Entscheidungsdatum
12.07.2021Norm
AsylG 2005 §12 Abs2Spruch
W196 1404500-6/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2021, Zahl 811182307-210610385-210715433, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, beschlossen:
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG rechtmäßig.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren (in Rechtskraft erwachsen):
1.1. Der Beschwerdeführer brachte - damals minderjährig - erstmals am 18.09.2008 gemeinsam mit seinen zwei Brüdern und seiner Mutter einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz ein, welcher am 25.03.2009 rechtskräftig gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen wurde. Zur Begründung dieses Asylantrages führte seine Mutter zu den Fluchtgründen aus, dass der Onkel des Beschwerdeführers dessen Vater angezeigt hätte, weil dieser den Untergrundkämpfern geholfen habe. Daraufhin sei der Vater des Beschwerdeführers von Russen abgeholt worden. Der Onkel hätte dann auch die Mutter angezeigt und ihr überdies ihre Kinder, den Beschwerdeführer und seine beiden Brüder, wegnehmen wollen, sodass sie schlussendlich geflüchtet seien.
1.2. Am 31.03.2009 brachte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Brüdern einen weiteren (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz ein. Das betreffende Verfahren wurde am 16.06.2009 wegen unbekannten Aufenthalts eingestellt.
1.3. Am 17.06.2009 stellte der Beschwerdeführer in der Schweiz und am 04.10.2010 in Belgien gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Brüdern weitere Asylanträge.
1.4. Schließlich stellte der Beschwerdeführer am 07.10.2011 – gemeinsam mit seinen Brüdern, aber ohne seine Mutter (die sich damals noch nicht wieder in Österreich aufhielt) - den dritten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, seine Mutter wünsche, dass er sich bei seiner Tante, ihrer Schwester, in Österreich aufhalte, weil er in der Heimat Probleme mit seinem Onkel väterlicherseits gehabt hätte.
Dieser Antrag wurde zunächst mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.11.2013 für den Status des Asyl- wie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen; unter einem wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.
Gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer erfolgreich Beschwerde, sodass der Bescheid mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.01.2017 aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) zurückverwiesen wurde. Denn – so das Bundeverwaltungsgericht – die belangte Behörde hätte sich nicht mit der Einvernahme seiner Tante und seines Bruders XXXX begnügen dürfen, sondern hätte auch den Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einzuvernehmen gehabt.
In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 11.04.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt aus, dass er als 10-Jähriger mit seiner Mutter aufgrund von Problemen mit der Polizei aus Tschetschenien ausgereist sei. Sein Vater habe vielleicht wegen des Krieges Probleme gehabt. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Sein Vater sei im Jahr 2017 in der Russischen Föderation verstorben. Seine Mutter sei im Bezirk XXXX aufhältig und lebe in einem Haushalt mit seinem jüngeren Bruder. Zu diesen habe er Kontakt. Zu seinem älteren Bruder, der in der Justizanstalt XXXX in Haft sei, stehe er nicht in Kontakt. Persönliche Probleme habe er in Tschetschenien als Schüler gehabt, weil er an Schlägereien beteiligt gewesen sei.
Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 13.04.2018 seinen dritten Antrag auf internationalen Schutz vom 07.10.2011 für den Status des Asyl- wie des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungs-würdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Eine Rückkehrentscheidung wurde gegen ihn erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruch-punkt V.). Eine Frist für seine freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 4 FPG 2005 nicht gewährt (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VII.). Schließlich wurde der Beschwerde gegen die Rückkehr-entscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruch-punkt VIII.).
Dies begründete das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei. Ferner würden ihm im Herkunftsstaat keine Rechts-verletzungen drohen, welche die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gebieten würden. Zudem sei er in Österreich nicht derart integriert, dass dies der Beendigung seines Aufenthalts hier dauerhaft entgegenstehen würde. Ferner würde der Beschwerdeführer wegen seiner wiederholten strafrechtlichen Verurteilungen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, weswegen das genannte Einreiseverbot gegen ihn zu verhängen sei. Zudem sei seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich, sodass einer Beschwerde gegen die Rückkehr-entscheidung die aufschiebende Wirkung abzuerkennen sei.
Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer Beschwerde erhoben.
Am 07.01.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer teilnahm. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers erschien unentschuldigt nicht. Der Beschwerdeführer führte aus, dass er es vorziehen würde, die Verhandlung in Anwesenheit eines Rechtsvertreters durchzuführen. Die Verhandlung wurde vertagt.
Mit Schreiben vom 05.07.2019 legte der Beschwerdeführer Unterlagen zu seiner Berufsausbildung während der Haft und der Teilnahme an psychosozialer Beratung und Betreuung vor.
