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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks mangels Prüfung der Gefährdungslage sunnitischer Araber sowie mangelhafte Prüfung der Sicherheits- und Versorgungslage in der HerkunftsprovinzSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein am 15. März 1991 geborener Staatsangehöriger des Irak und stammt aus Falludscha. Er gehört der Volksgruppe der Araber an, war sunnitisch muslimischen Glaubens und hat am 4. Dezember 2020 seinen Religionsaustritt erklärt. Am 14. Oktober 2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Seine Ausreise aus dem Irak begründete er mit der Verfolgung durch Angehörige des Islamischen Staates (in Folge: IS), durch die irakischen Sicherheitsbehörden, welche ihn der Zusammenarbeit mit dem IS verdächtigten, und durch schiitische Milizen.
2. Mit Bescheid vom 23. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) ab. Zugleich erteilte das BFA ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.); für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
3. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2020 – mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Dezember 2020 als unbegründet abgewiesen.
3.1. Zum Fluchtvorbringen führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Beschwerdeführer – wie schon den unterschiedlichen Angaben in seinen niederschriftlichen Einvernahmen und in der von ihm eigenständig verfassten Stellungnahme entnommen – nicht in der Lage gewesen sei, seine Fluchtgeschichte gleichbleibend und in sich konsistent darzulegen.
3.2. Zur Lage im Herkunftsstaat traf das Bundesverwaltungsgericht die folgenden Länderfeststellungen:
"Die allgemeine Lage im Irak, und das betrifft Bagdad sowie Falludscha, hat sich zwischenzeitlich insoweit stabilisiert, dass Personen, die keine besonderen Beeinträchtigungen aufweisen, arbeitsfähig sind, die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes kennen und dort über Arbeitserfahrungen verfügen, bei einer Rückkehr keine Verletzung der in Art2 und 3 EMRK geschützten Rechte (Schutz auf Leben) zu befürchten haben.
Eine systematische Verfolgung von Sunniten durch Schiiten ist nicht erkennbar. Aus dem Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich und der damit verbundenen Berechtigung, überall dort, wo die Angabe des Religionsbekenntnisses verlangt wird, die Bezeichnung 'ohne religiöses Bekenntnis' anzugeben bzw eintragen zu können, ist keine Verfolgungsgefahr ableitbar.
Die Corona-Pandemie führt auch im Irak zu steigenden Fallzahlen, auf die mit Ausgangssperren und Einschränkungen des Reise- und Personenverkehrs reagiert wird. Der Beschwerdeführer gehört keiner Covid-Risikogruppe an."
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sein Erkenntnis auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2020. Im Hinblick zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stellt das Bundesverwaltungsgericht nur fest, dass sich die allgemeine Lage im Irak, und das betreffe Bagdad sowie Falludscha, zwischenzeitlich insoweit stabilisiert habe, dass Personen, die keine besonderen Beeinträchtigungen aufweisen, arbeitsfähig sind, die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes kennen und dort über Arbeitserfahrungen verfügen, bei einer Rückkehr keine Verletzung der in Art2 und 3 EMRK geschützten Rechte zu befürchten haben. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Feststellungen zur Lage im Irak auf dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation basieren und sich ua auf die Erwägungen des UNHCR zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, mit Stand Mai 2019 stützen.
2.1.1. In den vom Bundesverwaltungsgericht erwähnten UNHCR-Erwägungen wird zur Beurteilung der internationalen Schutzbedürftigkeit von Asylsuchenden aus dem Irak ausgeführt (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, Stand: Mai 2019, S 69 f.; vgl zur Indizwirkung der UNHCR-Erwägungen VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 13.2.2020, Ra 2019/19/0245):
"Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und zwar vornehmlich aber nicht ausschließlich Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren, werden Berichten zufolge kollektiv verdächtigt, mit ISIS verbunden zu sein oder ISIS zu unterstützen. Seit 2014 waren Zivilisten dieses Profils regelmäßig verschiedenen Vergeltungsmaßnahmen in Form von Gewaltanwendung und Missbrauch durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, unter anderem während Militäreinsätzen gegen ISIS, während und nach der Flucht aus durch ISIS besetzten Gebieten, nach der Wiedereroberung dieser Gebiete und während anhaltender Sicherheitseinsätze gegen Überreste von ISIS.
