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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EMRK Art8 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch eine Rückkehrentscheidung betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; Verneinung des Bestehens eines Familienlebens zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn; mangelhafte InteressenabwägungSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Feststellung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entschei-dung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 27. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat drei Kinder in Afghanistan. In Österreich hat er einen Sohn, geboren am 5. Juli 2019, mit seiner damaligen Lebensgefährtin, einer rumänischen Staatsangehörigen.
2. Mit Bescheid vom 28. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag gemäß §3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von Asyl sowie gemäß §8 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
4. Mit Erkenntnis vom 4. Jänner 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.
Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels erwog das Bundesverwaltungsgericht ab Seite 39 der Entscheidung Folgendes:
"Zwar lebt sein minderjähriges Kind hier in Österreich, doch die erfolgte Interssensabwägung (sh dazu Punkt 3.3.1.) führte zu dem Ergebnis, dass kein Familienleben gegeben ist.
Hierbei wird auch nicht verkannt, dass dem Kindeswohl nach höchstgerichtlicher Judikatur bei der Interessensabwägung ein hoher Stellenwert zukommt. Daraus lässt sich aber umgekehrt nicht der Schluss ziehen, dass private Interessen in jenen Konstellationen, in denen Kindern in ihrem Recht auf Familienleben mittelbar von einer aufenthaltsbeenden Maßnahme gegen einen Familienangehörigen betroffen sind, immer den gegenläufigen öffentlichen Interessen vorgehen, sondern kommt es jeweils auf die Konstellation im konkreten Einzelfall an (vgl […]).
Der BF hält sich seit seiner Einreise im Juli 2015 im Bundesgebiet auf. Im gegenständlichen Verfahren kann daher hinsichtlich des BF auch nicht von einer überlangen Verfahrensdauer gesprochen werden (vgl […]). Unter der Berücksichtigung der Judikatur des VwGH kommt dieser Aufenthaltsdauer auch im Hinblick auf ein allenfalls geschütztes Privatleben kaum maßgebliche Bedeutung zu (vgl […]). Der BF konnte in diesem Zusammenhang bislang aber auch keine Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Integration dartun.
Der BF hat Deutschkurs besucht und hat zuletzt das Niveau C1 erreicht. Der BF geht einer legalen Erwerbstätigkeit nach und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Gute Deutschkenntnisse, Unbescholtenheit, ein großer Freundes- und Bekanntenkreis sowie materielle Unterhaltsleistungen durch Familienmitglieder reichen nicht aus, um darin eine außergewöhnliche Konstellation erkennen zu können. Auch kann ausgeschlossen werden, dass der 31-jährige BF seinen deutlich überwiegenden Bezug zum Herkunftsland nach fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet verloren haben könnte. Dies vor allem auch unter jenem Aspekt, dass der BF nach wie vor über eine starke Bindung im Herkunftsland verfügt, da sich seine Frau und seine Kinder, mit denen er im regelmäßigen Kontakt steht, in Afghanistan befinden.
Es kann in Summe nicht festgestellt werden, dass dem subjektiven Interesse des BF am Verbleib im Inland Vorzug gegenüber dem maßgeblichen öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl[…]), zu geben ist."
Unter dem zuvor erwähnten Punkt 3.3.1 und unter der Überschrift "(Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich" führt das Bundesverwaltungsgericht aus:
Der Beschwerdeführer sei Vater von drei Kindern, alle im Alter von circa zehn, neun und zwei Jahren. Er vermisse seine in Kabul lebende Familie und habe angegeben, wenn er den Sohn in Österreich umarme, umarme er auch gleichzeitig seine Kinder in Afghanistan. Er fühle sich für die Familie in Afghanistan verantwortlich und wolle an der Ehe festhalten. Es sei davon auszugehen, dass er im Falle der Rückkehr das Familienleben mit seiner Frau und seinen drei Kindern wieder aufnehmen werde. Ein Bleiberecht würde in die Interessen der drei Kinder in Afghanistan eingreifen und es stünde dem BVwG nicht zu, drei afghanische Kinder gegenüber einem Kind in Österreich abzuwägen. Die Beziehung zu seinem eineinhalbjährigen Kind in Österreich könne auch aus Afghanistan heraus auf ein Niveau gebracht werden, dass sich Vater und Sohn später einmal treffen und eine nähere Beziehung eingehen könnten. Da das Kind kein Wunschkind gewesen sei, zeige er als Vater eine geringe Verantwortlichkeit. Es liege eine engere Beziehung und Verantwortung zu den drei Kindern beziehungsweise seiner Frau in Afghanistan vor.
