TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/1 W209 2243900-1

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Veröffentlicht am 01.07.2021
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Entscheidungsdatum

01.07.2021

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §13 Abs2
VwGVG §13 Abs5

Spruch


W209 2243900-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Gabriele STRAßEGGER und Peter STATTMANN als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Neunkirchen vom 17.06.2021 betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Neunkirchen vom 01.06.2021 betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe für die Zeit von 13.05.2021 bis 07.07.2021 wegen Vereitelung einer möglichen Arbeitsaufnahme zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 01.06.2021 sprach die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 38 iVm § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) den Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe für die Zeit von 13.05.2021 bis 07.07.2021 (acht Wochen) aus. Begründend führte das AMS aus, dass die Beschwerdeführerin das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses mit möglichem Arbeitsantritt ab 13.05.2021 als Transitarbeitskraft bei XXXX vereitelt habe. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor bzw. hätten nicht berücksichtigt werden können.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin binnen offener Rechtsmittelfrist am 15.06.2021 Beschwerde.

3. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 17.06.2021 schloss das AMS die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom 15.06.2021 gemäß § 13 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) mit der Begründung aus, dass die Beschwerdeführerin bereits seit 15.01.2007 im Leistungsbezug stehe, sohin Langzeitarbeitslosigkeit vorliege, ihr gegenüber seit der zuletzt erworbenen Anwartschaft bereits wiederholt Sanktionen gemäß § 10 AlVG verhängt worden seien und aktuell gegen sie Exekution geführt werde, was die Einbringlichkeit der Forderung bei vorläufiger Anweisung der Leistung als deutlich gefährdet erscheinen lasse. Eine aufschiebende Wirkung würde daher den aus generalpräventiven Gründen im öffentlichen Interesse gelegenen Normzweck der §§ 9 und 10 AlVG unterlaufen. Das Vorgehen diene dem gerechtfertigten Ziel der Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Aus diesem Grund überwiege in diesem Fall das öffentliche Interesse das mit der Beschwerde verfolgte Einzelinteresse.

4. Gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde, die sie im Wesentlichen damit begründete, dass sie sich immer beworben habe und auch bereits eine Einstellzusage für den 28.06.2021 als Fabrikarbeiterin habe. Sie habe drei Kinder, die sie ernähren müsse, und müsse die Miete zahlen. Ihr Mann habe erst seit kurzem eine Arbeit bekommen und könne sie nicht unterstützen.

5. Am 30.06.2021 einlangend legte das AMS die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und teilte mit, von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung (betreffend die Beschwerde gegen den Bescheid vom 01.06.2021) nicht absehen zu wollen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der vorliegenden Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die Beschwerdeführerin steht seit 15.01.2007 – nur unterbrochen durch ein einmonatiges Dienstverhältnis und diverse Krankenstände – im Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung.

Gegen sie wurden bereits mehrere Sanktionen wegen Arbeitsvereitelung verhängt.

Gegen sie laufen zahlreiche Exekutionen. Die Forderungen betragen insgesamt € 39.672,56.

Die Beschwerdeführerin legte in ihrer Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht dar, inwiefern sie der Vollzug des Bescheides über den Verlust der Notstandshilfe unverhältnismäßig hart treffen würde. Insbesondere wurden keine Umstände dargelegt, die entgegen den Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen.

Auch ist prima facie nicht ersichtlich, dass die Beschwerde gegen die Verhängung der beschwerdegegenständlichen Ausschlussfrist wahrscheinlich Erfolg haben wird.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur bestehenden Langzeitarbeitslosigkeit, zu den bereits verhängten Ausschlussfristen und zu den gegen die Beschwerdeführerin laufenden Exekutionen sowie der Inhalt der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung stehen aufgrund der Aktenlage fest.

Der dem ersten Anschein nach unwahrscheinliche Erfolg der Beschwerde gegen den Anspruchsverlust für die Zeit von 13.05.2021 bis 07.07.2021 ergibt sich aus dem Umstand, dass nicht bereits aufgrund der Aktenlage erkennbar ist, dass die gegenständliche Ausschlussfrist zu Unrecht verhängt wurde. So hat das AMS erst im Zuge der Beschwerde in der Hauptsache vom Verwaltungsgericht zu überprüfende Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Einstellung des Leistungsbezugs gerechtfertigt ist.