[…]
Jedoch stellen Beobachter fest, dass die ISF, damit verbundene Kräfte und die kurdischen Sicherheitskräfte Personen regelmäßig auf der Basis weitläufiger, diskriminierender und sich häufig überschneidender Kriterien eine Verbindung zu ISIS unterstellen. Zu diesen Kriterien gehören:
? die religiöse und ethnische Zugehörigkeit (sunnitische Araber oder Turkmenen),
? Geschlecht und Alter (Männer und Jungen im kampffähigen Alter),
? familiärer Hintergrund und Stammeszugehörigkeit, einschließlich des Herkunftsortes und/oder
? Wohnsitz in einem ehemals von ISIS besetzten Gebiet im Zeitraum der Besetzung durch ISIS.
Gegen Personen dieser Profile wird regelmäßig der Verdacht der Verwicklung mit ISIS erhoben und zwar unabhängig von der Art dieser Beteiligung – also unabhängig davon, ob diese freiwillig oder erzwungen, ziviler oder militärischer Natur war. Es wird berichtet, dass Personen dieser Profile auf Basis fragwürdiger Beweise verhaftet werden, zB aufgrund von Aussagen geheimer Informanten oder weil sie auf 'Fahndungslisten' stehen, die von verschiedenen Sicherheitsakteuren geführt werden."
2.1.2. Indem das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zwar festgestellt hat, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen sunnitischen Araber handelt, welcher aus einer ehemals vom IS besetzten Provinz stammt, es aber verabsäumt hat, konkrete Feststellungen für Personen mit diesem Risikoprofil zu treffen und diese mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen, ist dem Verfassungsgerichtshof auf Grund unzureichender Feststellungen eine nachprüfende Kontrolle verwehrt. Das Bundesverwaltungsgericht hat sein Erkenntnis mit dieser Vorgangsweise mit Willkür belastet.
2.2. Auch hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hat das Bundesverwaltungsgericht Willkür geübt:
2.2.1. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes dazu erschöpfen sich im Wesentlichen darin, dass dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung drohe und keine Anhaltspunkte bestünden, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen sei. Bei dem Beschwerdeführer handle es sich um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann, welcher über Arbeitserfahrung bzw über eine mehrjährige schulische Ausbildung verfügt, weshalb das Bundesverwaltungsgericht davon ausgehe, dass er in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt im Irak zu sichern.
2.2.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat es bei seinen Ausführungen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlassen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus welcher der Beschwerdeführer stammt bzw die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren soll, und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen (zu diesen Anforderungen in den Irak betreffenden Fällen vgl zB VfSlg 20.140/2017, 20.141/2017; VfGH 9.6.2017, E3235/2016; 9.6.2017, E566/2017; 27.2.2018, E2927/2017; 11.6.2018, E4317/2017; 26.6.2018, E4387/2017; 25.9.2018, E1764/2018 ua). Eine pauschale Beurteilung der Sicherheits- und Versorgungslage im Irak wird den Anforderungen an eine am Maßstab der Art2 und 3 EMRK vorzunehmenden Beurteilung der Rückkehrsituation in solchen Staaten, in denen die Sicherheits- und Versorgungslage instabil ist und von Provinz zu Provinz variiert (siehe dazu bezogen auf den Irak VfSlg 20.141/2017) nicht gerecht (vgl zB VfGH 11.6.2018, E4317/2017; 26.6.2018, E43587/2017; 26.2.2019, E4766/2018; zu vormals vom IS kontrollierten Gebieten vgl VfGH 8.6.2020, E883/2020 ua).
2.3. Da sich die Erlassung der Rückkehrentscheidung, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise an die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz knüpfen, ist das Erkenntnis mit Willkür behaftet und zur Gänze aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E381.2021Zuletzt aktualisiert am
11.08.2021