Zu der Kindesmutter in Österreich bestehe keine innere Bindung. Sie hätten keinen gemeinsamen Haushalt. Auf Grund der Trennung und der offenen Zerwürfnisse sei auch nicht davon auszugehen, dass es wieder zu einer Beziehung komme. Der Beschwerdeführer habe alle 14 Tage mit seinem Sohn, im Beisein der Kindesmutter, Kontakt. Er zahle circa € 150,– bis € 200,– an Alimenten und bezahle bei Besuchen die gemeinsam getätigten Einkäufe.
Weiters hält das Bundesverwaltungsgericht fest (siehe Erkenntnis S 24 und 25):
"dass im Falle der Rückkehr des BF nach Afghanistan wohl ein Eingriff in das Kindeswohl vorgenommen wird, dieser aber abgeschwächt wird. Zum einen ist das Kind lediglich 1 ½ Jahre alt, der BF sieht sein Kind alle 14 Tage und dies lediglich im Rahmen eines Besuches. Es ist keine geordnete klare abgegrenzte Besuchszeitregelung mit der Kindesmutter vereinbart worden. Der BF verbringt keine Zeit alleine mit seinem Kind. Die Leistungen der Alimente sind ebenso nicht klar definiert indem sie auf sein Einkommen begründet sind. Das eigene Kind lediglich alle 14 Tage zu sehen, wobei der Kontakt vom Wohlwollen der Mutter abhängig ist, zeigt, dass er bis jetzt nicht bemüht war, sein Besuchsrecht klar einzufordern. Die Voraussetzungen für eine geregelte und tiefe Beziehung zu seinem Kind sind nicht gegeben und es ist eher davon auszugehen, dass die Intensität beibehalten wird. Der Eingriff in das Kindewohl ist daher als gering zu betrachten.
[…]
Im gegenständlichen Fall ist von keiner engen Beziehung zu seinem eineinhalbjährigen Kind auszugehen. Eine engere Beziehung und auch eine Verantwortung liegt bei den drei Kindern resp seiner Frau in Afghanistan. Wohl kommt es zu einer Verletzung des Art8 Abs1 ERMK hinsichtlich des Privatlebens, diese ist im Lichte der obigen Ausführungen allerdings im Sinne des Art8 Abs2 ERMK notwendig (sh dazu auch die rechtlichen Ausführungen)."
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Der Beschwerdeführer besuche regelmäßig seinen Sohn und leiste Unterhalt. Er tätige auch gemeinsame Einkäufe mit der Kindesmutter. Für die Qualität des Familienlebens spiele es weder eine Rolle, ob der Beschwerdeführer die Zeit alleine mit dem Kind oder unter der Anwesenheit der Mutter verbringe noch ob das Kontaktrecht gerichtlich durchgesetzt worden sei oder nicht. Eine Interessenabwägung zwischen den privaten und den öffentlichen Interessen könne niemals zum Ergebnis führen, dass ein Familienleben nicht vorliege. Die grundrechtlich akzeptable Lösung bestehe in der Konstellation, die dem Beschwerdeführer Kontakt, sowohl zu seinen Kindern in Afghanistan als auch zu seinem Sohn in Österreich, erlaube.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die erlassene Rückkeh-rentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise richtet, begründet.
2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
3. Dem Bundesverwaltungsgericht ist ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen:
3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwä-gung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Auswirkungen der Entscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers auf das Familienleben und auf das Kindeswohl etwaiger Kinder des Betroffenen zu erörtern (vgl hiezu VfGH 24.9.2018, E1416/2018; zur Bedeutung der mit einer Trennung des Beschwerdeführers von seinem Kind verbundenen Auswirkungen VfSlg 19.362/2011). Einer mit der Ausweisung verbundenen Trennung von Familienmitgliedern kommt eine entscheidungswesentliche Bedeutung zu (vgl VfSlg 18.388/2008, 18.389/2008, 18.392/2008). Die Intensität der privaten und familiären Bindungen im Inland ist dabei zu berücksichtigen (VfSlg 18.748/2009).