Soweit die Beschwerdeführerin vorbrachte, ab 28.06.2021 über eine Einstellzusage als Fabrikarbeiterin zu verfügen, ergab eine amtswegige Abfrage der Versicherungsdaten der Beschwerdeführerin, dass sie zwar am 28.06.2021 eine neue, die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung aufgenommen hat. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann aber noch nicht beurteilt werden, ob die neue Beschäftigung über die verhängte Ausschlussfrist hinaus andauern wird und die Aufnahme des Dienstverhältnisses nach der Judikatur des VwGH daher jedenfalls im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG Nachsicht begründend zu berücksichtigen wäre (vgl. VwGH 02.04.2008, 2007/08/0234).

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I. Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die aufschiebende Wirkung von der Behörde mit Bescheid ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Nach § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Behörde die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 – sofern sie nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist – dem Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Die Entscheidung über Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung (VwGH 01.09.2014, Ra 2014/03/0028). § 13 Abs. 2 VwGVG ermöglicht es, den in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einbringung allenfalls unberechtigt empfangener Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung zu begegnen und dem Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides zu berücksichtigen, indem die berührten öffentlichen Interessen mit den Interessen des Leistungsempfängers abgewogen werden. Stellt sich im Zuge dieser Interessenabwägung heraus, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist, so kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde mit Bescheid ausschließen (VwGH 11.04.2018, Ro 2017/08/0033).

Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" bringt zum Ausdruck, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 31 zu § 64 AVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 13 VwGVG K 12).

Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 3f und 19 zu § 56). Wirkt der Notstandshilfebezieher an den Feststellungen über die Einbringlichkeit nicht mit, kann von einer Gefährdung derselben ausgegangen werden (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 19 zu § 56). Eine maßgebliche Gefährdung der Einbringlichkeit des Überbezuges wäre allerdings dann nicht anzunehmen, wenn die prima facie beurteilten Erfolgsaussichten der Beschwerde eine Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe unwahrscheinlich machen (vgl. zur Erfolgsprognose VwGH 09.05.2016, Ra 2016/09/0035) (VwGH 11.04.2018, Ro 2017/08/0033).

Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können (vgl. zur Interessenabwägung nach § 30 Abs. 2 VwGG auch VwGH 14.02.2014, Ro 2014/02/0053), hat ein Notstandshilfebezieher insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren Umstände, die sein Interesse an einer Weitergewährung untermauern, sowie die in seiner Sphäre liegenden Umstände, die entgegen entsprechender Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG) seiner Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen, zumal das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden hat (VwGH 11.04.2018, Ro 2017/08/0033).

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin kein Vorbringen darüber erstattet, dass sie der Vollzug des Bescheides über den Verlust der Notstandshilfe unverhältnismäßig hart treffen würde. Insbesondere wurden keine Umstände dargelegt, die entgegen den Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen. Auch ist prima facie nicht ersichtlich, dass die Beschwerde gegen die Einstellung des Leistungsbezugs wahrscheinlich Erfolg haben wird. Eine Abwägung der Interessen der Beschwerdeführerin an der Weiterzahlung der Notstandshilfe mit den beschriebenen öffentlichen Interessen an der Wirksamkeit von Maßnahmen iSd § 10 Abs. 1 AlVG und an der Einbringlichkeit von Rückforderungsansprüchen ergibt somit im Lichte der oben angeführten Judikatur ein Überwiegen der öffentlichen Interessen.

Angesichts der vom AMS festgestellten Umstände des Einzelfalls (Langzeitarbeitslosigkeit, laufende Exekutionen), welche die Einbringlichkeit der Forderungen des AMS bei vorläufiger Anweisung der Leistung als gefährdet bzw. sogar aussichtslos erscheinen lassen, ist vorliegend von einem derartigen Nachteil für die berührten öffentlichen Interessen auszugehen, sodass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides wegen Gefahr im Verzug auch dringend geboten ist.

Die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung war daher gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

Mit der gegenständlichen Entscheidung wird einer Entscheidung in der Hauptsache nicht vorgegriffen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall Interessenabwägung Konkretisierung öffentliche Interessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W209.2243900.1.00

Im RIS seit

11.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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