TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/23 E4044/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.06.2021
beobachten
merken

Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
StGG Art2
EpidemieG 1950 §24, §32, §43
COVID-19-MaßnahmenG §2, §4
BetretungsverbotV der BH Bludenz vom 21.03.2020
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht wegen Nichtgewährung des Verdienstentgangs betreffend die Entgeltfortzahlung für Arbeitnehmer ausschließlich auf Grundlage der Promulgationsklausel der Verordnung; keine Deckung des Betretungsverbots für Ortsteile einer Vorarlberger Gemeinde durch das COVID-19-MaßnahmenG; rechtliche Grundlage des Betretungsverbots durch die Verordnungsermächtigung gemäß dem EpidemieG 1950 gegeben

Spruch

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft stellte am 14. Mai 2020 bei der Bezirkshauptmannschaft Bludenz einen Antrag auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 Epidemiegesetz 1950 in Bezug auf drei näher bezeichnete Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Nenzing. Sie führte dazu begründend aus, dass die drei Arbeitnehmer vom Anwendungsbereich der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz betreffend Betretungsverbote für die Ortsteile Nenzing-Dorf und Beschling in der Gemeinde Nenzing vom 21. März 2020, BHBL-I-94-1/2020-113, Amtsblatt für das Land Vorarlberg 17/2020 (im Folgenden: Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz), erfasst gewesen seien. Die beschwerdeführende Gesellschaft habe für diese Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung gemäß §32 Abs3 Epidemiegesetz 1950 geleistet, weshalb ihr ein Vergütungsanspruch zukomme.

2. Mit Bescheid vom 27. August 2020 wurde der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2020 als unbegründet ab.

Es führt in der Begründung zusammengefasst aus, dass sich die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz ihrem klaren Wortlaut nach auf §2 Z3 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I 12/2020, stütze. Allein der Umstand, dass eine Wortfolge der Verordnung ("und Verlassen") gesetzwidrig sei, was im Übrigen zunächst vom Verfassungsgerichtshof festzustellen wäre, könne nicht dazu führen, dass diese Verordnung in eine Verordnung nach §24 Epidemiegesetz 1950 umzudeuten sei. In der von der beschwerdeführenden Gesellschaft ins Treffen geführten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, V363/2020, habe der Verfassungsgerichtshof die angefochtene Verordnung wegen mangelnder gesetzlicher Grundlage im COVID-19-Maßnahmengesetz aufgehoben, ohne zu prüfen, ob die Verordnung in §24 Epidemiegesetz 1950 oder einem sonstigen Gesetz Deckung finde. Es lägen keine Hinweise vor, dass die Bezirkshauptmannschaft Bludenz keine Verordnung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz erlassen wollte und fälschlicherweise eine unrichtige gesetzliche Grundlage genannt habe. Es seien auch keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität des §32 Abs1 Epidemiegesetz 1950 entstanden. Da die Behinderung des Erwerbes und der dadurch entstandene Vermögensnachteil nicht durch eine der im §32 Abs1 Z1 bis 7 Epidemiegesetz 1950 abschließend aufgezählten Maßnahmen entstanden sei, sei der Beschwerde keine Folge zu geben.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz untersage entgegen der vom gesetzlichen Ermächtigungstatbestand des §2 Z3 COVID-19-Maßnahmengesetz gesetzten Beschränkung ein Verlassen von Ortsteilen und sei unter Zugrundelegung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, V363/2020, nicht vom COVID-19-Maßnahmengesetz gedeckt. Die Verordnung finde ihre gesetzliche Grundlage jedoch in §24 Epidemiegesetz 1950, weshalb der beschwerdeführenden Gesellschaft, die ihren Arbeitnehmern das in §32 Abs3 Epidemiegesetz 1950 vorgesehene Entgelt ausbezahlt habe, ein Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 Abs1 Z7 Epidemiegesetz 1950 zukomme. Die Angabe einer falschen gesetzlichen Grundlage sei irrelevant (Hinweis auf VfSlg 4052/1961, 4375/1963, 14.938/1997). Vielmehr genüge es, wenn eine gesetzliche Deckung überhaupt bestehe (Hinweis auf VfSlg 9253/1981). Für den Fall, dass die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes rechtmäßig ergangen sei, bringt die beschwerdeführende Gesellschaft vor, dass die Ungleichbehandlung der Verhängung von Verkehrsbeschränkungen nach dem Epidemiegesetz 1950 und von Verboten des Betretens und Verlassens von Orten auf Grund des COVID-19-Maßnahmengesetzes in Bezug auf die Vergütung von Verdienstentgang nach §32 Epidemiegsetz 1950 dem Gleichheitssatz widerspreche.

