TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/22 E2546/2020

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Veröffentlicht am 22.06.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Protokoll Nr 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Antrags eines jüdischen EU-Bürgers auf internationalen Schutz; nachvollziehbare Begründung der Schutzfähig- und -willigkeit der litauischen (Gerichts-)Behörden sowie des Bestehens von Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Behandlung durch die Sicherheitsbehörden

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Republik Litauen und stellte am 15. April 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er litauischer Jude, Jurist sowie Menschenrechtsaktivist sei. Er habe in Vilnius eine Gedenktafel für einen litauischen General zerstört, der im Jahr 1941 für das Zusammentreiben der Juden in Ghettos und die Ermordung von 14.000 Juden verantwortlich gewesen sei; darunter seien auch 22 Verwandte des Beschwerdeführers gewesen. Er sei von der Polizei für 54 Stunden festgehalten worden. Man habe ihn dann entlassen und angezeigt. Er sei zu einer Zahlung von € 33.000,– und zum Ersatz der Kosten für die Reparatur der Gedenktafel verurteilt worden. Bezahle er die Strafe nicht, würde er verhaftet werden. Darüber hinaus gebe es in Vilnius eine "Nazigruppe", die den Beschwerdeführer töten wolle. Aus diesen Gründen habe er beschlossen, Litauen zu verlassen.

2. Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, er sei der Meinung, dass sein Asylantrag berechtigt sei. Er habe ein "Nazidenkmal" zerstört und solle dafür eine 75-tägige Haftstrafe verbüßen. Die jüdische Gemeinde in Litauen habe 22 Jahre lang erfolglos darum gekämpft, die Gedenktafel zu entfernen. Nachdem er die Gedenktafel mit einem Hammer zerstört habe, sei er für 54 Stunden unter unmöglichen Bedingungen gefangen gehalten worden, obwohl eine Festnahme nur für 48 Stunden zulässig sei. Er sei geschlagen worden und habe lediglich Schweinefleisch bekommen, das er als Jude aus religiösen Gründen jedoch nicht essen könne; weiters habe er eine 2 m² große Zelle mit einem weiteren Insassen teilen müssen, ohne duschen oder die Toilette unter Achtung der Privatsphäre benutzen zu können. Er habe nicht mit seinem Anwalt sprechen können und sei direkt zu Gericht gefahren worden, ohne dass es ihm möglich gewesen wäre, seinen Fall vorzubereiten. Es gebe auch viele Aufrufe litauischer "Nazis", ihn zu töten. Er habe diesbezüglich eine Anzeige bei der Polizei erstattet, diese sei jedoch ohne Ergebnis geblieben.

3. Mit Bescheid vom 20. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zurück. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 16. Juni 2020 als unbegründet ab.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis aus, dass der Beschwerdeführer Unionsbürger sei. Litauen gelte als sicherer Herkunftsstaat und sei seit 1. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union. Die Republik Litauen habe seit ihrem Beitritt zur Europäischen Union alle nachfolgenden Verträge unterzeichnet. Aus diesen unionsrechtlichen Rechtsakten sei eine positive Beurteilung der allgemeinen Menschenrechtslage zu folgern. All dies gehe auch aus den Erwägungsgründen des Protokolls Nr 24 zum EU-Vertrag (Protokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union, im Folgenden auch: Protokoll Nr 24) hervor, in denen ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass die Europäische Union nach Art6 Abs1 EUV das Recht, die Freiheiten und Grundsätze, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten seien, anerkenne und die Grundrechte nach Art6 Abs1 EUV sowie die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention achte. Als Mitglied der Europäischen Union sei die Republik Litauen ein Rechtsstaat und eine Demokratie im Sinne des Unionsrechtes. Es könne daher auch von der grundsätzlichen Schutzgewährungsfähigkeit und Schutzgewährungswilligkeit der litauischen Sicherheitsbehörden ausgegangen werden. Darüber hinaus sei kein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Litauen anhängig. Rechtlich folge aus dem Protokoll Nr 24, dass grundsätzlich von der Unbegründetheit eines Asylantrages auszugehen sei. Lit. d des Einzigen Artikels des Protokolls Nr 24 lasse die individuelle Einzelfallüberprüfung eines Schutzersuchens zu; vor einer genaueren Überprüfung sei allerdings zu entscheiden, ob der Antrag – von dessen offenkundiger Unbegründetheit auszugehen sei – so viel Substanz habe, dass eine Prüfung notwendig sei, um die Verpflichtungen Österreichs nach der Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten.