Am 23.07.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter, seine Mutter und Tante als Zeuginnen und ein Vertreter des Bundesamtes teilnahmen. In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, dass er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder in einem Haushalt in Niederösterreich lebe. Seine Mutter sei in XXXX aufhältig. Er beziehe Arbeitslosengeld und suche derzeit eine Arbeit. In Österreich würde auch seine Tante mütterlicherseits mit ihren drei Söhnen leben. In Tschetschenien sei er zuletzt im Jahr 2008 gewesen. Seine Mutter und Geschwister hätten in Tschetschenien bei den Großeltern mütterlicherseits gelebt. In Tschetschenien habe er noch Verwandte, darunter einen Onkel väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits. Sein Vater sei bereits verstorben. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, dass er auf die Frage keine Antwort hätte. Er wolle in Österreich arbeiten, leben und heiraten. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass er inhaftiert werden würde, weil er keinen russischen Reisepass besitzen würde. Warum seine Familie Tschetschenien verlassen habe, wisse er nicht.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 23.10.2019, W234 1404500-4/38E als unbegründet ab. Im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer eine ihm drohende Verfolgung im Herkunftsstaat durch die heimatlichen Behörden bzw. seine Onkel oder sonstig Private nicht habe glaubhaft machen können.
Dieses Erkenntnis erwuchs am 28.10.2019 in Rechtskraft.
2. Erstes Folgeverfahren
Bereits am 16.11.2020 stellte der Beschwerdeführer erneut einen (vierten) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
In der am 16.11.2020 durchgeführten Erstbefragung wurde der Beschwerdeführer aufgefordert bekanntzugeben, warum er einen neuerlichen Asylantrag angesichts der Rechtskraft der vorangehenden Entscheidung stelle. Der Beschwerdeführer führte aus, dass seine damaligen Fluchtgründe, die von seiner Mutter angegeben worden waren, aufrecht bleiben würden. Er selbst habe auch neue Gründe, denn er habe verschiedene Tattoos am Körper, die in Tschetschenien verboten seien. Diese Tattoos würden gegen Gesetze der Sharia verstoßen. Er kenne seit seiner Kindheit einen Mann in Tschetschenien, mit diesem habe er mittels WhatsApp Kontakt gehabt, sie hätten sich zu Anfang auch gut verstanden. Später habe dieser Mann ihn aber wegen seiner Tattoos bedroht, er wisse nicht genau warum, aber vermutlich würde es sich um seinen Glauben handeln. Im Videochat habe der Mann dann mit dem Umbringen gedroht. Er fürchte somit, im Fall der Rückkehr, von diesem Mann umgebracht zu werden.
In der am 14.01.2021 durchgeführten Einvernahme vor der belangten Behörde, schilderte der Beschwerdeführer, dass es ihm geistig gut gehe, aber körperlich nicht. Er habe hier in Österreich irgendeine Krankheit bekommen, er spüre es hinten am Rücken. Der Rücken fühle sich an, als würden sich Schlangen darin bewegen. Auf die Frage, ob er sich denn diesbezüglich habe untersuchen lassen, führte der Beschwerdeführer aus, dass er einen Termin habe haben wollen, damit der ganze Körper untersucht werde, aber einen solchen Termin habe er noch nicht bekommen. Er müsse auch bei der Nase noch operiert werden. Ob es sich um eine lebensgefährliche oder schwere Erkrankung handle, das wisse er nicht, er sei kein Arzt. Es fühle sich an, als ob sich Würmer oder Schlangen im Körper bewegen würden, um das aus dem Körper herauszuholen, sollte man nach neuer und alter Medizin greifen. Mit alter Medizin meine er, dass aus der Heiligen Schrift vorgelesen werden solle. Er sei auch bereits auf Corona getestet worden, der Test sei negativ gewesen. In Österreich sei er insgesamt so ca. drei Jahre in Haft gewesen. Auf Vorhalt, dass durch das vorangegangene Verfahren eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot bestehe, führte der Beschwerdeführer aus, dass er gerne die Möglichkeit hätte, in Österreich zu bleiben, hier zu arbeiten und hier zu studieren. Den gegenständlichen Folgeantrag habe er gestellt, weil er medizinische Untersuchungen und Behandlungen benötige. Er müsse auch zum Zahnarzt und operiert werden müsse er auch noch. Auf die Frage, ob er aus diesem Grund einen Asylantrag gestellt habe, vermeinte der Beschwerdeführer, dass er mit seiner kriminellen Vergangenheit aufhören wolle. Das mit seiner Kriminalität habe er für sich abgeschlossen.