3.2. Dabei sind insbesondere die Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Familienleben zwischen Eltern und Kindern in der Abwägung zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-hofes für Menschenrechte entsteht ein von Art8 Abs1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl 10.730/84 [Z21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl 16.969/90 [Z44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl 23.218/94 [Z32]). Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestand-teil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweili-gen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird (vgl VfSlg 16.777/2003 mit Hinweis auf EGMR 25.2.1992, Fall Margareta und Roger Andersson, Appl 12963/87 [Z72] mwN; zu den Voraussetzungen für ein [potentielles] Familienleben zwischen einem Kind und dessen Vater siehe auch EGMR 15.9.2011, Fall Schneider, Appl 17.080/07 [Z81] mwN). Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art8 EMRK führen (vgl VfGH 28.2.2012, B1644/10 mit Hinweis auf EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl 50.435/99 sowie insbesondere EGMR 28.6.2011, Fall Nunez, Appl 55.597/09; VfGH 12.10.2016, E1349/2016).
3.3. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln und bei der Interessenabwägung nach Art8 Abs2 EMRK zu berücksichtigen (vgl VfSlg 19.362/2011; VfGH 25.2.2013, U2241/12; 19.6.2015, E426/2015; 9.6.2016, E2617/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 14.3.2018, E3964/2017; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018; 11.6.2018, E435/2018). Der Verfassungsgerichtshof erachtet die Annahme als lebensfremd, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl dazu VfGH 25.2.2013, U2241/12; 19.6.2015, E426/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018).
3.4. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass der Beschwerdeführer einen am 5. Juli 2019 geborenen Sohn in Österreich habe und zum Entscheidungszeitpunkt mit der Kindesmutter nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Der Beschwerdeführer besuche zwar seinen Sohn alle 14 Tage und zahle Alimente, eine engere Beziehung und auch eine Verantwortung des Beschwerdeführers liege jedoch bei den drei Kindern und seiner Ehefrau in Afghanistan.
3.5. Aus diesen Umständen schließt das Bundesverwaltungsgericht zunächst darauf, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Kind in Österreich kein Familienleben im Sinne des Art8 EMRK bestehe, es wohl zu einer Verletzung des Art8 Abs1 EMRK hinsichtlich des Privatlebens des Beschwerdeführers komme, diese Verletzung jedoch im öffentlichen Interesse notwendig sei. Es wird außerdem zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Kindeswohl im Rahmen der Interessenabwägung nach Art8 EMRK ein besonderes Gewicht zukomme.
3.6. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Erwägungen maßgeblich darauf, dass unter Berücksichtigung der Umstände des Falles die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Sohn nicht derart ausgeprägt sei, dass erstens ein ipso iure Familienleben vorliegt und zweitens eine Rückkehrentscheidung eine Verletzung von Art8 EMRK darstellen könnte.
3.6.1. Zwar wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt und es finden sich auch ansatzweise Erörterungen der Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die Beziehung zwischen Beschwerdeführer und Kind, es fehlt allerdings in der Entscheidung eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Frage, aus welchen Gründen ein nur alle 14 Tage stattfindender Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Kind erfolgt. (vgl zur Relevanz etwaiger behördlicher Einschätzungen zu der Frage des Einflusses einer Eltern-Kind-Beziehung auf das Kindeswohl VfGH 12.10.2016, E1349/2016; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018; 3.10.2019, E3456/2019; 28.11.2019, E707/2019).
3.7. Indem das Bundesverwaltungsgericht diese Umstände bei seiner Prüfung und Interessenabwägung nach Art8 EMRK nicht berücksichtigt sowie insbesondere zu dem Ergebnis gelangt, die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Kind sei nicht als Familienleben zu qualifizieren, hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel belastet. Gegenüber dem Schutz des Familienlebens fällt der Umstand, dass es in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, wegen des vorrangig zu berücksichtigenden Kindeswohls nicht maßgeblich ins Gewicht (vgl zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser Umstand zwar zu berücksichtigen ist, einen Eingriff in das Recht aus Art8 EMRK aber nicht ausschließt etwa VfSlg 18.223/2007; VfGH 3.10.2012, U119/12; 25.3.2013, U2241/12). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes verletzt daher Art8 EMRK.
4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfas-sungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Fragen, ob die Entscheidung in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, insoweit nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Feststellung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Privat- und Familienleben, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E575.2021Zuletzt aktualisiert am
13.08.2021