TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/1 W163 1421615-3

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Veröffentlicht am 01.07.2021
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Entscheidungsdatum

01.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W163 1421615-3/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2019, Zahl XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 55 Abs 1 Z 1 und Abs 2 und § 54 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

II. Die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe :

I. Verfahrensgang

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein indischer Staatsangehöriger, reiste unrechtmäßig in Österreich ein und stellte am 12.09.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom 15.09.2011 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und festgestellt, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Z 13 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Indien nicht zukommt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde der BF gemäß § 10 Abs 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Einer allfälligen Beschwerde wurde gemäß § 38 Abs 1 AsylG vorab die aufschiebende Wirkung aberkannt (Strichpunkt IV.).

3.       Mit Beschluss des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom 11.10.2011 wurde der Beschwerde gemäß § 38 Abs 2 AsylG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

4.       Mit Erkenntnis des AsylGH vom 10.07.2013 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des BAA vom 15.09.2011 gemäß §§ 3, 8, 10 Abs 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.

5.       Am 22.08.2013 wurde der BF aufgrund seines rechtswidrigen Aufenthaltes gemäß § 120/1a FPG angezeigt.

6.       Am 16.10.2013 wurde der BF von der Landespolizeidirektion Wien (im Folgenden: LPD) zum Gegenstand „Einvernahme – Sicherung der Ausreise“ niederschriftlich einvernommen.

7.       Am 16.10.2013 fand eine Strafverhandlung im Verwaltungsstrafverfahren betreffend den BF bei der LPD statt.

8.       Mit Straferkenntnis der LPD vom 16.10.2013 über den BF gemäß § 12 Abs 1a FPG eine Geldstrafe von 500,-- Euro verhängt. Ferner wurde ihm die Zahlung der Kosten des Strafverfahrens gemäß § 64 VStG iHv 50,-- Euro aufgetragen.

9.       Am 22.10.2013 wurde um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die LPD angesucht.

10.      Am 15.11.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zum Gegenstand „Ausreiseverpflichtung“ niederschriftlich einvernommen.

11.      Am 20.03.2018 stellte der BF den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 Abs 1 AsylG, da er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfülle.

12.      Mit Verfahrensanordnung vom 20.03.2018 erging seitens des BFA ein Verbesserungsauftrag an den BF und wurde ihm eine Frist von 4 Wochen für die Begründung des Antrages und die Vorlage von Urkunden und Nachweisen eingeräumt.

13.      Am 16.10.2018 wurde der BF vor dem BFA zum Gegenstand „Antrag auf Aufenthaltstitel“ niederschriftlich einvernommen.

14.      Mit Bescheid des BFA vom 15.02.2019 wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 20.03.2018 gemäß § 55 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) Gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis Abs 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV.).

15.      Gegen den am 19.02.2019 rechtswirksam zugestellten Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde, welche am 14.03.2019 beim BFA einlangte.

16.      Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 21.03.2019 vom BFA vorgelegt.

17.      Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 18.12.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines rechtlichen Vertreters persönlich teilnahm. Ein Vertreter des BFA nahm an der Beschwerdeverhandlung nicht teil.

18.      Mit Eingabe vom 04.03.2020 wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter die Auflösung der Vollmacht bekanntgegeben.

19.      Mit Eingabe vom 12.03.2020 wurden eine Vollmachtsbekanntgabe und zugleich Integrationsunterlagen vorgelegt.

20.      Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 12.08.2020 neuerlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines rechtlichen Vertreters persönlich teilnahm. Ein Vertreter des BFA nahm an der Beschwerdeverhandlung nicht teil.

21.      Mit Eingabe vom 26.08.2020 legte die rechtsfreundliche Vertretung des BF Unterlagen vor.

22.      Mit Verfahrensanordnung vom 20.01.2021 räumte das BVwG dem BF Parteiengehör im Ermittlungsverfahren ein. Aufgrund der zwischenzeitlichen Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des BFA zu Indien wurde dem BF die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zur Lage im Herkunftsland eingeräumt. Der BF wurde außerdem aufgefordert bekannt zu geben, wenn mittlerweile - über die im bisherigen Verfahren vorgebrachten Gründe hinaus – weitere Gründe vorliegen würden, die seiner Ausweisung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden (insb. solche des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK).