Zum Vorbringen in der Erstbefragung befragt, vermeinte der Beschwerdeführer, dass er seit seiner Kindheit Streit mit einem Bekannten habe, wer von ihnen der Stärkere sei und wer den anderen „zuerst niedermacht“. Dazu könne er nicht mehr sagen, er wolle auch damit nicht wieder anfangen, auch in Österreich habe er Verständigungsprobleme mit anderen Tschetschenen. Das Ganze gehe noch vom Gefängnis aus. Auf Aufforderung, ganz konkret anzugeben, warum er laut Angaben in der Erstbefragung nicht zurückkehren könne, vermeinte der Beschwerdeführer, dass er im Fall der Rückkehr „dort als Terrorist vor Gericht gestellt werden könnte“. Warum man das dort meinen sollte, das wisse er nicht. Die Behörden könnten ihn verdächtigen, ein Widerstandskämpfer zu sein und er habe die Grenze auch gesetzwidrig überschritten.
Zudem könne er wegen der Tattoos verfolgt werden, es würde dort „ein Gesetz geben, das tätowierte Personen zum Tode verurteilt werden.“ Zu den Tattoos führte der Beschwerdeführer aus, dass er zwei Tattoos auf den Fingern habe, ein Tattoo auf dem Mittelfinger habe er zum Teil schon entfernt. Auf dem Zeigefinger sei ein Halbmond abgebildet und auf der linken Schulter habe er eine Schrift, es stehe „Bruder für Bruder“ auf Russisch geschrieben. Dieses Gesetz würde nur im kaukasischen Raum gelten, dieses Gesetz gehe nicht vom Staat aus, es sei mehr eine Familienangelegenheit. Wenn sie mit den Tattoos nicht einverstanden seien, dann könne er geköpft werden, so sei das Sharia-Gesetz. Die Tattoos würde man entweder entfernen müssen, oder man werde getötet. Die Tattoos könnten seinen Verwandten nicht gefallen, er befürchte, dass die Verwandten ihn wegen der Tattoos beleidigen würden, dann würde er etwas zurücksagen und so könnte ein Streit entstehen. Er würde von den Verwandten sicherlich in einem Gespräch aufgefordert werden, die Tattoos zu entfernen. Auf die Frage, ob es denn ein Problem für ihn wäre, die Tattoos zu entfernen, vermeinte der Beschwerdeführer wie folgt: „Grundsätzlich habe ich damit kein Problem. Ich kann es aber selbst nicht machen. Nicht zB mit heißem Wasser verbrühen.“
Der Beschwerdeführer wurde von der belangten Behörde nochmals ausdrücklich befragt, welche konkrete Bedrohung er in der Erstbefragung gemeint habe. Der Beschwerdeführer führte aus, dass er sich an die Fluchtgründe der Eltern nicht mehr erinnern könne, was die Sache betreffe, habe er selbst kein Problem mehr. Auf Vorhalt seiner Angaben, dass er laut Erstbefragung von einem Mann getötet werden würde, vermeinte der Beschwerdeführer, dass er bekannte Tschetschenen meine, er kenne ihn selber nicht und kenne seinen Namen nicht. Auf die Frage, woher er erfahren habe, dass ihn jemand umbringen würde, führte der Beschwerdeführer aus: „Durch Handy und so.“ Sonst wolle er gerne hier in Österreich leben, er möchte hier in Österreich geheilt werden und dann würde er nach Aserbaidschan oder wo anders hingehen. Er hoffe, dass der große Bruder hier in Österreich bleiben könne, diesen habe er seit sechs Monaten nicht mehr in der Justizanstalt besucht.
Nach Rückübersetzung führte der Beschwerdeführer einzig aus, dass er die Behörde darum bitte, dass das fünfjährige Einreiseverbot „so um die Hälfte auf 2,5 Jahr verkürzt“ werde.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.01.2021 wurde der Folgeantrag auf internationalen Schutz vom 16.11.2020 gemäß § 68 Abs. 1 AVG bezüglich des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Eine neue Rückkehrentscheidung wurde nicht ausgesprochen.
Die Behörde führte im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine neuen glaubhaften Fluchtgründe vorgebracht habe, es habe sich der maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert. Zur Lage im Herkunftsstaat stellte die belangte Behörde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA mit Stand 27.03.2020 fest und dass es seit dem Vorverfahren zu keinen wesentlichen Änderungen gekommen sei. Die Behörde verwies auf allgemeine Zahlen betreffend die CORONA-Pandemie in Russland.
