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Baurecht - KrntNorm
AVG §66 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Senatspräsidenten Dr. Borotha, und die Hofräte Dr. Krzizek, Dr. Lehne, Dr. Striebl und Dr. Rath als Richter, im Beisein des Schriftführers, Ministerialkommissärs Dr. Svoboda, über die Beschwerde des HR und der ER in K, gegen den Bescheid des Amtes der Kärntner Landesregierung vom 3. Oktober 1961, Zl. BauR 1-205/4/61, betreffend die Erteilung baupolizeilicher Aufträge, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, insoweit er Aufträge enthält, die über jene des Bescheides des Magistrates der Landeshauptstadt Klagenfurt vom 27. Juni 1961, Zl.U.Abt. 1 C 3398/1/60, hinausgehen (Teil A) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, im übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Am 19. Dezember 1960 zeigte die Baufirma M namens der beiden Beschwerdeführer beim Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt die beabsichtigte Durchführung von Bauarbeiten an dem in ihrem gemeinsamen Eigentum stehenden Hause P, und zwar den Abbruch von Gewölben und das Einziehen von Filigran-Massivdecken samt Verputz, an. Diese Anzeige nahm der Magistrat mit Erledigung vom 30. Dezember 1960 zustimmend zur Kenntnis. Nachdem am 14. Februar 1961 mit diesen Arbeiten begonnen worden war, verfügte der Magistrat zunächst mündlich, mit Bescheid vom 27. März 1961 aber auch schriftlich, unter Berufung auf § 90 der Bauordnung für die Landeshauptstadt Klagenfurt, Gesetz vom 13. Mai 1904, LGBl. Nr. 22, mit Änderungen (Bauordnung für Klagenfurt), die Einstellung dieser Arbeiten. Anlaß hiefür waren, wie die Verwaltungsakten zeigen, einerseits Bedenken sicherheitspolizeilicher Natur, andererseits aber auch Gesichtspunkte, die auf dem Gebiete des Denkmalschutzes liegen. In diesem Bescheid, der unangefochten blieb, wurde den Beschwerdeführern auch aufgetragen, unverzüglich Baupläne über die beabsichtigten Umbauarbeiten vorzulegen. Im Laufe der beiden folgenden Monate nahmen die Beschwerdeführer von ihrem ursprünglichen Bauvorhaben, und zwar wegen der damit verbundenen hohen Kosten, Abstand und entschlossen sich, das gesamte Gebäude abtragen zu lassen. Da dieses mit Bescheid des Bundesministeriums für Unterricht vom 19. August 1937 unter Denkmalschutz gestellt worden war, bedurften sie hiezu der gemäß § 5 des Denkmalschutzgesetzes zu erwirkenden Zustimmung des Bundesdenkmalamtes. Ein dahin zielendes Ansuchen brachten die Beschwerdeführer am 2. Mai 1961 ein; der weitere Ablauf des Verwaltungsgeschehens in Ansehung des Denkmalschutzes wurde im hg. Erkenntnis vom 7. Februar 1962, Zl. 1995/1996/61, ausführlich dargestellt. Zwecke Vermeidung von Wiederholungen verweist der Gerichtshof in dieser Hinsicht auf das angeführte Erkenntnis. Hier sei nur festgehalten, daß die Zustimmung im Sinne der angeführten Gesetzesstelle verweigert worden und der gegen diese Verweigerung gerichteten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde der Erfolg versagt geblieben ist.
Der Magistrat nahm nunmehr jene Baugebrechen, die im Rahmen des der Baueinstellung vorangegangenen Verfahrens festgestellt worden waren, zum Anlaß, eine eingehende Untersuchung des Bauzustandes vorzunehmen. Er beraumte zu diesem Zweck eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle an. Bei diesem am 19. Juni 1961 abgehaltenen Ortsaugenschein vertrat ein Teil der Behördenvertreter die Meinung, daß eine Gesamtinstandsetzung angezeigt wäre. Die Beschwerdeführer traten einer solchen Maßnahme insbesondere mit dem Hinweis auf die hohen, von ihnen damals mit 1 1/2 Millionen Schilling angenommenen Kosten entgegen und gaben der Meinung Ausdruck, daß „wirtschaftliche Überlegungen der ausschlaggebende Punkt bei Beurteilung dieses Falles“ seien. Als Beweismittel zur Beurteilung des Bauzustandes lagen der Behörde erster Rechtsstufe zunächst zwei schriftliche, mit 23. März und 3. Juni 1961 datierte Gutachten des Zivilingenieurs für Bauwesen, Dipl. Ing. WR, vor. Der für den Beschwerdefall wesentliche Inhalt dieser Gutachten kann dahin zusammengefaßt werden, daß der Sachverständige die Standsicherheit des Gebäudes wegen verschiedener Baugebrechen, insbesondere aber wegen der für die Außenwände bestehenden Knickgefahr als nur bedingt gegeben ansah und als unabdingbare Voraussetzung für die langfristige Erhaltung des Bauwerkes eine Reihe umfangreicher und kostspieliger Sanierungsmaßnahmen für erforderlich erachtete. Eine Schätzung der Kosten der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen fügte der Sachverständige keinem seiner beiden Gutachten bei. Der Sachverständige Dipl. Ing. techn. FB hingegen kam in seinem im Auftrag des Bundesdenkmalamtes zu Protokoll gegebenen Sachverständigengutachten, das sich konkret nur mit Maßnahmen zur vorläufigen Sicherung des Gebäudes befaßte, zu dem Ergebnis, daß er zur Frage einer endgültigen Sanierung erst nach Vorliegen entsprechender Pläne und statischer Berechnungen Stellung nehmen könne. Der gleichfalls bei der Verhandlung anwesende Baudirektor des Magistrates Klagenfurt Dipl.Ing. Dr. techn. O gab der Meinung Ausdruck, der Kostenaufwand für die notwendigen Maßnahmen werde die zumutbare Summe wesentlich übersteigen. Dies müsse vor allem deshalb angenommen werden, weil, mit Rücksicht auf das Alter des Gebäudes erfahrungsgemäß das Hervorkommen weiterer, bisher nicht festgestellter Baugebrechen im Zuge der Instandsetzungsarbeiten zu erwarten sei. Die Beschwerdeführer stellten sich in ihrer Äußerung auf den Boden der beiden Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. R und wiesen darauf hin, daß dieser weit umfangreichere Baugebrechen festgestellt habe als der vom Bundesdenkmalamt beauftragte Sachverständige.
Gestützt auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung erließ nunmehr der Magistrat den Bescheid vom 27. Juni 1961. Mit diesem Bescheid, der auf § 93 der Bauordnung für Klagenfurt gegründet ist, wurde den Beschwerdeführern „zur Erlangung der normengemäßen Sicherheit des Althauses“ die Durchführung folgender Maßnahmen aufgetragen:
1. Sanierung des Dachstuhles:
Die Gespärre sind durch Einziehen von Druckstreben und Brustriegeln bzw. von Zangen zu Sprengwerksbindern umzuändern, um bei einseitiger Schneelast oder einseitiger Windbeanspruchung die Standsicherheit und Tragfähigkeit des Dachstuhles zu gewährleisten, weil die Stuhlsäulen der Gespärre sowie der Laufsteg die Bundträme auf Biegung belasten. Die fehlenden Kopfbänder der Mittelpfetten sind zu ergänzen. (Diese Arbeiten sind durch' einen konzessionierten Zimmermeister unter Aufsicht eines Zivilingenieurs für das Bauwesen - Statikers - auszuführen.)
2. Fundamente und Mauerwerk:
An den straßenseitigen Fronten, daß ist am X Platz und insbesondere an der Y-Straße, sind die Außenmauern durch neue Stahlbetonfundamente mit eingespannten Stahlbetonsäulen zu sichern.
3. Holzbalkendecken:
Die unterdimensionierten und an den Köpfen teilweise angemorschten Holzdecken sind, um ein Ausknicken der Außenmauern hintanzuhalten und die letzteren mit der Mittelmauer und den Quermauern in statisch wirksame Verbindung zu bringen, durch Stahlbetondecken zu ersetzen. Um eine Schädigung des Bruchsteinmauerwerks durch das Einschlitzen der Massivdecken zu vermeiden, sind Außenmauer und Mittelmauer durch Stahlbetonbalken zu verschließen und zwischen den Balken die Massivdecken zu spannen.
4. Die derzeitigen Aus- und Durchbrüche bei den Mauern und Gewölben sind sofort fachgemäß zu verschließen.
5. Die in den Punkten 2 bis 4 angeführten Baumeisterarbeiten sind ebenfalls unter Aufsicht eines Zivilingenieurs - Statikers durchzuführen. Die in den Punkten 1 bis 3 und 5 aufgezählten Arbeiten sind am 15. September 1961 zu beginnen, ohne Unterbrechung fortzuführen und bis Jahresende fertigzustellen.
6. Gegen die Beeinflussung des Objektes durch den Verkehr sind Sicherungen durchzuführen.
7. Um die etwa erforderliche straßenpolizeiliche Genehmigung (die im Hinblick auf eine erweiterte Absicherung für den Fußgängerverkehr bzw. eine erweiterte Umleitung während der Durchführung einzelner Arbeiten erforderlich sein könnte) haben die Bauwerber beim Magistrat rechtzeitig anzusuchen.
In der Begründung dieses Bescheides gab der Magistrat der Meinung Ausdruck, daß die wirtschaftlichen Einwendungen in das Verfahren nach dem Denkmalschutzgesetz gehörten. Der Magistrat sei, so wird weiter ausgeführt, im Rahmen der ihm aufgetragenen Bauaufsicht nicht in der Lage, auch wirtschaftliche Interessen abzuwägen. Für solche Gesichtspunkte sei nur im Verfahren über die Genehmigung eines Abbruches Raum.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung, in der sie nach Wiederholung der schon bisher vorgetragenen Einwendungen die Meinung vertraten, das baupolizeiliche Verfahren sei bis zur Klärung der Frage des Denkmalschutzes auszusetzen, weil bei für sie positivem Ausgang des betreffenden Verfahrens das Gebäude abgetragen werde und sich daher baupolizeiliche Maßnahmen erübrigten. Sie bezogen sich sodann auf die Äußerung des Baudirektors Dr. O und führten für die Richtigkeit der von diesem gehegten Befürchtung hinsichtlich des Hervorkommens neuer Gebrechen konkrete Beispiele an. Es dürfen, so wird in der Berufung weiter ausgeführt, nicht die Gründe des Denkmalschutzes in den Vordergrund gestellt, sondern es müsse geprüft werden, ob die aufgetragenen Maßnahmen dem Hauseigentümer wirtschaftlich zumutbar seien. Zur Stützung ihres Vorbringens, daß die wirtschaftliche Zumutbarkeit nicht gegeben sei, brachten die Beschwerdeführer vor, das Gebäude unterliege hinsichtlich der Mietzinsbildung zur Gänze dem Mietengesetz; ein Betrag von S 700.000,-- sei für dessen Erhaltung schon aufgewendet und in Form einer Zinserhöhung auf die Mieter überwälzt worden. Eine weitere Belastung der Mieter sei aber nicht möglich. Ebensowenig seien die Beschwerdeführer in der Lage, den erforderlichen Betrag, der mit Rücksicht auf mit Sicherheit zu erwartende zusätzliche Gebrechen möglicherweise 3 Millionen Schilling erreichen werde, aufzubringen. Beantragt wurde die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Antrages auf Zustimmung des Bundesdenkmalamtes oder die Aufhebung des Bescheides; in eventu möge die Berufungsbehörde die Sicherstellung der Kosten „im Wege des Bundesdenkmalamtes“ erwirken.
Das Amt der Kärntner Landesregierung holte ein Gutachten der Abteilung Brückenbau der Landesbaudirektion ein, dessen Gegenstand gleichfalls der Bauzustand des Gebäudes sowie die zur Beseitigung der vorhandenen Baugebrechen notwendigen Maßnahmen, nicht aber deren Kosten war. Ferner findet sich in den Verwaltungsakten eine Äußerung der Abteilung 23 c des Amtes der Landesregierung, in der auf die Feststellung von Schäden an den Rauchfängen durch den zuständigen Rauchfangkehrermeister hingewiesen und die Aufnahme entsprechender zusätzlicher Aufträge in den Berufungsbescheid angeregt wurde. Gestützt auf dieses Gutachten erließ die belangte Behörde den nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid, mit welchem der Magistratsbescheid aufrecht erhalten und durch die Anordnung zusätzlicher Instandsetzungsarbeiten (Sanierung bzw. Erneuerung der schadhaften Rauchfänge sowie Abtragung und Erneuerung des schadhaften Teiles des Rauchfangkopfes an der Nordseite der Nebenstiege im Takt der Y-Straße) ergänzt, die Anträge auf Aussetzung des Verfahrens auf Sicherstellung der Kosten im Wege des Bundesdenkmalamtes aber abgewiesen wurden.
Über die gegen diesen Bescheid unter den Gesichtspunkten der inhaltlichen Rechtswidrigkeit und der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde hat der Gerichtshof erwogen:
Die Beschwerdeführer machen zur behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit geltend, durch die Erteilung zusätzlicher, über den Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrenes hinausgehender Aufträge habe die belangte Behörde „die Grenzen des Berufungsverfahrens überschritten“. Diesem Vorbringen, das der belangten Behörde die Überschreitung ihrer funktionellen Zuständigkeit als Berufungsbehörde zum Vorwurf macht, kommt aus folgenden Erwägungen Berechtigung zu: Wie der Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. März 1951, Slg. N.F. Nr. 1983/A, ausgesprochen hat, bietet § 66 Abs. 4 AVG 1950 zwar eine ausreichende Grundlage dafür, daß die Berufungsbehörde den von der Behörde erster Rechtsstufe ihrem Bescheid zugrunde gelegten Sachverhalt rechtlich anders beurteilt; eine Ermächtigung der Berufungsbehörde jedoch, ihrer Entscheidung einen anderen Sachverhalt als die Erstinstanz zugrunde zu legen, kann dieser Verfahrensvorschrift nicht entnommen werden. Der Gerichtshof hat ferner in seinem Erkenntnis vom 6. Mai 1954, Zl. 2483/52 (in der Sammlung N. F. unter Nr. 3403 nur auszugsweise veröffentlicht, weshalb hiezu auf Art. 19 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 220/1952, verwiesen wird), festgestellt, daß auch zur Erlassung amtswegiger Verfügungen grundsätzlich nur jene Behörde berechtigt ist, welche nach den Normen über die Zuständigkeit in erster Instanz einzuschreiten hat. Nun war die durch die belangte Behörde im Zuge des Berufungsverfahrens festgestellte Schadhaftigkeit der Rauchfänge weder Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens noch befaßt sich der Spruch des Magistratsbescheides mit derartigen Gebrechen. Sie gehören daher auch nicht zur „Sache“ im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG und durften demnach nicht zum Gegenstand der Entscheidung der Berufungsbehörde gemacht werden. Die belangte Behörde hat sich zur Unterstützung ihrer gegenteiligen Rechtsansicht auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juli 1958, Slg. N.F. Nr. 4725/A, berufen. Sie hat hiebei jedoch übersehen, daß in dem dort entschiedenen Rechtsfall als „Sache“ im erwähnten Sinne der einheitliche und grundsätzlich nicht teilbare Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung anzusehen war und es nur um die Frage ging, ob und unter welchen Voraussetzungen eine dem Gesetz entsprechende Berufung zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Sachentscheidung, und zwar unter Beibehaltung des Rahmens, innerhalb dessen sich der erstinstanzliche Bescheid bewegt hat, führen kann. Aus dieser Entscheidung läßt sich, daher für die Rechtsmeinung der belangten Behörde nichts gewinnen. Vielmehr ist in der Überschreitung ihrer Zuständigkeit eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des Abschnittes A des in Beschwerde gezogenen Bescheides gelegen, die zu dessen Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 führen mußte.
Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften führen die Beschwerdeführer ins Treffen, die belangte Behörde habe es ebenso wie der Magistrat unterlassen, sich mit der Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der aufgetragenen Instandsetzungsmaßnahmen auseinanderzusetzen. Auf ihr dahingehendes Berufungsvorbringen sei die belangte Behörde überhaupt nicht eingegangen. Auch dieser Verfahrensrüge kommt Berechtigung zu. Dies aus nachstehenden Erwägungen:
Schon in seinem grundlegenden Erkenntnis vom 26. Juni 1950, Slg. N.F. Nr. 1569/A, hat der Verwaltungsgerichtshof aus Anlaß eines die Vollziehung des § 129 Abs. 4 der Wiener Bauordnung betreffenden Beschwerdefalles zu Recht erkannt, daß die Behebung von Baugebrechen dann, wenn eine Instandsetzung wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist, durch die Beseitigung des Gebäudes durch Abtragung zu geschehen hat. Daran hat der Gerichtshof seither in ständiger Rechtsprechung festgehalten. Er hat auch in einer Reihe weiterer Erkenntnisse (z.B. Erkenntnis vom 3. Februar 1954, Slg. N.F. Nr. 3288/A, und vom 29. Juni 1955, Slg. N.F. Nr. 3795/A) diejenigen Erwägungen dargelegt, von denen sich die Baubehörden bei Prüfung der Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit leiten zu lassen haben. Der in diesem Zusammenhang maßgebliche Wortlaut des § 93 der Bauordnung für Klagenfurt, wonach der Magistrat die im öffentlichen Interesse notwendige Beseitigung von Baugebrechen verfügt und die Räumung sowie die nötige Sicherung und das Abtragen einsturzdrohender Gebäude oder deren einzelner Bauteile veranlaßt, stimmt mit dem Inhalt des § 129 Abs. 4 1. Satz der Bauordnung für Wien überein. Die zur Frage der Vollziehung der letztgenannten Rechtsnorm in der zitierten Judikatur entwickelten Grundsätze beanspruchen daher auch für die Handhabung des § 93 der Bauordnung für Klagenfurt Geltung.
Der Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt hatte in der Begründung seines Bescheides die Einwendung der Beschwerdeführer hinsichtlich der wirtschaftlichen Zumutbarkeit einer Instandsetzung mit dem Bemerken abgetan, er sähe sich erst dann in die Lage versetzt, bei seiner Entscheidung auch wirtschaftliche Interessen abzuwägen, wenn der Abtragung des Gebäudes vom Standpunkt des Denkmalschutzes aus gesehen kein Hindernis mehr entgegenstehe und die Baubehörde lediglich über die Frage der Genehmigung des Abbruches zu entscheiden habe. Die belangte Behörde selbst hat zu dieser Frage nicht ausdrücklich Stellung genommen, sich aber die Erwägungen der Unterinstanz ganz allgemein durch den Hinweis darauf zu eigen gemacht, daß sie auf diese Begründung verwies. Auch sie vertritt daher offenbar die Ansicht, daß sich die durch § 5 Abs. 1 des Denkmalschutzgesetzes statuierte Bindung der Zerstörung eines Denkmales an die Zustimmung des Bundesdenkmalamtes auch auf die Baubehörde erstrecke und diese demgemäß während der Dauer des Bestehens des Denkmalschutzes im Sinne des § 3 des angeführten Gesetzes daran gehindert sei, die Beseitigung der am Denkmal vorhandenen Baugebrechen auch durch Erteilung eines Abtragungsauftrages zu verfügen. Dies trifft aber nicht zu.
§ 5 des Denkmalschutzgesetzes enthält in erster Linie eine öffentlich rechtliche Beschränkung der freien Verfügungsgewalt der Eigentümer von Denkmälern. Diese Beschränkung muß aber notwendig dort ihre Grenze haben, wo an die Stelle des freien Entschlusses des Eigentümers eine ihm im öffentlichen Interesse auferlegte Rechtspflicht tritt, aus der heraus er zu einem bestimmten Handeln verhalten ist. Der Gerichtshof ist ferner der Auffassung, daß sich aus der in Art. 15 B-VG enthaltenen Kompetenzregelung, nach welcher die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Bauwesens mit einer hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme Landessache ist (Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. 2242), ergibt, daß die mit der Vollziehung baurechtlicher, also landesgesetzlicher Normen betrauten Behörden auf Grund einfacher Bundesgesetze nicht verhalten sein können, Entscheidungen zu treffen, die mit diesen durch sie zu vollziehenden Vorschriften in Widerspruch stehen. Nach der Bestimmungen des § 93 BO für Klagenfurt - einer Rechtsvorschrift übrigens, die inhaltlich in allen österreichischen Bauordnungen wiederkehrt - ist nun aber die Baubehörde verpflichtet, bei Vorliegen der schon oben dargelegten Voraussetzungen auch die Abtragung einsturzdrohender Gebäude zu veranlassen. Diese Pflicht der Behörde kann durch § 5 Denkmalschutzgesetz umsoweniger ausgeschlossen werden, als es sich bei der die Pflicht begründenden Norm um eine solche handelt, die dem Schutze des Lebens und der Gesundheit von Menschen dient. Auch unabhängig von der Lösung der oben behandelten verfassungsrechtlichen Frage also sowie unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung muß diese Norm grundsätzlich den Vorrang gegenüber dem Zerstörungsverbot des § 5 Denkmalschutzgesetz genießen, weil den durch sie geschützten Rechtsgut ein noch höherer Wert zukommt, als den auf Grund des Denkmalschutzgesetzes vor dem Untergang zu bewahrenden Kulturgütern. Somit zeigt sich auch, daß die vom Gerichtshof zur Frage der Wahl zwischen Instandsetzungs- und Abtragungsaufträgen als Mittel zur Beseitigung von Baugebrechen in der angeführten Judikatur entwickelten Grundsätze entgegen der Ansicht der belangten Behörde auch dann zu beachten sind, wenn das Gebäude, hinsichtlich dessen Maßnahmen dieser Art zu treffen sind, den Beschränkungen des § 5 Denkmalschutzgesetz unterliegt, zumal sich in den maßgebenden Vorschriften der Bauordnung für Klagenfurt kein Hinweis darauf findet, daß denkmalgeschützte Ojekte nach anderen Gesichtspunkten zu beurteilen wären als andere Bauwerke.
Die darin gelegene Durchbrechung des absoluten Schutzes der Denkmäler vor ihrer Zerstörung ist allerdings insofern eingeschränkt, als Zuwendungen, die dem Eigentümer eines denkmalgeschützten Bauwerkes mit Rücksicht auf dessen Denkmaleigenschaft angeboten werden - es sei hiebet etwa an Instandsetzungsbeiträge des Bundes oder einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechtes gedacht - bei der Schätzung der Kosten einer Instandsetzung entsprechende Berücksichtigung finden müssen, und zwar auch dann, wenn deren Annahme von dem zur Instandhaltung Verpflichteten mangels einer Rechtspflicht hiezu verweigert würde.
Die Prüfung des angefochtenen Bescheides, soweit er die Bestätigung der durch die Erstinstanz aufgetragenen Instandsetzungsmaßnahmen zum Gegenstand hat, unter Bedachtnahme auf die vorstehenden Erwägungen ergibt folgendes Bild:
Obwohl nicht nur die Beschwerdeführer schon von Beginn des Verwaltungsverfahrens an immer wieder die wirtschaftliche Zumutbarkeit einer Instandsetzung ihres Gebäudes bestritten haben, sondern auch Baudirektor Dr. O den gleichen Standpunkt vertreten und hiefür auch Gründe angeführt hat, haben es die Behörden beider Instanzen unterlassen, eine Schätzung des voraussichtlichen Kostenaufwandes einzuholen sowie den sonstigen, für die Lösung der Frage nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit maßgeblichen Sachverhalt festzustellen. Jedenfalls insoweit, als der angefochtene Bescheid Aufträge des Magistrates aufrechterhalten hat, die auf die langfristige Erhaltung des Gebäudes abzielen, ist er sohin mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, und zwar deshalb belastet, weil der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkte der Ergänzung bedarf (§ 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1952).
Anders wäre an sich die Rechtslage in Ansehung der bloßen Sicherungsmaßnahmen. Hiezu hat der Gerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 16. Dezember 1952, Zl. 2465/51, ausgesprochen, daß die Frage der Wirtschaftlichkeit nicht aufgeworfen werden kann, wenn vorläufige Sicherungsmaßnahmen zur Hintanhaltung einer Gefahr notwendig sind. Weder den das erstinstanzliche Verfahren betreffenden Verwaltungsakten, noch jenen, die den Ablauf des Verfahrens vor der Berufungsbehörde wiedergeben, können jedoch Anhaltspunkte dafür entnommen werden, daß auch bloß sichernde Maßnahmen mit dem Ziel der Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr Gegenstand des in Beschwerde gezogenen Bescheides gewesen wären. Ungeachtet der in dieser Hinsicht bestehenden Einschränkung der Pflicht zur Prüfung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit war daher der gesamte die Aufträge der Erstinstanz bestätigende Teil des angefochtenen Bescheides wegen Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes aufzuheben.
Wien, am 28. Jänner 1963
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Änderung von Anträgen und Ansuchen im Berufungsverfahren Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1963:1961002182.X00Im RIS seit
13.08.2021Zuletzt aktualisiert am
16.08.2021