Dazu müsse der Asylwerber allerdings eine glaubwürdige, nachvollziehbare und mit den Zuständen im Herkunftsstaat in Einklang zu bringende Fluchtgeschichte darlegen. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten historischen Ereignisse, insbesondere hinsichtlich General Jonas Noreika, würden weder in Abrede gestellt noch verharmlost. Für das erkennende Gericht sei auch nachvollziehbar, dass sich die jüdische Gemeinde durch eine solche Gedenktafel provoziert und beleidigt fühlen müsse. Es könne aber dennoch nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer in Litauen einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer sei entsprechend den strafgesetzlichen Bestimmungen Litauens festgenommen und zu einer Freiheitsstrafe von 75 Tagen und Schadenersatz in der Höhe von € 2.000,– verurteilt worden. Ihm sei ein Rechtsmittel gegen diese Verurteilung nicht verweigert worden und er habe ein solches auch erhoben. Er habe weiters eine offizielle Beschwerde wegen der von ihm kritisierten Behandlung während seiner Festnahme und Anhaltung eingebracht. Die diesbezüglichen gerichtlichen Entscheidungen lägen noch nicht vor. Im Falle der vom Beschwerdeführer behaupteten Menschenrechtsverletzungen stehe ihm nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges auch ein Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Verfügung. Eine unrechtmäßige oder willkürliche Festnahme oder Bestrafung des Beschwerdeführers aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen liege nicht vor, zumal es sich weder um eine Strafbestimmung handle, die explizit auf Angehörige der jüdischen Gemeinschaft abziele, noch eine unverhältnismäßig hohe Strafe drohe. Da somit im vorliegenden Fall kein Anlass für die Beschlussfassung im Sinne des Einzigen Artikels litd des Protokolls Nr 24 bestehe und auch die Tatbestände der lita bis c des Einzigen Artikels des Protokolls Nr 24 nicht erfüllt seien, dürfe der vorliegende Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union nicht berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden. Die belangte Behörde habe daher den Asylantrag zu Recht zurückgewiesen, weswegen die Beschwerde abzuweisen sei.

4. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer mit näherer Begründung die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung (Art47 GRC). Er bringt dazu zusammengefasst das Folgende vor:

Das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes sei aus mehreren Gründen mit Willkür behaftet. Das Bundesverwaltungsgericht stütze sich zentral auf die Erwägungsgründe zum Protokoll Nr 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es werde die Feststellung getroffen, dass Litauen als sicheres Herkunftsland gelte und von rechtsstaatlichen und demokratischen Verhältnissen auszugehen sei. Der Beschwerdeführer verkenne nicht, dass das Protokoll Nr 24 die Regelvermutung aufstelle, Asylanträge von Unionsbürgern seien als offensichtlich unbegründet zu bewerten und daher in der Regel nicht individuell zu prüfen. Der vierte im Protokoll Nr 24 genannte Fall (litd des Einzigen Artikels) erlaube jedoch die einseitige Beschlussfassung durch einen Mitgliedstaat, wobei bei der Prüfung des Antrages zunächst zu vermuten sei, dass dieser offensichtlich unbegründet sei. Im Rahmen einer anzustellenden Grobprüfung sei in einem ersten Schritt darauf abzustellen, ob ein Antrag auf internationalen Schutz so viel Substanz habe, dass eine genauere Prüfung notwendig sei, um die Verpflichtungen Österreichs nach der Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten. Dabei müsse der Asylwerber eine glaubwürdige, nachvollziehbare und mit den Zuständen im Herkunftsstaat in Einklang zu bringende Fluchtgeschichte darlegen. Darüber hinaus müsse er nachvollziehbare und mit den Zuständen im Herkunftsstaat in Einklang zu bringende Ausführungen tätigen, warum er sich nicht des Schutzes seines Herkunftsstaates bedient habe. Das angefochtene Erkenntnis genüge diesen Anforderungen nicht, weil Ermittlungen zu den wesentlichsten verfahrensrelevanten Aspekten zur Gänze unterlassen worden seien. Hätte das Bundesverwaltungsgericht Ermittlungen zur Situation von Jüdinnen und Juden in Litauen sowie zu Menschenrechtsverletzungen durch litauische Sicherheitsbehörden angestellt, hätte es zu einem anderslautenden, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangen müssen, zumal die Vermutung der offensichtlichen Unbegründetheit widerlegt worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht hätte den zurückweisenden Bescheid der belangten Behörde ersatzlos beheben und einen Beschluss gemäß litd des Einzigen Artikels des Protokolls Nr 24 fassen müssen. Das angefochtene Erkenntnis enthalte keine Länderfeststellungen und keine Berichte zur Situation in Litauen. Eine Prüfung des Vorbringens des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der Verhältnisse im Herkunftsstaat sei offensichtlich zur Gänze unterlassen worden. Aktuelle Länderberichte zeigten die bedenkliche Lage von Jüdinnen und Juden in Litauen. Im Jahr 2020 sei es zu Vandalismus an für die jüdische Gemeinde zentralen Orten gekommen. Auch ein Bericht des United Nations Human Rights Committee vom 26. Juli 2018 bringe Besorgnis hinsichtlich der Implementierung von Rechtsschutzmechanismen für die Opfer von "Hate Crime/Hate speech" zum Ausdruck und nenne Jüdinnen und Juden als explizit betroffene Gruppe. Das Fehlen jeglicher Ermittlungstätigkeiten zum Vorbringen des Beschwerdeführers betreffe den zentralen Aspekt der Schutzfähigkeit und -willigkeit des litauischen Staates sowie von Menschenrechtsverletzungen durch die litauischen Sicherheitsbehörden. Der Beschwerdeführer habe auch auf das vorhandene Berichtsmaterial hingewiesen, das vom Bundesverwaltungsgericht jedoch in keiner Weise berücksichtigt worden sei. Das angefochtene Erkenntnis enthalte auch keine nachvollziehbare Begründung, weil im Wesentlichen auf die Beweiswürdigung der belangten Behörde verwiesen werde. Hervorzuheben sei, dass im Erkenntnis keine Auseinandersetzung mit den im Beschwerdeschriftsatz bezeichneten Beweismitteln zu erkennen sei. Da keines der vorgelegten Beweismittel explizit erwähnt, geschweige denn beweiswürdigend verwertet worden sei, könne nicht nachvollzogen werden, auf Grund welcher Erwägungen das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss gelangt sei, dass der Antrag des Beschwerdeführers offensichtlich unbegründet sei. Insgesamt zeige sich, dass wesentliche Beweismittel gänzlich ignoriert und zu wesentlichen Sachverhaltselementen Ermittlungen unterlassen worden seien. Das angefochtene Erkenntnis sei auf Grund grober Mängel hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung, hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens sowie der nicht nachvollziehbaren bzw fehlenden Begründung mit Willkür belastet und verletze den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander. Hätte das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers berücksichtigt und aktuelle Länderberichte gewürdigt, hätte es einen Beschluss gemäß litd des Einzigen Artikels des Protokolls Nr 24 fassen müssen. Darüber hinaus hätte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art47 GRC eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Rechtslage

Das Protokoll Nr 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2008 C115, 305, lautet:

"PROTOKOLL (Nr 24)

ÜBER DIE GEWÄHRUNG VON ASYL FÜR STAATSANGEHÖRIGE VON MITGLIEDSTAATEN DER EUROPÄISCHEN UNION

DIE HOHEN VERTRAGSPARTEIEN —

IN DER ERWÄGUNG, dass die Union nach Artikel 6 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze anerkennt, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten sind,

IN DER ERWÄGUNG, dass die Grundrechte nach Artikel 6 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind, als allgemeine Grundsätze zum Unionsrecht gehören,

IN DER ERWÄGUNG, dass der Gerichtshof der Europäischen Union dafür zuständig ist, sicherzustellen, dass die Union bei der Auslegung und Anwendung des Artikels 6 Absätze 1 und 3 des Vertrags über die Europäische Union die Rechtsvorschriften einhält,

IN DER ERWÄGUNG, dass nach Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union jeder europäische Staat, der beantragt, Mitglied der Union zu werden, die in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union genannten Werte achten muss,

EINGEDENK dessen, dass Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union ein Verfahren für die Aussetzung bestimmter Rechte im Falle einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung dieser Werte durch einen Mitgliedstaat vorsieht,

UNTER HINWEIS darauf, dass jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats als Unionsbürger einen besonderen Status und einen besonderen Schutz genießt, welche die Mitgliedstaaten gemäß dem Zweiten Teil des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleisten,

IN DEM BEWUSSTSEIN, dass die Verträge einen Raum ohne Binnengrenzen schaffen und jedem Unionsbürger das Recht gewähren, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten,

IN DEM WUNSCH, zu verhindern, dass Asyl für andere als die vorgesehenen Zwecke in Anspruch genommen wird,

IN DER ERWÄGUNG, dass dieses Protokoll den Zweck und die Ziele des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge beachtet —

SIND über folgende Bestimmungen ÜBEREINGEKOMMEN, die dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügt sind:

Einziger Artikel

In Anbetracht des Niveaus des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten die Mitgliedstaaten füreinander für alle rechtlichen und praktischen Zwecke im Zusammenhang mit Asylangelegenheiten als sichere Herkunftsländer. Dementsprechend darf ein Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats von einem anderen Mitgliedstaat nur berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden,

a) wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam Artikel 15 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anwendet und Maßnahmen ergreift, die in seinem Hoheitsgebiet die in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen außer Kraft setzen;

b) wenn das Verfahren des Artikels 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union eingeleitet worden ist und bis der Rat oder gegebenenfalls der Europäische Rat diesbezüglich einen Beschluss im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, gefasst hat;

c) wenn der Rat einen Beschluss nach Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, erlassen hat, oder wenn der Europäische Rat einen Beschluss nach Artikel 7 Absatz 2 des genannten Vertrags im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, erlassen hat;

d) wenn ein Mitgliedstaat in Bezug auf den Antrag eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats einseitig einen solchen Beschluss fasst; in diesem Fall wird der Rat umgehend unterrichtet; bei der Prüfung des Antrags wird von der Vermutung ausgegangen, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist, ohne dass die Entscheidungsbefugnis des Mitgliedstaats in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

2. Beim Verfassungsgerichtshof sind keine Bedenken ob der Gültigkeit der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsvorschriften, insbesondere des Protokolls Nr 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union, entstanden.

3. Der Beschwerdeführer ist darüber hinaus auch nicht in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.

4. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

5. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor:

Gemäß dem Einzigen Artikel des Protokolls Nr 24 darf ein Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates nur berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden, wenn einer der in diesem Artikel genannten Ausnahmetatbestände vorliegt. Dem Bundesverwaltungsgericht ist nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass die Tatbestände der lita bis c des Einzigen Artikels des Protokolls Nr 24 von vornherein nicht erfüllt sind.

Lit. d des Einzigen Artikels des Protokolls Nr 24 lässt darüber hinaus eine individuelle Einzelfallprüfung des Schutzersuchens eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates zu. Dabei wird "von der Vermutung ausgegangen, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist"; der Asylwerber hat jedoch die Möglichkeit, diese Vermutung der offensichtlichen Unbegründetheit seines Asylantrages zu entkräften, indem er nachweist, dass ausnahmsweise eine inhaltliche Prüfung seines Schutzersuchens erforderlich ist, um den Verpflichtungen Österreichs nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu entsprechen.

Um die Vermutung der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union zu widerlegen, ist es Aufgabe des Asylwerbers, nicht bloß zu behaupten, sondern mit näherer Begründung darzulegen, warum er sich nicht des Schutzes des Herkunftsstaates – und insbesondere der dortigen Gerichte – bedienen konnte, um einer privaten oder (punktuellen) staatlichen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu entgehen (vgl VwGH 29.5.2018, Ra 2017/20/0388).

6. Dem Bundesverwaltungsgericht ist angesichts dieser Rechtslage nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer die Vermutung der offensichtlichen Unbegründetheit seines Asylantrages – und damit der Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der litauischen (Gerichts-)Behörden – mit seinem Vorbringen nicht zu entkräften vermochte:

Der Verfassungsgerichtshof kann nicht beurteilen, ob die Behandlung des Beschwerdeführers durch die litauischen Sicherheitsbehörden – träfe sein Vorbringen zu – nach innerstaatlichen Vorschriften rechtswidrig gewesen sein könnte. Dies ist gemäß litd des Einzigen Artikels des Protokolls Nr 24 auch nicht zu prüfen: Das Bundesverwaltungsgericht legt nämlich mit nachvollziehbarer Begründung dar, dass die litauischen Behörden – und insbesondere die Gerichte – grundsätzlich als schutzfähig und schutzwillig anzusehen seien.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Vorbringen gegen seine Behandlung durch die litauischen Sicherheitsbehörden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer gegen die Behandlung in der Haft und seine Verurteilung eine Beschwerde bzw ein Rechtsmittel erheben konnte und auch tatsächlich erhoben hat. Laut dem angefochtenen Erkenntnis liegen die diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen noch nicht vor, was vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht bestritten wird. Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus auch kein konkretes Vorbringen dazu erstattet, warum die litauischen Gerichte nicht willens bzw fähig seien, im Rahmen der erhobenen Rechtsmittel Abhilfe gegen die behaupteten Rechtsverstöße zu schaffen.

7. Vor diesem Hintergrund war das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall auch nicht dazu verpflichtet, eine mündliche Verhandlung (Art47 GRC) durchzuführen.

IV. Ergebnis

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

3. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, EU-Recht, Auslegung gemeinschaftsrechtskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2546.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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