4. Die Bezirkshauptmannschaft Bludenz hat die Verwaltungsakten sowie den Verordnungsakt zur Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz betreffend Betretungsverbote für die Ortsteile Nenzing-Dorf und Beschling in der Gemeinde Nenzing vom 21. März 2020, BHBL-I-94-1/2020-113, Amtsblatt für das Land Vorarlberg 17/2020, vorgelegt.

5. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat die Gerichtsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der den Beschwerdebehauptungen zusammengefasst Folgendes entgegengehalten wird: Weder die allfällige Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "und Verlassen" in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz noch die gänzliche Aufhebung dieser Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof würde zu einem anderen Ergebnis führen, weil dennoch keiner der taxativ aufgezählten Gründe für eine Vergütung des Vermögensnachteiles gemäß §32 Epidemiegsetz 1950 vorliegen würde. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass – mangels Maßnahme nach dem Epidemiegesetz 1950 – §32 Abs3 Epidemiegsetz 1950 nicht zur Anwendung komme und die beschwerdeführende Gesellschaft daher nicht zur Antragstellung berechtigt sei.

6. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat eine Replik erstattet, in der sie der Gegenschrift des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg entgegen tritt.

II. Rechtslage

1. §2 und §4 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz COVID-19-MG), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 16/2020 (§4) lauteten:

"Betreten von bestimmten Orten

§2. Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist

1. vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,

2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder

3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.

Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken.

Inkrafttreten

§4. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

(1a) Abs2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 16/2020 tritt rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft.

(2) Hat der Bundesminister gemäß §1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung nicht zur Anwendung.

(3) Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 bleiben unberührt.

(4) Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes können vor seinem Inkrafttreten erlassen werden, dürfen jedoch nicht vor diesem in Kraft treten."

2. §24, §32 und §43 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, idF BGBl 702/1974 (§32), BGBl I 114/2006 (§24) bzw BGBl I 63/2016 (§43) lauteten:

"Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften.

§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.

Vergütung für den Verdienstentgang.

§32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1. sie gemäß §§7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

2. ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß §11 untersagt worden ist, oder

3. ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß §17 untersagt worden ist, oder

4. sie in einem gemäß §20 im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, oder

5. sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß §20 in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist, oder

6. sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß §22 angeordnet worden ist, oder

7. sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß §24 verhängt worden sind,

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

(2) Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, der von der in Abs1 genannten behördlichen Verfügung umfaßt ist.

(3) Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl Nr 399/1974, zu bemessen. Die Arbeitgeber haben ihnen den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß §21 des Bauarbeiterurlaubsgesetzes 1972, BGBl Nr 414, ist vom Bund zu ersetzen.

(4) Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist die Entschädigung nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen.

(5) Auf den gebührenden Vergütungsbetrag sind Beträge anzurechnen, die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen.

V. HAUPTSTÜCK.

Allgemeine Bestimmungen.

Behördliche Kompetenzen.

§43. (1) Die Bestimmungen des Gesetzes vom 30. April 1870, RGBl. Nr 68, betreffend die Organisation des öffentlichen Sanitätsdienstes, bleiben durch die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes unberührt.

(3) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest, Ägyptischer Augenentzündung, Wutkrankheit, Bißverletzungen durch wutkranke oder wutverdächtige Tiere sowie in sonstigen Fällen dringender Gefahr sind die im §5 Abs1 bezeichneten Erhebungen und die in den §§7 bis 14 bezeichneten Vorkehrungen auch sofort an Ort und Stelle von den zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Ärzten zu treffen.

(4) Die Einleitung, Durchführung und Sicherstellung sämtlicher in diesem Gesetze vorgeschriebener Erhebungen und Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten beziehungsweise die Überwachung und Förderung der in erster Linie von den zuständigen Sanitätsorganen getroffenen Vorkehrungen sind Aufgabe der Bezirksverwaltungsbehörde.

(5) Dem Landeshauptmann obliegt im Rahmen seines örtlichen Wirkungsbereichs die Koordinierung und Kontrolle der Maßnahmen der Bezirksverwaltungsbehörden gemäß Abs4. Besteht der Verdacht oder die Kenntnis über einen bundesländerübergreifenden Ausbruch einer Erkrankung gemäß §1 Abs1 und 2, so haben die Landeshauptmänner der betroffenen Bundesländer zusammenzuarbeiten und ihre Tätigkeiten zu koordinieren.

