Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylbegehrens eines Staatsangehörigen des Iraks mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der Homosexualität des BeschwerdeführersSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er stammt aus Bagdad und lebte dort bis zu seiner Ausreise. Am 23. August 2015 stellte der Beschwerdeführer zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder (siehe VfGH 8.6.2021, E4381/2020, E4383/2020) einen Antrag auf internationalen Schutz.
Begründend wurde zunächst vorgebracht, dass der Vater des Beschwerdeführers im Irak ein hochrangiger Sportfunktionär gewesen sei. In dieser Eigenschaft sei er telefonisch bedroht worden. Er solle entweder seine Funktionen aufgeben oder er und seine Söhne würden getötet. Hinter der Drohung hätten wahrscheinlich Kollegen des Vaters aus der Sportunion, die Schiiten seien und der Mahdi Miliz angehörten, gesteckt. Der Vater habe die Drohung ernst genommen. Deshalb habe dieser mit dem Beschwerdeführer und einem weiteren Sohn, die beide im Schwimmverband als Athleten aktiv gewesen seien, den Irak verlassen. Sie hätten Angst um ihr Leben gehabt. Der Leiter des Sportclubs des Beschwerdeführers sei ebenfalls bedroht worden. Dieser habe die Drohung jedoch nicht ernst genommen und sei angeschossen worden.
In der Folge brachte der Beschwerdeführer zudem vor, dass er seit seinem zehnten Lebensjahr homosexuelle Neigungen habe. Im Irak wäre er auch aus diesem Grund einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.
2. Mit Bescheid vom 7. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist. Ferner setzte es eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen.
3. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Beschluss vom 20. November 2017 die dagegen erhobene Beschwerde gemäß §28 Abs1 VwGVG iVm §18 Abs3 AVG als unzulässig zurück, weil die Unterschrift des Genehmigenden fehlte und sich die Beschwerde daher gegen einen Nichtbescheid gerichtet hätte. Folglich sei das Verfahren noch immer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig.
4. Mit Bescheid vom 29. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag neuerlich sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Ferner wurde ausgesprochen, dass gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
5. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 2. November 2020 hinsichtlich des Spruchpunktes I. gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 als unbegründet ab. Gemäß §8 Abs1 und 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer allerdings der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von 12 Monaten erteilt. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides wurden ersatzlos aufgehoben.
5.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt zur homosexuellen Orientierung des Beschwerdeführers aus, dass die von ihm eingereichten Beweismittel in Form von Unterstützungsschreiben einschlägiger Organisationen und Fotokonvoluten von Mode- und Designveranstaltungen sowie der Regenbogenparaden 2017 und 2018 überzeugend seien. Die Erzählungen über erste homoerotische Erlebnisse in seiner Heimat habe der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt. Der Vater des Beschwerdeführers habe vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass er bereits seit längerer Zeit Verdachtsmomente über die sexuelle Orientierung seines Sohnes gehabt habe. Der Beschwerdeführer weise die behauptete homosexuelle Orientierung laut Bundesverwaltungsgericht tatsächlich auf.
5.2. Zur Lage sexueller Minderheiten im Irak stellt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes fest:
"Auch wenn sensible Themen zunehmend öffentlich diskutiert werden, wird Homosexualität weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt. Homosexuelle leben ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung (AA 12.1.2019) und Gewalt (FH 4.3.2020), bis hin zu Ehrenmorden durch Familienangehörige (AA 12.1.2019; vgl USDOS 11.3.2020). Angehörige sexueller Minderheiten sind häufig Misshandlungen und Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure ausgesetzt, die von der Regierung nicht wirksam untersucht werden. Die Polizei wird mitunter eher als Bedrohung, denn als Schutz empfunden (AA 12.1.2019). Trotz wiederholter Drohungen und Gewalttaten gegen Angehörige sexueller Minderheiten versäumt es die Regierung, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen bzw mögliche Opfer zu schützen (USDOS 11.3.2020). Staatliche Rückzugsorte für Angehörige sexueller Minderheiten gibt es nicht, die Anzahl privater Schutzinitiativen ist sehr beschränkt (AA 12.1.2019)."
5.3. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr verneint das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen mit der Begründung, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, seine sexuelle Orientierung oder die Bedrohung seitens einer schiitischen Miliz als Grund für die Ausreise glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer habe nicht vermocht, eine allfällige staatliche Verfolgung im Herkunftsstaat aus Gründen seiner sexuellen Orientierung darzutun.
Allerdings könne unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des konkreten Falles nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art3 EMRK unterworfen zu werden. Eine Rückführung des Beschwerdeführers würde diesen daher in seinen Rechten nach Art3 EMRK verletzen. Folglich sei dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuzuerkennen gewesen.
6. Gegen Spruchpunkt I. dieser Entscheidung vom 2. November 2020 richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Spruchpunktes I. des Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Beurteilung dahingehend, der Beschwerdeführer könne im Fall einer Rückkehr in den Irak seine homosexuelle Orientierung weiterhin geheim halten und wäre daher keinen asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt, die Rechtsprechung sowohl des Gerichtshofes der Europäischen Union als auch des Verfassungsgerichthofes verkannt habe. Es könne nicht erwartet werden, dass ein Asylwerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden.
7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhob parallel gegen die Spruchpunkte II. bis IV. der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. November 2020 (Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von 12 Monaten gemäß §8 Abs1 und 4 AsylG 2005 sowie ersatzlose Aufhebung der Spruchpunkte III. und IV. des Bescheides vom vom 29. Jänner 2018) eine außerordentliche Amtsrevision.
Zur Begründung der Amtsrevision führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, das Bundesverwaltungsgericht habe die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht vor dem Hintergrund der Umstände des Einzelfalles begründet, weshalb nicht nachvollziehbar sei, wie das Bundesverwaltungsgericht zu seiner Entscheidung gekommen sei.
8. Mit Erkenntnis vom 29. Jänner 2021, Ra 2020/01/0422, hob der Verwaltungsgerichtshof die Spruchpunkte II. bis IV. der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. November 2020 auf. Aus der angefochtenen Entscheidung gehe weder hervor, ob das Bundesverwaltungsgericht die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf die allgemeine Versorgungs- oder Sicherheitslage stützte, noch in welchen individuellen tatsächlichen Umständen des Einzelfalls es die Grundlage dafür erblickte.
9. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:
2.1. Mit Erkenntnis VfSlg 20.170/2017 hat der Verfassungsgerichtshof ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes aufgehoben, mit dem eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über die Abweisung eines Antrags gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 eines irakischen Staatsangehörigen abgewiesen wurde. Auch in dem damaligen Fall hielt das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine homosexuelle Orientierung für glaubhaft und setzte sich daher im Weiteren mit der allgemein schwierigen Lage Homosexueller im Irak auseinander. Das Bundesverwaltungsgericht verkannte dabei die Ergebnisse seines eigenen Ermittlungsverfahrens und deren Bedeutung im Beschwerdefall. Im Einzelnen führte der Verfassungsgerichtshof aus:
"Die Einschätzung, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Irak – bei gewöhnlichem Leben seiner homosexuellen Orientierung – keiner Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sei und dieser (wie auch vor seiner Ausreise) keinen maßgeblichen Einschränkungen in seinem Beziehungs- und Sexualleben unterliegen würde, widerspricht sowohl den Feststellungen der Länderberichte als auch den eindeutigen Ausführungen des Beschwerdeführers in den mündlichen Verhandlungen, in denen er ua wiederholt angab, dass homosexuelle Personen im Irak, wie auch er selbst, ihre Beziehungen aus Angst immer im Geheimen leben würden. Diese Beurteilung ist mit den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht vereinbar und würde im Ergebnis dazu führen, dass der Beschwerdeführer gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung weiterhin im Geheimen – unter ständiger Angst entdeckt zu werden – zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen. Diese implizite Konsequenz aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, seine sexuelle Orientierung nicht oder nur im Geheimen zu leben, ist mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 7. November 2013 in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 (zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG), Minister voor Immigratie en Asiel gegen X ua, nicht vereinbar. Nach Ansicht des Gerichtshofes der Europäischen Union dürfe von Personen mit homosexueller Orientierung nicht erwartet werden, dass sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten oder Zurückhaltung beim Leben ihrer sexuellen Ausrichtung ('l'expression de son orientation sexuelle') üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (vgl dazu auch VfGH 18.9.2014, E910/2014)."
2.2. Diese Erwägungen treffen im Grundsatz auch auf das nunmehr angefochtene Erkenntnis zu:
Das Bundesverwaltungsgericht hält das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine homosexuelle Orientierung für glaubhaft. Zur Lage im Irak stellt es unter anderem fest, dass Homosexualität von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt werde. Homosexuelle würden ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich ausleben und seien Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten seien zudem häufig Misshandlungen und Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure ausgesetzt, die von der Regierung nicht wirksam untersucht würden. Innerhalb familiärer Strukturen könne es auch zu Ehrenmorden durch Familienangehörige kommen.
Das Bundesverwaltungsgericht verneint jedoch eine asylrelevante Bedrohung des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat auf Grund seiner homosexuellen Orientierung. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, seine sexuelle Orientierung als Grund für die Ausreise glaubhaft zu machen beziehungsweise eine allfällige staatliche Verfolgung im Herkunftsstaat auf Grund seiner sexuellen Orientierung darzutun.
2.3. Die vorgenommene rechtliche Beurteilung der Asylrelevanz der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers ist mit den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht vereinbar und würde im Ergebnis dazu führen, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Irak gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung im Geheimen zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, Verfolgung und körperlicher Schädigung auszusetzen.
Damit verkennt das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage hinsichtlich der Frage, ob eine asylrelevante Bedrohung auf Grund der sexuellen Orientierung vorliegt, in grundsätzlicher Weise.
Es widerspricht der Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals, auf das zu verzichten die Betroffenen nicht gezwungen werden dürfen, wenn von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die die gleiche sexuelle Ausrichtung haben, verlangt wird, dass sie diese Ausrichtung geheim halten. Daher kann nicht erwartet werden, dass ein Asylwerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (EuGH 7.11.2013, Rs C-199-201/12, X ua, Rz 70 f.; VfSlg 20.170/2017; VfGH 18.9.2014, E910/2014; 11.6.2019, E291/2019; 22.9.2020, E423/2020). Das Erkenntnis ist daher im angefochtenen Umfang mit Willkür belastet.
3. Im Hinblick auf das vom Bundesverwaltungsgericht fortzusetzende Verfahren weist der Verfassungsgerichtshof darauf hin, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfGH 24.9.2019, E2576/2019 mwN).
Das Bundesverwaltungsgericht ist im gegebenen Zusammenhang auf die von UNHCR im Mai 2019 veröffentlichten "International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq" zu verweisen. In diesen fasst UNHCR die Situation ua für Homosexuelle wie folgt zusammen (S. 105 f.):
"UNHCR considers that persons of diverse sexual orientations and/or gender identities are likely to be in need of international refugee protection on account of their membership of a particular social group and/or other relevant grounds, depending on the individual circumstances of the case. State protection from such persecution is generally not available where the actors of persecution are non-State actors.
It should be borne in mind that persons of diverse sexual orientations and/or gender identities cannot be expected to conceal their identity in order to avoid persecution. Furthermore, the existence of significant criminal sanctions for consensual same-sex sexual acts is a bar to state protection, including where persecutory acts are perpetrated by non-state actors such as armed groups and members of society."
Den Einschätzungen von UNHCR ist angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, maßgebliches Gewicht beizumessen (siehe etwa VfSlg 20.296/2018, 20.166/2017, 20.021/2015; VfGH 12.12.2018, E4118/2018; 24.9.2018, E761/2018 ua; EuGH 30.5.2013, Rs C-528/11, Halaf, Rz 44 mwN).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3839.2020Zuletzt aktualisiert am
12.08.2021