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 30 vH eingestuft, da bei der Beschwerdeführerin beidseitige endlagige Beugehemmungen objektivierbar sind. Im Zuge der persönlichen Untersuchung konnten im rechten Kniegelenk keine Lockerungszeichen erkannt werden, das Gelenk zeigte sich bandfest und ergussfrei. Im linken Kniegelenk war ein minimal intraartikulärer Erguss objektivierbar, es zeigte sich jedoch insgesamt als bandfest, aber mit deutlicher Gegeninnervation und Schmerzen im Zuge der Untersuchung. Im Zuge der persönlichen Untersuchung zeigte sich das Gangbild gering linkshinkend, aber sicher, der Barfußgang wurde kleinschrittig ausgeführt und benutzt die Beschwerdeführerin eine Unterarmstützkrücke rechts. Die Beschwerdeführerin hat keine aktuellen Befunde vorgelegt, der vorliegende Entlassungsbrief stammt bereits vom 12.12.2012.

Das unter laufender Nummer 2 angeführte Leiden 2 „Zustand nach Gebärmuttercarcinom mit Operation (Gebärmutter- und Eierstockentfernung beidseits) 2012 nach Abschluss der Heilungsbewährung“ wurde vom medizinischen Sachverständigen unter der Positionsnummer 13.01.02 mit einem Grad der Behinderung von 30 vH eingestuft. Bei der Einstufung wurde der bei der Beschwerdeführerin objektivierbare imperative Stuhlgang mit erhaltener Kontinenz sowie die noch bestehenden Wallungen bereits berücksichtigt. Die Tumornachsorgeuntersuchungen zeigten jedoch ein zufriedenstellendes Gesamtbild. Eine höhere Einstufung des Leidens kann mangels Vorliegen aktueller Befunde nicht vorgenommen werden.

Der unfallchirurgische Sachverständige stufte das Leiden 3 „Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule“ unter der Positionsnummer 02.01.01 mit einem Grad der Behinderung von
20 vH ein, da geringe Funktionseinschränkungen objektivierbar sind, aber kein neurologisches Defizit vorliegt. Der Sachverständige untersuchte die Wirbelsäule der Beschwerdeführerin ausführlich und ist diese etwa 5 cm nach rechts aus dem Lot, es bestehen regelrechte Krümmungsverhältnisse. Der Finger-Boden-Abstand betrug 35 cm, beim Ankleiden konnte das Vorwärtsbeugen im Sitzen völlig uneingeschränkt erfolgen. Der Fingerkuppen-Kniegelenkspalt-Abstand betrug links 5 cm, rechts war er uneingeschränkt möglich. Aufgrund der ausführlichen Untersuchung und mangels Vorliegen aktueller Befunde, welche eine höhergradige Funktionseinschränkung befundmäßig dokumentieren, ist keine höhere Einstufung des Grades der Behinderung vorzunehmen.

Das Leiden 4 „Blande Narbe nach Quadrantenresektion linke Brust (2000) bei gutartigem Tumor“ wurde vom medizinischen Sachverständigen unter der Positionsnummer 01.01.01 mit dem fixen Rahmensatz von 10 vH eingestuft.

Im medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Augenheilkunde, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, am 15.01.2021, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die augenfachärztliche Sachverständige stufte das Leiden 5 „Zustand nach Grauer Star OP mit Hinterkammerlinsenimplantation beidseits, normales Sehvermögen beidseits“ schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 11.02.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH ein, wobei die Kunstlinsenimplantation beidseits mit +10% bereits inkludiert ist. Die Sachverständige untersuchte die Augen der Beschwerdeführerin ausführlich und konnte ein normales Sehvermögen festgestellt werden. Die Hinterkammerlinse ist in situ und der Augendruck ist normal. Es konnten keine Auffälligkeiten objektiviert werden. Die Beschwerdeführerin gab gegenüber der Sachverständigen in der Anamnese selbst an, sie sehe seit der Grauen Star Operation sehr gut und verneinte sie subjektive Augenbeschwerden. Eine höhere Einstufung des Grades der Behinderung der objektivierbaren Funktionseinschränkung kann sohin nicht erfolgen.

Im zusammenfassenden medizinischen Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin, wird, basierend auf der Aktenlage, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 vH, da das führende Leiden 1 durch die übrigen Leiden 2 bis 5 nicht weiter erhöht wird, da keine maßgebliche wechselseitige ungünstige Leidensbeeinflussung vorliegt.

Im Beschwerdeverfahren wurde die Funktionseinschränkung unter laufender Nummer 3 „Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule“ neu in die Liste der Funktionseinschränkungen aufgenommen, da dieses nunmehr objektivierbar ist. Die Berücksichtigung dieses Leidens führt jedoch mangels ungünstiger Leidensbeeinflussung zum führenden Leiden 1 zu keiner Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung.

Die Behörde (bzw. das Gericht) hat ein Gutachten auf seine Vollständigkeit und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten hat die Behörde nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen. Die belangte Behörde und der Beschwerdeführer sind den getroffenen Feststellungen nicht entgegengetreten, weshalb das Gericht die im Gutachten getroffenen Feststellungen ohne weitere Ermittlungen dem Sachverhalt zugrunde gelegt hat.

Mit dem Beschwerdevorbringen haben sich die seitens der belangten Behörde sowie seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholten Sachverständigengutachten ausführlich auseinandergesetzt. Es wurde dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nachvollziehbar, schlüssig und vollständig entgegen getreten und kann somit den Einwendungen der Beschwerdeführerin angesichts des Inhalts des Gutachtens nicht gefolgt werden. Die Beschwerdeführerin konnte keine Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit des Gutachtens aufzeigen. Auch sind an den Personen der Sachverständigen keine Bedenken aufgetreten.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die eingeholten Sachverständigengutachten daher als schlüssig, vollständig und nachvollziehbar. In einer Zusammenschau der vorliegenden Befunde, des Gutachtens und dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin dem Gutachten nicht entgegentreten ist, geht der erkennende Senat davon aus, dass das Sachverständigengutachten bzw. der darin festgelegte Grad der Behinderung von 30 v.H. der Entscheidung zugrunde zu legen ist.

Deren Inhalt wurde auch im Rahmen des Parteiengehörs unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen.

Die eingeholten Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Die Sachverständigengutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Auszug aus der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) idgF:

„Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
-         sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
-         zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.“

Da ein Grad der Behinderung von 30 (dreißig) vH festgestellt wurde und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.

Der Rechtsprechung des EGMR kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.4.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.6.1993).

Im Erkenntnis vom 18.01.2005, GZ. 2002/05/1519, nimmt auch der Verwaltungsgerichtshof auf die diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR (Hinweis Hofbauer v. Österreich, EGMR 2.9.2004) Bezug, wonach ein mündliches Verfahren verzichtbar erscheint, wenn ein Sachverhalt in erster Linie durch seine technische Natur gekennzeichnet ist. Darüber hinaus erkennt er bei Vorliegen eines ausreichend geklärten Sachverhalts das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise an, welches das Absehen von einer mündlichen Verhandlung gestatte (vgl. VwGH vom 4.3.2008, 2005/05/0304).


Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde auf gutachterlicher Basis ermittelt. Zudem wurde von der beschwerdeführenden Partei in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet, welches eine weitere Erörterung notwendig erschienen ließ.

Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W218.2234809.1.00

Im RIS seit

11.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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