(6) Das Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend ist im Fall von Krankheitsausbrüchen vom Landeshauptmann unverzüglich zu verständigen."

3. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz betreffend Betretungsverbote für die Ortsteile Nenzing-Dorf und Beschling in der Gemeinde Nenzing vom 21. März 2020, BHBL-I-94-1/2020-113, Amtsblatt für das Land Vorarlberg 17/2020, lautete wie folgt:

"Die Bezirkshauptmannschaft Bludenz verordnet als zuständige Behörde gemäß §2 Z3 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, folgende Maßnahmen zum Schutz vor der Weiterverbreitung des Corona-Virus (SARS-CoV-2) für die Ortsteile Nenzing-Dorf und Beschling in der Gemeinde Nenzing:

§1

Betretungsverbote

(1) Das Betreten und Verlassen dieser Ortsteile wird verboten.

(2) Vom Verbot nach Abs1 ausgenommen werden:

a) (Einsatz-) Fahrten der Blaulichtorganisationen,

b) allgemeine Versorgungsfahrten durch Zulieferer (zB Lebensmitteltransporte) und Fahrten zur Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvorsorge (zB Straßendienst, Müllabfuhr) und im Bereich der versorgungskritischen öffentlichen Infrastruktur (zB Strom- und Wasserversorgung),

c) Fahrten zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsfürsorge und Alten- und Krankenpflege, insbesondere diesbezügliche individuelle unaufschiebbare Fahrten (zB zur Dialyseversorgung),

d) die einmalige Zufahrt von Personen mit einem Hauptwohnsitz, Nebenwohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesen Ortsteilen,

e) die einmalige Abfahrt von Personen mit einem Hauptwohnsitz, Nebenwohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb dieser Ortsteile befristet bis 12.00 Uhr des Tages des Inkrafttretens dieser Verordnung.

(3) Personen, die gemäß Abs2 lite diese Ortsteile verlassen und engere soziale Kontakte gehabt haben (mehr als 5 Personen in einer Entfernung von weniger als 2 Metern und länger als 15 Minuten), müssen ihre persönlichen Daten unter Hinweis auf diese Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz bekannt geben (Mail an: absonderungsbescheid@vorarlberg.at).

(4) Personen, die sich innerhalb der letzten 14 Tage vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in einem dieser Ortsteile aufgehalten und engere soziale Kontakte gehabt haben (mehr als 5 Personen in einer Entfernung von weniger als 2 Metern und länger als 15 Minuten), sollen für die Dauer von mindestens 14 Tage nach ihrer Abfahrt aus diesen Ortsteilen

a) ihre sozialen Kontakte und

b) die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel stark reduzieren sowie

c) ihren Gesundheitszustand selbst überwachen.

(5) Bezüglich des Betretens öffentlicher Orte in diesen Ortsteilen und zwischen diesen Ortsteilen wird auf die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 98/2020 in der geltenden Fassung, hingewiesen.

§2

Mitwirkung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben die Beschränkungen zu überwachen und sicherheitspolizeilich einzuschreiten (§2a Covid-19-Maßnahmengesetz).

§3

Strafbestimmungen

Wer gemäß §1 dieser Verordnung zuwiderhandelt, begeht gemäß §3 Abs3 Covid-19-Maßnahmengesetz eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu EUR 3.600,00 zu bestrafen.

§4

Inkrafttreten und Außerkrafttreten

Diese Verordnung tritt an dem auf die Kundmachung folgenden Tag in Kraft und mit Ablauf des 3. April 2020 außer Kraft."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) vor, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Vorarlberg unterlaufen:

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung vom 14. Juli 2020, V363/2020, eingehend mit §2 COVID-19-MG auseinandergesetzt und dazu ua Folgendes ausgeführt:

"Die gesetzliche Ermächtigung des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ist damit von vornherein dahingehend begrenzt, dass mit der Ermächtigung, das Betreten bestimmter Orte zu untersagen, nur das Zusammentreffen von Menschen eben an bestimmten Orten unterbunden werden kann. §2 COVID-19-Maßnahmen-gesetz geht also vom Grundsatz der Freizügigkeit […] aus und ermächtigt den Verordnungsgeber dazu, diese Freizügigkeit durch Betretungsverbote bestimmter Orte einzuschränken, wobei das Gesetz auch deutlich macht, welche Merkmale diese Orte, deren Betreten der Verordnungsgeber zum Zweck der Verhinderung von COVID-19 untersagen kann, aufweisen müssen, nämlich, dass die Nutzung dieser Orte zum persönlichen Zusammentreffen mehrerer Menschen außerhalb der eigenen Wohnung führt.

Der Verordnungsgeber kann dabei die Orte, deren Betreten er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 untersagt, konkret oder abstrakt umschreiben, er kann für Außenstehende auch, wie die Erläuterungen deutlich machen, das Betreten regional begrenzter Gebiete wie Ortsgebiete oder Gemeinden untersagen; es ist ihm aber verwehrt, durch ein allgemein gehaltenes Betretungsverbot des öffentlichen Raumes außerhalb der eigenen Wohnung (im weiten Sinn des Art8 EMRK) ein – wenn auch entsprechend der räumlichen Ausdehnung der Verordnung gemäß §2 Z2 oder 3 COVID-19-Maßnahmengesetz regional begrenztes – Ausgangsverbot schlechthin anzuordnen. Damit ist die gesetzliche Ermächtigung des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz dahingehend begrenzt, dass das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden darf, nicht aber, dass Menschen auf Grundlage des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz dazu verhalten werden können, an einem bestimmten Ort, insbesondere auch in ihrer Wohnung, zu verbleiben. §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ermächtigt mithin zu auch durchaus weitreichenden Eingriffen in die Freizügigkeit der Menschen, keines-falls aber zu Anordnungen, die als Eingriff in die persönliche Freiheit zu qualifizieren wären […]."

3.2. Gemäß §1 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz waren sowohl das Betreten als auch das Verlassen der Ortsteile Nenzing-Dorf und Beschling in der Gemeinde Nenzing verboten.

3.3. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V363/2020, dargelegt hat, können Menschen auf Grundlage des §2 COVID-19-MG nicht dazu verhalten werden, an einem bestimmten Ort zu verbleiben (vgl ferner VfGH 10.12.2020, V512/2020, zum Verbot des Verlassens des eigenen Wohnsitzes). Daher konnte sich das Verbot des Verlassens der Ortsteile Nenzing-Dorf und Beschling nicht auf §2 COVID-19-MG stützen.

3.4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl zB VfSlg 2276/1952, 2432/1952, 4375/1963, 9253/1981, 14.938/1997, 16.094/2001, 16.930/2003) ist jedoch nicht entscheidend, auf welche Rechtsgrundlage eine Verordnung förmlich (zB in ihrer Promulgationsklausel) gestützt wird. Der Umstand, dass das Verbot des Verlassens bestimmter Ortsteile gemäß §1 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz in §2 COVID-19-MG keine Grundlage findet, führt daher nur dann zur Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmung, wenn es sich auch nicht auf eine andere gesetzliche Grundlage stützen konnte. Als weitere Rechtsgrundlage kommt die Verordnungsermächtigung des §24 EpiG in Betracht. So hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. Dezember 2020, V535/2020, eine formal auf das COVID-19-MG gestützte Bestimmung, welche die "Zufahrt zu und die Abfahrt aus den Gemeinden im Landesgebiet" (mit Ausnahmen) verboten hatte, als Verkehrsbeschränkung angesehen, die durch §24 EpiG gedeckt sein kann. Durch das Verbot des Verlassens der Ortsteile Nenzing-Dorf und Beschling in der Gemeinde Nenzing gemäß §1 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz wurde demnach ebenfalls eine Verkehrsbeschränkung verfügt, die in §24 EpiG eine hinreichende Grundlage fand. Die Bezirkshauptmannschaft Bludenz war als zuständige Bezirksverwaltungsbehörde im Zeitpunkt der Verordnungserlassung gemäß §43 Abs4 EpiG auch zur Erlassung eines derartigen Verbotes ermächtigt.

3.5. Indem das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg bei seiner Entscheidung die Frage, ob ein Vergütungsanspruch nach §32 Abs1 Z7 EpiG zusteht oder nicht, ausschließlich auf Grund der Promulgationsklausel der Verordnung verneint hat, hat es dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und die beschwerdeführende Gesellschaft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B-VG) verletzt.

3.6. Im weiteren Verfahren wird das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg zu prüfen haben, ob ein Anspruch auf Vergütung besteht, bejahendenfalls, ob die konkreten Anspruchsvoraussetzungen des §32 Abs1 Z7 EpiG vorliegen und ob allenfalls Beträge gemäß §32 Abs5 leg. cit. anzurechnen sind.

IV. Ergebnis

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

COVID (Corona), Verordnung, Recht auf Freizügigkeit, Einkünfte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4044.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten