RS Vfgh 2021/6/8 E4381/2020 ua

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Veröffentlicht am 08.06.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §18, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz von zwei Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Tätigkeit als Sportfunktionär sowie mangelhafte Auseinandersetzung mit der aktuellen Versorgungssituation und Sicherheitslage in der Herkunftsregion

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hält zum Fluchtvorbringen in seiner Entscheidung fest, dass hochrangige Sportfunktionäre im Irak keiner Gefährdung durch schiitische Milizen ausgesetzt wären (ACCORD-Anfragebeantwortung).

Zu den vorgelegten Dokumente wird in der Entscheidung nur in einem Satz ausgeführt, dass in einem Video der Erstbeschwerdeführer und dessen Flucht zwar namentlich erwähnt worden seien, eine gegen diesen zuvor bestehende Drohung habe durch das Video letztendlich nicht bestätigt werden können. Es wurde eine Aufzeichnung einer Nachrichtensendung vom 25.11.2015 vorgelegt, in welcher über die Flucht des Erstbeschwerdeführers und seiner beiden Söhne sowie über ein Schussattentat auf einen anderen Sportfunktionär, den Direktor der Polizeisportunion, berichtet wird. Der Beschwerdeführer legte weitere Berichte über Anschläge auf Sportfunktionäre in arabischer Sprache vor.

Die vorgelegte Nachrichtensendung und die vorgelegten Berichte wurden auszugsweise angesehen und vom Dolmetscher wurden einzelne Inhalte zusammengefasst übersetzt. Der Dolmetscher bestätigte, dass in der Nachrichtensendung das Thema Drohungen und Attentate gegen Sportfunktionäre behandelt wird. Der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer wurde der Auftrag erteilt, die "vorgelegten fremdsprachigen Urkunden binnen 2 Wochen in die deutsche Sprache, amtlich beglaubigt übersetzt, vorzulegen. Widrigenfalls diese Urkunden soweit sie nicht schon heute teilweise übersetzt wurden, nicht berücksichtigt werden können." Die Rechtsvertreterin ersuchte daraufhin das BVwG, im Rahmen der Ermittlungspflichten die vorgelegten Beweismittel übersetzen zu lassen, weil die Beschwerdeführer auf Grund ihrer Mittellosigkeit keine Möglichkeit hätten, die vorgelegten Urkunden amtlich beglaubigt übersetzen zu lassen. Die Beschwerdeführer legten dem BVwG eine von der Diakonie Flüchtlingsdienst angefertigte Übersetzung eines Teilausschnittes der Nachrichtensendung vor, in der die Beschwerdeführer namentlich genannt wurden.

Mit all dem hat sich das BVwG in seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt. Indem das BVwG eine nähere Auseinandersetzung mit der Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers als Sportfunktionär und einer möglichen Bedrohung im Herkunftsstaat auf Grund dieser Tätigkeit unterlässt, hat es in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen (vgl die in §18 Abs1 AsylG 2005 normierte amtswegige Ermittlungspflicht).

In den im Erkenntnis des BVwG wiedergegebenen Länderberichten finden sich zudem keine Ausführungen zur Grundversorgung im Irak, zur konkreten Sicherheitslage in der Herkunftsregion der Beschwerdeführer oder zur Situation von Rückkehrern. Es finden sich in den wiedergegebenen Länderfeststellungen lediglich Ausführungen zu den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Streitkräften und dem Islamischen Staat ("IS"), zur Truppengröße von zwei schiitischen Milizen sowie zur medizinischen Versorgungssituation. Die Annahmen des BVwG, dass eine unzureichende Versorgungssituation und eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Beschwerdeführer (zwei erwachsenen und arbeitsfähigen Männern mit Schulausbildung bzw Berufserfahrung) nicht vorlägen, lassen sich aus den zitierten Länderberichten nicht ableiten.

Das BVwG hat es daher unterlassen, sich konkret mit der aktuellen Versorgungssituation und Sicherheitslage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der die Beschwerdeführer stammen und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation der Beschwerdeführer in Beziehung zu setzen.

Entscheidungstexte

  • E4381/2020 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 08.06.2021 E4381/2020 ua

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4381.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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