23.      Am 14.08.2020 langte eine Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters des BF ein.

24.      Am 28.05.2021 langte eine weitere Bekanntgabe des rechtsfreundlichen Vertreters ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1.       Feststellungen

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a)       Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX im Dorf XXXX im Distrikt XXXX im Bundesstaat Telangan. Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Indien.

Der BF spricht eine Landessprache Indiens (Telugu) als Muttersprache sowie Tamil, Hindi, Englisch und etwas Marati. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er hat zwei Jahre den Kindergarten, zehn Jahre die Schule sowie zwei Jahre ein Kolleg besucht. Den Bachelor hat er im zweiten Jahr abgebrochen. Im Herkunftsstaat hat der BF in einer Gummi Fabrik als Lehrling gearbeitet.

Der BF ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Familie des BF lebt in Indien, der BF unterstützt diese auch finanziell.

Der BF hat nicht die Absicht oder den Wunsch, nach Indien zurückzukehren. Der BF hat sich einen indischen Reisepass bei der indischen Botschaft ausstellen lassen.

Der BF reiste im September 2011 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seither in Österreich auf. In dieser Zeit hielt er sich während der Dauer des Verfahrens zu seinem Antrag auf internationalen Schutz ein Jahr und zehn Monate rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der BF ist nach Abschluss des Verfahrens seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet.

Der BF wurde einmal wegen unrechtmäßigen Aufenthalts angezeigt und mit Straferkenntnis zu einer Geldstrafe in Höhe von 500 Euro verurteilt.

Der BF verfügt über eine Gewerbeberechtigung über das freie Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“. Auf Basis einer Vereinbarung als Zustellpartner der „ XXXX “ führt der BF Zustellungen durch und lukriert damit durchschnittlich zwischen 1.500,-- und 2.600 Euro brutto pro Monat. Der BF ist zuletzt seit 06.02.2020 durchgehend als gewerblich selbständiger Erwerbsträger bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen – GW Wien gemeldet.

Der BF zahlt monatlich eine Miete in Höhe von durchschnittlich rund 570 Euro monatlich für eine Unterkunft.

Der BF hat ein Zertifikat des ÖSD über das Sprachniveau A2 erlangt und kann sich auf Deutsch verständigen.

Im Bundesgebiet leben keine Verwandten oder sonstigen Familienangehörigen des BF.

Der BF unterhält freundschaftliche Beziehungen in Österreich. Mehrere Privatpersonen bescheinigen ihm Wohlverhalten und sprechen sich für den Verbleib des BF im Bundesgebiet aus. Der BF verbringt seine Freizeit mit Bekannten, spiel Schach und Carrom Board, Kricket und grillt mit seinen Freunden. Darüber hinaus lernt der BF mithilfe des Internets täglich eine Stunde Deutsch und entlehnt Bücher aus der Bücherei.

Der BF ist weder ehrenamtlich tätig noch Mitglied in einem Verein.

Der BF bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

2.       Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende Erwägungen zugrunde:

2.1.    Zum Verfahrensgang

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten des BVwG.

2.2.    Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und Herkunft) getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben des BF, die bereits im Asylverfahren zu seiner Identifikation angenommen wurden.

Die Feststellungen zur Muttersprache des BF beruhen auf seinen Angaben (zuletzt Protokoll der mV vom 12.08.2020 S. 2) und dem Umstand, dass der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 18.12.2019 einen Dolmetscher für die Sprache Telugu beantragt hat. Bei der Beschwerdeverhandlung am 12.08.2020 war ein Dolmetscher für die Sprache Telugu anwesend und konnte diese ohne Verständigungsprobleme durchgeführt werden. Die Feststellungen zu den übrigen vom BF gesprochenen Sprachen ergibt sich aus seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung vom 18.12.2019.

Dass der BF gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich aus seinen diesbezüglichen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (zuletzt Protokoll der mV vom 12.08.2020 S. 3) und daraus, dass er auch aktuell (illegal) erwerbstätig ist.

Die Feststellungen zum Bildungsstandard ergeben sich aus den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung (zuletzt Protokoll der mV vom 12.08.2020 S. 5).

Die Feststellungen zum Personenstand des BF ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen in Indien ergeben sich ebenfalls aus den Aussagen des BF (zuletzt Protokoll der mV vom 12.08.2020 S. 5).

Die Feststellung, dass der BF nicht die Absicht oder den Wunsch hat, nach Indien zurückzukehren, sich jedoch bei der indischen Botschaft einen Reisepass ausstellen hat lassen, stützen sich auf die Angaben in der Beschwerdeverhandlung und den in Kopie vorgelegten, bei der indischen Botschaft in Wien ausgestellten, indischen Reisepass.

Die Feststellungen zum Einreisemonat und Jahr ergeben sich unstrittig aus dem Datum seiner Antragstellung auf internationalen Schutz. Die Feststellung zur Gesamtdauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts sowie zum Umstand, dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen ist, stützen sich auf die im Verfahrensgang dargestellten Verfahren auf internationalen Schutz.

Dass keine Familienmitglieder des BF im österreichischen Bundesgebiet leben, konnte aufgrund der glaubhaften Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung getroffen werden.

Die Feststellungen zur Anzeige wegen unrechtmäßigen Aufenthalts und der darauf verhängten Geldstrafe ergeben sich aus der im Akt einliegenden Anzeige sowie dem Straferkenntnis.

Die Feststellungen zur Gewerbeberechtigung, zum bestehenden Transportvertrag, zum durchschnittlichen Einkommen und der Meldung bei der Sozialversicherungsanstalt ergeben sich aus den Angaben des BF im Verfahren sowie auf die vorgelegten Bestätigungen (Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem, Honorarnoten) und die Einsichtnahme und das AJ-WEB.

Die Feststellungen zur vom BF bezahlten Monatsmiete für eine Unterkunft ergeben sich aus den in Kopie vorgelegten Kontoauszügen. Dass es sich hierbei um die Monatsmieten für eine Unterkunft handelt, ergibt sich aus dem vorgelegten Mietvertrag. Dabei wird nicht verkannt, dass dieser Mietvertrag mit 31.05.2019 aufgelöst wurde und, dass mittels diesem Mietvertrag eine andere Wohnung vermietet wurde. Aufgrund der – abgesehen von der Türnummer – gleichlautenden Adresse ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei den aktuellen Zahlungen ebenfalls um eine Miete für eine Unterkunft handelt, zumal der BF, wie sich aus einem ZMR Auszug ergibt, an dieser Adresse auch gemeldet war.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des BF beruhen auf dem in Vorlage gebrachten A2 Sprachzertifikat sowie auf dem Eindruck in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 12.08.2020, in der der BF entsprechende Fragen ohne Übersetzung auf Deutsch beantwortet hat.

Die Feststellungen zu den sonstigen sozialen Kontakten sowie zur Freizeitgestaltung stützen sich auf die Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung und die vorgelegten Empfehlungsschreiben mehrerer Privatpersonen. Im Verfahren ist weder hervorgekommen, dass er sich ehrenamtlich betätigt noch, dass er Mitglied in einem Verein ist.

Die Feststellung, dass der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus einem GVS-Auszug.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung ergibt sich aus einem rezenten Strafregisterauszug.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Zu I.

2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG, der AsylG-DV, des BFA-VG und des FPG lauten:

ASylG:

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

§ 58. [...]

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

Arten und Form der Aufenthaltstitel

§ 54. (1) Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werden Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1.„Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), berechtigt,

2. „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt, […]

(2) Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar.

Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10 [...]

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

[...]

AsylG-DV:

Urkunden und Nachweise für Aufenthaltstitel

§ 8. (1) Folgende Urkunden und Nachweise sind – unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 – im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

[…]

Verfahren

§ 4. (1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

FPG:

§52 [...]

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

[...]

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

[...]

BFA-VG:

Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.der Grad der Integration,

5.die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

[...]

2.2. Zur Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylGDV 2005 hat der VwGH ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 MRK erforderlich sein muss, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, voraussetzungsgemäß erfüllt ist (vgl. E 15. September 2016, Ra 2016/21/0187). Auch im Fall eines Antrags auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gilt, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylGDV 2005 die gleichen sind wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylGDV 2005 stattzugeben ist, unterscheidet sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Daraus folgt auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs. 1 AsylGDV 2005 in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. B 17. November 2016, Ra 2016/21/0314) (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

2.3.1. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2.3.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet – unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände – ein großes Gewicht verleihen (vgl. VwGH 10.05.2011, Zl. 2011/18/0100, mwN). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist nach der Judikatur des VwGH regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. zuletzt VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325; auch VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249; 30.08.2011, 2008/21/0605; 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; 30.06.2016, Ra 2016/21/0165).

Nach der Judikatur des VwGH ist aber auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (VwGH 17.10.2016 Ro, 2016/22/0005; 23.02.2017 Ra 2016/21/0340).

Dabei sah es der Verwaltungsgerichtshof etwa als nicht zu beanstanden, wenn der Umstand, dass ein Revisionswerber durch die Nichtvorlage seines Reisepasses die Effektuierung der Ausweisung behindert hat als die Länge der Aufenthaltsdauer relativierend gesehen wurde (vgl. etwa VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0197, Rn. 9, in dem darauf abgestellt wurde, dass die lange Aufenthaltsdauer und das dabei erreichte Maß an Integration auf Grund einer Täuschungshandlung ermöglicht worden ist; bzw. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0009, Rn. 15, mwN, in dem darauf abgestellt wurde, dass die Beschaffung eines Heimreisezertifikates - dort: durch unrichtige Angaben - erschwert bzw. behindert worden ist; vgl. zuletzt VwGH 29.08.2018, Ra 2018/22/0180).

Ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale können gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 10. November 2015, Ro 2015/19/0001; B 3. September 2015, Ra 2015/21/0121; B 25. April 2014, Ro 2014/21/0054), Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (zB AuslBG, E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062; B 25. April 2014, Ro 2014/21/0054), eine zweifache Asylantragstellung (vgl. B 20. Juli 2016, Ra 2016/22/0039; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165), sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. E 31. Jänner 2013, 2012/23/0006).

2.3.3. Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190). Auch der Verfassungsgerichtshof verweist darauf, dass ein allein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken könne. Eine andere Auffassung würde sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen (VfSlg. 19.086/2010 mwH).

Dem Umstand, dass der Aufenthaltsstatus des Fremden ein unsicherer war, kommt zwar Bedeutung zu, er hat aber nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 253).

Allerdings ist der Umstand zu berücksichtigen, dass der Inlandsaufenthalt überwiegend unrechtmäßig war (Hinweis E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 11. November 2013, 2013/22/0072, vgl. auch dazu VwGH Ro 2016/22/0005, Rn. 15, mwN). So hat der Verwaltungsgerichtshof hat auch wiederholt ausgesprochen, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in einem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (vgl. wiederum VwGH Ra 2016/22/0056).

2.3.4. Wird einem Fremden sowohl ein Beherrschen der deutschen Sprache als auch in der Vergangenheit ausgeübte Erwerbstätigkeiten und das Vorhandensein von Einstellungszusagen zugestanden, kann keine Rede davon sein, dass er sich überhaupt nicht integriert hätte; dass insbesondere Einstellungszusagen keine Bedeutung zukommt, trifft in Zusammenhang mit einem langjährigen Aufenthalt nicht zu (Ra 2016/21/0168 vom 26.01.2017; vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165).

2.3.5. Auch ein während eines unsicheren Aufenthaltsstatus entstandenes Familienleben hat vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass diesem überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041; Hinweis E vom 19. Juni 2012, 2012/18/0027, 2012/18/0055).

2.3.6. Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt - auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) - nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu auch das Erk. des VfGH v. 9.6.2006, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR; hg. Erk. v. 26.1.2006, 2002/20/0423 und Folgejudikatur, etwa die hg. Erk. v. 26.1.2006, 2002/20/0235, vom 8.6.2006, 2003/01/0600, vom 22.8.2006, 2004/01/0220 und vom 9.2.2007, 2005/20/0040); vgl. auch VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479 und VwGH 19.11.2010, 2008/19/0010, u.v.a.).

Für den vorliegenden Fall bedeuted dies:

Der BF hat keine Verwandten in Österreich, es besteht daher kein Familienleben im Bundesgebiet.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten. Zu Lasten des BF wird die Anzeige wegen unrechtmäßigen Aufenthalts gewichtet. Der BF war durchgehend im Bundesgebiet gemeldet.

Der BF befindet sich seit knapp 10 Jahren (9 Jahren und 9 Monaten) im Bundesgebiet. Entsprechend der oben dargestellten ständigen Judikatur des VwGH ist bei einer derart langen Aufenthaltsdauer regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen.

Gründe, die im Lichte der oben dargestellten Judikatur des VwGH ausnahmeweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt eine Aufenthaltsbeendigung als noch für verhältnismäßig angesehen werden können, sind im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen. Es hat sich im Ermittlungsverfahren nicht ergeben, dass der BF die lange Aufenthaltsdauer durch Täuschungshandlungen erwirkt hätte oder die Beschaffung eines Heimreisezertifikates beispielsweise durch unrichtige Angaben erschwert oder behindert hätte.

Der BF kann sich auf Deutsch verständigen und hat ein Sprachzertifikat auf dem Sprachniveau A2 erworben. Er pflegt freundschaftliche Kontakte, lernt selbständig über das Internet Deutsch, betreibt Sport (Kricket) und mehrere Privatpersonen bescheinigen ihm Wohlverhalten und sprechen sich für den Verbleib des BF im Bundesgebiet aus.

Der BF verfügt über eine Gewerbeberechtigung über das freie Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“. Auf Basis einer Vereinbarung als Zustellpartner der „ XXXX “ führt der BF Zustellungen durch und lukriert damit durchschnittlich zwischen 1.500,-- und 2.600 Euro brutto pro Monat. Der BF ist zuletzt seit 06.02.2020 durchgehend als gewerblich selbständiger Erwerbsträger bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen – GW Wien gemeldet

Es kann somit nicht behauptet werden, dass der BF seinen bisherigen, knapp zehn Jahre dauernden Aufenthalt überhaupt nicht genutzt hat, um sich sprachlich und beruflich zu integrieren.

Es ist zu berücksichtigten, dass der Aufenthalt des BF nach abweisendem Abschluss seines Asylverfahrens ab September 2011 unrechtmäßig war und er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkam und beharrlich im Bundesgebiet verblieb. Der VwGH hat ausgeführt, dass diese Gesichtspunkte – in mehr oder weniger großem Ausmaß - typischerweise auf Personen zutreffen, die nach negativer Erledigung ihres Antrages auf internationalen Schutz einen mehr als zehnjährigen inländischen und zuletzt jedenfalls unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufweisen und diese Umstände per se nicht gegen die regelmäßig überwiegenden persönlichen Unteressen bei einem mehr als 10jährigen Aufenthalt sprechen (siehe zuletzt VwGH vom 23.01.2020, Ra 2019/21/0378, 0388-6, Rn 16).

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegt daher das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet (bzw dem Nichtausstellen eines Aufenthaltstitels).

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

§ 9 Abs. 4 IntG lautet:

„Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt,

über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

einen Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot – Karte‘ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

als Inhaber eines Aufenthaltstitels ‚Niederlassungsbewilligung – Künstler‘ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.“

Der BF verfügt über eine Gewerbeberechtigung und lukriert ein durchschnittliches Einkommen pro Monat zwischen EUR 1.500,-- und 2.000,-- als selbständig Erwerbstätiger. Damit wird die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs 2 ASVG bei weitem überschritten.

Damit ist die Vorraussetzung des § 55 Abs 1 Z2 2. Fall erfüllt und dem Beschwerdeführer eine „Aufenthaltsberechtigung Plus“ zu erteilen.

Das BFA hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 4 AsylG 2005 auszufolgen; der Beschwerdeführer hat dabei gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Zu II.

Nach dem zuvor dargestellten Ergebnis liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung, sowie die Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht mehr vor, weshalb gleichzeitig die betreffenden Spruchpunkte ersatzlos zu beheben waren.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. dazu die zu Spruchpunkt A zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN). Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Ausreiseverpflichtung Deutschkenntnisse ersatzlose Teilbehebung Gewerbeberechtigung Integration Interessenabwägung Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig selbstständig Erwerbstätiger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W163.1421615.3.00

Im RIS seit

11.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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