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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Ersatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; erneut mangelhafte Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten des EASO zu Personen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt habenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und schiitischer Muslim. Er wurde am 1. Jänner 1998 in der Provinz Maidan Wardak geboren, habe – so sein Prozessvorbringen – im Alter von drei Jahren mit seiner Familie Afghanistan verlassen und sei in den Iran gezogen. Er stellte am 27. Oktober 2015 nach Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 17. November 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29. November 2019 als unbegründet ab.
4. Gegen dieses Erkenntnis richtete der Beschwerdeführer eine Beschwerde gemäß Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Mit Erkenntnis vom 26. Juni 2020, E105/2020, hob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wegen Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, auf, und zwar hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, des Ausspruches, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und der Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
4.1. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Zumutbarkeit der Ansiedlung des im Iran aufgewachsenen Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif ausgegangen sei, aber nur unzureichend auf die insoweit maßgeblichen Länderberichte des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO; Country-Guidance für Afghanistan aus Juni 2018 bzw Juni 2019) Bezug genommen habe. Aus diesem Grund sei die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bezog, mit Willkür behaftet und entsprechend aufzuheben gewesen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde im zweiten Rechtsgang nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2020 erneut als unbegründet ab. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht abermals im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann sei, dem eine Rückkehr nach Afghanistan, konkret nach Mazar-e Sharif, zugemutet werden könne. Er sei mit der Kultur und Landessprache vertraut und in der Lage, sich dort – auch auf Grund seiner Schulbildung und Arbeitserfahrung als Schneider und Bauarbeiter – ohne die Hilfe eines Unterstützungsnetzwerkes eine neue Existenz aufzubauen.
6. Am 18. November 2020 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beim Verfassungsgerichtshof ein. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 30. März 2021 wurde diesem Antrag stattgegeben. In der Folge brachte der Beschwerdeführer eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde ein, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
2.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
2.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis wie schon in der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im ersten Rechtsgang (VfGH 26.6.2020, E105/2020), soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, von der Zumutbarkeit der Ansiedelung des im Iran aufgewachsenen Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif aus.
3.2. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK, oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.3. Zur Beurteilung dessen sind vor allem hinreichend aktuelle Länderberichte heranzuziehen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfGH 27.2.2018, E2124/2017&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True">; 12.12.2019, E3369/2019; 12.12.2019, E2692/2019). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf die Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR) oder auf die Berichte des EASO.
3.4. Auf die – für die Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative insbesondere im Hinblick auf in Afghanistan geborene oder lange im Ausland lebende afghanische Staatsbürger maßgeblichen – Länderberichte des EASO (Country-Guidance des EASO für Afghanistan aus Juni 2018 [vgl S 109] bzw die aktuellere Fassung aus Juni 2019 [vgl S 139]) nahm das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis erneut bloß unzureichend Bezug. Zwar erfolgte neben der Auseinandersetzung mit jenen Teilen der genannten Länderberichte, wonach der Beschwerdeführer zur Gruppe der "single able-bodied adult men" zähle, auch eine Erwähnung jener Gruppe der Asylwerber, die außerhalb Afghanistans geboren worden seien oder über einen sehr langen Zeitraum außerhalb Afghanistans gelebt hätten. An dieser Stelle führte das Bundesverwaltungsgericht aber hinsichtlich der allgemein gebotenen Berücksichtigung individueller Hintergründe der Asylwerber zum Beschwerdeführer lediglich oberflächlich aus, dass dieser – wenngleich er kein familiäres Unterstützungsnetzwerk in Mazar-e Sharif habe – neben seiner Schulbildung auch über Berufserfahrung in einer Schneiderei und auf Baustellen im Iran verfüge.
3.5. Folglich nahm das Bundesverwaltungsgericht keine ausreichende Auseinandersetzung vor, warum vor dem Hintergrund dieser Länderinformationen dem Beschwerdeführer die Ansiedelung in Mazar-e Sharif zumutbar sei. Es wurde weder auf die Dauer und die Art der aufgezählten Tätigkeiten noch auf das damalige Alter des im Jahr 2015 als Minderjähriger eingereisten Beschwerdeführers näher eingegangen (zum besonderen Risikoprofil von Iran- bzw Pakistan-Rückkehrern vgl VfGH 7.10.2020, E2273/2020; 24.11.2020, E2304/2020 und 6.10.2020, E2406/2020; zur Selbsterhaltungsfähigkeit durch formelle oder qualifizierte Berufsausbildung vgl VfGH 6.10.2020, E2795/2019; 4.3.2021, E557/2020; 24.2.2021, E2629/2020; 10.3.2021, E3003/2020). Daran vermögen auch die umfassenden Verweise des Bundesverwaltungsgerichtes im angefochtenen Erkenntnis auf die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur nichts zu ändern, auf deren Basis das Bundesverwaltungsgericht die Zumutbarkeit der Ansiedelung des Beschwerdeführers in Afghanistan als gegeben erachtete.
3.6. Aus diesem Grund ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes mit Willkür behaftet und zur Gänze aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher zur Gänze aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Ersatzentscheidung, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E4004.2020Zuletzt aktualisiert am
13.08.2021