Die belangte Behörde verwies in der Sache auf die bereits dargestellte Entscheidung des BVwG vom 28.10.2019 und die darin enthaltene Beweiswürdigung. Die belangte Behörde führte aus, dass der eigentliche Grund für die neuerliche Antragstellung sei, dass der Beschwerdeführer weiterhin gerne in Österreich aufhältig sein wolle, um hier auf medizinische Versorgung zugreifen zu können. Die Bedrohung wegen der Tätowierungen habe der Beschwerdeführer im Laufe der Befragung dahingehend relativiert, dass er zu Beginn von einem Gesetz gesprochen habe, wonach alle Tätowierten von der Todesstrafe bedroht wären, auf Nachfrage habe er ausgeführt, dass dieses Gesetz nur in der Sharia angeführt wäre und es bei der Rückkehr deshalb zu einem Streit mit Verwandten kommen könne. Der Beschwerdeführer habe dann nicht mehr von der Todesstrafe gesprochen, sondern davon, dass die Verwandten ihn in einem Gespräch auffordern könnten, die Tätowierungen entfernen zu lassen. Die Bedrohung durch eine Privatperson habe er nur sehr vage angeführt, dies auch erst, nachdem ihm die Angaben aus der Erstbefragung vorgehalten worden seien. Eine namentlich unbekannte Person würde es in Tschetschenien geben, welche den Beschwerdeführer bedrohen würde und habe der Beschwerdeführer das nur über das Mobiltelefon erfahren.
Die belangte Behörde würdigte dieses Vorbringen dahingehend, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung noch einen namentlich unbekannten Mann, den er bereits aus der Kindheit kennen würde, fürchte. Warum er diese Person fürchte und worüber seit der Kindheit gestritten werde, dies habe er aber bei der Behörde dann anders angegeben, es solle darum gehen, wer „der Stärkere“ sei. In der Erstbefragung habe er noch keinerlei Bedrohung durch Verwandte angeführt, sondern eben nur durch die unbekannte Person.
Die belangte Behörde verwies darauf, dass dieses Vorbringen unglaubwürdig sei, weil er die drohende Person angeblich seit Kindheit kennen würde und zu dieser Person auch Kontakt über das Mobiltelefon hätte, gleichzeitig jedoch den Namen nicht kennen wolle. Dies wurde als völlig realitätsfremd bewertet.
In Summe wurde somit festgehalten, dass kein glaubhafter neuer Sachverhalt vorliege, die Antragstellung solle offenbar die Überprüfung eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens bewirken. Da die gegen den Beschwerdeführer erlassene, mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung noch aufrecht sei, sei eine neuerliche Rückkehrentscheidung nicht mehr zu erlassen gewesen.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und darin ausgeführt, dass die belangte Behörde im konkreten Fall eine inhaltliche Entscheidung hätte treffen müssen, da sich neue Beweise und auch eine Lageänderung ergeben hätten. Es sei nicht auszuschließen, dass diese neuen Beweise, wären sie im Vorverfahren vorgelegen, bereits im Vorverfahren zu einer anderen Entscheidung geführt hätten. Das Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Behörde sei daher als glaubhaft zu werten, da der Beschwerdeführer nachvollziehbare Angaben gemacht habe und sich das Vorbringen mit aktuellen Länderberichten decke. Dem Beschwerdeführer würde auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen, wozu der Beschwerdeführer allgemeine Berichte der schweizerischen Flüchtlingshilfe (aus dem Jahr 2014) bezüglich Situation von Personen aus dem Kaukasus einbringt. Betreffend subsidiären Schutz wird ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer in Tschetschenien eine geeignete medizinische Versorgung nur unzureichend zur Verfügung stehe. Beigelegt ist eine Überweisung an einen Facharzt für
Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde für den 28.05.2021, worin im Wesentlichen um Abklärung der Gründe für die behinderte Nasenatmung ersucht wird.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 15.02.2021, Zl. W226 1404500-5/3E, wurde die Beschwerde gegen die zurückweisende Entscheidung zum Folgeantrag als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs am 16.02.2021 in Rechtskraft.
3. Gegenständliches Folgeverfahren:
Der Beschwerdeführer wurde am 01.03.2021 festgenommen und stellte am 07.05.2021 aus der Schubhaft einen (fünften) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.05.2021 im PAZ XXXX brachte der Beschwerdeführer vor, russischer Staatsbürger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit zu sein, Tschetschenisch als Muttersprache und Deutsch (in Wort und Schrift) zu beherrschen. Er sei nicht durch Beschwerden oder Krankheiten beeinträchtigt und nehme keine Medikamente. Den neuerlichen Asylantrag stelle er, weil seine alten Fluchtgründe aufrecht seien und er nicht nach Russland zurückkehren wolle. Als Rückkehrbefürchtung gab er an, dass er in Russland nichts habe, keine Wohnung, kein Haus, gar nichts. Er wolle auch wegen der Politik und allem, dem Umgang mit Menschen dort, nicht nach Russland zurück. Konkrete Hinweise auf eine ihm bei Rückkehr drohende unmenschliche Behandlung, Strafe oder Todesstrafe bzw. Sanktionen, gebe es nicht. Auf die Frage, seit wann ihm die Änderung seiner Fluchtgründe bekannt sei, wiederholte er, die Fluchtgründe seien gleich geblieben.
Mit Verfahrensanordnung vom 12.05.2021 wurde der Beschwerdeführer von der beabsichtigten Zurückweisung seines Folgeantrages wegen entschiedener Sache gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 informiert. Ebenfalls wurde er von seiner Verpflichtung zur Inanspruchnahme eines Rückkehrberatungsgespräches gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG informiert.
Der Beschwerdeführer trat am 18.05.2021 in den Hungerstreik.
Mit Schreiben vom 20.05.2021 wurden dem Beschwerdeführer Länderberichte zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme bis zur Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegeben.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 31.05.2021 im PAZ XXXX in Anwesenheit einer Dolmetscherin für Tschetschenisch gab der Beschwerdeführer bekannt, besser Deutsch als Tschetschenisch zu sprechen und in dieser Sprache einvernommen werden zu wollen. Er sei ein bisschen krank (Halsschmerzen und Hämorrhoiden) und werde in der Haft mit einer Creme behandelt. An lebensbedrohlichen Krankheiten leide er nicht. Neue Befunde habe er nicht. Zwar habe er das Rückkehrberatungsgespräche absolviert, aber nicht zugestimmt. Auch freiwillig wolle er nicht in den Herkunftsstaat zurückkehren. Nach der Wiederholung seiner Personalien, seiner in Österreich aufhältigen Verwandten (Mutter, zwei Brüder, Tante und Cousins) und seinen bisherigen strafgerichtlichen Verurteilungen bestätigte er die Richtigkeit dieser Daten. Zur Aufforderung zu seinen Straftaten Stellung zu nehmen, brachte er vor, dass er in der Haft eine Lehre gemacht habe, sich gebessert habe und keine Straftaten mehr begehen wolle. Er habe als (…) Lackierer gearbeitet und bereits ein Jahr absolviert, das wolle er auch weiterhin machen. In NÖ gebe es viele Jobangebote. In Russland befänden sich Onkel und Tanten sowie seine Cousins. Kontakt habe er zu diesen nicht. Auf die Frage nach Verwandten in der EU bzw. in Österreich brachte er (in missverständlicher Weise) vor, seine Mutter, seine beiden Brüder und seine Tante und seine bereits vorhin erwähnten Cousins befänden sich in Russland. In Österreich habe er Freunde. In Österreich bestehe ein finanzielles oder (sonstiges) Abhängigkeitsverhältnis und zwar zu seinem Cousin XXXX in XXXX . Dieser gebe ihm alles was er brauche, das benötigte Geld, es sei immer unterschiedlich. Zu seinen Deutschkenntnissen gab er an, eine polytechnische und eine Berufsschule absolviert zu haben, er habe Zeugnisse von der Berufsschule. Auf die Frage nach seinem Lebensunterhalt gab er an, nur draußen gearbeitet zu haben, er kenne sich mit Autos und Karosserie aus. Erstmals sei er zwischen 2008 und 2009 von Polen nach Österreich eingereist. Nach der Abschiebung dorthin seien sie wieder zurückgekommen. 2010 seien sie in der Schweiz gewesen und auch in Belgien, 2012 seien sie wieder nach Österreich gereist. Seither sei er durchgehend in Österreich aufhältig. Zum Vorhalt, warum er nach der ersten rechtskräftigen negativen Asylentscheidung erneut Asyl beantrage, brachte er vor, er habe niemanden in Russland und dass er im Fall der Abschiebung versuchen würde, zurückzukommen. Seine Fluchtgründe hätten sich nicht geändert. Diese seien vollinhaltlich aufrecht. Zu den ihm zur Kenntnis gebrachten Länderberichten wolle er keine Stellungnahme abgeben. Zum Vorhalt, dass die Zurückweisung seines Folgeantrags wegen entschiedener Sache beabsichtigt sei, gab er an, dass jeder den er kenne, hier in Österreich sei. Er werde im Fall einer Abschiebung zurückkommen, in Russland wolle er nicht leben.
Sodann wurde durch mündliche Verkündung am 31.05.2021 ein Bescheid erlassen, womit der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG 2005 gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben wurde. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges wurde im Wesentlichen festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe, er ledig und kinderlos sei. Er spreche Tschetschenisch und Deutsch, sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tschetschenen an. In der Russischen Föderation habe er bis zur 4. Klasse die Schule besucht, dort aber nicht gearbeitet. Er sei gesund. Nach illegaler Einreise befänden sich auch seine Mutter und seine beiden Brüder in Österreich. Er habe zudem eine Tante und Cousins hier. Auf die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz seien nicht vorgelegen, sein Aufenthalt hier sei (nur) ein vorübergehender. Er sei in Österreich bereits mehrfach strafgerichtlich verurteilt worden. Sodann wurden die bisher 5 strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers angeführt, wobei er zuletzt im Februar 2018 wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten als junger Erwachsener rechtskräftig verurteilt wurde Es habe sich weder eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit, noch eine schwere psychische Störung beim Beschwerdeführer ergeben, die bei einer Abschiebung nach Russland eine unzumutbare Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bewirken würde. Zu seinen Leiden (Halsschmerzen, Hämorrhoiden) habe er keine Befunde vorlegen können. Der Beschwerdeführer verfüge über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung. Er habe im nunmehrigen Verfahren keine neuen Fluchtgründe geltend gemacht. Damit habe sich der Sachverhalt seit der Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert. Sein nunmehriges Vorbringen sei unglaubwürdig und der Antrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Eine besondere Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers könne nicht festgestellt werden, er sei mehrmals strafgerichtlich angefallen und gegen ihn sei bereits ein 5-jähriges Einreiseverbot erlassen worden. Ferner wurden Feststellungen zur COVID-19-Pandemie und der Situation in der Russischen Föderation getroffen.
Beweiswürdigend wurde dazu ua. ausgeführt, dass Hinweise auf eine aktuell nicht gegebene Transportfähigkeit nicht vorlägen. Grundsätzlich sei nach den Länderfeststellungen in Russland eine Behandlungsmöglichkeit vorhanden und zugänglich, wenn auch nicht kostenlos. Mangels glaubwürdigem Kern sei sein Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen. Sein nunmehriges Vorbringen beziehe sich auf seine Vorbringen in den vorangegangenen Asylverfahren. Eine wesentliche Änderung im Sachverhalt habe sich nicht ergeben. Nochmals werde darauf verwiesen, dass Art. 3 EMRK nicht die Heilung von Kranken mithilfe des sozialen Netzes des Aufenthaltsstaates sichern solle. Ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt habe nicht festgestellt werden können. Beweismittel habe er nicht vorgelegt. Seine nunmehrigen Fluchtgründe seien im Wesentlichen mit jenen im Vorverfahren ident. Diese seien im vorhergehenden Verfahren ausreichend gewürdigt worden und der Abschiebeschutz nach Art. 3 EMRK sie nicht für eine Heilung von Kranken unter Einsatz des sozialen Netzes des Aufenthaltsstaates gedacht. Überdies würden die von ihm lediglich in den Raum gestellten Vorbringen, die weder be- oder widerlegbar seien, die notwendige zumutbare Mitwirkung nicht erfüllen. Infolge seiner mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilung bestehe ein 5-jähriges Einreiseverbot gegen ihn. Trotz seiner nicht unbeträchtlichen Aufenthaltsdauer (im Bundesgebiet) seien ihm jegliche Integration bzw. Aufenthaltsverfestigung angesichts seiner Abhängigkeit von Sozialleistungen abzusprechen. Sein Familienleben sei durch seine Haftstrafen als „getrübt“ zu betrachten bzw. könnten seine Angehörigen auch nach seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat den Kontakt mit ihm mittels moderner Kommunikationsmittel aufrecht erhalten oder ihn weiterhin finanziell unterstützen. Sein vorläufiger Aufenthalt resultiere aus seinen wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz, wobei der aktuelle mangels geändertem Sachverhalt voraussichtlich zurückzuweisen sein werde. Hinsichtlich seines Privat- und Familienlebens in Österreich habe sich sohin ebenfalls keine Änderung seit dem Vorverfahren ergeben. Auch sein gesundheitlicher Zustand sei im Wesentlichen unverändert. Eine außergewöhnliche Integration in Österreich sei ebenfalls nicht ersichtlich
Rechtlich wurde ausgeführt, dass die gegen ihn ausgesprochene Ausweisung aufrecht sei und er über kein anderes Aufenthaltsrecht verfüge. Sein nunmehriger Asylantrag werde voraussichtlich zurückzuweisen sein., da er weder einen neuen Sachverhalt vorgebracht habe noch eine Änderung in der Ländersituation eingetreten sei. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat werde zu keiner Verletzung von Art. 3 EMRK führen; auch unter Bedachtnahme auf die aktuelle COVID-19-Pandemie nicht, zumal er keiner Risikogruppe (alte und immungeschwächte Menschen) angehöre. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Abschiebeschutzes seien somit gegeben.
Die Verwaltungsakten langten am 07.06.2021 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichts ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Verfahrensgang wird wie unter Punkt I. dargestellt festgestellt.
Zur Person des Beschwerdeführers:
Der unverheiratete Beschwerdeführer ist ein männlicher Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und islamischen Glaubens. Er ist in der Russischen Föderation geboren und hat dort 4 Klassen die Grundschule besucht. Er spricht Deutsch, und zumindest auch Tschetschenisch als Muttersprache. Seine Identität steht nicht fest.
Der erste Asylantrag des damals minderjährigen Beschwerdeführers vom 18.09.2008 wurde wegen der Unzuständigkeit Österreichs nach der Dublin-VO zurückgewiesen. Das Verfahren zu seinem zweiten Asylantrag vom 31.03.2009 wurde am 16.06.2009 wegen seines unbekannten Aufenthaltes eingestellt.
Sodann befand sich der Beschwerdeführer in der Schweiz und Belgien, wo er ebenfalls jeweils Asyl beantragte.
Am 07.10.2011 stellte im österreichischen Bundesgebiet gemeinsam mit seinen Brüdern erneut einen (dritten) Antrag auf internationalen Schutz.
Dieser Antrag wurde zunächst mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.11.2013 hinsichtlich Asyl und subsidiären Schutz abgewiesen und der Beschwerdeführer in die Russische Föderation ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 31.01.2017 stattgegeben und die Angelegenheit an des BFA zurückverwiesen. Im folgenden Verfahren wies das BFA den Antrag vom 07.10.2011 schließlich mit Bescheid vom 13.04.2018 hinsichtlich Asyl und subsidiären Schutz ab, erteilte einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer und erachtete seine Abschiebung in die russische Föderation als zulässig. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und ein auf 5 Jahre befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen. Schließlich wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Dies deshalb, weil seine Fluchtgründe nicht als glaubhaft erachtet wurden und der Beschwerdeführer wegen seiner wiederholten strafrechtlichen Verurteilungen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Zudem sei seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 23.10.2019, Zl. W234 1404500-4/38E als unbegründet abgewiesen, mit der Begründung, dass er eine ihm drohende Verfolgung im Herkunftsstaat durch die heimatlichen Behörden bzw. seine Onkel oder sonstige Private nicht habe glaubhaft machen können. Dieses Erkenntnis erwuchs am 28.10.2019 in Rechtskraft.
Der Beschwerdeführer verblieb dennoch weiter im Bundesgebiet. Er wurde bislang bereits mehrmals zu Haftstrafen verurteilt.
Der folgende (vierte) Antrag vom 16.11.2020 wurde zunächst mit Bescheid des BFA vom 20.02.2021 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt. Eine Rückkehrentscheidung wurde nicht neuerlich ausgesprochen. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 15.02.2021 keine Folge gegeben.
Am 01.03.2021 wurde der Beschwerdeführer festgenommen und stellte am 07.05.2021 aus der Schubhaft den nunmehr verfahrensgegenständlichen (fünften) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dazu gab er an, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht seien. Ein neues Fluchtvorbringen hat er nicht erstattet, sondern lediglich vorgebracht, im Herkunftsstaat kein Haus und keine Wohnung zu haben und dass er zurückkommen werde.
Der Beschwerdeführer leidet nach eigenen Angaben an Halsschmerzen und Hämorrhoiden und hat in Österreich medizinische Behandlung in Anspruch genommen. Medizinische Befunde legte er jedoch nicht vor. Eine psychische Beeinträchtigung hat er nicht geltend gemacht.
Der Beschwerdeführer leidet nicht an einer akut lebensbedrohlichen (schweren) Erkrankung, welche durch eine Überstellung in den Herkunftsstaat eine massive Verschlechterung erfahren würde.
In Österreich befinden sich seine Mutter und seine beiden Brüder als Asylwerber. Ferner sind seine Tante und Cousins hier aufhältig, wobei ihn ein Cousin bei Bedarf auch finanziell unterstützt. In der Russischen Föderation hat er noch Onkel und Tanten sowie weitere Cousins. Er hat in Österreich einen Polytechnischen Lehrgang sowie eine Berufsschule (Kfz-Mechaniker oder –schlosser) absolviert und beherrscht Deutsch auf einem hohen Niveau. Der Beschwerdeführer hat in der Strafhaft eine Lehre als (Auto)Lackierer begonnen, welche er fortsetzen möchte. Außerdem hat er in Österreich Freunde. Er lebte in Österreich vor seiner letzten Inhaftierung mit seinem Bruder in einer gemeinsamen Wohnung. Sein älterer Bruder verbüßte bereits mehrere Haftstrafen in Österreich. Der Beschwerdeführer hat Österreich zuletzt 2010 verlassen und ist im Jahr 2012 nach eigenen Angaben wieder hierher zurückgekehrt und seither durchghend hier aufhältig. Er lebt in keiner familienähnlichen Beziehung. Er befand sich bis 23.06.2021 in Schubhaft und hat dort am 18.05.2021, mit Unterbrechungen, einen Hungerstreik begonnen, welchen er am 16.06.2021 freiwillig beendet hat. Er gehört nicht zur Risikogruppe von COVID-19.
Der 24-jährige Beschwerdeführer ist mit den örtlichen Gegebenheiten und sozialen Gepflogenheiten im Herkunftsstaat vertraut und spricht zumindest eine Landessprache auf muttersprachlichem Niveau. Onkel, Tanten und Cousins leben noch in der Russischen Föderation. Sein Vater ist bereits verstorben.
Der Beschwerdeführer war in Österreich nach illegaler Einreise von 2008 bzw. 2009 bis 2010 und seit 2012 als Asylwerber lediglich zum vorläufigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Über ein anderes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügte er nie.
Mit mündlich verkündetem Bescheid des BFA vom 31.05.2021 wurde der faktische Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben.
Es kann nicht festgestellt werden, dass sich eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit rechtskräftiger Erledigung des Vorverfahrens oder des vorhergehenden (Folge)Antrages ergeben hätte, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat.
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation aktuell eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestünde.
Im Übrigen wird das bereits im Verfahrensgang Ausgeführte der Entscheidung zugrunde gelegt.
Zur Situation im Herkunftsstaat:
(Anmerkung: Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom 31.0.2021).
Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung: 04.09.2020
Hinweis:
Das Länderinformationsblatt geht nicht oder nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit nicht absehbar sind. Diesbezüglich darf jedoch auf die regelmäßigen Kurzinformationen der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19 Lage in bestimmten Ländern hingewiesen werden.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports
oder der John Hopkins-Universität:
https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6
mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Da es sich bei den Nordkaukasus-Republiken (Tschetschenien, Dagestan) um Subjekte der Russischen Föderation handelt, werden diese nicht mehr in eigenständigen Länderinformationsblättern abgehandelt, sondern in dieses Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation integriert. Wo es Unterschiede gibt, wurden Unterkapitel zu den einzelnen Subjekten bzw. in zusammenfassender Form zum Nordkaukasus geschaffen.
Zu Inguschetien werden – auch nach Absprache mit dem BVwG – keine Informationen mehr ins LIB übernommen, da die Anzahl an Asylwerbern zu gering ist. Sollten Sie Informationen zu Inguschetien benötigen, ist eine konkrete Anfrage an die Staatendokumentation zu stellen.
In Bezug auf das Kaukasus-Emirat ist zu sagen, dass es momentan nicht ganz klar ist, ob es in der Praxis überhaupt noch existiert und falls ja, ob es einen neuen Anführer hat oder nicht. Dies scheint aber auch nicht das Wichtigste zu sein, da Kadyrows Kräfte und die russischen Sicherheitsbehörden jegliche dschihadistische Anhänger ins Visier nehmen und sie keinen Unterschied machen, unter welcher Flagge ein Islamist kämpft.
Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs 4a AsylG
Letzte Änderung: 09.04.2020
Erläuterung
Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im §3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse „wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind“, berücksichtigt. Hierbei wurden die im vorliegenden LIB verwendeten Informationen mit jenen im vorhergehenden LIB abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.
Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch die Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendokumentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt IV) zur betroffenen Thematik.
Verbesserung i.S. §3 Abs 4a AsylG
Titel
LIB-Abschnitt
Ein Vergleich der Informationen zu asylrelevanten Themengebieten im vorliegenden LIB mit jenen des vormals aktuellen LIB hat ergeben, dass es zu keinem wie im §3 Abs 4a AsylG beschriebenen Verbesserungen in der Russischen Föderation gekommen ist.
Politische Lage
Letzte Änderung: 04.09.2020
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).
Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).
Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).
Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).
Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).
Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020
CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020
EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020
FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 17.7.2020
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020
Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020
Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020
MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020
ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020
OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020
Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020
RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020
Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020
Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020
Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020
Tschetschenien
Letzte Änderung: 09.04.2020
Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).
In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).
Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).
Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020
FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020
HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020
NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020
ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 09.04.2020
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegun